Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Kennzeichnung des Vorbehalts der Nachprüfung in einem Steuerbescheid
Leitsatz (NV)
1. Ein Steuerbescheid ist nur dann wirksam unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt, wenn die Kennzeichnung des Vorbehalts für den Steuerpflichtigen eindeutig erkennbar ist. Eine Bezugnahme in einem Steuerbescheid auf Anlagen oder sonstige Unterlagen bewirkt jedenfalls keinen Vorbehalt, solange sich hieraus für den Steuerpflichtigen nicht eindeutig eine entsprechende Ermessensentscheidung des zuständigen Veranlagungsbeamten ergibt.
2. Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, einen im bekanntgegebenen Bescheid unterbliebenen Vorbehaltsvermerk gemäß § 129 AO 1977 nachzuholen.
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 155 Abs. 1, § 164 Abs. 1-2, §§ 129, 173 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) errichteten als Gesellschafter der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) Bauherrengemeinschaft B auf einem gemeinschaftlichen Grundstück ein Geschäftshaus. Die Betriebsprüfungsstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt - FA -) führte im Jahre 1978 zum Zwecke der Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen der Gesellschafter für 1977 (Streitjahr) eine Außenprüfung bei der GdbR durch. Während der Prüfung wurde dem Prüfer die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der GdbR aus Vermietung und Verpachtung ausgehändigt, die einen Überschuß der Werbungskosten von insgesamt 529974 DM auswies.
Mit Bericht vom 12. Dezember 1978 stellte der Betriebsprüfer zunächst fest, nach dem Gesamtbild der während der Prüfung bekannt gewordenen vertraglichen und tatsächlichen Verhältnisse seien die Voraussetzungen für die Anerkennung der Bauherreneigenschaft gegeben. Der zu berücksichtigende Werbungskostenüberschuß betrage insgesamt 391252 DM. Ferner heißt es unter Tz.2.03 des Berichtes: ,,Die Feststellungen gelten nur für das geprüfte Objekt in B. Die endgültige Anerkennung der Bauherreneigenschaft sowie die endgültige Feststellung der Werbungskosten bleibt einer abschließenden Betriebsprüfung vorbehalten."
Mit Bescheid vom 18. Dezember 1978 stellte das FA die Einkünfte der GdbR aus Vermietung und Verpachtung für 1977 gesondert und einheitlich mit einem Werbungskostenüberschuß von 391252 DM fest. Unter Abschnitt ,,B. Begründung und Nebenbestimmungen" ist in dem Feststellungsbescheid vermerkt: ,,Hinweis auf den Betriebsprüfungsbericht v. 12.12. 78."
Im November 1982 ordnete das FA erneut eine Außenprüfung bei der GdbR hinsichtlich der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für die Jahre 1977 und 1978 an. Nachdem der Prozeßbevollmächtigte der Kläger im Rahmen dieser Prüfung geltend gemacht hatte, für das Streitjahr liege ein endgültiger Bescheid vor, der im Hinblick auf § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht mehr geändert werden könne, erließ das FA am 12. Dezember 1983 einen - geänderten - Feststellungsbescheid, mit dem es die Einkünfte der GdbR für 1977 - wie bisher - mit insgesamt ./. 391252 DM gesondert und einheitlich feststellte. Unter Abschnitt B ist erläutert, der Bescheid werde gemäß § 129 AO 1977 berichtigt, da auf dem Originalbescheid versehentlich nicht der auf der Durchschrift des Erstbescheides enthaltene Vorbehalt der Nachprüfung vermerkt worden sei.
Am 21. Dezember 1983 erließ das FA einen weiteren geänderten Feststellungsbescheid für das Streitjahr. Dieser Bescheid, der die Einkünfte der GdbR in unveränderter Höhe feststellte, trägt den Stempelaufdruck: ,,Dieser Bescheid ergeht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO)". Unter Abschnitt B enthält er den Hinweis, der Bescheid ergehe als Berichtigung i.S. von § 129 AO 1977, da auf dem Originalbescheid vom 12. Dezember 1983 versehentlich nicht der auf der Aktenausfertigung vermerkte Vorbehalt der Nachprüfung enthalten sei. Gegen diesen Bescheid legte die GdbR Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA aufgrund des Berichtes vom 28. Februar 1984 über die zwischenzeitlich bei der GdbR durchgeführte Außenprüfung am 15. Mai 1984 einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es die Einkünfte der GdbR aus Vermietung und Verpachtung für das Streitjahr in Höhe von ./. 103584 DM gesondert und einheitlich feststellte. Im Kopfteil und unter Abschnitt B des Bescheids wird darauf hingewiesen, der Bescheid sei nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geändert und der Vorbehalt der Nachprüfung werde aufgehoben. Ein Ergänzungsblatt des Bescheides enthält zunächst die ,,Erläuterung", die Feststellungsbescheide 1977 vom 12. und vom 21. Dezember 1983 seien aus formalen Gründen nichtig und würden aufgehoben. Ferner wird ausgeführt, eine Änderung des Feststellungsbescheides 1977 vom 18. Dezember 1978 sei nach § 164 Abs. 2 AO 1977 möglich, weil sich aus dem Prüfungsbericht vom 12. Dezember 1978 zusammen mit dem Bescheid und der ,,formellen Verfahrensweise der Finanzverwaltung bei Bauherrengemeinschaften" das Fehlen des Vorbehaltsvermerks als eine für einen objektiven Betrachter erkennbare, offenbare Unrichtigkeit darstelle.
Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ebenso wie die Klage erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat die Auffassung vertreten, der ursprüngliche Bescheid vom 18. Dezember 1978 sei unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen. Mit dem Hinweis auf den Betriebsprüfungsbericht vom 12. Dezember 1978 sei objektiv und für die Kläger auch zweifelsfrei erkennbar klargestellt worden, daß eine Nachprüfung des Steuerfalls vorbehalten worden sei.
Mit der Revision rügen die Kläger, das FG habe die Anforderungen an eine wirksame Kennzeichnung eines Vorbehalts der Nachprüfung i.S. von § 164 AO 1977 verkannt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 18. Dezember 1978 sei unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen.
a) Der Vorbehalt der Nachprüfung ist eine nach § 164 Abs. 1 AO 1977 zulässige unselbständige Nebenbestimmung i.S. von § 120 AO 1977 (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Juni 1983 III B 40/82, BFHE 138, 422, BStBl II 1983, 622), die - soweit der Vorbehalt nicht bereits kraft Gesetzes wirkt - auf einer Ermessensentscheidung der Finanzbehörden beruht. Gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können auch Feststellungsbescheide i.S. von § 179 AO 1977 entsprechend § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt werden.
Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Bestimmung zur Form der Kennzeichnung eines Steuerbescheides unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Vorbehalt als Nebenbestimmung eines Steuerbescheides muß jedoch den (formalen) Erfordernissen des Steuerbescheides selbst (§§ 118 ff., 155 Abs. 1, 157 AO 1977) genügen (v.Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 164 AO Rz.12; Tipke/Kruse, AO, § 164 Tz.5; vgl. auch BFH-Urteil vom 31. Oktober 1973 I R 249/72, BFHE 111, 5, BStBl II 1974, 118 zu den Anforderungen an die Bedingung einer Sicherheitsleistung).
Dementsprechend ist das FG auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Finanzbehörde aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für den Steuerpflichtigen eindeutig erkennbar zum Ausdruck bringen muß, ob ein Steuerbescheid endgültig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergeht (vgl. BFH-Urteil vom 29. September 1971 II R 70/70, BFHE 104, 102, BStBl II 1972, 195 zur Kennzeichnung der Vorläufigkeit eines Steuerbescheides m.w.N.); dies folgt bereits aus dem Bestimmtheitsgebot des § 119 Abs. 1 AO 1977. Darüber hinaus erscheint es insbesondere wegen der mit einem wirksamen Vorbehalt der Nachprüfung eröffneten Möglichkeit, den Steuerbescheid bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ohne weitere Voraussetzung grundsätzlich jederzeit und uneingeschränkt zu ändern, geboten, eine jeden Zweifel ausschließende Kennzeichnung des Vorbehaltes in dem dem Steuerpflichtigen bekanntgegebenen Steuerbescheid (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) zu verlangen.
b) Diesen Anforderungen an die Kennzeichnung als Vorbehaltsbescheid hat der ursprüngliche Feststellungsbescheid aus dem Jahre 1978, der lediglich einen allgemeinen Hinweis auf den Betriebsprüfungsbericht vom 12. Dezember 1978 enthielt, nicht entsprochen.
Zwar ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, daß auch essentiell notwendige Angaben eines Steuerbescheides durch eine Bezugnahme auf Anlagen oder Unterlagen, die sich bereits in den Händen des Steuerpflichtigen befinden, ersetzt werden können (BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 41/88, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219 m.w.N.).
Der Senat läßt dahingestellt, ob auch ein Vorbehalt der Nachprüfung durch eine Bezugnahme in einem Steuerbescheid wirksam ausgesprochen werden kann oder ob es hierzu stets einer ausdrücklichen Kennzeichnung in dem Steuerbescheid bedarf (so zur Kennzeichnung der Vorläufigkeit BFH-Urteil vom 22.November 1984 V R 133/84, nicht veröffentlicht; vgl. auch Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, 16. Aufl., § 164 Anm.4). Jedenfalls bewirkt eine Bezugnahme in einem Steuerbescheid keinen Vorbehalt, solange sich hieraus für den Steuerpflichtigen nicht eindeutig ergibt, daß der Veranlagungsbeamte sein Ermessen nach § 164 Abs. 1 AO 1977 dahin ausgeübt hat, den betreffenden Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Diese Voraussetzung ist im Streitfall bereits deshalb nicht erfüllt, weil in dem Feststellungsbescheid aus dem Jahre 1978 lediglich auf den Außenprüfungsbericht hingewiesen worden ist (vgl. hierzu Tipke/Kruse, a.a.O., § 165 AO Tz.7), in dem - lediglich - der Betriebsprüfer zum Ausdruck gebracht hat, daß eine endgültige steuerrechtliche Beurteilung einer abschließenden Betriebsprüfung vorbehalten werden sollte.
2. Mithin kann der angefochtene Bescheid nur dann auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützt werden, wenn die unterlassene Kennzeichnung des Feststellungsbescheides im Jahre 1978 als Vorbehaltsbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO 1977 berichtigt werden kann.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, einen in dem bekanntgegebenen Bescheid unterbliebenen Vorbehaltsvermerk aufgrund § 129 AO 1977 nachzuholen. Eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit kommt z.B. dann in Betracht, wenn die unterbliebene Vorbehaltskennzeichnung auf einem Übertragungsfehler beruht (BFH-Urteil vom 22.August 1989 VIII R 110/86, BFH/NV 1990, 205). Die in der Literatur vertretene Gegenmeinung (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 164 AO Tz.5 m.
w.N.) verkennt, daß die Berichtigung eines Bescheides wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO 1977 nicht voraussetzt, daß die Unrichtigkeit für den Steuerpflichtigen erkennbar ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (Senatsurteil vom 21. Oktober 1987 IX R 156/84, BFH/NV 1988, 277 mit weiteren Rechtssprechungsnachweisen).
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat - aus seiner Sicht zu Recht - die Frage, ob die unterlassene Kennzeichnung als Vorbehaltsbescheid eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO 1977 darstellt, nicht geprüft. Mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen ist der Senat an einer eigenen, abschließenden Beurteilung gehindert.
Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang unter Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls zu untersuchen haben, ob - wie das FA unter Hinweis auf die zur Speicherung eingetragene Kennzahl zur Bescheid-Kennzeichnung geltend macht - die unterlassene Kennzeichnung als Vorbehaltsbescheid tatsächlich auf einem einem Schreib- oder Rechenfehler vergleichbaren mechanischen Versehen beruhte und ob bejahendenfalls der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten als solcher erkennbar war.
Sollte sich hiernach ergeben, daß die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 nicht vorgelegen haben, wird das FG weiter zu untersuchen haben, ob der angefochtene Bescheid auf die Berichtigungsnorm des § 173 Abs. 1 Nr.1 AO 1977 gestützt werden kann. Eine Änderung nach dieser Vorschrift dürfte nicht an einer sog. erhöhten Bestandskraft des ursprünglichen Bescheides vom 18. Dezember 1978 i.S. von § 173 Abs. 2 AO 1977 scheitern, nachdem in dem Bericht vom 12. Dezember 1978 ausdrücklich festgestellt worden ist, daß die Außenprüfung nur zum Zwecke der Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen des Gesellschafters durchgeführt worden war und eine endgültige steuerrechtliche Beurteilung einer abschließenden Außenprüfung vorbehalten bleiben sollte. Bei dieser Sachlage besteht kein Anlaß für einen besonderen Schutz des Vertrauens der Kläger in den Feststellungsbescheid vom Dezember 1978, der auch ausdrücklich auf den Außenprüfungsbericht Bezug genommen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 419062 |
BFH/NV 1993, 704 |