Entscheidungsstichwort (Thema)

Ärztliche Leistungen eines Notrettungsvereins?

 

Leitsatz (NV)

Gründen niedergelassene Ärzte einen Verein, der sich dem (öffentlichen) Träger des Rettungsdienstes gegenüber zur Vorhaltung eines Systems der ärztlichen Notfallrettung verpflichtet, ist für die Anwendung der Steuerbefreiung des §4 Nr. 14 UStG auf Umsätze des Vereins zunächst zu prüfen, ob die ärztlichen Notrettungsmaßnahmen von dem sich der Ärzte bedienenden Verein oder von den Ärzten im eigenen Namen ausgeführt werden.

 

Normenkette

UStG 1991 § 4 Nr. 14

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein eingetragener Verein, dessen satzungsgemäßer Zweck die Vorhaltung eines Systems der ärztlichen Notfallrettung in einem Landkreis ist. Mitglieder des Klägers können sowohl Ärzte als auch andere Personen sein. Im Streitjahr (1992) waren ausschließlich Ärzte Mitglieder des Klägers.

Der Kläger traf mit einem Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) mit Wirkung ab 1. Oktober 1992 eine Vereinbarung, wonach das DRK dem Kläger ein Notarztfahrzeug überließ und der Kläger ständig einen einsatzbereiten Notarzt stellte. Das Entgelt für die Leistungen des Klägers betrug 500 DM je Kalendertag.

Hintergrund dieser Vereinbarung war das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz (NRettDG), nach dessen §3 Abs. 1 und 2 den Landkreisen und kreisfreien Städten der Rettungsdienst als eigener Wirkungsbereich übertragen ist. Der den Kläger betreffende Landkreis beauftragte mit der Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes das DRK (vgl. §5 NRettDG), das seinerseits diese Aufgabe mit der oben genannten Vereinbarung dem Kläger weiter übertrug.

Der Kläger erklärte im Streitjahr steuerfreie Umsätze. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) vertrat hingegen die Auffassung, der Kläger habe steuerpflichtige Leistungen erbracht, und setzte dementsprechend die Steuer fest.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Kläger habe ärztliche Leistungen erbracht, die gemäß §4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1991 von der Umsatzsteuer befreit seien. Die Vorschrift finde auch auf Leistungen Anwendung, die juristische Personen durch Ärzte ausführen ließen.

Der Leitsatz der Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 1244 abgedruckt unter Hinweis darauf, daß die Entscheidungsgründe dem in EFG 1996, 1130 veröffentlichten Urteil des FG vom 9. Mai 1996 entsprechen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von §4 Nr. 14 UStG 1991. Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen. Er schließt sich der Auffassung des FG an. Hilfsweise wiederholt er seine im erstinstanzlichen Verfahren vertretene Auffassung, er habe keine steuerbaren Leistungen ausgeführt. Er habe lediglich die Honorare der beteiligten Notärzte weitergeleitet. Im übrigen ist er der Meinung, daß die Steuer gemäß §19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1991 nicht erhoben werden dürfe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat die für seine Entscheidung wesentlichen Tatsachen nicht festgestellt.

1. Das FG hätte vor Anwendung der Steuerbefreiungsvorschrift des §4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1991 zunächst prüfen müssen, ob und ggf. welche entgeltlichen Leistungen der Kläger gemäß §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1991 ausgeführt hat. Das FG hat seine Auffassung, der Kläger habe (ärztliche) Leistungen an das DRK dadurch ausgeführt, daß die Notärzte für ihn gehandelt hätten, allein auf die vom Kläger mit dem DRK geschlossene Vereinbarung gestützt. Diese Auffassung begegnet revisionsrechtlichen Bedenken.

a) Der Schlußfolgerung steht die Überlegung entgegen, daß ein niedergelassener Arzt, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, auch außerhalb seiner Praxis einen Patienten im eigenen Namen behandelt bzw. im Falle von dessen Bewußtlosigkeit die Geschäftsführung ohne Auftrag im eigenen Namen durchführt. Handelt es sich um einen Patienten, der in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, ist der Arzt ohnehin über einen eventuellen privatrechtlichen Behandlungsvertrag hinaus kraft seiner Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung verpflichtet, den Patienten im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften in Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht zu behandeln. Dafür erhält er einen Vergütungsanspruch unmittelbar gegen die Kassenärztliche Vereinigung (vgl. Laufs, Arztrecht, 5. Aufl., Rdnr. 102, 124). Auch dürfte es dem Interesse eines Patienten in der Regel widersprechen, das Behandlungsrechtsverhältnis mit einem ihm unbekannten Verein einzugehen.

b) Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß im Streitfall die Notärzte auf einer besonderen Rechtsgrundlage tätig geworden sind, die sich aus den Regelungen des NRettDG ergibt. Nach §3 dieses Gesetzes sind Träger des Rettungsdienstes die Landkreise und kreisfreien Städte. Gemäß §5 NRettDG kann der Träger des Rettungsdienstes Dritte mit der Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes beauftragen. Der Beauftragte handelt im Namen des Trägers des Rettungsdienstes. In jedem Rettungsdienstbereich sind Rettungswachen zu betreiben, in denen sich eine Notärztin oder ein Notarzt für den Einsatz bereit hält (§8 NRettDG). In besonderen Ausnahmefällen kann zugelassen werden, daß sich die Notärzte an einem anderen geeigneten Ort bereit halten. Das FG hätte deshalb unter Berücksichtigung dieser Regelungen prüfen müssen, ob der Kläger Notarztleistungen ausgeführt hat.

c) Mit Rücksicht auf die vorstehenden Ausführungen mußte dem FG die vom Kläger mit dem DRK geschlossene Vereinbarung als auslegungsbedürftig erscheinen. Dies gilt insbesondere für die vom Kläger übernommene Verpflichtung, ständig einen einsatzbereiten Notarzt für das vom DRK gestellte Notarzteinsatzfahrzeug zur Verfügung zu stellen. Die Regelung besagt nicht zwingend, daß der Kläger die ärztlichen Leistungen als eigene Verpflichtung übernahm. Es könnte dem wahren Willen der Vertragsschließenden entsprochen haben, daß der Kläger nur den Einsatz der Notärzte organisieren und koordinieren und die finanzielle Abwicklung der Tätigkeiten besorgen sollte.

d) Das FG konnte seine Auffassung, der Kläger habe ärztliche Leistungen ausgeführt, auch nicht auf den Umstand stützen, daß dieser vom DRK Entgelte u. a. für die ärztlichen Leistungen erhalten hat. In Betracht kommt, daß der Kläger treuhänderisch oder im Wege des Forderungskaufs die Honoraransprüche der Notärzte erworben und diese an das DRK zum Zwecke der Geltendmachung gegenüber den Kostenträgern weiter übertragen hat. In diesem Falle wäre zu prüfen, ob der Kläger andere entgeltliche Leistungen an das DRK ausgeführt hat.

2. Sind die tatsächlichen Feststellungen des FG unzureichend, liegt ein materieller Rechtsfehler vor, der ohne diesbezügliche Rüge zur Aufhebung des Urteils führt. Die Sache ist nicht spruchreif und somit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das FG wird anhand der für seine Schlußfolgerung maßgeblichen Tatsachen und Umstände darüber zu befinden haben, welche entgeltlichen Leistungen der Kläger ausgeführt hat und ob diese Umsätze ganz oder teilweise von der Steuer befreit sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67053

BFH/NV 1998, 887

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