Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob Aktien oder Anteile an Kapitalgesellschaften nur geringen Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren und damit ihr gemeiner Wert nach Abschnitt 80 VStR 1963 zu ermitteln ist, entscheidet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Die Anwendung des Abschnitts 80 VStR 1963 ist nicht auf Beteiligungen beschränkt, die bei Aktiengesellschaften weniger als 5 v. H., bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung weniger als 10 v. H. des Nennkapitals betragen.
Normenkette
BewG i.d.F. vor Inkrafttreten des ÄndG-BewG 1965 § 13 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin besaß am 31. Dezember 1962 Aktien einer AG im Nennwert von 75 000 DM oder rund 9 v. H. des Grundkapitals dieser AG. Hauptaktionär war ihr alleiniger Vorstand; er hatte am 31. Dezember 1962 62 v. H. der Aktien. Das FA stellte durch Bescheid vom 26. Oktober 1964 den gemeinen Wert der Aktien zum 31. Dezember 1962 auf 230 DM und für "Streubesitz unter 5 %" auf 168 DM je 100 DM Grundkapital fest. Die Klägerin begehrte, daß auch ihre Aktien als Aktien im Streubesitz angesehen und deshalb mit 168 DM je 100 DM Grundkapital bewertet werden.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus: Bei der Ermittlung des gemeinen Werts von Aktien, die keinen Einfluß auf die Geschäftsführung gewährten, seien im Rahmen des Abschnitts 80 VStR 1963 Abschläge vorzunehmen. Die VStR gäben keine genauen Anweisungen über die Abgrenzung, wann Anteile ohne Einfluß auf die Geschäftsführung seien. Nach der im Schrifttum herrschenden Auffassung, die auch von den FÄ vertreten werde, sei eine Sonderbewertung in den Fällen, in denen kein Mehrheitsgesellschafter mit einer Beteiligung von mehr als 75 v. H. vorhanden sei, dann vorzunehmen, wenn bei Aktiengesellschaften die Anteile weniger als 5 v. H. des Grundkapitals ausmachten. Diese Auffassung gebe im Regelfall eine brauchbare Grundlage für die Entscheidung der Streitfrage ab. Der Begriff der "Einflußnahme auf die Geschäftsführung" sei weit auszulegen. Eine Einflußnahme sei schon dann gegeben, wenn infolge der Ausübung der Minoritätsrechte die Möglichkeit für die Herbeiführung bestimmter Beschlüsse geschaffen werde. Eine Minderheit von 5 v. H. genüge z. B., um nach § 106 Abs. 2 AktG 1937 die Einberufung der Hauptversammlung zu erzwingen. Ihr stehe die Anfechtungsbefugnis des § 198 Abs. 2 AktG 1937 zu. Sie könne nach § 122 Abs. 1 Satz 2 AktG 1937 Ersatzansprüche der Gesellschaft aus der Geschäftsführung gegen die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder geltend machen. Diese Minoritätsrechte reichten aus, um wenigstens einen gewissen Einfluß auf die Willensbildung der Gesellschaft ausüben zu können. Da der Klägerin diese Minoritätsrechte zuständen, habe das FA zutreffend den Abschlag nach Abschnitt 80 VStR 1963 abgelehnt.
Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Sie ist nach wie vor der Auffassung, daß die Bewertung ihrer Aktien nach Abschnitt 80 VStR 1963 vorzunehmen sei, weil sie keinen Einfluß auf die Geschäftsführung gewährten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß eine Sonderbewertung von nichtnotierten Aktien oder Anteilen nach Abschnitt 80 VStR 1963 nur für solche Aktien oder Anteile in Betracht kommt, deren Besitz keinen Einfluß auf die Geschäftsführung gewährt. Ob diese Voraussetzung vorliegt, kann nur nach den Verhältnissen des einzelnen Falles beurteilt werden. Für einige besonders typische Fälle wird allerdings im Schrifttum (vgl. z. B. Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 1.-4. Auflage, Anm. 97 zu § 13 des BewG; Rössler-Troll, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., Anm. 29 zu § 70 BewG) die Voraussetzung allgemein bejaht. Es sind dies einmal die Fälle, in denen nach der Satzung für gewisse Aktien oder Anteile das Stimmrecht von vornherein ausgeschlossen ist. Es sind weiter die Fälle, in denen ein Gesellschafter eine Beteiligung von mehr als 75 v. H. des Nennkapitals hat, wobei es für den Rest der Aktien oder Anteile nicht entscheidend darauf ankommen soll, ob sich diese restlichen Aktien oder Anteile in der Hand einzelner oder zahlreicher Gesellschafter befinden. Schließlich soll die Sonderbewertung auch für sogenannte Zwerganteile in Betracht kommen, d. h. für Aktien einer AG, die weniger als 5 v. H. des Grundkapitals der AG und für Anteile an einer GmbH, die weniger als 10 v. H. des Stammkapitals der GmbH ausmachen. Der Senat braucht nicht dazu Stellung zu nehmen, ob in diesen Fällen eine Sonderbewertung nach Abschnitt 80 VStR 1963 vorzunehmen ist. Er folgt aber nicht der Auffassung des FG, daß außer in diesen Fällen eine Sonderbewertung nicht in Betracht komme. Das FG hat die oben zitierten Kommentarstellen mißverstanden. Aus ihnen läßt sich nicht folgern, daß die Kommentatoren eine Sonderbewertung in allen anderen als den von ihnen aufgeführten Fällen für unzulässig halten. Rössler-Troll (a. a. O.) sehen eine Sonderbewertung auch als möglich an, wenn ein Gesellschafter eine Beteiligung von mehr als 50 v. H. und ein zweiter Gesellschafter eine Beteiligung von mehr als 25 v. H. hat, und zwar für den Rest der Aktien oder Anteile. Gürsching-Stenger (a. a. O.) halten eine Sonderbewertung dann, wenn zwei Gesellschafter mit einer Beteiligung von je 25 v. H. gleichberechtigte Gesellschafter einer GmbH sind und drei weitere Gesellschafter mit einer Beteiligung von 12,5 v. H. schon nach ihrem beruflichen Werdegang zu einer Geschäftsführung ungeeignet sind, für die Anteile dieser drei Gesellschafter für zulässig. Auch der Senat ist der Auffassung, daß es nicht nur bei Zwerganteilen, sondern auch bei Beteiligungen, die 5 v. H. bzw. bei Gesellschaften mbH 10 v. H. und mehr des Nennkapitals ausmachen, an einer Einflußmöglichkeit auf die Geschäftsführung fehlen kann, und zwar auch dann, wenn von den restlichen Aktien oder Anteilen nicht mehr als 75 v. H. des Nennkapitals in den Händen eines Gesellschafters liegen. Die vom FG angeführten Minoritätsrechte sind so gering, daß man nicht deswegen von einer Einflußmöglichkeit auf die Geschäftsführung sprechen kann. Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war sie aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat ist der Auffassung, daß beim Vorhandensein eines Hauptgesellschafters mit einer Beteiligung von 62 v. H. des Nennkapitals eine Beteiligung von nur rund 9 v. H. des Nennkapitals keine Einflußmöglichkeit auf die Geschäftsführung gewährt. Die Aktien der Klägerin waren deshalb nach Abschnitt 80 VStR 1963 zu bewerten. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung des FA vom 25./28. Juni 1965, soweit diese die Aktien der Klägerin betrifft, und unter Abänderung des Bescheides des FA vom 26. Oktober 1964 war der gemeine Wert der Aktien auf den 31. Dezember 1962, auch soweit sie sich an diesem Stichtag in den Händen der Klägerin befanden, auf 168 DM für 100 DM Nennkapital festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 68173 |
BStBl II 1968, 734 |
BFHE 1968, 243 |