Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Hat das FA aus einer Bescheinigung in englischer Sprache zu Unrecht herausgelesen, daß dem Stpfl. aus dem Ausland zugeflossene Bezüge im Ausland dem Steuerabzug unterworfen worden seien, so kann es keine Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO wegen neuer Tatsachen vornehmen, wenn es die objektiv richtige Bescheinigung mißverstanden und vom Stpfl. keine beglaubigte übersetzung der Bescheinigung verlangt hatte. Voraussetzung ist dabei aber, daß der Stpfl. nicht durch zusätzliche Handlungen den Irrtum des FA erweckt oder gefördert hatte.
Legt ein Stpfl. eine Bescheinigung in einer fremden Sprache vor, so kann das FA die Vorlage einer beglaubigten übersetzung verlangen, wenn die Bescheinigung nicht eindeutig und allgemein verständlich ist.
Normenkette
AO § 92 Abs. 3, 2, § 165e/1, § 222 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) und seine Ehefrau sind Staatsbürger der USA und wohnen im Inland. Der Stpfl. ist Vorstandsmitglied einer inländischen AG. In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1960 gab er auch Bezüge aus den USA von - umgerechnet - 14.400 DM als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit an. Der Erklärung war eine Bescheinigung der amerikanischen Arbeitgeberin beigefügt, in der es heißt: " ... In the calender year of 1960 you received from the United States a net amount of Dollar 3.492.00. The deduction of Dollar 108 represendet the mandatory contribution to the United States Federal Government under the Federal Insurance Contribution Act (F. I. C. Aü) ...". Das Finanzamt (FA) nahm an, daß die 14.400 DM in den USA dem Steuerabzug unterworfen worden seien und daher nicht der deutschen Einkommensteuer unterlägen. Es veranlagte den Stpfl. und seine Ehefrau zur Einkommensteuer 1960, ohne die 14.400 DM anzusetzen.
In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1961 gab der Stpfl. die Bezüge aus den USA nicht an. Der Erklärung fügte er jedoch wiederum die Bescheinigung der amerikanischen Arbeitgeberin bei. Das FA veranlagte den Stpfl. und dessen Ehefrau wiederum, ohne die amerikanischen Bezüge anzusetzen.
Bei der Veranlagung für das Jahr 1962 stellte das FA durch Rückfrage fest, daß die amerikanischen Bezüge in den USA weder in diesem Jahr noch in den Vorjahren dem Steuerabzug unterworfen worden waren. Daraufhin berichtigte es die Veranlagung 1961 und setzte die Bezüge als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit an.
Die Sprungberufung gegen die berichtigte Veranlagung 1961 führte zur Wiederherstellung der ursprünglichen Veranlagung. Das Finanzgericht (FG) hielt die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und des § 92 Abs. 3 AO a. F. für nicht gegeben. Es führte aus: Das FA habe erst nachträglich bemerkt, daß der einbehaltene Betrag von 108 US-Dollar keine Steuer, sondern der gesetzliche Pflichtversicherungsbeitrag gewesen sei. Dies sei zwar dem FA erst jetzt bekanntgeworden. Das FA müsse aber Tatsachen, die es bei angemessener Erfüllung seiner amtlichen Ermittlungspflicht hätte erkennen können, als bekannt gegen sich gelten lassen. Wenngleich die Anforderungen an die amtliche Ermittlungspflicht der Finanzämter wegen der von ihnen in verhältnismäßig kurzer Zeit zu bewältigenden Massenarbeit nicht überspannt werden dürften, so könne man hier jedenfalls von einer überforderung des FA nicht sprechen. Dem FA sei mit der Steuererklärung 1961 die englischsprachige Bescheinigung vom 11. Januar 1962 eingereicht worden, aus der sich Höhe und Grund der einbehaltenen Beträge deutlich ergäben. Obwohl die Bescheinigung in englischer Sprache ausgestellt sei, so hätte man doch erwarten dürfen, daß sich bei der übersetzung keine Mißverständnisse ergäben. Wäre dem FA der Inhalt der Bescheinigung nicht klar gewesen, so hätte es beim Stpfl. zurückfragen oder die Vorlage einer übersetzung verlangen müssen. Der steuerrechtlich beratene Stpfl. möge erkannt haben, daß dem FA bei der Veranlagung des Vorjahres 1960 ein Irrtum unterlaufen sei. Es sei kein Mangel der gebotenen Mitwirkung, daß der Stpfl. in der Steuererklärung 1961 die amerikanischen Einkünfte nicht mehr aufgeführt habe, zumal er dem FA durch die gleichzeitig beigefügte Bescheinigung eine ausreichende Kenntnis verschafft habe. Es sei dem Stpfl., falls er überhaupt den Fehler des FA erkannt habe, auch nicht zuzumuten gewesen, das FA auf den Veranlagungsfehler 1960 hinzuweisen. Ebensowenig habe er das FA nicht darauf aufmerksam machen müssen, daß von dem amerikanischen Gehalt kein Steuerabzug vorgenommen worden sei. Nach allem könne die Berichtigungsveranlagung nicht auf § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO gestützt werden. Auch auf § 92 Abs. 3 AO a. F. könne das FA den Berichtigungsbescheid nicht stützen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs liege eine "ähnliche offenbare Unrichtigkeit" im Sinne von § 92 Abs. 3 AO a. F. nur vor, wenn dem FA bei der Erklärung, nicht jedoch bei der Bildung des Entscheidungswillens ein Fehler unterlaufen sei.
Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und Nichtanwendung des § 165 e AO. Nach seiner Ansicht waren die Erklärungen des Stpfl. irreführend oder doch jedenfalls nicht so eindeutig, daß der Irrtum der Veranlagungsbeamten dem FA als Fehler zuzurechnen sei. Die Beamten hätten auch keine Veranlassung zu einer Rückfrage gehabt. Der Irrtum sei noch besonders dadurch gefördert worden, daß der Stpfl. die amerikanischen Bezüge in der Einkommensteuererklärung 1961 nicht angegeben habe, wenn gleich er die Bescheinigung beigefügt habe. Daß das FA die Bezüge zu Unrecht nicht herangezogen habe, könne dem "beratenen" Stpfl. nicht verborgen geblieben sein.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Anfechtungsklage des Stpfl. als unbegründet abzuweisen.
Der Stpfl. beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Ohne Rechtsverstoß hat das FG verneint, daß eine Berichtigung nach § 92 Abs. 3 AO a. F. (§ 92 Abs. 2 AO n. F.) in Betracht komme. Der Fehler des FA war, weil das FA den Sachverhalt falsch gewürdigt hat, nicht bloß eine mehr "mechanische" Fehlleistung. Nur eine solche wäre aber als offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 3 AO a. F. aufzufassen.
Unstreitig ist dem FA die Nichtbesteuerung der amerikanischen Bezüge erst durch die Rückfrage bei der Veranlagung für 1962 bekanntgeworden. Auf der anderen Seite stellt das FG aber tatsächlich fest, daß die Erklärung des Stpfl. keinen Anhalt für die Annahme eines Steuerabzugs in den USA geboten und daß die entgegengesetzte Annahme des FA auf einem eindeutigen Fehler beruht habe. Wie das FG mit Recht ausführt, muß das FA eine ihm nachträglich bekanntgewordene Tatsache als nicht "neu" gegen sich gelten lassen, wenn es durch eine Rückfrage den richtigen Sachverhalt hätte feststellen können und eine solche Rückfrage nach Lage der Dinge geboten war (vgl. Urteil des Senats VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958, BFH 68, 223, BStBl III 1959, 86). Allein die Erkenntnis des FA, daß ihm ein Beurteilungsfehler unterlaufen ist, ist keine neue Tatsache im Sinne von § 222 Abs. 1 AO, wie im Urteil des Senats VI 67/61 vom 26. Januar 1962 (HFR 1962, 354) ausgeführt ist.
Wenn auch die Anforderungen an die Aufklärungspflicht des FA, wie das FG zutreffend darlegt, nicht überspannt werden dürfen, so ist es doch rechtlich unbedenklich, wenn das FG die Unterlassung der Rückfrage hier als unzureichende Erfüllung der Aufklärungspflicht gewürdigt hat. Dem FA ist zuzugeben, daß die Unterlassung der Rückfrage ihm nicht angelastet werden könnte, wenn die Steuererklärung irreführend gewesen wäre. Das ist aber, wie das FG zutreffend ausführt, nicht der Fall.
Wenn der Stpfl. - aus welchen Gründen auch immer - die Bezüge in seiner Steuererklärung 1961 nicht ausdrücklich angeführt hat, so ließ doch die der Erklärung beigegebene Bescheinigung ausreichend klar erkennen, daß er in diesem Jahr - ebenso wie im Vorjahr - Bezüge aus USA erhalten hatte, von denen Dollar 108 abgezogen worden waren. Daß dem Stpfl. wiederum Bezüge aus USA zugeflossen waren, war dem FA danach bei der Veranlagung bekannt. Wenn das FA die Bezüge als versteuert ansah, so unterlag es dem gleichen Beurteilungsfehler wie bei der Veranlagung 1960.
Dieser Fehler mag letztlich darauf beruhen, daß der Stpfl. keine Bescheinigung in deutscher Sprache vorgelegt hatte. Das hat aber nicht der Stpfl., sondern das FA zu vertreten, das sich mit einer Bescheinigung in englischer Sprache nicht zufrieden zu geben brauchte. Die dem FA von Inländern zur Erfüllung ihrer inländischen Steuerpflicht abzugebenden Erklärungen sind grundsätzlich in deutscher Sprache abzugeben. Werden Bescheinigungen in fremden Sprachen vorgelegt, so können darum die Finanzämter grundsätzlich verlangen, daß die Steuerpflichtigen eine beglaubigte übersetzung beifügen, sofern der Inhalt der Bescheinigung nicht eindeutig und allgemein verständlich ist. Wenn das FA sich mit der Abgabe einer in englischer Sprache gehaltenen Bescheinigung begnügt und auf eine beglaubigte übersetzung verzichtet, so muß es die Bescheinigung so gegen sich gelten lassen, wie sie richtig zu verstehen war. Es kann sich dann nicht auf einen übersetzungsfehler oder ein Mißverständnis berufen.
Anders läge es, wenn die Erklärung selbst oder die begleitenden Umstände beim FA eine unrichtige Vorstellung erwecken konnten, wie es z. B. in dem von dem Senat entschiedenen Fall des Urteils VI 311/60 vom 7. Juli 1961 (HFR 1962, 200) war. Hätte der Stpfl. z. B. in einem Begleitschreiben zu der vorgelegten Bescheinigung behauptet, der Betrag sei versteuert worden, so würde der Senat keine Bedenken tragen, trotz des entgegenstehenden Textes der Bescheinigung einen vom FA nicht zu vertretenden Fehler anzuerkennen. Ein derartiges Verhalten ist aber dem Stpfl. nicht vorzuwerfen. Auch das Schreiben vom 23. Februar 1961, auf das das FA hinweist, rechtfertigt diesen Vorwurf nicht.
Dem FA ist auch darin nicht beizupflichten, daß der Stpfl. nach § 165 e AO zu einer Anzeige verpflichtet gewesen wäre. Ob der Stpfl. die Unrichtigkeit der Veranlagung erkannt hat, kann dahingestellt bleiben. Nach § 165 e AO setzt die Anzeigepflicht die Unrichtigkeit der vom Stpfl. abgegebenen Erklärung voraus. Diese hat aber im Streitfall wie dargelegt keine Unrichtigkeit enthalten.
Fundstellen
BStBl III 1967, 231 |
BFHE 1967, 539 |
BFHE 87, 539 |
StRK, AO:222/1/1 R 9 |