Leitsatz (amtlich)
Der Erwerb eines Grundstückes durch eine Allgemeine Ortskrankenkasse zur Errichtung eines der Eigenverwaltung dienenden Verwaltungsgebäudes ist nicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d des Hessischen GrEStG 1965 von der Grunderwerbsteuer befreit.
Normenkette
Hess. GrEStG i.d.F. vom 31. Mai 1965 (GVBl, 110) § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d
Tatbestand
Die Klägerin, eine Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK; Trägerin der Sozialversicherung), erwarb durch notariell beurkundeten Kaufvertrag Ende Mai 1965 ein Grundstück, um darauf ein Verwaltungsgebäude zu errichten. Den Antrag auf Grunderwerbsteuerbefreiung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d des Hessischen Grunderwerbsteuergesetzes in der Fassung vom 31. Mai 1965 (GVBl, 110) auf Grund des Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1963 (GVBl, 192) - GrEStG 1965 - lehnte das FA (Beklagter) ab, da das geplante Verwaltungsgebäude nicht unmittelbar gemeinnützigen Zwecken im Sinne des § 17 StAnpG diene. Den Einspruch wies der Beklagte zurück, da das Verwaltungsgebäude hoheitlichen Aufgaben diene, die gemeinnützigen Zwecken nicht gleichgestellt werden könnten.
Auf die Klage, mit der die Klägerin sich auch auf das Urteil des BFH III 405/59 S vom 6. Oktober 1961 (BFH 73, 837, BStBl III 1961, 571) berief, hob das FG den Grunderwerbsteuerbescheid durch das in den EFG 1969, 261 veröffentlichte Urteil vom 11. Oktober 1968 V 568/66 aus den dort wiedergegebenen Gründen auf.
Mit der Revision macht der Beklagte im wesentlichen geltend, die Gleichstellung der Träger der Sozialversicherung mit den als gemeinnützig oder mildtätig anerkannten Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen und mit den Gebietskörperschaften rechtfertige noch nicht, die Träger der Sozialversicherung - als einer (Dienst-)Leistungsverwaltung - auch ihrer Aufgabe nach als eine gemeinnützige Körperschaft (Personenvereinigung) oder als Gebietskörperschaft zu behandeln. Der Umstand, daß jede Tätigkeit einer AOK mittelbar dem Gemeinwohl diene, reiche für eine Grunderwerbsteuerbefreiung nicht aus. Das GrEStG begünstige nicht jeden Grundstückserwerb der öffentlichen Hand, sondern nur bestimmte Erwerbsvorgänge, hier nur solche, bei denen das Grundstück unmittelbar für gemeinnützige (mildtätige) Sozialeinrichtungen (Kindergärten, Altersheime usw.) bestimmt sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Die Auffassung des Beklagten, daß die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d GrEStG 1965 eng auszulegen sei, trifft nicht zu. Vielmehr hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß Grunderwerbsteuerbefreiungsvorschriften unter Würdigung ihres Zwecks, allerdings unter Beachtung des im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers anzuwenden sind, und daß deshalb die Finanzverwaltungsbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit nicht befugt sind (Art. 20 Abs. 3 GG), einen vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Befreiungstatbestand von sich aus zu schaffen oder einen gesetzlich genau umrissenen Befreiungstatbestand auf Grund eigener Wertvorstellungen auszuweiten (vgl. zuletzt BFH-Urteil II R 45/66 vom 16. Juni 1971, BFH 103, 361, 364, BStBl II 1972, 65). Um einen solchen Tatbestand handelt es sich bei § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d GrEStG 1965. Danach ist befreit der Grundstückserwerb durch eine als gemeinnützig oder mildtätig anerkannte Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, durch eine Gebietskörperschaft oder durch einen Träger der Sozialversicherung oder durch eine Kirche, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, die die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben, wenn das Grundstück unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen soll.
Es ist der Klägerin darin zuzustimmen, wenn sie unter Berufung auf Boruttau/Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl. (nun 9. Aufl.), § 4, Tz. 132g meint, daß (u. a. ) Sozialversicherungsträger hierdurch ausdrücklich den als gemeinnützig anerkannten Körperschaften gleichgestellt worden sind. Allerdings kann sich diese Gleichstellung zunächst nur auf die subjektive Voraussetzung der Befreiungsvorschrift beziehen; denn es muß für jeden dieser Rechtsträger auch die eng mit der subjektiven Voraussetzung gekoppelte objektive Voraussetzung erfüllbar und erfüllt sein, daß nämlich das Grundstück selbst unmittelbar einem gemeinnützigen Zwecke dienen soll. Das Ineinandergreifen beider Voraussetzungen kann sich je nach der Art des Rechtsträgers unterschiedlich auswirken, insbesondere hinsichtlich der Frage, inwieweit eine unentbehrliche Hilfstätigkeit (vgl. für die Grundsteuer BFH-Entscheidung III 78/54 S vom 10. Dezember 1954, BFH 60, 165, 170, BStBl III 1955, 63; BFH 73, 841) noch als unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienend angesprochen werden kann. Von einem Grundstück, das unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienen soll, kann nur dann gesprochen werden, wenn darauf der gemeinnützige Hauptzweck selbst oder ein für die Verwirklichung dieses gemeinnützigen Hauptzwecks unentbehrlicher Hilfszweck erfüllt werden soll.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da die Klägerin als Sozialversicherungsträger (§§ 3, 225, 226 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) und Körperschaft des öffentlichen Rechts das Grundstück erworben hat (vgl. § 26 Abs. 2 RVO), um darauf ein der Eigenverwaltung dienendes Gebäude zu errichten. Die Sozialversicherungsträger als Körperschaften des öffentlichen Rechts erfüllen öffentliche Aufgaben im Sinne des allgemeinen Wohles und sind im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben mit allgemeinen Hoheitsrechten und Hoheitsgewalt im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechts ausgestattet (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Lose-Blattkommentar, 16. Aufl., Vorbemerkung vor § 3 RVO S. 15; Anm. zu § 4 RVO am Anfang, mit weiteren Nachweisen). Der Begriff der Gemeinnützigkeit im Sinne des Steuerrechts (vgl. § 17 StAnpG) ist enger als der des gemeinen Wohles. Die Wahrnehmung dieser öffentlichen Aufgaben kann deshalb steuerrechtlich nicht zwangsläufig der Erfüllung gemeinnütziger Zwecke gleichgeachtet werden, insbesondere insoweit nicht, als sie steuerrechtlich nicht als gemeinnützigen Zwecken dienend anerkannt sind (vgl. für die Grundsteuer insoweit BFH-Entscheidungen III 157/53 S vom 28. August 1954, BFH 59, 318, 320, 324, BStBl III 1954, 333; III 383/58 S vom 15. Juli 1960, BFH 71, 538, 541, BStBl III 1960, 449). Auch die Klägerin selbst geht von dieser Unterscheidung insofern aus, als sie noch mit der Revision (lediglich) die "Gleichstellung" des Grundstückserwerbs durch Sozialversicherungsträger mit dem durch gemeinnützige Institutionen geltend macht, da die Sozialversicherungsträger als Hoheitsbetriebe auf die gleiche Stufe "wie" gemeinnützige Institutionen gestellt seien.
Auf das zur Grundsteuer ergangene Urteil des III. Senats des BFH III 405/59 S vom 6. Oktober 1961 (BFH 73, 837, BStBl III 1961, 571) kann die Klägerin sich für ihre Auffassung, daß der Erwerb des Grundstücks zur Errichtung eines Verwaltungsgebäudes nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d GrEStG 1965 von der Grunderwerbsteuer zu befreien sei, nicht berufen. Der III. Senat des BFH hat an anderer Stelle zu dieser Frage selbst ausgesprochen (Entscheidung III 173/64 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 390, 394, BStBl III 1967, 659), daß die Befreiungsvorschriften im Grunderwerbsteuergesetz und im Grundsteuergesetz sich nicht decken und nicht von einem auf das andere Gesetz übertragen werden dürfen. Vor allem ist nicht nur der ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienende Grundbesitz solcher gemeinnützigen Körperschaften von der Grundsteuer befreit (§ 4 Nr. 3 Buchst. b GrStG), sondern auch allgemein der für den öffentlichen Dienst oder Gebrauch benutzte Grundbesitz der Gebietskörperschaften (§ 4 Nr. 1 Buchst. a GrStG). Bei dieser besonderen Rechtslage hat der III. Senat des BFH sich unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung und Entstehungsgeschichte bereits in dem dem Urteil III 405/59 S zugrunde liegenden Urteil III 157/53 S vom 28. August 1954 (BFH 59, 318, BStBl III 1954, 333) für befugt gehalten, eine "offensichtliche Lücke in den gesetzlichen Vorschriften auszufüllen" (BFH 59, 325). Der III. Senat des BFH hat aber in Ergänzung dieser Entscheidung auch ausgesprochen, daß die Sozialversicherungsträger keinesfalls besser gestellt werden können als die Gebietskörperschaften (BFH-Entscheidung III 290/57 U vom 7. Februar 1958, BFH 66, 479, 480, BStBl III 1958, 185). Die Rechtslage nach dem Grunderwerbsteuergesetz 1965 ist insofern entscheidend anders, als hier der Erwerb eines Grundstücks durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft zur Benutzung für den öffentlichen Dienst oder Gebrauch gerade nicht allgemein von der Besteuerung ausgenommen worden ist. Ein entsprechender ausdrücklicher Initiativantrag (Hessischer Landtag, V. Wahlperiode, Drucksachen Abteilung I Nr. 86) wurde nicht in die Regierungsvorlage eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Grunderwerbsteuerrechts (Hessischer Landtag, a. a. O., Nr. 309) aufgenommen (vgl. auch den Stenographischen Bericht über die 13. Sitzung, 1. Lesung, Hessischer Landtag, Drucksachen Abteilung III S. 417, 421, 423 linke Spalte), nachdem der Haushaltsausschuß des Landtags die Auffassung vertreten hatte, daß "die Aufnahme einer solchen Generalklausel in das Gesetz nicht angängig sei" (Hessischer Landtag, a. a. O., Drucksachen Abteilung II Nr. 70). Bereits die Begründung der Regierungsvorlage enthält die Bemerkung, daß grundsätzlich keine Befreiung von der Grunderwerbsteuer für den Erwerb von Grundstücken zur Ausübung von hoheitlichen Aufgaben vorgesehen sei, da kein Grund vorliege, die öffentliche Hand beim Grundstückserwerb allgemein besser zu stellen als die übrigen Steuerpflichtigen (Hessischer Landtag, Drucksachen Abteilung I Nr. 309 S. 11, zu B, zu Ziff. 10). Dementsprechend enthält auch das GrEStG 1965 in dieser Hinsicht nur einzelne, in subjektiver und objektiver Hinsicht genau umrissene Befreiungsvorschriften für Gebietskörperschaften oder Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. - außer der hier nicht interessierenden Nr. 9 des § 4 Abs. 1 - noch dessen Nr. 7 Buchst. a-c und aus dem GrEStG 1940 § 4 Nrn. 5 und 6). Auch ein anderer Abänderungsantrag (Hessischer Landtag, Drucksachen Abteilung I Nr. 416; vgl. auch den Stenografischen Bericht über die 19. Sitzung, 2. Lesung, Drucksachen Abteilung III S. 721, 735 rechte Spalte) wurde nicht Gesetz, wonach der Grundstückserwerb durch eine als gemeinnützig oder mildtätig anerkannte Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse oder durch eine Gebietskörperschaft oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts befreit sein sollte, wenn das Grundstück unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken "oder eigenen Verwaltungszwecken" dienen solle. Wenn die Sozialversicherungsträger im Anschluß an den 2. Bericht des Haushaltsausschusses in letzter Lesung (Hessischer Landtag, Drucksachen Abteilung II Nr. 79; Drucksachen Abteilung III S. 815, 816) in den Kreis der subjektiv durch § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d GrEStG 1965 Begünstigten einbezogen worden sind, so kann dies angesichts des aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift deutlich erkennbar gewordenen Willens des Gesetzgebers lediglich bedeuten, daß die Sozialversicherungsträger wegen ihrer ebenfalls dem Gemeinwohl dienenden öffentlichen Hoheitsaufgaben den Gebietskörperschaften gleichgestellt, aber nicht besser gestellt sein sollen als diese.
Unterhalten Sozialversicherungsträger eine unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienende Einrichtung, so kann der Erwerb eines Grundstücks, auf dem ein unmittelbar der Verwaltung dieser gemeinnützigen Einrichtung als unentbehrlicher Hilfstätigkeit dienendes Gebäude errichtet werden soll, ebenso unter § 4 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. d GrEStG 1965 fallen wie bei einer gemeinnützigen Einrichtung eines Gebietskörperschaft. Ein unentbehrlicher Hilfszweck kann, wenn er als noch unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienend soll gelten können, zwangsläufig nur dann und insoweit gegeben sein, als der Hauptzweck selbst unmittelbar gemeinnützig ist. Deshalb kann der Erwerb eines Grundstücks durch einen Sozialversicherungsträger, das durch Errichtung eines Verwaltungsgebäudes zu dessen Eigenverwaltung dienen soll, ebensowenig von der Grunderwerbsteuer freigestellt werden wie der Erwerb eines Grundstücks durch eine Gebietskörperschaft, das für deren Eigenverwaltung bestimmt ist.
Demnach mußte die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abgewiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1, § 121, § 95 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413290 |
BStBl II 1972, 911 |
BFHE 1973, 49 |