Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentliche Beteiligung "innerhalb der letzten fünf Jahre" i.S. des § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Leitsatz (amtlich)
Das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung "innerhalb der letzten fünf Jahre" i.S. des § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist nicht für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der jeweils geltenden Beteiligungsgrenze i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG zu bestimmen, sondern richtet sich nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze. Diese Regelung ist verfassungsgemäß.
Normenkette
EStG § 17 Abs. 1-2; GG Art. 20 Abs. 3; StEntlG 1999/2000/2002
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die mindestens seit 1984 an der O-GmbH beteiligt waren. Sie hielten ihre Beteiligungen jeweils im Privatvermögen. Bis zum 29. Dezember 1998 war die Klägerin am Stammkapital der O-GmbH von zuletzt 750 000 DM mit 75 000 DM (10 v.H.) beteiligt. Der Kläger war Mehrheitsgesellschafter der GmbH. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 29. Dezember 1998 veräußerte und übertrug die Klägerin einen Teilgeschäftsanteil von nominal 600 DM zum Preis von ebenfalls 600 DM an den Kläger. Mit Vertrag vom 28. Juni 1999 veräußerte und übertrug sie ihre restliche Beteiligung an der O-GmbH von noch 74 400 DM (= 9,92 v.H.) an einen Dritten. An diesen hat auch der Kläger im Jahr 1999 einen Teil der von ihm gehaltenen Beteiligung veräußert.
Durch Bescheid vom 5. November 1999 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) gegenüber den Klägern die Vorauszahlungen für die Einkommensteuer und für den Solidaritätszuschlag für das Jahr 1999 fest. Er legte seiner Berechnung u.a. einen Veräußerungsgewinn der Klägerin von 916 356 DM gemäß § 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 ―künftig: StEntlG 1999/2000/2002― (BGBl I 1999, 402, BStBl I 199, 304) zugrunde.
Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage machten die Kläger nach erfolglosem Einspruch vor allem geltend, die Klägerin sei am 28. Juni 1999 an der O-GmbH nicht zu mindestens 10 v.H. und deshalb nicht wesentlich beteiligt gewesen. Eine wesentliche Beteiligung ergebe sich auch nicht deshalb, weil die Klägerin bis zum 28. Dezember 1998 und damit innerhalb der letzten fünf Jahre mit 10 v.H. an der O-GmbH beteiligt gewesen sei. Ob eine wesentliche Beteiligung im Jahr 1998 vorgelegen habe, bestimme sich nach der für dieses Jahr gültig gewesenen Regelung, wonach eine wesentliche Beteiligung nur bei einer Beteiligungsquote von mehr als 25 v.H. vorgelegen habe.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Es hat den im Verlauf des Klageverfahrens gegenüber den Klägern ergangenen Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 22. Mai 2001, der i.S. von § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) anstelle des Vorauszahlungsbescheids zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4. November 1999 V R 35/98, BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454), in der Weise geändert, dass es den Gewinn, den die Klägerin durch die Veräußerung ihrer Beteiligung an der O-GmbH im Jahr 1999 erzielte, unberücksichtigt gelassen hat. Es hat es aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Vermeidung einer unzulässigen Rückwirkung für geboten erachtet, das Tatbestandsmerkmal "wesentliche Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre" für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der für das jeweilige Jahr geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 701 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe zu Unrecht verneint, dass die Klägerin innerhalb der letzten fünf Jahre wesentlich beteiligt gewesen sei. Der Zweck der Regelung sei es, eine Steuervermeidung durch bloße Stückelung des Anteils und der Verteilung des Verkaufs der Teilanteile auf mehrere Jahre zu verhindern. Die Regelung setze nicht voraus, dass der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre nach der für diese Jahre jeweils geltenden Grenze wesentlich beteiligt gewesen sei. Zu berücksichtigen sei zudem, dass eine Gesetzesänderung, bei der eine tatbestandliche Rückanknüpfung erfolge, grundsätzlich zulässig sei.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Entgegen der Auffassung des FG hat die Klägerin im Streitjahr 1999 durch die Veräußerung ihres Geschäftsanteils an der O-GmbH einen Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erzielt. Denn die Klägerin war innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung am Kapital der O-GmbH mit 10 v.H. und damit wesentlich beteiligt (§ 17 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG). Unerheblich ist, dass ihre Beteiligung im Zeitpunkt der Veräußerung nur 9,92 v.H. betrug und damit unter der für das Jahr 1999 gültigen Wesentlichkeitsschwelle lag.
1. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. Eine wesentliche Beteiligung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 gegeben, wenn der Veräußerer zu mindestens 10 v.H. unmittelbar oder mittelbar beteiligt war.
Die Klägerin war im Streitjahr 1999 am Stammkapital der O-GmbH nicht mehr zu mindestens 10 v.H. beteiligt.
a) Die am 29. Dezember 1998 erfolgte Übertragung eines Teils ihres damals 10 v.H. des Stammkapitals umfassenden Geschäftsanteils hatte zu einer Absenkung ihrer Beteiligung auf 9,92 v.H. geführt. Die Übertragung war bürgerlich-rechtlich wirksam. Die Abtretung des Teilgeschäftsanteils wurde unter Beachtung der in § 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) vorgeschriebenen notariellen Form vollzogen. Auch hat die GmbH die zur Wirksamkeit der Veräußerung des Teilgeschäftsanteils gemäß § 17 Abs. 1 GmbHG erforderliche Genehmigung erteilt (vgl. hierzu Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 17. Aufl., § 17 Rz. 9 f.).
b) Die Übertragung des Teilgeschäftsanteils war auch steuerrechtlich anzuerkennen.
aa) Die Übertragung ist nicht deshalb unbeachtlich, weil die Klägerin den Teilgeschäftsanteil zum Nominalbetrag von 600 DM und damit ―wie der ein halbes Jahr später vereinbarte Preis für die Veräußerung des der Klägerin verbliebenen Teilgeschäftsanteils zeigt― zu einem erheblich unterhalb des Verkehrswerts liegenden Preis an ihren Ehemann veräußert hat. Die allgemeinen Regeln, wonach Verträge unter nahen Angehörigen steuerlich nur anzuerkennen sind, wenn sie zivilrechtlich wirksam abgeschlossen, vereinbarungsgemäß durchgeführt worden sind und nach Inhalt und Durchführung einem Fremdvergleich standhalten, gelten zwar auch für die Beurteilung einer Anteilsveräußerung unter nahen Angehörigen. Eine Abweichung, die lediglich darin besteht, dass ein unüblich niedriger Kaufpreis vereinbart wird, steht der steuerlichen Anerkennung der Übertragung jedoch nicht entgegen. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Geschäftsanteil zum Teil entgeltlich und im Übrigen unentgeltlich übertragen worden ist (Senatsurteil vom 10. November 1998 VIII R 28/97, BFH/NV 1999, 616; vgl. auch BFH-Urteil vom 31. Mai 2001 IX R 78/98, BFHE 195, 392, BStBl II 2001, 756).
bb) Die im Dezember 1998 erfolgte Übertragung eines Teilgeschäftsanteils auf den Kläger ist auch nicht als Missbrauch i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) zu beurteilen.
Zwar liegt die Annahme nahe, dass diese Anteilsübertragung allein deshalb durchgeführt wurde, um die Beteiligungsquote der Klägerin an der O-GmbH auf unter 10 v.H. abzusenken, zumal in diesem Monat die erste Lesung des StEntlG 1999/2000/2002, durch das die Beteiligungsgrenze auf 10 v.H. abgesenkt worden ist, im Deutschen Bundestag stattgefunden hat (vgl. Stuhrmann, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1999, 1657, 1660). Das von der Klägerin angestrebte Ziel der Vermeidung einer Steuerpflicht der Veräußerung der verbleibenden Beteiligung ist jedoch keine Steuerumgehung i.S. von § 42 Abs. 1 AO 1977. Denn diese Vorschrift verwirft grundsätzlich nur solche (unangemessenen) Gestaltungen, die eine Umgehung des im Zeitpunkt der Gestaltung geltenden Steuergesetzes darstellen (Bornheim, Der Betrieb ―DB― 2001, 162; Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 17 EStG, Anm. 131; Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 42 AO 1977 Tz. 21; Hörger in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 17 EStG Rz. 96). Steuergesetz i.S. des § 42 AO 1977 ist nur eine Rechtsnorm gemäß § 4 AO 1977 in ihrem zeitlichen Anwendungsbereich.
§ 17 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Ein Gestaltungsmissbrauch scheidet danach aus, weil die Klägerin nach der im Jahr 1998 gegebenen Gesetzeslage zu nicht mehr als 25 v.H. und damit i.S. von § 17 Abs. 1 EStG 1997 an der O-GmbH nicht wesentlich beteiligt war.
2. Obwohl die Klägerin somit im Jahr 1999 nicht mehr zu mindestens 10 v.H. an der O-GmbH beteiligt war, hat sie durch die Veräußerung der ihr noch verbliebenen Beteiligung von 9,92 v.H. den Tatbestand des § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erfüllt. Denn sie war zwar nicht mehr im Jahr 1999, wohl aber innerhalb der letzten fünf Jahre vor dieser Veräußerung an der GmbH wesentlich beteiligt.
Ob § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1999 geltenden Fassung die Veräußerung einer Beteiligung von weniger als 10 v.H. erfasst, wenn der Steuerpflichtige zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre nicht zu mehr als 25 v.H., aber mit mindestens 10 v.H. beteiligt war, ist umstritten.
Das FG vertritt ebenso wie andere FG und wie das überwiegende Schrifttum die Auffassung, der Begriff der wesentlichen Beteiligung, die innerhalb der letzten fünf Jahre bestanden haben muss, sei für jeden vergangenen Veranlagungszeitraum nach der damals gegebenen Rechtslage zu bestimmen (sog. veranlagungsbezogener Beteiligungsbegriff). Dies folge insbesondere aus der Rückbezogenheit. Auch lasse sich eine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nur durch eine solche verfassungskonforme Auslegung vermeiden (FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, Beschluss vom 8. Dezember 2000 9 V 85/00, EFG 2001, 292; FG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juli 2001 7 V 3499/01 A (E), EFG 2001, 1216; FG München, Beschluss vom 11. Februar 2002 13 V 3920/01, EFG 2002, 556; Balmes/Kotyrba, Finanz-Rundschau ―FR― 1999, 1044; Blümich/Ebling, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 17 EStG Rz. 109 a; Bornheim, DB 2001, 162; Debus, Betrieb und Wirtschaft ―BuW― 2000, 307; Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/ Raupach, a.a.O., § 17 EStG Anm. 131; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 17 Rz. 53 a; Herzig/Förster, DB 1999, 711; Hörger in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 17 EStG Rz. 94; Hörger/Mentel/ Schulz, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1999, 565; Korn/Strahl, Einkommensteuergesetz, § 17 Rz. 40; Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 17 Rz. 35; Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 17 Rdnr. A 256 und B 157; Schweyer/Dannecker, Betriebs-Berater ―BB― 1999, 2375; Strahl, Kölner Steuerdialog ―KÖSDI― 2000, Nr. 1, 12260).
Dagegen vertreten die Finanzverwaltung (R 140 Abs. 2 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien ―EStR― 1999) und ein Teil der Literatur (Dötsch/Pung, BB 1999, 1352; Eilers/Wienands, GmbH-Rundschau 1999, 505; Kröner, Steuerberater-Jahrbuch ―StbJb― 1997/1998, S. 193 ff.; Ott, Steuern und Bilanzen ―StuB― 1999, 836; Wendt, FR 1999, 343) die Auffassung, eine Anteilsveräußerung sei auch dann steuerpflichtig, wenn der Steuerpflichtige im zeitlichen Anwendungsbereich des StEntlG 1999/2000/2002 eine Beteiligung von weniger als 10 v.H. veräußert hat, er aber zu irgendeinem Zeitpunkt in den fünf Vorjahren zu mindestens 10 v.H. beteiligt war. Ob eine wesentliche Beteiligung gegeben sei, bestimme sich nach der im Veräußerungszeitpunkt geltenden Gesetzesfassung.
Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung.
a) Aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang von Satz 1 und Satz 4 des § 17 Abs. 1 EStG ergibt sich, dass alle Beteiligungsverkäufe, die im zeitlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfolgen, nach der ab dem 1. Januar 1999 geltenden Wesentlichkeitsgrenze von mindestens 10 v.H. zu beurteilen sind. § 17 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 EStG sind aufeinander abgestimmt. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG legt den von dieser Norm erfassten Besteuerungstatbestand fest. Die nachfolgenden Sätze 2 bis 4 erläutern die einzelnen Besteuerungsmerkmale des Satzes 1. Aus diesem systematischen Zusammenhang folgt, dass der in Satz 1 genannte Begriff der wesentlichen Beteiligung nicht isoliert ausgelegt, sondern nur so verstanden werden kann, wie er in Satz 4 definiert ist.
Diese Gesetzessystematik entspricht von ihrem Ansatz her auch derjenigen des § 17 Abs. 1 in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung des EStG. Von dieser Systematik ging zudem bereits das Reichssteuergesetz (RStG) 1925 aus, durch das der Besteuerungstatbestand der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung eingeführt worden ist (damals § 30 Abs. 3 EStG), indem Satz 1 der Vorschrift den Besteuerungstatbestand festlegte, Satz 2 hingegen den Begriff der wesentlichen Beteiligung definierte (vgl. hierzu Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, Bd. II, § 30 Anm. 3).
b) Diese Auslegung wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die neue Beteiligungsgrenze von 10 v.H. für alle Veräußerungen ab dem Veranlagungszeitraum 1999 gelten soll (vgl. BTDrucks 14/265, S. 179). Dem steht nicht entgegen, dass dort auch ausgeführt wird, dass eine wesentliche Beteiligung künftig bereits bei einer Beteiligung von mindestens 10 v.H. gegeben sei. Aus dieser auf die Zukunft hinweisenden Formulierung kann nicht geschlossen werden, dass die abgesenkte Wesentlichkeitsschwelle nicht gelten soll, soweit das Gesetz in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Rahmen eines Fünfjahreszeitraums an das Halten einer Beteiligung in der Vergangenheit und damit ggf. in der Zeit vor dem Veranlagungszeitraum 1999 anknüpft (so aber Balmes/Kotyrba, FR 1999, 1044). Die zitierte Formulierung ist als bloßer Hinweis auf die geltende Wesentlichkeitsschwelle zu verstehen, sofern der Gesetzesentwurf tatsächlich verwirklicht wird.
c) Diesem Verständnis steht auch nicht die abweichende Formulierung von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) entgegen. Diese Formulierung weicht insoweit von der Fassung dieser Vorschrift im StEntlG 1999/2000/2002 ab, als nunmehr unmittelbar in Satz 1 die für die Besteuerung maßgebliche Beteiligungsquote geregelt ist. Aus dieser Neufassung, wonach die Besteuerung der Veräußerung einer Beteiligung (im Geltungsbereich des StSenkG) davon abhängt, ob der Veräußerer in den letzten fünf Jahren im maßgeblichen Umfang (von nunmehr mindestens 1 v.H.) beteiligt war, lässt sich aber nicht schließen, der Gesetzgeber sei erst mit der Einführung des StSenkG von der Vorstellung abgerückt, die Frage der Wesentlichkeit sei im Rahmen der Fünfjahresfrist nicht nach den Verhältnissen des Jahres der Veräußerung, sondern nach der in jedem abgeschlossenen Veranlagungszeitraum gültig gewesenen Wesentlichkeitsschwelle zu beurteilen (so aber Bornheim, DB 2001, 162). Diese Änderung beruht nämlich darauf, dass der Gesetzgeber infolge des Systemwechsels vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren auch der Besteuerung von Beteiligungsverkäufen i.S. von § 17 EStG eine neue Funktion beigemessen hat. Im Vordergrund steht nicht mehr der Gesichtspunkt, dass die Besteuerung von privaten Beteiligungsverkäufen das Erreichen oder Überschreiten einer solchen Beteiligungsquote voraussetzt, die es rechtfertigt, in Abkehr von dem Grundprinzip der Nichtsteuerbarkeit Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen der Besteuerung zu unterwerfen. Stattdessen dient § 17 EStG nunmehr dazu, sicherzustellen, dass der Anteilseigner nicht die Halbeinkünftebesteuerung durch den Verkauf der Beteiligung verhindern kann (Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 17 Rz. 3). Aus diesem Grund verzichtet § 17 EStG i.d.F. des StSenkG auf den Begriff der wesentlichen Beteiligung und regelt unmittelbar in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG den maßgeblichen Schwellenwert von nunmehr 1 v.H. Die Regelung des Schwellenwerts unmittelbar in Satz 1 ist deshalb eine bloße redaktionelle Folgeänderung (vgl. BTDrucks 14/3366, S. 118).
d) Gegen einen veranlagungsbezogenen Beteiligungsbegriff spricht auch die in § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG getroffene Anwendungsregelung, wonach der Tatbestand des § 17 EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden ist, und das Fehlen einer Übergangsregelung. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG verweist hinsichtlich der Wesentlichkeitsgrenze, soweit es auf in den Vorjahren vorhanden gewesene Merkmale ankommen würde, nicht auf die in diesen Vorjahren jeweils geltenden Fassungen des EStG. Bei Anwendung eines veranlagungsbezogenen Beteiligungsbegriffs wäre deshalb die maßgebliche Beteiligungsgrenze weder aus dem EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 noch durch Verweisung auf frühere Fassungen für den Rechtsunterworfenen erkennbar. Deshalb bestünden gegen einen veranlagungsbezogenen Beteiligungsbegriff unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit der Norm Bedenken (zur Problematik der Bestimmtheit der Norm vgl. Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Art. 20 Rz. 81 ff.; Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 23. April 1974 1 BvR 6/74, 2270/73, BVerfGE 37, 132, 142, und vom 24. November 1981 2 BvL 4/80, BVerfGE 59, 104, 114).
e) Das dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift entsprechende Auslegungsergebnis ist auch nicht im Wege der sog. teleologischen Reduktion zu korrigieren. Eine solche den Wortlaut korrigierende Auslegung wäre nur zulässig, wenn eine wortlautgemäße Auslegung zu sinnwidrigen Ergebnissen führen würde und der Schluss gerechtfertigt wäre, dass der gesetzgeberische Wille planwidrig umgesetzt wurde (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 30. März 1993 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, 166, und vom 7. April 1997 1 BvL 11/96, NJW 1997, 2230; BFH-Urteile vom 17. Februar 1994 VIII R 30/92, BFHE 175, 226, BStBl II 1994, 938; vom 4. Dezember 2001 III R 47/00, BFHE 197, 233, BStBl II 2002, 195, und vom 19. Juni 2002 III R 28/99, BFHE 199, 355, BStBl II 2002, 753).
Eine solche Planwidrigkeit liegt nicht vor (ebenso Blümich/ Ebling, a.a.O., § 17 EStG Rz. 109 a). Die dem Gesetzeswortlaut folgende Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch in dem Fall, in dem ein Steuerpflichtiger im zeitlichen Geltungsbereich des StEntlG 1999/2000/2002 eine Beteiligung von weniger als 10 v.H. veräußert hat, er aber irgendwann in den fünf Vorjahren zu mindestens 10 v.H., jedoch zu nicht mehr als 25 v.H. beteiligt war, führt entgegen der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl. Balmes/Kotyrba, FR 1999, 1044; Debus, BuW 2000, 307; Herzig/Förster, DB 1999, 711; Hörger/Mentel/Schulz, DStR 1999, 565; Hörger in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 17 EStG Rz. 94; Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 17 Rdnr. A 256; Schweyer/Dannecker, BB 1999, 2375; Strahl, KÖSDI 2000, Nr. 1, 12260; vgl. auch FG Düsseldorf, Beschluss in EFG 2001, 1216) nicht zu einem dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechenden Ergebnis.
Zwar trifft es zu, dass ein Steuerpflichtiger, der im Geltungsbereich von § 17 Abs. 1 EStG in seiner bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung eine Beteiligung von nicht mehr als 25 v.H. gehalten hat, durch Teilverkäufe bis zu diesem Zeitpunkt nicht den damals geltenden Tatbestand des § 17 EStG umgeht, weil nicht nur seine infolge des Teilverkaufs reduzierte Beteiligung, sondern bereits die ursprüngliche Beteiligung nicht wesentlich und damit insgesamt steuerlich nicht verstrickt war. Zutreffend ist auch, dass § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG mit der Rückanknüpfung an die letzten fünf Jahre die Umgehung des Tatbestands des § 17 EStG durch Teilverkäufe verhindern will. Von dieser Vorstellung ging bereits § 30 Abs. 3 Satz 2 RStG 1925 aus, der ebenfalls eine solche Rückanknüpfung vorsah (vgl. Strutz, a.a.O., § 30 Anm. 38).
Wie der Senat bereits zu § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung wiederholt entschieden hat, hat der Gesetzgeber das mit der fünfjährigen Rückanknüpfung verfolgte Ziel aber ausschließlich durch die Fünfjahresfrist und nicht zusätzlich dadurch umgesetzt, dass die veräußerten Teile zu irgendeinem Zeitpunkt Teil einer wesentlichen Beteiligung hätten sein müssen. Daraus hat der Senat abgeleitet, dass der Gesetzgeber auch das Ziel verfolgt habe, den durch die Veräußerung des Anteils an einer Kapitalgesellschaft eingetretenen Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit dann zu erfassen, wenn zwar der veräußerte Anteil selbst keine wesentliche Beteiligung darstellt, aber der Steuerpflichtige innerhalb eines Fünfjahreszeitraums an der Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligt war. Er hat innerhalb des Zeitraums von fünf Jahren den gesamten Mehrwert erfasst, der bei der Veräußerung einer Beteiligung realisiert worden ist, die auf 25 v.H. und darunter abgesunken ist (vgl. Senatsurteile vom 10. November 1992 VIII R 40/89, BFHE 173, 17, BStBl II 1994, 222; vom 24. April 1997 VIII R 23/93, BFHE 183, 397, BStBl II 1999, 342). Er hat darüber hinaus innerhalb des Fünfjahreszeitraums den Gewinn aus der Veräußerung einer nicht wesentlichen Beteiligung selbst dann berücksichtigt, wenn eine wesentliche Beteiligung vollständig veräußert wurde und die unwesentliche Beteiligung danach erworben worden ist (Senatsurteil vom 20. April 1999 VIII R 58/97, BFHE 188, 362, BStBl II 1999, 650; vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 1999 2 BvR 1198/99, Steuer-Eildienst ―StEd― 2000, 18; vgl. hierzu auch Gosch, Die Steuerliche Betriebsprüfung ―StBp― 1999, 219; Ott, StuB 1999, 837; Paus, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1999, 752; Weber-Grellet, FR 1999, 760).
Anknüpfungspunkt für die Erfassung des Zuwachses an finanzieller Leistungsfähigkeit, der durch die Veräußerung einer unwesentlichen Beteiligung erzielt wird, ist deshalb allein der zeitliche Zusammenhang dieser Veräußerung mit dem Halten einer wesentlichen Beteiligung. Innerhalb des Fünfjahreszeitraums infiziert mithin die zu irgendeinem Zeitpunkt vorhanden gewesene wesentliche Beteiligung die unwesentliche (so zutreffend, Kröner, StbJb 1997/1998, S. 193 ff., 206 ff.; vgl. hierzu auch Heinemann, Die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung privater Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes, S. 71 ff.).
Auch ein Vergleich mit dem gesetzlichen Regeltatbestand zeigt, dass die Annahme, es sei allein aus der Sicht des Jahres der Veräußerung zu beurteilen, ob eine frühere Beteiligung eine unwesentliche Beteiligung infiziert, der gesetzgeberischen Konzeption entspricht:
Veräußert ein Steuerpflichtiger ab dem Veranlagungszeitraum 1999 eine Beteiligung von mindestens 10 v.H., dann unterliegt nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers der gesamte Wertzuwachs der Beteiligung der Besteuerung. Ob die Beteiligung bereits vor dem 1. Januar 1999 eine Wertsteigerung erfahren hat und ob die Wertsteigerung vor diesem Zeitpunkt wegen des Nichterreichens der damals geltenden Beteiligungsgrenze nicht der Besteuerung unterlegen hätte, ist unerheblich (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178).
f) Die dem Wortlaut, der Gesetzessystematik, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck entsprechende Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der verfassungskonformen Auslegung zu berichtigen. Eine verfassungskonforme Auslegung kommt dann in Betracht, wenn eine Norm mehrere Auslegungen zulässt, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen (BVerfG-Beschluss vom 2. April 2001 1 BvR 355/00, 1 BvR 409/00, 1 BvR 674/00, NJW 2001, 2160, m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Auffassung, dass die Wesentlichkeitsgrenze von 10 v.H. auch für die fünf zurückliegenden Jahre gilt, führt nicht zu einem verfassungswidrigen Ergebnis.
Wie der Senat in dem Verfahren VIII R 92/03 mit Urteil vom heutigen Tage (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) entschieden hat, sind die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von bisher 25 v.H. auf 10 v.H. durch das StEntlG 1999/2000/2002 und das Fehlen einer Übergangsregelung verfassungsgemäß. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf dieses Urteil Bezug genommen.
Im Streitfall folgt eine Verfassungswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen echten Rückwirkung auch nicht daraus, dass die Klägerin ―anders als der Veräußerer in dem Verfahren VIII R 92/03― im Zeitpunkt der Veräußerung keine wesentliche Beteiligung mehr innegehabt hat. Denn der Tatbestand des § 17 EStG setzt neben der Wesentlichkeit der Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre deren Veräußerung (oder ein gemäß Abs. 4 der Vorschrift der Veräußerung gleichgestelltes Ereignis) voraus. Im Zeitpunkt der Verwirklichung des letzten Tatbestandsmerkmals des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG durch die Klägerin, der Veräußerung am 28. Juni 1999, war das StEntlG 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 bereits verkündet. Die Klägerin konnte deshalb im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ebenso wenig wie der Veräußerer in dem Verfahren VIII R 92/03 darauf vertrauen, dass der erzielte Gewinn nicht steuerpflichtig war. Da bei der Gewinnermittlung gemäß § 17 Abs. 2 EStG nur der Erlös aus der Veräußerung der verbliebenen Restbeteiligung von 9,92 v.H. und nicht etwa der Gewinn aus den Veräußerungen der vorangegangenen fünf Jahre erfasst wird, kann auch insoweit ein berechtigtes Vertrauen der Klägerin in eine bestehende Rechtslage nicht enttäuscht worden sein.
3. Als Veräußerungsgewinn ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 der Betrag anzusetzen, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Das FA hat diesen Veräußerungsgewinn zutreffend ermittelt. Es hat zu Recht den Veräußerungspreis lediglich um die historischen Anschaffungskosten der im Jahr 1999 veräußerten Anteile und nicht um den gemeinen Wert gekürzt, den diese Anteile am 1. Januar 1999, also zu Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs des StEntlG 1999/2000/2002, hatten. Der Senat verweist auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom heutigen Tage in dem Verfahren VIII R 92/03.
Fundstellen
Haufe-Index 1337301 |
BFH/NV 2005, 960 |
BStBl II 2005, 436 |
BFHE 2005, 275 |
BFHE 209, 275 |
BB 2005, 981 |
DB 2005, 923 |
DStR 2005, 733 |
DStRE 2005, 615 |
DStZ 2005, 322 |
HFR 2005, 530 |