Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Rückstellung für Beitragsrückerstattung in der Lebensversicherung kann insoweit nicht als Dauerschuld behandelt werden, als sie an dem für die zugrunde liegende Einheitsbewertung des Betriebsvermögens maßgebenden Stichtag durch Gegenwerte, die ähnlichen Verfügungsbeschränkungen wie die Bestände des Deckungsstockes unterliegen, oder - wenn dies nach dem Geschäftsplan zugelassen ist - durch eine überdeckung des Deckungsstockes gedeckt ist.
Normenkette
GewStG § 8 Ziff. 1, § 12/2/1
Tatbestand
Die Bgin. ist ein öffentlich-rechtliches Versicherungsunternehmen, das u. a. die Lebensversicherung betreibt. Streitig ist, ob für die Ermittlung des Gewerbekapitals nach dem Stichtag vom 1. Januar 1954 die Rückstellung für Beitragsrückerstattung im Lebensversicherungsgeschäft eine Dauerschuld im Sinne des § 12 Abs. 2 Ziff. 1 in Verbindung mit § 8 Ziff. 1 GewStG darstellt.
Die Bgin. weist nach Satzung und Geschäftsplan den gesamten Jahresüberschuß im Lebensversicherungsgeschäft der Gewinnrücklag der Versicherten zu. Bei Feststellung des Jahresabschlusses wird jeweils darüber entschieden, welcher Teil der Gewinnrücklage auf die Versicherungsnehmer verteilt wird. Diese Beträge werden den einzelnen Versicherten gutgeschrieben und verzinst. Der einzelne Versicherungsnehmer erhält einen ziffernmäßig genau bezeichneten Rechtsanspruch auf jederzeitige Auszahlung der genannten Beträge. Auf den Rest der Gewinnrücklage haben die Versicherungsnehmer keinen ziffernmäßig abgegrenzten Auszahlungsanspruch. Es besteht nur ein Anspruch der Versicherungsnehmer als Gesamtheit auf diese der Gewinnrücklage gutgebrachten Beträge, die in erster Linie dazu dienen, Schwankungen bei den Rückgewährbeträgen innerhalb einzelner Jahre auszugleichen.
Mit Schreiben vom 25. Januar 1952 an das Landesfinanzministerium, die damalige Fachaufsicht, hat die Bgin. eine geschäftsplanmäßige Erklärung des Inhalts abgegeben, daß die Vermögenswerte zur Bedeckung des Postens "überschußrücklage der Versicherten (Rückstellung für Beitragsrückerstattung)" zwecks Sicherstellung unter Eintragung in besondere Deckungsregister in der gleichen Weise getrennt von den anderen Versicherungsbeständen verwaltet und ausgesondert aufbewahrt sowie nach den gleichen Grundsätzen angelegt werden, wie dies im Geschäftsplan für den Deckungsstock vorgeschrieben ist. Ferner solle die jeweilige überdeckung des Deckungsstocks der Bedeckung der Gewinnreserve der Versicherten dienen. Das Finanzministerium hat von dieser Erklärung unter dem 7. Februar 1952 "genehmigend Kenntnis genommen". Entsprechend ihrer Erklärung hat die Bgin. besondere Verzeichnisse der ausgesonderten Vermögenswerte für die zu bedeckende überschußrücklage der Versicherten geführt (Deckungsstockregister II). Die Verzeichnisse sind jeweils vom Vorstand unterzeichnet worden, und zwar diejenigen zum 31. Dezember 1951 und 31. Dezember 1952 unter dem 22. Februar 1954 und das Verzeichnis zum 31. Dezember 1953 unter dem 1. März 1954.
Bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1954 war die Rückstellung für Beitragsrückerstattung nach § 53 Abs. 4 BewDV mit 90 v. H. ihres Wertes abgezogen worden. Das Finanzamt war bei der Ermittlung des Gewerbekapitals der Ansicht, die verzinslich angesammelten Gewinnanteile seien durch den Deckungsstock belegt bzw. auf Grund des Geschäftsplanes einer ähnlichen Verfügungsbeschränkung unterworfen wie die im Deckungsstock aufgezeichneten Werte; durch diese geschäftsplanmäßige Belegung schieden die verzinslich angesammelten Gewinnanteile der Versicherten für die Zurechnung als Dauerschulden aus. Für die Beitragsrückgewährrückstellung könne diese Auffassung jedoch nicht gelten. Die aktiven Gegenwerte seien, da die Bgin. als öffentlich-rechtliche Körperschaft keines Treuhänders bedürfe, auch keiner unwiderruflichen Mitverwaltung durch einen Treuhänder unterstellt. Die Erklärung gegenüber der Aufsichtsbehörde sei nur eine freiwillige einseitige Maßnahme, die keine Verfügungsbeschränkung herbeiführen könne. Das Finanzamt hat deshalb für die Ermittlung des Gewerbekapitals diejenigen Rückstellungsbeträge mit 90 v. H. ihres Wertes dem Einheitswert wieder hinzugerechnet, die am Stichtag länger als ein Jahr bestanden haben.
Im Laufe des Berufungsverfahrens hat das Finanzamt noch geltend gemacht, das Deckungsstockregister II sei nicht den gesetzlichen und geschäftsplanmäßigen Bestimmungen entsprechend geführt worden. Insbesondere seien bis zum Jahre 1954 überhaupt keine registermäßigen Eintragungen vorgenommen worden. Erst zum 22. Februar 1954 sei der Bestand zum 31. Dezember 1951 und zum 31. Dezember 1952 festgehalten. Es seien auch die Richtlinien des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen (BAA) zur Aufstellung und Führung des Deckungsstockregisters nicht beachtet worden.
Die Bgin. hat demgegenüber vorgebracht, die geschäftsplanmäßige Erklärung sei für sie bindend und Bestandteil des Geschäftsplanes geworden. Das Sondervermögen werde allein durch die Eintragung der Vermögenswerte in das Deckungsstockregister gebildet. Dem Deckungsstock II könnten die entsprechenden Beträge erst dann zugeführt werden, wenn die Zuweisung zur Rückstellung festgesetzt und von den zuständigen Organen festgestellt worden sei. Das sei aber regelmäßig erst nach Feststellung des Rechnungsabschlusses der Fall. Außerdem habe die Umstellungsrechnung eine wesentliche Verzögerung der Abschlüsse zur Folge gehabt.
Die Bgin. hat ein Gutachten eines früheren Beamten des BAA eingereicht. Das Finanzgericht hat ein Gutachten des Landeswirtschaftsministeriums als nunmehriger Aufsichtsbehörde sowie ein Gutachten des BAA eingeholt.
Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht ist von dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 177/58 U vom 26. April 1960 (BStBl 1960 III S. 311, Slg. Bd. 71 S. 168) ausgegangen, das an die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (Urteil I 207/40 vom 11. Juni 1940, RStBl 1940 S. 826, Slg. Bd. 48 S. 328, und Gutachten I D 1/43 vom 26. November 1943, RStBl 1944 S. 171, Slg. Bd. 54 S. 29) angeknüpft hat. Danach ist die Rückstellung für Beitragsrückerstattung in der Lebensversicherung grundsätzlich als Dauerschuld zu behandeln. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Gegenwerte am Bewertungsstichtag ähnlichen Verfügungsbeschränkungen wie die Bestände des Deckungsstocks unterliegen. In diesem Fall scheidet das dadurch gebildete Sondervermögen zusammen mit der Rückstellung aus dem Betriebsvermögen aus. Einen solchen Sachverhalt hat das Finanzgericht bei der Bgin. hinsichtlich der Rückstellung für Beitragsrückerstattung in der Lebensversicherung für gegeben erachtet.
Die geschäftsplanmäßige Erklärung vom 25. Januar 1952, so hat die Vorentscheidung ausgeführt, habe mit der genehmigten Kenntnisnahme durch die Aufsichtsbehörde ihre Freiwilligkeit verloren und sei zu einer zwingenden, den Geschäftsplan ergänzenden Vorschrift geworden (§§ 5, 13 des Versicherungsaufsichtsgesetzes - VAG -). Der Bestellung eines Treuhänders habe es nicht bedurft, da die betreffenden Bestimmungen des VAG (§§ 70 ff.) auf öffentliche Versicherungsanstalten nicht anzuwenden seien (ß 1 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Durchführung der Verordnung zur Vereinheitlichung der Versicherungsaufsicht vom 22. Juni 1943, RGBl I S. 363). Bei den auf Grund der geschäftsplanmäßigen Erklärung über die Rückstellung für Beitragsrückerstattung zu führenden Registern handle es sich um Register eigener Art. Wesentlich sei allein der mit ihnen erstrebte Zweck, wie er in der Erklärung selbst zum Ausdruck komme, nämlich Trennung von anderen Vermögensbeständen, abgesonderte Aufbewahrung und Anlegung nach den Vorschriften über den Deckungsstock. Die Register brauchten formell nicht in der gleichen Weise geführt zu werden wie die in § 66 VAG genannten Deckungsstockverzeichnisse. Nach der Auffassung des BAA könne an das Deckungsstockregister nur die Anforderung gestellt werden, daß es als Urkunde im Hinblick auf seine Zweckbestimmung eindeutig und aus sich selbst heraus verständlich sein müsse.
Gehe man hiervon aus, so sei die Bgin. dieser Verpflichtung nachgekommen. Die Verzeichnisse trägen jeweils den Stempelaufdruck "Deckungsstock II, gesperrt gem. § 66 VAG". Die Bestände würden den Vorschriften über die Anlegung des Deckungsstockes (ß 68 VAG) gerecht und seien einzeln eingetragen (ß 66 Abs. 6 VAG). Für die Bildung eines Sondervermögens sei die Eintragung des Vermögensgegenstandes in das Deckungsstockregister allein maßgebend. Mit der Eintragung werde die Zugehörigkeit des Vermögensgegenstandes zum Deckungsstock bewiesen. Der Einwand des Finanzamts, erst nach Fertigstellung des Jahresabschlusses seien die Vermögenswerte kontenmäßig aufgegliedert, greife nicht durch. Die Sachlage sei hier anders als für die nach § 65 VAG zu bildende Deckungsrückstellung. Bei dieser seien schon im Laufe des Geschäftsjahres geschätzte Beträge entsprechend dem voraussichtlichen Anwachsen der Deckungsrücklage dem Deckungsstock zuzuführen. Bei der Rückstellung für Beitragsrückerstattung könne dagegen erst nach Fertigstellung des Jahresabschlusses die Höhe der Rückstellung festgestellt und dementsprechend die Bedeckung festgelegt werden. Die Eintragung sei daher für das Streitjahr in angemessener Frist vorgenommen worden. Für die Vorjahre sei darauf hinzuweisen, daß sich nach der Auskunft des BAA im Zusammenhang mit der Währungsumstellung besondere Verzögerungen ergeben hätten.
Selbst wenn aber die fraglichen Deckungsstockregister wie Deckungsstockverzeichnisse zu führen wären, so ergebe sich allein aus der Nichteinhaltung der Richtlinien des BAA vom 13. Juni 1957 nichts Rechtserhebliches. Das VAG (ß 66 Abs. 6) schreibe keine bestimmte Form des Deckungsstockverzeichnisses vor. Die Richtlinien seien keine Rechtsnormen, sondern von der Aufsichtsbehörde herausgegebene Ordnungsvorschriften. Ihre Einhaltung sei daher nicht Voraussetzung für die entscheidende rechtliche Wirkung des Deckungsstockverzeichnisses im Sinne von § 77 Abs. 4 Satz 1 VAG, nämlich für das Recht auf bevorzugte Befriedigung der Anspruchsberechtigten aus den in das Deckungsstockregister eingetragenen Werten. Diese Rechtswirkung hätten auch in anderer Weise geführte Verzeichnisse.
Mit der Rb. hat der Vorsteher des Finanzamts erneut geltend gemacht, die Bgin. sei verpflichtet gewesen, das Deckungsstockregister II analog dem Deckungsstockregister I zu führen und damit die Richtlinien des BAA einzuhalten. Sie habe entgegen der geschäftsplanmäßigen Erklärung in den Folgejahren (1955 und 1956) Beträge entnommen, wodurch eine Unterdeckung entstanden sei. Hieraus sei zu ersehen, daß die geschäftsplanmäßige Erklärung keine Verfügungsbeschränkung im Sinne der steuerlichen Rechtsprechung herbeigeführt habe. Es habe für das Deckungsstockregister II auch keine überwachungspflicht der Aufsichtsbehörde bestanden. Dies zeige sich insbesondere darin, daß das Register für die Jahre 1951 bis 1956 im Zeitpunkt der steuerlichen Betriebsprüfung (1957) noch nicht aufsichtlich geprüft gewesen sei. Schließlich ergebe sich aus dem Gutachten des Wirtschaftsministeriums, daß nach den Rechnungslegungsvorschriften die Rückstellung für Beitragsrückerstattung nicht in die Deckungsrückstellung einbezogen werden dürfe. Danach scheine es überhaupt unmöglich zu sein, ein Deckungsstockregister II anzulegen. Steuerlich könnten diese Beträge jedenfalls nicht als Sondervermögen behandelt werden.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Die Entscheidung hängt nach der vom Finanzgericht angeführten Rechtsprechung davon ab, ob nach den Verhältnissen am Bewertungsstichtag der Rückstellung für Beitragsrückerstattung Gegenwerte gegenüber gestanden haben, hinsichtlich deren die Bgin. ähnlichen Verfügungsbeschränkungen unterlegen war wie hinsichtlich der Bestände des Deckungsstocks. Dem Finanzgericht ist darin beizutreten, daß für die Bgin. mit der Genehmigung ihrer geschäftsplanmäßigen Erklärung durch die Aufsichtsbehörde die Verpflichtung begründet worden ist, der Rückstellung für Beitragsrückerstattung entsprechende Gegenwerte aus ihrem Vermögen auszusondern, über die sie nur nach Massgabe der Erklärung verfügen konnte, und die Bestände in ein besonderes Register einzutragen (vgl. das Gutachten des Wirtschaftsministeriums). Die Nichteinbeziehung der Rückstellung für Beitragsrückerstattung in die Deckungsstockrückstellung schließt es nach diesem Gutachten nicht aus, daß "durch eine geschäftsplanmäßige Erklärung die Rückstellung für Beitragsrückerstattung samt den sie bedeckenden Vermögensanlagen Beschränkungen gleich denen des Deckungsstocks unterworfen werden kann, so daß diese Werte aus dem Betriebsvermögen des Versicherungsunternehmens ausscheiden". Dem vorbezeichneten Gutachten sowie dem Gutachten des BAA ist auch zu entnehmen, daß die Rechtswirksamkeit der Aussonderung von Vermögenswerten nicht davon abhängt, daß bestimmte Formvorschriften, insbesondere die in den Richtlinien des BAA vorgesehenen, eingehalten werden. Das Finanzgericht hat daher mit Recht dem Einwand des Finanzamts, das sog. Deckungsstockverzeichnis II sei nicht entsprechend den genannten Richtlinien geführt, keine Bedeutung beigemessen.
Das Finanzgericht hat jedoch unbeachtet gelassen, daß es sich um die Ermittlung des Gewerbekapitals handelt, für das ebenso wie für die zugrunde liegende Einheitsbewertung des Betriebsvermögens das Stichtagsprinzip gilt (ß 12 GewStG). Maßgebend sind daher für das Streitjahr 1954, da der Ermittlung des Gewerbekapitals der auf den 1. Januar 1954 festgestellte Einheitswert des Betriebsvermögens zugrunde liegt, die Verhältnisse an diesem Stichtag bzw. an dem vorausgehenden Abschlußtag vom 31. Dezember 1953 (vgl. § 63 Abs. 2 BewG und das Urteil des Senats I 309/61 U vom 6. November 1962, BStBl 1963 III S. 69). An diesem Tage war aber unstreitig weder eine Vermögensaussonderung für die Bildung des Deckungsstockes II vorgenommen noch ein Deckungsstockverzeichnis II aufgestellt und unterzeichnet. Die Bgin. hat nach ihrem eigenen Vorbringen Zuführungen zum Deckungsstock II erstmals Anfang 1954 vorgenommen. Die Deckungsstockverzeichnisse sind unter dem 22. Februar 1954 bzw. 1. März 1954 abgeschlossen und unterzeichnet worden. Dieser Sachverhalt kann nicht als auf den 31. Dezember 1953 zurückwirkend betrachtet werden. Auch kann es auf die Gründe für die spätere Zuführung der Vermögenswerte und Aufstellung der Verzeichnisse nicht ankommen. Hiernach kann sich die Bgin. für die Verneinung des Dauerschuldcharakters der Rückstellung für Beitragsrückerstattung nach dem Stande vom 31. Dezember 1953 nicht auf das Bestehen eines sog. Deckungsstockes II stützen.
Zu beachten ist jedoch, daß nach der von der Aufsichtsbehörde genehmigten geschäftsplanmäßigen Erklärung der Bgin. vom 25. Januar 1952 auch die jeweilige überdeckung des Deckungsstockes I der Bedeckung der Gewinnreserve der Versicherten dienen soll. Soweit die Rückstellung für Beitragsrückgewähr nach dem Stande vom 31. Dezember 1953 durch eine solche überdeckung bedeckt ist, wird daher keine Dauerschuld anzunehmen sein. Für die Frage der überdeckung kommen dabei nur die bis 31. Dezember 1953 vorgenommenen Zuführungen zum Deckungsstock I in Betracht.
Hiernach war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen, das die nach den vorstehenden Ausführungen erforderlichen Feststellungen zu treffen und dementsprechend erneut zur Frage des Dauerschuldcharakters der Rückstellung für Beitragsrückerstattung zum 31. Dezember 1953 zu entscheiden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 410797 |
BStBl III 1963, 264 |
BFHE 1963, 723 |
BFHE 76, 723 |