Leitsatz (amtlich)

1. Auch für chemische Verbindungen von Edelmetallen und Edelmetallegierungen (§ 29 Abs. 2 Nr. 9a UStDB 1951) kommen die in § 30 Abs. 1 Nr. 5 UStDB 1951 besonders zugelassenen Bearbeitungen und Verarbeitungen in Betracht.

2. Zur Frage der steuerfreien Lieferung von Rückständen und Abfallprodukten, die bei einer an sich nicht nach § 30 Abs. 1 UStDB 1951 besonders zugelassenen Bearbeitung oder Verarbeitung anfallen.

 

Normenkette

UStG 1951 §§ 3, 4 Ziff. 4; UStDB 1951 §§ 2, 6, 29 Abs. 1, 2 Nr. 9a, § 30 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige stellt Christbaumschmuck her. Zum Versilbern von Glaskugeln verwendet sie erworbenes Silbernitrat. Beder Versilberung der Glaskugeln fallen als "Silberschlamm" bei zeichnete Rückstände an, die die Steuerpflichtige an die Firma X liefert, die aus dem Silberschlamm wieder Silber gewinnt und der Steuerpflichtigen den Wert des zurückgewonnenen Silbers unter Abzug der Bearbeitungskosten gutschreibt. Die Steuerpflichtige hat die Lieferungen von Silberschlamm an die Firma X als gemäß § 4 Ziff. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfreie Großhandelslieferungen angesehen, während das Finanzamt nach einer Betriebsprüfung die in den Jahren 1951 bis 1953 vereinnahmten Entgelte -- ohne Abzug der Bearbeitungskosten -- dem Steuersatz von 4 % unterworfen hat.

Im Berufungsverfahren hatte die Steuerpflichtige Erfolg. Das Finanzgericht hat die Voraussetzungen des § 4 Ziff. 4 UStG als erfüllt angesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die gegen die Gewährung der Steuerfreiheit gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.

Die Vorinstanz hat zutreffend die Voraussetzungen des § 4 Ziff. 4 UStG in Verbindung mit §§ 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 9a, 30 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 für die streitigen Lieferungen bejaht. Die Steuerpflichtige hat Silbernitrat erworben, das als chemische Verbindung von Edelmetall unter § 29 Abs. 2 Nr. 9a UStDB 1951 fällt; sie hat Silberschlamm geliefert, der als Rückstand bei der Verwendung des Silbernitrats angefallen ist. Silberschlamm, dessen Verkehrswert allein auf seinem Gehalt an Silber beruht, ist gleichfalls, wie auch die Rb. einräumt, ein Gegenstand des § 29 Abs. 2 Nr. 9a UStDB 1951. Damit ist die Voraussetzung des § 30 Abs. 2 a. a. O. erfüllt.

Die Rb. erstrebt jedoch aus folgenden Erwägungen die Versagung der Steuerfreiheit:

Das Finanzamt glaubt, aus der Fassung des § 30 Abs. 1 Nr. 5 a. a. O., der nur von Edelmetallen und Edelmetalllegierungen spricht, entnehmen zu müssen, daß für chemische Verbindungen von Edelmetall, wie sie außer Edelmetallen und Edelmetallegierungen in § 29 Abs. 2 Nr. 9a UStDB 1951 aufgeführt seien, keinerlei Bearbeitungen zugelassen seien. Diese Auffassung ist zu eng und entbehrt der inneren Berechtigung. § 29 Abs. 2 Nr. 9a und § 30 Abs. 1 Nr. 5 a. a. O. stehen in dem gleichen engen Zusammenhang wie die anderen Ziffern dieser beiden Vorschriften. Die zugelassenen Bearbeitungen beziehen sich jeweils auf sämtliche in § 29 UStDB aufgeführten notwendigen Rohstoffe und Halberzeugnisse, wobei sich die wechselnde Ausdrucksweise bei der Verweisung in § 30 UStDB auf die einzelnen Gegenstände des § 29 zwanglos aus sprachlichen Gründen erklärt. Nach allgemeiner Auffassung bezieht sich § 30 Abs. 1 Nr. 5 UStDB auch auf Bruch und Abfälle von Edelmetall, obwohl dies die einschränkende Auslegung des Finanzamts zweifelhaft erscheinen ließe. Vor allem geht aber auch aus dem Einführungserlaß des früheren Reichsministers der Finanzen vom 20. Januar 1939 unter B Ziff. 18 (Reichssteuerblatt 1939 S. 129 ff., 135, Umsatzsteuerkartei S 4138f. Karte 24), dem als Auslegungserlaß des damaligen Verordnungsgebers insoweit Bedeutung beizumessen ist, mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß unter Edelmetallen und Edelmetallegierungen auch chemische Verbindungen von Edelmetallen zu verstehen sind.

Zum anderen will die Rb. die Steuerfreiheit deshalb versagen, weil der gelieferte Silberschlamm zwangsläufig bei einer nicht besonders zugelassenen Verarbeitung angefallen sei, nämlich bei dem Versilbern der Glaskugeln. Man könne nicht sagen, die Steuerpflichtige habe zwei Verarbeitungen des Silbernitrats durchgeführt, von denen die eine, das .Versilbern, steuerlich schädlich, die andere, die Gewinnung von Silberschlamm, im § 30 UStDB besonders zugelassen sei.

Auch dieser Auffassung vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Die hier streitigen Vergünstigungsvorschriften und insbesondere der weite Kreis zugelassener Bearbeitungen und auch solcher Bearbeitungen, die dem Großhandel nicht artgemäß sind, beruhen u. a. auf dem Mangel bestimmter Rohstoffe und Halberzeugnisse, deren rationelle Ausnutzung und Verwertung der deutschen Wirtschaft ohne steuerliche Nachteile ermöglicht werden soll. Es kann weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 30 Abs. 1 Nr. 5 UStDB 1951 entnommen werden, daß die Bearbeitungsmaßnahmen das ausschließliche Ziel haben müssen, begünstigte Gegenstände im Sinne dieser Vorschrift zu erzeugen. Bearbeitungsmaßnahmen sind tatsächliche Vorgänge. Zutreffend hebt die Vorentscheidung hervor, daß, wenn bei Mißlingen einer auf Fertigerzeugnisse gerichteten Verarbeitung Bruch und Abfälle entstünden, diese Abfälle steuerfrei geliefert werden könnten. Man wird Rückstände und Abfallprodukte eines an sich nicht zugelassenen Verarbeitungsvorganges auch dann als begünstigt anzusehen haben, wenn, worauf die Steuerpflichtige zutreffend hinweist, der Bearbeitungsvorgang, wie im Streitfalle, aus der langjährigen Verbindung zur Abnehmerin hervorgeht, auch auf die Gewinnung des Rückstands Bedacht nehmen muß. Der Silberschlamm ist für die Produktion der Steuerpflichtigen ohne Bedeutung; seine Gewinnung als Rückstand und seine entgeltliche Veräußerung ermöglicht jedoch eine Senkung der Produktionskosten, so daß die Steuerpflichtige ihre Produktion naturgemäß auf einen rationellen Anfall des Silberschlamms einrichten wird. Es liegt deshalb ein positives und gewolltes Einwirken auf den Gegenstand "Silbernitrat" und ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Bearbeitungsmaßnahmen der Steuerpflichtigen und der Entstehung des Silberschlamms im Sinne der Rechtsprechung vor (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 207/54 U vom 4. Mai 1955, Bundessteuerblatt 1955 S. 195, 196 rechte Spalte, Slg. Bd. 60 S. 513). Der Silberschlamm ist deshalb im Streitfalle als durch eine zugelassene Verarbeitung entstanden anzusehen.

Das Umsatzgeschäft zwischen der Steuerpflichtigen und der Firma X ist unbedenklich als Lieferung anzusehen, wobei als Lieferungsgegenstand nicht etwa der Silbergehalt, sondern Silberschlamm anzusehen ist. Als Entgelt kommen mithin lediglich die der Steuerpflichtigen gutgeschriebenen Beträge in Betracht, da die von der Firma X vorgenommene Berechnung des Preises (Wert des Silbers abzüglich der Bearbeitungskosten) lediglich dem Umstand Rechnung trägt, daß der Kaufgegenstand noch mit den Kosten der Silbergewinnung belastet ist.

Da die Voraussetzungen des § 4 Ziff. 4 UStG im übrigen nicht streitig sind, war die Rb. des Vorstehers des Finanzamts mit der Kostenfolge des § 309 der Reichsabgabenordnung als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409175

BStBl III 1958, 435

BFHE 1959, 426

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