Leitsatz (amtlich)
Führt ein Arbeitnehmer nach einer beruflichen Veränderung zunächst einen doppelten Haushalt und lebt er danach über mehrere Jahre hinweg mit seiner Familie an seinem Beschäftigungsort, dann führt die Rückkehr der Familie an ihren früheren Wohnort in der Regel nicht zu einer beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung des Arbeitnehmers.
Normenkette
EStG 1978 § 9 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist türkischer Gastarbeiter, der sich seit 1972 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) aufhält. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Familie hatte von 1973 bis 1975 gemeinsam mit ihm in der Bundesrepublik einen Familienwohnsitz und kehrte danach in die Türkei zurück.
Mit seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1978 machte der Kläger 5 690 DM Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) entsprach dem nicht, weil die doppelte Haushaltsführung nicht beruflich veranlaßt gewesen sei.
Die Klage, mit der der Kläger die Anerkennung des genannten Betrags als Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 176 (EFG 1980, 176) veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: Die doppelte Haushaltsführung sei beruflich veranlaßt gewesen. Denn die Familie des Klägers habe mit ihrem Umzug in die Türkei nur den Zustand wiederhergestellt, der zwischen 1972 und 1973 bestanden habe. Der Kläger habe in jener Zeit einen doppelten Haushalt geführt. Durch den Aufenthalt der Familie in der Bundesrepublik sei die doppelte Haushaltsführung lediglich unterbrochen gewesen. Dem stehe nicht entgegen, daß die Familie sich über längere Zeit hinweg in der Bundesrepublik aufgehalten habe. Zumindest bei Gastarbeitern könne ein solcher Aufenthalt noch als Besuch gewertet werden. Da sich die Verhältnisse nach der Rückkehr der Familie in ihre Heimat nicht von dem Zustand unterschieden, der vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik bestanden habe, sei es verfassungsrechtlich bedenklich, beide Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts. Es trägt vor, das FG habe den für die Entscheidung erheblichen Sachverhalt nicht ausreichend erforscht. Denn es habe zwar den Umstand für entscheidungserheblich gehalten, ob die Familie vor ihrer Übersiedlung "am bisherigen Wohnort ihre Zelte ganz abgebrochen" habe. Zu dieser Frage habe es keine Sachverhaltsermittlung vorgenommen, sondern unterstellt, daß die Familie "ihre Zelte" in der Türkei "nicht abgebrochen habe". Die angegriffene Entscheidung verletze die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Kläger habe drei Jahre lang mit seiner Familie in der Bundesrepublik einen Familienwohnsitz gehabt und in dieser Zeit keinen doppelten Haushalt geführt. Somit habe sich sein Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik befunden. Erst durch den Wegzug der Familie nach Ablauf dieser drei Jahre sei die doppelte Haushaltsführung erneut begründet worden. Die berufliche Veranlassung der Entstehung einer doppelten Haushaltsführung sei aber zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer den Familienhaushalt so weit vom Arbeitsort wegverlege, daß er sich an diesem eine Unterkunft suchen müsse. Im übrigen widerspreche es der Lebenserfahrung, die Begründung eines Familienwohnsitzes und die Beibehaltung desselben über eine Dauer von drei Jahren als einen Besuchsaufenthalt anzusehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
1. Der Senat hat sich in seinem Urteil vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79 BStBl II 1982, 297, grundsätzlich mit der Frage der beruflichen Veranlassung der doppelten Haushaltsführung, besonders im Hinblick auf die Urteile des FG Düsseldorf, Senate in Köln, vom 21. Juni 1974 VII 69/74 L (EFG 1974, 466) und des FG Bremen vom 20. Februar 1980 I 159/78 (EFG 1980, 232), auseinandergesetzt. Er hat dort entschieden, daß an den diesbezüglichen Grundsätzen seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG in der bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1977 gültigen Fassung festzuhalten sei. Nach dieser Rechtsprechung ist eine doppelte Haushaltsführung steuerrechtlich nur anzuerkennen, wenn sie beruflich veranlaßt ist. Eine berufliche Veranlassung in diesem Sinn liegt danach nur vor, wenn die Gründung des zweiten Hausstandes einen objektiven Zusammenhang mit der Berufstätigkeit aufweist. Dagegen genügt es nicht, wenn bei einer aus privaten Motiven erfolgten Wegverlegung des Familienwohnsitzes vom bisherigen Wohnort, der gleichzeitig der Beschäftigungsort ist, der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort aus beruflichen Gründen eine Zweitwohnung einrichtet oder beibehält.
Demnach kann auch bei einem in der Bundesrepublik tätigen Gastarbeiter von einer beruflichen Veranlassung der doppelten Haushaltsführung grundsätzlich dann nicht mehr gesprochen werden, wenn dessen Familie ihren Wohnsitz von der Bundesrepublik in ihre Heimat zurückverlegt hat.
2. Im Streitfall rechtfertigt sich ein anderes Ergebnis auch nicht aus der Interpretation des Sachverhalts durch das FG, der Kläger habe lediglich seine zumindest bis 1973 bestehende doppelte Haushaltsführung unterbrochen, sie also im Jahr 1975 nicht neu begründet, weil der Aufenthalt seiner Familie in der Bundesrepublik in den Jahren 1973 bis 1975 noch als ein in diesem Zusammenhang unschädlicher Besuch zu werten sei. Denn diese Würdigung des Sachverhalts durch das FG verstößt nach Auffassung des Senats gegen die Lebenserfahrung.
Von einem Besuch von Angehörigen bei einem außerhalb des Familienwohnsitzes tätigen Steuerpflichtigen kann in der Regel nur dann gesprochen werden, wenn die Angehörigen bereits bei ihrer Abreise vom Familienwohnsitz planen, nach absehbarer Zeit dorthin zurückzukehren. Ein solches Vorhaben bedingt regelmäßig, daß die Angehörigen Vorsorge für eine möglichst reibungslose Fortsetzung der bisherigen Lebensführung nach ihrer Rückkehr an den Familienwohnsitz treffen. Dazu gehört nach Auffassung des Senats u. a. , daß der am Familienwohnsitz befindliche Haushalt in der Regel nicht aufgelöst wird.
Eine derartige Gestaltung des streitigen Sachverhalts liegt jedoch nach dem angefochtenen Urteil nicht vor. Denn ihm läßt sich nicht entnehmen, daß der Kläger auch nur versucht hätte darzulegen, seine Familie habe bereits bei ihrer Einreise in die Bundesrepublik ihre absehbare Rückkehr in die Türkei geplant. Ebensowenig läßt sich der Darstellung des klägerischen Vorbringens der Hinweis darauf entnehmen, daß die Familie Vorsorge für ihre alsbaldige Rückkehr in die Türkei getroffen hätte. Das angefochtene Urteil beschränkt sich im Gegenteil auf die Feststellung, die Familie des Klägers habe bis zu ihrem Umzug zurück in die Türkei ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik gehabt und sich hier in den Jahren 1973 bis 1975 auch tatsächlich aufgehalten. Diese Formulierung schließt nach Auffassung des Senats angesichts des Fehlens von anderweitigen Hinweisen die Feststellung des Umstandes ein, daß die Familie des Klägers ihren bis 1973 in der Türkei belegenen Wohnsitz aufgegeben hatte. Ein solcher Sachverhalt läßt nicht mehr den Schluß zu, bei dem Aufenthalt der Familie des Klägers in der Bundesrepublik habe es sich lediglich um einen vorübergehenden Besuch gehandelt. Vielmehr ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß der Kläger mit seiner Familie im Jahre 1973 den gemeinsamen Familienwohnsitz in der Bundesrepublik begründen wollte und auch begründet hat.
Dementsprechend handelte es sich bei der Rückkehr der Familie des Klägers in die Türkei nicht um eine Rückkehr an den weiter bestehenden Familienwohnsitz, sondern um eine - erneute - auf privaten Gründen beruhende Verlegung des Familienwohnsitzes, und zwar weg vom Beschäftigungsort des Klägers. Ein solcher Sachverhalt aber verbietet nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung des Senats die Annahme, die erneut eingetretene doppelte Haushaltsführung sei beruflich veranlaßt gewesen. Ein Abzug der mit ihr verbundenen Mehraufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit kommt somit nicht in Betracht.
Angesichts der Gestaltung des Sachverhalts brauchte der Senat nicht grundsätzlich zu entscheiden, ob im Zusammenhang mit der Frage der beruflichen Veranlassung der doppelten Haushaltsführung deren unschädliche Unterbrechung über einen längeren Zeitraum hinweg überhaupt denkbar ist.
Fundstellen
Haufe-Index 74222 |
BStBl II 1982, 323 |
BFHE 1982, 182 |