Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung eines wertlosen GmbH-Anteils ohne Gegenleistung
Leitsatz (NV)
Die Übertragung eines wertlosen GmbH- Anteils ohne Gegenleistung ist in der Regel als Veräußerung i. S. von § 17 Abs. 1 EStG zu beurteilen.
Normenkette
EStG § 17
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden.
Der Kläger und sein Bruder waren je zur Hälfte am Stammkapital der X-GmbH von 215 000 DM beteiligt. Anfang 1982 kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern über die Zukunft der X- GmbH. Der Kläger befürchtete, daß die X- GmbH in naher Zukunft Konkurs anmelden müsse, während sein Bruder noch eine Sanierung des Unternehmens für möglich hielt.
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 9. Juni 1982 übertrug der Kläger seine Anteile an der X-GmbH auf seinen Bruder. In dem Vertrag sind die Parteien als "Käufer" und "Verkäufer" bezeichnet. In Teil II Abs. 2 des Vertrages heißt es: "Herr X hat für die Übertragung eine Gegenleistung nicht zu erbringen." Im Jahre 1983 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der X- GmbH eröffnet.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger den Nennwert der übertragenen GmbH-Anteile zuzüglich der Veräußerungskosten von 1 210 DM als Verlust aus der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung (§ 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) berücksichtigte diesen Verlust bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer nicht. Aus § 17 Abs. 2 Satz 2 EStG folge, daß der Wertverlust der übertragenen GmbH-Anteile dem Bruder des Klägers zuzurechnen sei, da dieser die Anteile des Klägers unentgeltlich erworben habe.
Mit ihrem Einspruch führten die Kläger aus, der Übertragung der Geschäftsanteile liege keine Schenkung, sondern ein Kauf zugrunde. Der Kläger habe sich zu einer Veräußerung der Anteile auf Anraten seines jetzigen Prozeßbevollmächtigten entschlossen, der ihn darauf hingewiesen habe, daß diese Anteile völlig wertlos seien und alsbald mit einem Konkurs des Unternehmens gerechnet werden müsse. Der Bruder des Klägers sei nicht bereit gewesen, eine Gegenleistung für einen wertlosen Anteil zu erbringen. Mit der Veräußerung habe er seine Einlagen in die X-GmbH verloren. Da er den Verlust getragen habe, müsse er ihn auch steuerlich geltend machen können.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung des FA, daß der Kläger anläßlich der Übertragung seiner Anteile an der X-GmbH keinen Verlust aus Gewerbebetrieb i. S. von § 17 EStG erzielt habe. Eine Übertragung aufgrund eines voll unentgeltlichen Rechtsgeschäfts, wie es hier gegeben sei, stelle keine Veräußerung i. S. von § 17 EStG dar (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Juli 1980 IV R 15/76, BFHE 131, 329, BStBl II 1981, 11).
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 EStG).
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 1985 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1982 vom 2. April 1985 dahingehend zu ändern, daß ein Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 108 710 DM berücksichtigt und der Gesamtbetrag der Einkünfte mit ... DM angesetzt wird.
Das FA hat sich zu der Revision der Kläger nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat mit rechtsfehlerhafter Begründung die Voraussetzungen eines Veräußerungstatbestands i. S. von § 17 Abs. 1 EStG verneint.
1. Das FG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß unter einer Veräußerung i. S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG nur die entgeltliche Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft zu verstehen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH- Urteile vom 21. Oktober 1976 IV R 210/72, BFHE 120, 239, BStBl II 1977, 145; vom 27. Juli 1988 I R 147/83, BFHE 155, 52, BStBl II 1989, 271, und vom 5. März 1991 VIII R 163/86, BFHE 164, 50, BStBl II 1991, 630) und daß die "Veräußerung" zum Preis von 0 DM eine unentgeltliche Anteilsübertragung ist (BFH-Urteil in BFHE 131, 329, BStBl II 1981, 11). Diese Annahme ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um die Übertragung von Anteilen mit einem Verkehrswert von mehr als 0 DM handelt. Nur dann ist die Vereinbarung eines Entgelts sinnvoll und üblich. Bei einem Anteil, dessen Verkehrswert 0 DM beträgt, gibt es keine Grundlage für die Vereinbarung einer Gegenleistung; diese müßte, wenn die Vertragsparteien die Vorstellung haben, einander gleichwertige Leistungen zu erbringen, 0 DM betragen. In diesem Fall ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch bei fehlender Vereinbarung einer Gegenleistung in der Regel eine Veräußerung i. S. des § 17 Abs. 1 EStG anzunehmen (vgl. Urteile in BFHE 164, 50, BStBl II 1991, 630; vom 18. August 1992 VIII R 13/90, BFHE 169, 90, BStBl II 1993, 34; vom 18. August 1992 VIII R 90/89, BFH/NV 1993, 158; vom 25. Juli 1995 VIII R 25/94, BFHE 178, 418, 424; Beschluß vom 30. November 1994 VIII B 28/94, BFH/NV 1995, 386; vgl. auch BFH-Urteil vom 4. November 1992 X R 33/90, BFHE 169, 357, BStBl II 1993, 292). Die Gegenmeinung, auf der auch das angefochtene FG-Urteil beruht, hätte zur Folge, daß der Steuerpflichtige, der den Wertverlust des Geschäftsanteils erlitten hat, bei der Übertragung seines wertlosen Anteils regelmäßig keine Möglichkeit hätte, den Verlust im Rahmen des § 17 EStG zu realisieren. Ein solches Ergebnis ist mit dem Zweck des § 17 EStG nicht vereinbar. Durch § 17 Abs. 1 EStG soll sowohl der Gewinn als auch der Verlust aus der Veräußerung eines Anteils bei dem Steuerpflichtigen erfaßt werden, der den Gewinn erwirtschaftet oder den Verlust erlitten hat (Urteil in BFHE 169, 90, BStBl II 1993, 34). Da die angefochtene Entscheidung von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, kann sie keinen Bestand haben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermög lichen dem erkennenden Senat keine abschließende Entscheidung in der Sache selbst. Das FG hat -- von seinem materiell- rechtlichen Standpunkt aus zu Recht -- keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Behauptung der Kläger zutrifft, die Vereinbarung einer Gegenleistung sei nur deshalb unterblieben, weil die Geschäftsanteile im Zeitpunkt ihrer Übertragung sowohl in den Augen der Vertragsparteien als auch bei objektiver Betrachtung wertlos gewesen seien. Die Feststellung der Wertlosigkeit eines übertragenen Geschäftsanteils ist eine Schlußfolgerung aus Tatsachen, die allein dem FG als Tatsacheninstanz obliegt (Beschluß in BFH/NV 1995, 386). Bei der erforderlichen Tatsachenwürdigung kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Ausschlaggebend sind dabei der Wille und die Vorstellungen der Vertragsparteien, wie sie nach den Feststellungen des FG in Erscheinung getreten sind (Urteil in BFHE 164, 50, BStBl II 1991, 630). Das FG wird im zweiten Rechtsgang die Sache nach diesen Gesichtspunkten erneut zu prüfen und zu würdigen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 421685 |
BFH/NV 1997, 215 |