Entscheidungsstichwort (Thema)
Gruppenreise einer Lehrerin in die DDR
Leitsatz (NV)
Gruppenreisen in die DDR, die für Lehrer veranstaltet werden, sind nach den für entsprechende Auslandsgruppenreisen entwickelten Rechtsgrundsätzen zu beurteilen. Dadurch entstehende Kosten sind keine WK, wenn durch die Reise auch allgemein-touristische Interessen von nicht untergeordneter Bedeutung befriedigt werden.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionbeklagte (Klägerin), eine Lehrerin, ist antragsgemäß mit ihrem Ehemann, dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zur Einkommensteuer 1983 zusammen veranlagt worden. Sie hatte in dem genannten Streitjahr an einer von der Landesstelle für Erziehung und Unterricht veranstalteten und unter der Leitung von . . . durchgeführten Informations- und Studienreise in die Deutsche Demokratische Republik (DDR) teilgenommen. Diese Reise war den Lehrern an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen angeboten worden, soweit sie die Fächer Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde, Erdkunde oder Religion unterrichteten. Mit der Veranstaltung sollte ein Beitrag zur Vorbereitung des fächerübergreifenden Themas ,,Die Deutsche Frage im Unterricht" geleistet werden. Diesem Zweck diente einmal die Erweiterung des für die Schul- und Unterrichtspraxis notwendigen Wissens über die Städte in der DDR, die Verschaffung eines Einblicks in das Verständnis (und Selbstverständnis) der Arbeiter in der Industrie und der Landwirtschaft der DDR sowie das Kennenlernen verschiedener kulturhistorischer Bauten und der Besuch von Ausstellungen.
Die Informationsveranstaltung gliederte sich in ein dreitägiges, in . . . abgehaltenes vorbereitendes Seminar und in die eigentliche Informations- und Studienreise. Diese begann am Samstag, dem 24. September und endete am darauffolgenden Samstag, dem 1. Oktober. Sie nahm programmgemäß folgenden Verlauf:
1. Tag, Samstag, 24. September
Abfahrt in . . ., Einreise in die DDR, Begrüßung durch den DDR-Reiseleiter, Fahrt bis Magdeburg. Nachmittags Stadtbesichtigung, Besuch des Doms und des Klosters ,,Unserer Lieben Frauen".
2. Tag, Sonntag 25. September
Fahrt nach Quedlinburg; Stadtrundgang, Besichtigung der Stiftskirche. Weiterfahrt nach Eisleben. Stadtrundgang; Besuch des Geburts- und Sterbehauses Luthers; Peter und Pauls-Kirche, Andreaskirche. Weiterfahrt nach Leipzig.
3. Tag, Montag, 26. September
Vormittags: Gespräch über das Thema ,,Die sozialistische Landwirtschaft in der DDR"
Nachmittags: Gespräch über das Thema ,,Die Rolle und Stellung der Werktätigen in der sozialistischen Produktion".
4. Tag, Dienstag, 27. September
Fahrt nach Wittenberg, Besuch der Lutherstätten. Weiterfahrt nach Torgau a.d. Elbe (Bezirk Leipzig). Besuch der Schloßkapelle, der Marienkirche und des Sterbehauses der Katharina von Bora, Rückfahrt nach Leipzig.
5. Tag, Mittwoch, 28. September
Fahrt nach Merseburg, Stadtrundgang. Besuch des Doms. Weiterfahrt nach Naumburg. Stadtrundgang. Besuch des Doms. Weiterfahrt nach Weimar.
6. Tag, Donnerstag, 29. September
Stadtrundgang durch Weimar, Besuch des Goethe- und Schillerhauses sowie des Gartenhauses Goethes. Besichtigung der Kunstsammlung im Schloß.
7. Tag, Freitag, 30. September
Fahrt nach Erfurt. Stadtrundgang. Besuch des Doms und der Severi-Kirche, Nachmittags Besuch des Augustinerklosters.
8. Tag, Samstag, 1. Oktober
Fahrt nach Eisenach. Besichtigung des Bach- und Lutherhauses sowie der Wartburg. Verabschiedung durch den DDR-Reiseleiter. Rückfahrt nach . . .
Die Fahrt erfolgte mit einem Reisebus. Die Kosten sowohl hierfür als auch für die Vollverpflegung - beginnend mit dem Mittagessen am ersten Tag und endend mit dem Mittagessen am achten Tag - sowie die Unterkunft in Doppelzimmern der DDR-Interhotels beliefen sich auf pauschal 1 000 DM. Hierzu steuerte der Dienstherr einen Zuschuß von 100 DM bei. Da die Reisezeit nicht in die Ferien gefallen war, gewährte der Dienstherr darüber hinaus entsprechende Dienstbefreiung und den dienstlichen Unfallschutz nach den Dienstunfallfürsorgebestimmungen der §§ 30 f. des Gesetzes für die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG -) vom 24. August 1976 (BGBl I 1976, 2485, berichtigt 3839). Außerdem waren der Klägerin für die Anfahrt zusätzlich nachgewiesene Kosten von . . . DM entstanden.
Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sowohl im Besteuerungs- als auch im anschließenden Einspruchsverfahren den als Werbungskostenabzug beantragten Betrag von . . . nicht anerkannt hatte, war demgegenüber die Klage vor dem Finanzgericht (FG) erfolgreich. Das FG begründete seine Entscheidung wie folgt: Die aufgewandten Mittel seien Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Denn der Zuschnitt des Reiseprogramms habe auf die besonderen beruflichen Bedürfnisse der einzelnen Teilnehmer Rücksicht genommen, außerdem sei eine Homogenität des Teilnehmerkreises gewährleistet gewesen, denn es hätten nur Lehrer der genannten Berufssparten teilnehmen dürfen. Ferner habe ein straff und fachlich organisiertes Programm vorgelegen. An dem Nachweis der Klägerin über ihre Teilnahme an den einzelnen Veranstaltungen sei nicht zu zweifeln gewesen. Schließlich sei auch eine Mitnahme von Familienangehörigen nicht in Betracht gekommen. Der Dienstherr habe diese Reise ausdrücklich als dienstliche Veranstaltung im Sinne des Beamtenrechts gewertet. Dafür spreche einmal der Zuschuß von 100 DM sowie die Dienstbefreiung und schließlich auch die Gewährung von Dienstunfallschutz nach den genannten Vorschriften des BeamtVG. Zwar habe die Reise zweifellos auch zu Orten geführt, die bevorzugte Ziele allgemein-touristischen Interesses seien. Den Teilnehmern seien an den einzelnen Zielorten auch gerade die Stätten nahegebracht worden, die von kulturell interessierten Touristen auf einer DDR-Rundreise aufgesucht werden könnten. Dies führe aber nicht zur Anwendung des in § 12 Nr. 1 EStG niedergelegten Abzugsverbots für Aufwendungen, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringe. Zwar solle durch die Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. November 1978 GrS 8/77 (BFHE 126, 533, BStGl II 1979, 213) gerade verhindert werden, daß Steuerpflichtige mit entsprechenden Berufen in der Lage seien, ob gewollt oder ungewollt, private Interessen in den beruflichen Bereich zu verlagern. Im Rahmen der Gesamtabwägung komme diesem Gesichtspunkt jedoch im Streitfall keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn die Fächer Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde, Erdkunde und Religion seien Fächer der Allgemeinbildung, die an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen unterrichtet würden und eine entsprechende Qualifikation des Lehrkörpers erforderlich machten. Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer an allgemeinbildenden Schulen würden also immer bis zu einem gewissen Grade, abgesehen von didaktisch-pädagogischen Aspekten, einen allgemeinbildenden Charakter aufweisen. Die berufsbezogene Bedeutung der hier vorliegenden Reise gehe indessen nicht deshalb verloren, weil die teilnehmenden Lehrer kulturell interessiert gewesen seien und die Reise ohne Zweifel auch ihren kulturellen Interessen entsprochen habe. Bei der Teilnahme an einer dienstlichen Fortbildungsveranstaltung für Lehrer im staatlichen Schuldienst sei eine ,,mehr oder weniger zufällige oder bewußt herbeigeführte Verbindung" zwischen beruflichen und privaten Interessen nicht zu befürchten. Denn hier ließen die objektiven Maßstäbe des die Fortbildungsveranstaltung organisierenden Dienstherrn, der der Kontrolle durch den Landesrechnungshof unterliege, eine Abgrenzung der Werbungskosten sicher, zutreffend und leicht nachprüfbar zu. Bei einer durch einen privaten Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer veranstalteten Informations- und Studienreise könnten die Dinge dabei durchaus anders liegen.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine unzutreffende Anwendung des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG.
Das FA beruft sich hierzu im einzelnen auf die Rechtsprechung des BFH, die die Richtigkeit des vorliegenden FG-Urteils in Frage stellen.
Das FA beantragt,
das angegriffende Urteil des FG aufzuheben, die Klage abzuweisen und den Klägern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Kläger, die in diesem Verfahren nicht durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater vertreten sind, haben sich nicht zu dem Vorbringen des FA geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zählen zu den Werbungskosten diejenigen Aufwendungen, die zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung von Einnahmen dienen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Zu diesen Aufwendungen können auch die Kosten für die Teilnahme an einer Gruppenreise zählen. Keine Werbungskosten, sondern Aufwendungen für die Lebensführung i.S. des § 12 Nr. 1 EStG liegen jedoch nach dem Beschluß des Großen Senats in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 vor, wenn derartige Kosten nicht objektiv durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlaßt worden sind, insbesondere mit der Reise programmgemäß auch ein allgemein touristisches Interesse befriedigt wird, das nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Diese für Auslandsgruppenreisen getroffenen Grundsätze gelten auch für entsprechende Fahrten im Inland und in die DDR. Nach den Ausführungen der Vorinstanz sind die genannten Voraussetzungen, die zur Einschränkung der Werbungskosten in diesem Falle dienen würden, hier zwar nicht gegeben. Der erkennende Senat vermag dieser Auffassung jedoch nicht beizutreten. Denn im Streitfall handelt es sich um eine typische Gruppenreise der Art, wie sie der Große Senat in der Entscheidung in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 behandelt hat. Dabei konnte das FG im Sinne des von ihm gewonnenen Ergebnisses würdigen, daß die Reise nach fachlichen Gesichtspunkten organisiert war, daß der Teilnehmerkreis homogen im Sinne gleichberechtigter fachlicher Interessen war und daß die Teilnehmer durch Anhörung von bestimmten Referaten fachlich motiviert worden sind. Das FG hat auch nicht verkannt, daß die als Rundreise veranstaltete Fahrt mit ihrem häufigen Ortswechsel und der damit verbundenen Ansteuerung zahlreicher touristischer attraktiver Ziele Merkmale aufwies, die für eine private Veranlassung der Reise sprechen. Der Auffassung der Vorinstanz, daß diese an sich auf einen privaten Charakter der Reise hinweisenden Gesichtspunkte im Streitfall durch das wissenschaftliche oder fachliche Interesse der Reiseteilnehmer so stark überlagert gewesen seien, daß sie nicht mehr ins Gewicht fielen, kann jedoch nicht gefolgt werden (vgl. hierzu auch das einen Professor für Geographie betreffende Urteil des Senats vom 23. Oktober 1981 VI R 71/78, BFHE 134, 325, BStBl II 1982, 69).
Führt eine Gruppenreise - wie im Streitfall - zu einer Vielzahl touristisch attraktiver Stätten, deren Besuch auch für jeden anderen, nicht dem Berufskreis der ,,Fachreise"-Teilnehmer angehörenden Touristen reizvoll und interessant wäre, so müssen die Aufwendungen grundsätzlich unabhängig von speziellen Berufsinteressen gleichbehandelt werden. Sie können, wie der Große Senat in dem genannten Beschluß in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 172) nochmals hervorgehoben hat, bei einem Steuerpflichtigen nicht nur deshalb zum Abzug als Werbungskosten oder Betriebsausgaben zugelassen werden, weil dieser die zufällig entstandene oder bewußt herbeigeführte Möglichkeit hat, zu den Reisezielen, ohne daß diese aus einem konkreten beruflichen Anlaß erreicht werden müßten, eine berufliche Verbindung herzustellen. § 12 Nr. 1 EStG verbietet es, bei Gruppenreisen, die für jeden interessierten Reisenden eine Förderung der Allgemeinbildung bewirken und einen Erlebniswert vermitteln, die Reisekosten bei demjenigen, der auch eine berufliche Beziehung herzustellen vermag, zum Abzug zuzulassen. Da hier das berufliche Interesse und das touristische Erlebnis sich nicht trennen lassen, handelt es sich um Vorgänge, die jedenfalls auch die Lebensführung betreffen, wenn sie daneben auch geeeignet sind, den Beruf zu fördern. Daß diese Untrennbarkeit im Streitfall gegeben ist, zeigt deutlich das vorstehend im einzelnen dargelegte Reiseprogramm. Angesicht der einzelnen besuchten Orte hatte die Fahrt den Charakter einer privaten Bildungsreise. Das FG ist somit von i.S. des § 12 Nr. 1 EStG falschen rechtlichen Erwägungen ausgegangen, wenn es meint, daß bei dem von ihm zu würdigenden Sachverhalt das Abzugsverbot dieser Vorschrift nicht eingreife. Mag auch das berufliche Interesse der Teilnehmer der Reise überwogen haben, so kann gleichwohl nicht davon ausgegangen werden, daß Belange der Lebensführung ganz in den Hintergrund getreten sind und die Verfolgung privater Interessen sowohl nach dem Programm als auch nach der tatsächlichen Gestaltung der Reise nahezu ausgeschlossen waren. Dies aber fordert die Rechtsprechung des BFH als Voraussetzung der Abziehbarkeit (vgl. Beschluß des Großen Senats in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; Urteil vom 22. Mai 1974 I R 212/72, BFHE 113, 274, BStBl II 1975, 70, m.w.N.).
Endlich vermag hieran auch nichts die Tatsache ändern, daß die Klägerin einen Reisegeldzuschuß von 100 DM aus staatlichen Mitteln erhalten hat und ihr darüber hinaus Dienstbefreiung und Unfallschutz nach den Dienstunfallvorschriften gewährt worden sind. Nach § 12 Nr. 1 EStG sind Ausgaben - wie oben erwähnt - auch dann nicht als Werbungskosten abziehbar, wenn sie - obwohl überwiegend beruflicher Art - in nicht nur völlig unbedeutendem Umfang auch privaten Belangen dienen.
Die Sache ist spruchreif. Die Vorentscheidung war somit gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben. Nach Aufhebung der Vorentscheidung war ferner die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 416803 |
BFH/NV 1990, 558 |