Leitsatz (amtlich)
1. Anzahlungen i. S. des § 19 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG sind Vorleistungen auf ein Anschaffungsgeschäft i. S. des § 19 Abs. 1 BerlinFG.
2. Die auf Anzahlungen gewährte InvZulage ist zurückzuzahlen, wenn das angezahlte Wirtschaftsgut nicht angeschafft wird.
Normenkette
BerlinFG § 19
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kommanditgesellschaft, vermietet elektrotechnische Geräte. Außerdem plant sie, in einem Forschungslabor elektronische Steuerungen für Spezialmotoren zu entwikkeln.
Ende Dezember 1971 kaufte die Klägerin bei der Firma A elektrotechnische Geräte einer bestimmten Art, die Einrichtung von zwei Laborforschungsplätzen sowie zwei Serien X-Motoren. Der Kaufpreis betrug insgesamt 383 000 DM. Hierauf zahlte die Klägerin mit Hilfe eines ihr von der B-Bank gewährten Darlehens 370 000 DM an.
Auf ihren Antrag hin gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Klägerin für diese Zahlungen mit Bescheid vom 19. Juli 1972 Investitionszulagen von 37 000 DM. Anläßlich einer Umsatzsteuerprüfung im Jahre 1974 stellte das FA fest, daß die Klägerin bis Juli 1974 noch keine der angezahlten Wirtschaftsgüter erhalten hatte. Es forderte deshalb die gewährten Investitionszulagen mit Bescheid vom 18. August 1974 in vollem Umfang zurück. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) geht in seiner Entscheidung davon aus, daß der Gesetzgeber den tatsächlichen Vollzug einer ernsthaft und bedingungslos geplanten Investition als Voraussetzung für die Gewährung bzw. Belassung der Zulage angesehen habe. An diesen Voraussetzungen fehle es im Streitfall. Die Durchführung der geplanten Investition sei von Anfang an nicht gewährleistet gewesen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie Verletzung des § 19 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) rügt. Die Klägerin macht ferner geltend, das FG habe ihr das rechtliche Gehör versagt. Außerdem ist sie der Ansicht, das FG habe seine Entscheidung nicht unvoreingenommen getroffen; die Richter seien befangen gewesen.
Nach Ansicht der Klägerin knüpft § 19 Abs. 3 BerlinFG lediglich an die geleistete Anzahlung, nicht aber an die Durchführung der Investition an. Entscheidend sei nur, daß die Anzahlung der Anschaffung eines zulagefähigen Wirtschaftsgutes diene. Wann die Anschaffung tatsächlich erfolge, bleibe allein dem Unternehmer, seinen Planungen und seiner unternehmerischen Disposition vorbehalten. Es komme nur darauf an, daß die Vertragspartner ernsthaft um die Erfüllung des geschlossenen Vertrages bemüht bleiben. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall gegeben. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die tatsächliche Durchführung der Investition von vornherein nicht gewährleistet gewesen sei. So seien von den im Jahr 1971 gekauften 175 Geräten bislang 62, davon bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim FG 37, ausgeliefert worden. Ausweislich der Bilanz 1975 seien für 22 200 DM Anschaffungen auf die Anzahlungen 1971 getätigt worden. Für 1976 sei der Betrag auf rd. 162 000 DM angewachsen. Die geplanten Laborforschungsplätze hätten aus technischen Gründen nicht vor 1975 eingerichtet werden können. Die Investitionsabsicht sei im übrigen zu keinem Zeitpunkt aufgegeben worden.
Die Rückforderung der Investitionszulage verstößt nach Ansicht der Klägerin darüber hinaus gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Dem FA sei nämlich im Zeitpunkt der Gewährung der Investitionszulage bekanntgewesen, in welcher Weise die Klägerin Investitionen der genannten Art durchführe. Nach dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung war das FA insbesondere darüber informiert, daß die Klägerin nach Maßgabe geleisteter Kommanditeinlagen langfristige Kaufverträge abschließe und auf die Kaufpreisschuld Anzahlungen leiste. Dem FA sei auch offengelegt worden, daß erst nach Eingang der beantragten Investitionszulagen bestimmt werde, welche Wirtschaftsgüter im einzelnen abgenommen würden.
Das FA habe im übrigen zu keinem Zeitpunkt behauptet, daß die angeschafften Geräte nicht aufgrund des 1971, sondern eines 1975 geschlossenen Kaufvertrages geliefert worden seien. Das FG komme gleichwohl in seiner Entscheidung zu einem anderen Ergebnis. Dies sei aber nur unter Verletzung von Verfahrensvorschriften möglich gewesen. Das FG habe der Klägerin das rechtliche Gehör versagt und den Grundsatz der "Mündlichkeit der Verhandlung" verletzt. Es hätte die Klägerin auf den neuen Gesichtspunkt hinweisen müssen, um ihr die Möglichkeit zur Aufklärung zu geben.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung sowie den Investitionszulagerückforderungsbescheid des FA aufzuheben, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es hat dazu in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Gesellschafter der B-Bank einerseits und der Firma A andererseits seien identisch. Es folgert daraus, daß die Klägerin zu keinem Zeitpunkt über das von der B-Bank gewährte Darlehen verfügungsberechtigt gewesen sei. Damit habe die Klägerin keine Anzahlung i. S. des § 19 Abs. 3 BerlinFG geleistet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG (BGBl I 1970, 1482, BStBl I 1970, 1016) kann die Investitionszulage bereits für im Kalenderjahr (Wirtschaftsjahr) aufgewendete "Anzahlungen" gewährt werden. Das Gesetz umschreibt diesen Begriff nicht näher. Sein Inhalt muß daher durch Auslegung festgestellt werden. Diese Auslegung ergibt, daß unter dem Begriff "Anzahlungen" i. S. des § 19 Abs. 3 BerlinFG Vorleistungen auf ein zu einem späteren Zeitpunkt vollzogenes Anschaffungsgeschäft i. S. des § 19 Abs. 1 BerlinFG zu verstehen sind.
a) Nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG sind Anzahlungen auf Anschaffungskosten begünstigt, d. h. Anzahlungen auf die nach § 19 Abs. 2 BerlinFG begünstigten Aufwendungen für die Anschaffung abnutzbarer Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Darüber hinaus bestimmt § 19 Abs. 3 Satz 2 BerlinFG, daß der Gesamtbetrag der Investitionszulage im Falle der Anzahlung die in Abs. 1 des § 19 bezeichneten Hundertsätze der Anschaffungskosten nicht übersteigen darf. Aus diesem Sinnzusammenhang folgt, daß die Anzahlungen keinen selbständigen Begünstigungstatbestand darstellen, sondern unlöslich mit der Erfüllung der Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 BerlinFG, insbesondere mit der späteren Anschaffung des angezahlten Wirtschaftsguts, verknüpft sind.
b) Die Auslegung des Senats entspricht auch der Zielsetzung des § 19 Abs. 3 BerlinFG. Die Vorschrift wurde in Anlehnung an § 1 Abs. 6 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1969 geschaffen (vgl. Deutscher Bundestag, zu Drucksache V/4287 S. 9). Zweck der Neuregelung war es, die investierenden Steuerpflichtigen so früh wie möglich in den Genuß der Investitionszulage kommen zu lassen, die nach der bisherigen Rechtslage erst mit der Anschaffung der (angezahlten) Wirtschaftsgüter entstand (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache V/3890 S. 27). Die Liquidität des Unternehmers sollte nach dem Willen des Gesetzgebers bereits im Zeitpunkt des Geldabflusses und nicht erst im Zeitpunkt der späteren Anschaffung gestärkt werden. Auf diese Weise sollte die von der Zulage ausgehende Anreizwirkung verstärkt werden. Keineswegs aber sollte eine von der späteren Anschaffung losgelöste Investitionszulage geschaffen werden. Gegenüber der nach § 19 Abs. 1 BerlinFG zu gewährenden Investitionszulage wurde lediglich der Zeitpunkt der Entstehung und Geltendmachung vorverlegt. Im übrigen verblieb es bei den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 BerlinFG.
c) Die Investitionszulage auf Anzahlungen stellt damit lediglich eine (teilweise) Vorwegnahme der bei der späteren Anschaffung entstehenden Investitionszulage dar. Der Steuerpflichtige hat ein Wahlrecht, ob er mit der Geltendmachung seines Anspruchs zuwartet bis die angezahlten Wirtschaftsgüter tatsächlich angeschafft sind, oder ob er die Investitionszulage bereits für aufgewendete Anzahlungen beantragt. Macht er von der letzteren Möglichkeit Gebrauch und folgt der Anzahlung aber keine Anschaffung, so fehlt es an einer der Voraussetzungen für die Gewährung einer Investitionszulage nach § 19 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG. Die bereits gewährte Investitionszulage ist deshalb zurückzuzahlen.
d) Aus dem Umstand, daß durch die Regelung des § 19 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG lediglich der Zeitpunkt der Entstehung und der Gewährung der Investitionszulage vorverlegt wurde, folgt, daß der Anschaffungsgegenstand bereits im Zeitpunkt der Vorauszahlung im einzelnen bestimmt sein muß. Eine bloße Gattungsbezeichnung, wie beispielsweise "100 Fernsehgeräte", genügt regelmäßig nicht. Ebenso dürfen die Wirksamkeit und der Umfang des Anschaffungsgeschäftes nicht von einer Bedingung abhängig sein. Demnach kann für Vorauszahlungen aufgrund von Verträgen, die es dem Käufer ermöglichen, Art, Umfang und Zeitpunkt der tatsächlichen Anschaffungen im einzelnen erst nach Leistung der Vorauszahlungen zu bestimmen - die Klägerin spricht insoweit von Finanzinvestitionen -, eine Investitionszulage nach § 19 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG nicht gewährt werden. Der Senat neigt der Auffassung zu, daß Voraussetzungen der letztgenannten Art und nicht die nach Ansicht des Senats notwendigen Voraussetzungen im Streitfall vorliegen. Er braucht jedoch darüber ebensowenig abschließend zu befinden wie über den Einwand der Klägerin, dem FA sei das Investitionsmodell der Klägerin bei Auszahlung der Zulagen bekanntgewesen. Ebenso kann unerörtert bleiben, ob die Klägerin, wie das FG meint, bereits von vornherein keine ernsthafte Investitionsabsicht hatte. Der Rückforderungsanspruch des FA ist jedenfalls deshalb begründet, weil der Anzahlung keine Anschaffung gefolgt ist.
2. Das FG kam aufgrund seiner für den Senat verbindlichen Feststellungen zum Ergebnis, daß die Klägerin bis zur mündlichen Verhandlung vor dem FG, d. h. bis zum Februar 1977, keines der im Jahre 1971 angezahlten Wirtschaftsgüter abgerufen oder abgenommen habe, die tatsächlich angeschafften Wirtschaftsgüter vielmehr aufgrund später abgeschlossener Kaufverträge geliefert worden seien. Dies gilt sowohl in bezug auf die elektrotechnischen Geräte als auch für die zur Einrichtung von zwei Laborforschungsplätzen vorgesehenen Wirtschaftsgüter. Daß die beiden X-Motoren angeschafft worden seien, hat die Klägerin selbst nicht behauptet. Darüber hinaus folgerte das FG aus den von ihm getroffenen Feststellungen, daß die Klägerin den im Jahre 1971 geschlossenen Kaufvertrag auch künftig nicht mehr vollziehen werde.
Bei dieser Würdigung handelt es sich um die aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung des FG, die auf den Verhältnissen des Einzelfalles beruht (vgl. § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie ohne Verfahrensfehler zustande gekommen ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, das heißt, ob sie möglich ist; dagegen muß sie nicht zwingend sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522).
3. Die Klägerin rügt zwar Verfahrensverstöße des FG. Diese Rügen sind jedoch unbegründet.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG ihr weder das rechtliche Gehör versagt noch hat sie gegen § 93 Abs. 1 FGO verstoßen. Das FG hatte der Klägerin mit Schreiben vom 10. Januar 1977 aufgegeben, im einzelnen darzulegen, wie viele der im Jahr 1971 gekauften Wirtschaftsgüter sie bisher angeschafft habe. Damit war der Klägerin bekannt, welche Tatsachen das FG als entscheidungserheblich ansah. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG wurden die Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung zur Sache gehört. Bis spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin die Möglichkeit, der Auflage des FG zu entsprechen. Die spätere Entscheidung des FG zieht lediglich die Schlußfolgerung, daß die von der Klägerin behaupteten Tatsachen nach Ansicht des Gerichts nicht vorlagen. Dabei ist es unerheblich, ob das FA seinerseits ausdrücklich bestritten hat, daß die tatsächlich angeschafften Geräte in Erfüllung des Kaufvertrages aus dem Jahre 1971 geliefert worden seien.
b) Die Klägerin rügt ferner als Verfahrensmangel, das FG sei befangen gewesen. Dies ergebe sich aus den Formulierungen des Urteils zur gesellschaftsrechtlichen Stellung des Komplementärs C. Unabhängig davon, daß die pauschale Ablehnung des gesamten Gerichts ohne Angabe individueller Gründe mißbräuchlich und daher unzulässig ist, kann die Rüge der Befangenheit schon deshalb keinen Erfolg haben, weil nach Beendigung der Instanz ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr abgelehnt werden kann. Dies gilt auch, wenn ein Beteiligter von dem seiner Ansicht nach gegebenen Ablehnungsgrund erst nach Schluß der letzten mündlichen Verhandlung Kenntnis erhält (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 1969 VIII CB 129-130/67, Monatsschrift für deutsches Recht 1970 S. 442 mit weiteren Nachweisen).
c) Die übrigen Revisionsangriffe der Klägerin können nicht die Überzeugung begründen, daß die Feststellungen und die Würdigung des FG nicht möglich seien. Die Klägerin selbst beruft sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung darauf, daß in den Bilanzen 1975 und 1976 Anschaffungen auf Anzahlungen des Jahres 1971 erfaßt worden seien. Daß auch zu einem früheren Zeitpunkt Geräte aus dem Kaufvertrag 1971 geliefert worden seien, hat die Klägerin nicht behauptet. Zwischen den Beteiligten ist aber unstreitig, daß die Klägerin im Jahre 1975 neue Kaufverträge über gleichartige elektrotechnische Geräte und Wirtschaftsgüter zur Einrichtung von Laborforschungsplätzen abgeschlossen hat. Selbst wenn es zutrifft, daß die neue Verkäuferin in die vertraglichen Verpflichtungen der früheren Verkäuferin, der Firma A eingetreten ist, ist die vom FG vorgenommene Würdigung möglich. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, daß die Klägerin mit dem Vertrag vom Dezember 1971 technische Geräte gekauft hatte, die durch technische Weiterentwicklung schnell veralteten. Die Schlußfolgerungen des FG werden auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Klägerin die angeschafften Geräte in den Bilanzen der Jahre 1975 und 1976 formell als Anschaffungen aufgrund des Kaufvertrages 1971 ausgewiesen hat.
Soweit die Klägerin im Revisionsverfahren vorträgt, sie habe nach der mündlichen Verhandlung vor dem FG noch weitere 25 der im Jahre 1971 gekauften Geräte abgenommen, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann. Das gleiche gilt für die Behauptung des FA in der mündlichen Verhandlung des erkennenden Senats, die Gesellschafter der B-Bank und der Firma A seien personengleich.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 838505 |
BStBl II 1978, 475 |
BFHE 1979, 243 |