Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer Abtretungsanzeige ohne Angabe des Abtretungsgrundes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Finanzbehörde verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie die Formgültigkeit einer Abtretungsanzeige wegen fehlender Angabe des Abtretungsgrundes in einem Zeitpunkt beanstandet, in dem sie bereits Kenntnis von dem Abtretungsgrund hat.
2. Die Abtretungsanzeige stellt eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung dar. Bei der Ermittlung des in ihr verkörperten Willens sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die für die Finanzbehörde als Empfänger im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung erkennbar gewesen sind.
3. Die mangelnde Angabe des Abtretungsgrundes kann nicht nachgeholt werden, wenn dessen Bezeichnung gänzlich fehlte.
Normenkette
AO 1977 § 46; BGB §§ 133, 242
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Rechtsvorgänger der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), ihr im Jahre 2002 verstorbener Ehemann (B), hatte aus einer Warenlieferung in 1996 eine Restforderung gegen die X-GmbH (GmbH) in Höhe von … DM. Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH waren die Eheleute Y. Diese traten ihren Einkommensteuer-Erstattungsanspruch aus 1996 in Höhe der Restforderung an B ab. Am 17. September 1997 übergab B dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ―FA―) eine von ihm und den Eheleuten Y unterzeichnete Abtretungsanzeige unter Verwendung einer Kopie des amtlich vorgeschriebenen Vordrucks. In dem Formular ist in dem Abschnitt "Grund der Abtretung" das Kästchen "Sicherungsabtretung" geschwärzt ―ebenso wie zuvor das Kästchen "Vollabtretung"―; das für die Angabe eines anderen Abtretungsgrundes vorgesehene Feld wurde nicht ausgefüllt.
In der Folgezeit gingen drei weitere Abtretungsanzeigen beim FA ein, u.a. am 7. Oktober 1997 eine Anzeige über eine Teilabtretung in Höhe von … DM zu Gunsten der V-Bank. In sämtlichen Abtretungsanzeigen wurde ebenfalls das Kästchen "Sicherungsabtretung" geschwärzt. Lediglich die Abtretungsanzeige zu Gunsten der V-Bank enthielt eine Eintragung zum Abtretungsgrund.
Im Mai 1999 erließ das FA den Einkommensteuerbescheid für 1996, aus dem sich ein Steuererstattungsanspruch in Höhe von … DM zu Gunsten der Eheleute Y ergab. Diesen Betrag verrechnete das FA mit noch offenen Steuerschulden der Eheleute Y und ihres Sohnes. Nachdem B im September 1999 die Auszahlung des Erstattungsbetrags in Höhe des zu seinen Gunsten abgetretenen Teils verlangt hatte, teilte das FA ihm mit, eine Auszahlung könne nur erfolgen, wenn er nachweise, dass er zur Abgabe der Abtretungsanzeige befugt gewesen sei. Weiterhin müssten die der Abtretung zugrunde liegende Sicherungsabrede sowie Erläuterungen und Unterlagen zum Eintritt des Sicherungsfalls vorgelegt werden. Daraufhin gab B durch seine Prozessbevollmächtigten u.a. an, dass die abgetretene Forderung aus einer Warenlieferung stamme.
Das FA verweigerte jedoch weiterhin die Auszahlung des abgetretenen Erstattungsbetrags und erließ einen entsprechenden Abrechnungsbescheid. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Das FA begründete seine Entscheidung damit, die Abtretungsanzeige sei nicht wirksam, weil es an der Angabe eines Abtretungsgrundes fehle.
Der von der Rechtsnachfolgerin des B ―der Klägerin― erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 5 veröffentlichtem Urteil stattgegeben.
Mit der Revision macht das FA die Verletzung materiellen Rechts geltend.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das Urteil des FG verstößt gegen Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) und ist auch im Ergebnis unzutreffend (§ 126 Abs. 4 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Abtretung wirksam sei.
1. a) Nach § 46 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) können Ansprüche auf Erstattung von Steuern abgetreten und verpfändet werden. Nach § 46 Abs. 3 AO 1977 ist die Abtretung der zuständigen Finanzbehörde unter Angabe des Abtretungsempfängers sowie der Art und Höhe des abgetretenen Anspruchs und des Abtretungsgrundes auf einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck anzuzeigen. Die Anzeige ist vom Abtretenden und vom Abtretungsempfänger zu unterschreiben. Die in § 46 Abs. 3 AO 1977 vorgeschriebene formalisierte Abtretungsanzeige soll zum einen die Abtretenden (Zedenten) davor schützen, ihre Erstattungsansprüche unüberlegt, zu unangemessenen Bedingungen oder an unseriöse Zessionare abzutreten, zum anderen den Schuldner, d.h. hier das FA, das aufgrund der Abtretungsanzeige an den Abtretungsempfänger (Zessionar) zahlt, von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Abtretenden freistellen (vgl. § 46 Abs. 5 AO 1977; Senatsurteile vom 22. März 1994 VII R 117/92, BFHE 174, 112, BStBl II 1994, 789, und vom 16. November 1993 VII R 23/93, BFH/NV 1994, 598, 600). Darüber hinaus soll die einheitliche Gestaltung des amtlichen Vordrucks dem FA die Bearbeitung der Erstattungsanträge erleichtern (Begründung der Bundesregierung, BTDrucks 7/2852, S. 47, und Senatsurteile vom 25. Juni 1985 VII R 195/82, BFHE 144, 2, 5, BStBl II 1985, 572, und vom 26. September 1995 VII R 29/95, BFH/NV 1996, 385, m.w.N.).
Die Abtretung der von § 46 Abs. 1 AO 1977 erfassten Ansprüche wird erst wirksam, wenn sie der Gläubiger in der in § 46 Abs. 3 AO 1977 vorgeschriebenen Form der zuständigen Finanzbehörde nach Entstehung des Anspruchs anzeigt (§ 46 Abs. 2 AO 1977). Die Abtretungsanzeige ist materielle Wirksamkeitsvoraussetzung und Tatbestandsmerkmal der Abtretung (vgl. Senatsurteil vom 6. Februar 1996 VII R 116/94, BFHE 179, 547, BStBl II 1996, 557). Abtretungsanzeigen, die nicht in allen Einzelheiten der amtlich vorgeschriebenen Form entsprechen oder bei denen der amtliche Vordruck unvollständig oder fehlerhaft ausgefüllt worden ist, machen die Abtretung jedoch nicht von vornherein unwirksam. Sie sind vielmehr als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen der Auslegung unter Beachtung des Empfängerhorizonts (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―) zugänglich, die sich an den vorstehend dargestellten Schutz- und Bearbeitungszwecken der Anzeige auszurichten hat, deren Erfüllung auch die formelle Wirksamkeit der Abtretungsanzeige bestimmt (vgl. Senatsurteile in BFHE 144, 2, BStBl II 1985, 572; vom 25. September 1990 VII R 114/89, BFHE 162, 202, BStBl II 1991, 201, und in BFH/NV 1996, 385). Nach diesen Vorgaben erachtet es die Rechtsprechung für notwendig, dass Zedent und Zessionar sowie die Art des abgetretenen Anspruchs aus der Abtretungsanzeige eindeutig erkennbar sein müssen (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 2000 VII R 104/98, BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491).
b) Diese von der Rechtsprechung geforderte Eindeutigkeit der Angaben bezieht sich allerdings nicht uneingeschränkt auf die Bezeichnung des Abtretungsgrundes. Vielmehr muss in erster Linie auf den Zweck abgestellt werden, den der Gesetzgeber mit dieser Angabe verfolgt. Ausweislich der Gesetzesbegründung steht die Frage nach dem Abtretungsgrund im Zusammenhang mit den Regelungen in § 46 Abs. 4 AO 1977 (vgl. die Gesetzesbegründung der Bundesregierung zu § 159 der Reichsabgabenordnung im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes in BTDrucks 7/2852, S. 47). Die Angaben zu dem Abtretungsgrund sollen danach dem FA die Möglichkeit zur schnellen und einfachen Prüfung eröffnen, ob eine Sicherungsabtretung vorliegt, die nach § 46 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 nur Bankunternehmen gestattet ist (Senatsurteile vom 23. Oktober 1985 VII R 196/82, BFHE 144, 526, BStBl II 1986, 124, und vom 30. August 1988 VII R 149/85, BFH/NV 1989, 210) und bei anderen Personen zur Nichtigkeit der Abtretung führt. Daneben dienen die Angaben zum Abtretungsgrund dazu, dem FA einen Hinweis darauf zu geben, ob es sich bei der Abtretung um einen geschäftsmäßigen Erwerb von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen handeln könnte, der gemäß § 46 Abs. 4 AO 1977 zur Nichtigkeit der Abtretung führen würde.
Die Angaben zu dem Abtretungsgrund können dem FA allerdings nur Anhaltspunkte geben, die Rückschlüsse auf die Geschäftsmäßigkeit der Abtretung ermöglichen und für das FA unter Umständen Anlass zu weiteren Ermittlungen sind. Es genügt daher nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats eine kurze stichwortartige Kennzeichnung des der Abtretung zugrunde liegenden schuldrechtlichen Lebenssachverhaltes (Senatsurteil vom 13. November 2001 VII R 107/00, BFHE 197, 5, BStBl II 2002, 402; ihm folgend das Schrifttum: Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 46 Rz. 19; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 46 AO 1977 Tz. 24; Kunz in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 46 AO 1977 Rz. 36; Boeker in Hübschmann/ Hepp/Spitaler ―HHSp―, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 46 AO 1977 Rz. 38).
2. a) An einer schlagwortartigen Bezeichnung des Abtretungsgrundes fehlt es jedoch im Streitfall. Die Angabe zum Abtretungsgrund in der Anzeige beschränkt sich auf eine Verneinung einer Sicherungsabtretung, was offenbar dadurch zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass das entsprechende Kästchen in dem Formular geschwärzt wurde. Eine weitergehende Beschreibung des Abtretungsgrundes erfolgte jedoch nicht. Das FA konnte demnach ―wie das FG insoweit zutreffend ausgeführt hat― aufgrund der ihm vorgelegten Abtretungsanzeige zumindest eindeutig ausschließen, dass der Steuererstattungsanspruch der Eheleute Y zur Sicherung an B abgetreten werden sollte. Offen und anhand der Abtretungsanzeige nicht nachprüfbar blieb für das FA, ob ein Fall des geschäftsmäßigen Erwerbs i.S. des § 46 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 gegeben ist. Dies hat zur Folge, dass die Anzeige an einem Formmangel leidet, der zur Unwirksamkeit der Abtretung führt (§ 46 Abs. 2 AO 1977).
b) Anders, als das FG meint, ergibt sich auch nicht aus den außerhalb der Abtretungsanzeige liegenden Umständen des Streitfalls, dass B den Steuererstattungsanspruch nicht geschäftsmäßig erwerben wollte.
Wie bereits oben (unter II. 1. a der Gründe) ausgeführt, handelt es sich bei der Abtretungsanzeige um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach § 133 BGB auslegungsfähig ist. Nach den zu dieser gesetzlichen Bestimmung entwickelten Rechtsgrundsätzen ist entscheidend, wie das FA als Erklärungsempfänger die Abtretungsanzeige nach ihrem objektiven Erklärungswert verstehen musste. Bei der Ermittlung des in der Abtretungsanzeige verkörperten Willens können allerdings nur solche Umstände berücksichtigt werden, die für das FA als Empfänger im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung erkennbar gewesen sind. Umstände, die erst nach Zugang der Erklärung zutage treten, können mithin keine Beachtung finden (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 3. Februar 2000 III R 4/97, BFH/NV 2000, 888; angedeutet in Senatsurteil vom 18. Februar 1997 VII R 117/95, BFH/NV 1997, 482; ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ―BGH―, z.B. Urteil vom 24. Juni 1988 V ZR 49/87, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1988, 2878, und vom 10. Juli 1998 V ZR 360/96, NJW 1998, 3268; vgl. auch Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., § 133 Rz. 6a; Mayer-Maly/Busche in Münchener Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 4. Aufl., § 133 Rdnr. 5).
Im Streitfall ist maßgebend, wie das FA die Abtretungsanzeige im Zeitpunkt ihres Zugangs, also am 17. September 1997, verstehen musste und ob zu diesem Zeitpunkt aus der Sicht eines objektiven Empfängers Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, die gegen einen geschäftsmäßigen Erwerb des Steuererstattungsanspruchs durch B gesprochen haben. Daran fehlt es. Umstände, aus denen das FA den Schluss hätte ziehen können, dass B den Erstattungsanspruch nicht geschäftsmäßig erwerben wollte, waren für das FA im Zeitpunkt des Zugangs der Abtretungsanzeige nicht erkennbar. Das FA hätte zu diesem Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles nicht überprüfen können, ob ein geschäftsmäßiger Erwerb i.S. von § 46 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 vorlag. Nicht zu berücksichtigen sind insoweit die Angaben der Prozessbevollmächtigten, mit denen sie den Abtretungsgrund im September 1999 näher erläuterten. Da das FA erst nach Zugang der Abtretungsanzeige hiervon Kenntnis erlangte, können diese Angaben bei der Auslegung der Abtretungsanzeige nicht mit einbezogen werden.
Der Senat braucht daher nicht darüber zu entscheiden, ob eine unvollständige oder fehlende Angabe zum Abtretungsgrund jedenfalls dann der Form des § 46 Abs. 3 AO 1977 genügt, wenn sich aus den Umständen des Falles kein Hinweis auf einen unzulässigen geschäftsmäßigen Erwerb ergibt (so Boeker in HHSp, a.a.O., § 46 AO 1977 Rz. 38; Tipke/Kruse, a.a.O., § 46 AO 1977 Tz. 24; Schwarz, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 46 Anm. 12a; kritisch dazu: Senatsurteil in BFHE 162, 202, BStBl II 1991, 201; ablehnend: Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 46 AO 1977 Rz. 19; Kunz in Beermann, a.a.O., § 46 AO 1977 Rz. 36 a.E.; Hoffmann in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 46 Rz. 7). Ebenso kann offen bleiben, ob außerhalb der Abtretungsanzeige liegende, dem FA jedoch bekannte Umstände, die einen geschäftsmäßigen Erwerb ausschließen, bei der Beurteilung der Formwirksamkeit einer Abtretungsanzeige berücksichtigt werden können, wenn die Angabe des Abtretungsgrundes unvollständig ist oder fehlt.
c) An der Unwirksamkeit der Abtretung ändert auch die nachträgliche Bezeichnung des Abtretungsgrundes durch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin nichts. Denn die nach § 46 Abs. 3 AO 1977 geforderten Angaben können nicht nachgeholt werden. Dies gilt hinsichtlich des Abtretungsgrundes zumindest auch dann, wenn ―wie im Streitfall― die Bezeichnung des Abtretungsgrundes gänzlich fehlt.
Die vollständige Abtretungsanzeige lässt nämlich nicht nur die Abtretung erst wirksam werden, sondern bestimmt auch deren Rang gegenüber anderen Zessionaren (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 46 AO 1977 Tz. 27, m.w.N.). So ist bei mehrfacher Abtretung eines Steueranspruchs nur die zuerst angezeigte Abtretung wirksam (vgl. Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 46 AO 1977 Rz. 19, m.w.N.). Eine nachträgliche Ergänzung der Abtretungsanzeige um die in § 46 Abs. 3 AO 1977 geforderten Angaben mit Wirkung ex tunc zuzulassen, würde diese Rangfolge verletzen und die übrigen Zessionare, die eine formgerechte Anzeige eingereicht haben, unangemessen benachteiligen. Allenfalls kann im Einzelfall angenommen werden, dass mit der nachträglichen Ergänzung der Angaben die Abtretung dem FA erneut angezeigt werden soll, mit der Folge, dass die Abtretung erst ab diesem Zeitpunkt Wirksamkeit erlangen kann. Dies verhilft im Streitfall der Abtretung jedoch nicht zu ihrer Wirksamkeit, da der Einkommensteuer-Erstattungsanspruch aus 1996 spätestens durch die Aufrechnung des FA im Mai 1999 erloschen ist, mithin im Zeitpunkt der nachträglichen Ergänzung der Anzeige um den Abtretungsgrund (September 1999) nicht mehr abgetreten werden konnte.
3. Die aufgrund fehlender formgerechter Anzeige unwirksame Abtretung ist ―entgegen der Auffassung des FG und der Klägerin― nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) als wirksam zu behandeln.
Der Grundsatz von Treu und Glauben ist zwar ein in allen Rechtsgebieten allgemein anerkannter Grundsatz (§ 242 BGB), der auch im Steuerrecht gilt. Mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist insbesondere ein widersprüchliches Verhalten; das Verbot des "venire contra factum proprium" gilt auch im Steuerrecht (BFH-Urteil vom 16. April 1997 XI R 66/96, BFH/NV 1997, 738).
Ob der Grundsatz von Treu und Glauben auch im Zusammenhang mit steuerrechtlichen Formvorschriften Anwendung finden kann, kann indes offen bleiben. Insbesondere kann dahingestellt bleiben, ob eine aufgrund fehlender formgerechter Anzeige unwirksame Abtretung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben als wirksam behandelt werden kann (so Urteile des FG Baden-Württemberg vom 25. April 1986 IX 560/81 (IV 280/81), EFG 1986, 531, und des Hessischen FG vom 24. Februar 1994 13 K 4708/92, EFG 1994, 774; ablehnend: BFH-Urteil vom 24. März 1983 V R 8/81, insoweit nicht veröffentlicht; offen gelassen: Urteil des FG Baden-Württemberg vom 2. Dezember 1997 1 K 150/97, EFG 1998, 343, m.w.N.). Auch wenn man nämlich zu Gunsten der Klägerin ―und im Einklang mit der Vorentscheidung― davon ausgeht, dass die Berufung auf einen Formmangel im Einzelfall treuwidrig sein kann, hätte das FA im Streitfall jedenfalls nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen.
a) Das FG hat ein treuwidriges Verhalten des FA darin gesehen, dass dieses von B zunächst ―in der irrigen Annahme, es liege eine Sicherungsabtretung vor― Angaben zum Sicherungsgrund verlangt hat, dass sich das FA dann jedoch auf mangelhafte Angaben zu dem Abtretungsgrund berufen hat, obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits erkannt hatte, dass der Abtretung (materiell-rechtlich) nur das Verbot geschäftsmäßigen Erwerbs von Steuerforderungen gemäß § 46 Abs. 4 AO 1977 entgegenstehen könnte, dieses Verbot der Abtretung jedoch im Streitfall nicht entgegensteht, dass es also die für die Prüfung nach § 46 Abs. 4 AO 1977 bestimmten Angaben gar nicht (mehr) benötigte, ihr Fehlen aber gleichwohl beanstandete. Das FG sieht hierin ein widersprüchliches Verhalten, welches umso schwerer wiegen soll, je später das FA dem Steuerpflichtigen mitteile, dass es die Abtretung als unwirksam ansehe.
Diese Überlegungen vermögen nicht zu überzeugen. Ob die einschlägigen Rechtsvorschriften beachtet sind, ist in jeder Lage des Verfahrens auch noch im Einspruchsverfahren und ggf. sogar vom FG im Klageverfahren zu prüfen. Kommt das FA dabei zu neuen Erkenntnissen (hier: dass es sich nicht um eine Sicherungsabtretung handelt, dass jedoch die fehlende Angabe zum Abtretungsgrund die Abtretung unwirksam macht), so ist es grundsätzlich nicht gehindert, aus solchen Erkenntnissen die gebotenen rechtlichen Folgerungen zu ziehen. Das gilt unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt es zu der zutreffenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage gelangt. Ein unter dem Gesichtspunkt des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens treuwidriges Vorgehen kann darin im Einzelfall allenfalls dann gesehen werden, wenn das FA die Pflicht hatte, die Sach- und Rechtslage frühzeitiger abschließend zu prüfen, und es durch einen dem Betroffenen dementsprechend erteilten rechtlichen Hinweis Nachteile von diesem hätte abwenden müssen, die jetzt eingetreten sind, weil es dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist.
So liegt es im Streitfall indes nicht.
Die die Erwägungen des FG offenbar bestimmende ―an einer Stelle zwar ausdrücklich verworfene (Urteilsabdruck Bl. 15), aber dennoch zur Grundlage seiner Erwägungen zu Treu und Glauben gemachte (Bl. 14)― Annahme, das FA müsse die Formgültigkeit einer ihm vorgelegten Abtretungsanzeige prüfen und den Anzeigenden ggf. auf Mängel der Abtretungsanzeige hinweisen, entbehrt unter den Umständen des Streitfalls einer ausreichenden rechtlichen Grundlage. Das FG scheint seine diesbezüglichen rechtlichen Annahmen auf die §§ 88 und 89 AO 1977 stützen zu wollen. Um die Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 88 AO 1977 geht es allerdings zunächst nicht, weil ungeachtet derselben die Wirksamkeit der Abtretung im Streitfall schon an den formellen Mängeln der Abtretungsanzeige scheitert. Eine Verpflichtung, auf diese hinzuweisen, könnte sich allenfalls aus § 89 AO 1977 ergeben. Danach soll die Finanzbehörde u.a. die "Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind". Diese Vorschrift kommt der Klägerin indes zumindest im Ergebnis nicht zu Hilfe:
Die zahlreichen Zweifelsfragen, welche die Anwendung dieser Vorschrift im Streitfall im Hinblick auf ihren Tatbestand wie auf die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen sie aufwürfe, bedürfen keiner Vertiefung und Entscheidung. Denn das FA hat gegen § 89 AO 1977 jedenfalls deshalb nicht verstoßen, weil es nach Eingang der Abtretungsanzeige des B zunächst überhaupt keinen Anlass hatte, diese näher zu prüfen, nachdem der abgetretene Anspruch ohnehin erst noch der Festsetzung bedurfte. Ob und ggf. an wen dieser Anspruch abgetreten worden sein mochte, war also für das FA zunächst ohne Belang. Deshalb konnte von ihm schwerlich erwartet werden, dass es sich nach Eingang der Abtretungsanzeige mit dieser überhaupt näher beschäftigte. Eine Prüfung der Abtretungsanzeige allein um des Interesses der Klägerin bzw. des B willen, etwaige Mängel derselben möglichst umgehend beseitigen zu können und einer sonst möglicherweise drohenden anderweitigen Verwertung der abgetretenen Forderung dadurch zuvorkommen zu können, folgt aus § 89 AO 1977 nicht. Die Notwendigkeit, sich über die Wirksamkeit der ersten Abtretungsanzeige schlüssig zu werden, konnte sich für das FA überhaupt erst ergeben, als der abgetretene Einkommensteuer-Erstattungsanspruch 1999 festgesetzt wurde. Dabei hat das FA den festgesetzten Erstattungsanspruch zur Tilgung bislang unbefriedigter Steueransprüche verwendet. Es musste nicht der Klägerin die Möglichkeit geben, die Verrechnung dadurch zu vereiteln, dass sie einer bislang unwirksamen Abtretung des betreffenden Anspruches doch noch rechtzeitig zur Wirksamkeit verhelfe.
Eine Vervollständigung der Abtretungsanzeige bzw. die Abgabe einer erneuten formgerechten Abtretungsanzeige hätte der hier streitigen Abtretung des Steuererstattungsanspruches der Eheleute Y an B im Übrigen nur dann zur Wirksamkeit verhelfen können, wenn das FA die Abtretungsanzeige unmittelbar nach Eingang überprüft und B auf ihre Mängel hingewiesen hätte. Denn nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO), die von der Revision auch nicht angegriffen worden sind, war der Einkommensteuer-Erstattungsanspruch aus 1996 von den Eheleuten Y alsbald ―nach der (zumindest zunächst unwirksamen) Abtretung― an die V-Bank abgetreten worden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Anzeige über die Abtretung des Anspruchs an die V-Bank, die am 7. Oktober 1997 beim FA einging, der nach § 46 Abs. 3 AO 1977 geforderten Form entsprach, weil ―nach den Feststellungen des FG― in dieser auch der Abtretungsgrund ausdrücklich bezeichnet war. B hätte folglich nur bis zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt, die Fehlerhaftigkeit der Anzeige der Abtretung mit heilender Wirkung zu korrigieren. Eine spätere ―vollständige― Abtretungsanzeige des B hätte aufgrund des Rangverhältnisses als gegenüber der Abtretung desselben Anspruchs an die V-Bank nachrangig behandelt werden müssen. Sie hätte allenfalls dann Bedeutung erlangen können, wenn es sich, was das FG allerdings nicht festgestellt hat, bei der Abtretung an die V-Bank um eine bloße Sicherungsabtretung gehandelt haben sollte und die Bedingungen der mit der V-Bank getroffenen Sicherungsabrede nicht eingetreten wären.
b) Für die Entscheidung des FG scheinen allerdings weder die Annahme einer Hinweis- und Belehrungspflicht des FA noch der gegen dieses erhobene Vorwurf treuwidrigen Verhaltens allein ausschlaggebend gewesen zu sein. Vielmehr meint das FG offenbar, etwas aus dem nicht "drittschützenden" Charakter des § 46 Abs. 3 AO 1977 herleiten und dem bei Missachtung dieser Vorschrift eintretenden Vorrang der Abtretung des nämlichen Anspruches an andere ―hier z.B.: an die V-Bank und etwaige weitere Zessionare― mit dem Hinweis auf § 46 Abs. 5 AO 1977 begegnen zu können. Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen.
Nach der Rechtsprechung des Senats fehlt einer dem FA nicht formwirksam angezeigten Abtretung von steuerlichen Ansprüchen, wie ausgeführt, jede, auch die zivilrechtliche Wirksamkeit. Auch wenn das Fehlen oder die Mängel der Angaben zum Abtretungsgrund für die Handhabung des FA ohne Folgen geblieben sind ―z.B. weil dieses wie im Streitfall in der Annahme, es handele sich um eine Sicherungsabtretung, das Fehlen der erforderlichen Angaben zum Abtretungsgrund gar nicht bemerkt und später, als es sie bemerkt hat, über den Abtretungsgrund ausreichend anderweit unterrichtet war―, müssen sich deshalb konkurrierende Zessionare diese Umstände nicht entgegenhalten lassen, sondern können sich auf den Vorrang ihres Rechtes ungeachtet dessen berufen, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt das FA Kenntnis von der materiell-rechtlichen Zulässigkeit der Abtretung (kein geschäftsmäßiger Erwerb außer bei einer Sicherungsabtretung an eine Bank) erlangt hat. Ein Verständnis des Gesetzes nämlich, das den Rang des Verwertungsrechtes konkurrierender Zessionare von den ihnen in der Regel unbekannten und zudem in ihrer Bewertung im Allgemeinen ungewissen Kenntnissen des FA über die Geschäftsmäßigkeit dessen Erwerbs und dergleichen abhängig machen würde, würde die Zuweisung des abgetretenen Rechts in einem unerträglichen Maße unsicher machen. Dass eine solche Unsicherheit auch durch das Erfordernis einer förmlichen Abtretungsanzeige nicht stets ausgeschlossen werden kann und deshalb § 46 Abs. 5 AO 1977 das FA vor deren Folgen schützt, ändert nichts daran, dass diese Unsicherheit nach dem Willen des Gesetzes durch die Abtretungsanzeige so weit wie möglich ausgeschaltet werden soll.
Auch wo ein solches Konkurrenzverhältnis ―wie offenbar unbeschadet der mehrfachen Abtretung der strittigen Steuererstattungsforderung im Streitfall― nicht inmitten liegt, sondern es allein um die Aufrechnungsbefugnisse des FA geht, kann ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 AO 1977 ebenfalls nicht als rechtsfolgelos behandelt werden, sobald das FA von dem Abtretungsgrund anders als durch die Anzeige Kenntnis erhalten hat, worauf die Überlegungen des FG indes hinauslaufen, wenn man von deren Verquickung mit der, wie ausgeführt, nicht tragfähigen Annahme eines treuwidrigen, weil widersprüchlichen Verhaltens des FA und der Missachtung seiner Belehrungspflicht absieht. Es liegt schon auf der Hand, dass eine solche Handhabung der Vorschrift weitgehend ihre Bedeutung nehmen würde. Vor allem aber gilt insofern sinngemäß das Gleiche wie eben mit Blick auf die Konkurrenz mehrerer Zessionare ausgeführt: es würde dem Anliegen des Gesetzes, durch das Verlangen einer formalisierten Abtretungsanzeige, Klarheit über die Rechtszuständigkeit einer Forderung unerträglich widersprechen, bei der Beantwortung der Frage, ob eine Forderung noch dem Zedenten zusteht oder an einen Dritten wirksam abgetreten worden ist ―so dass sie das FA unter Umständen mit einer Steuerforderung gegen jenen nicht mehr verrechnen kann―, nicht auf den Inhalt und die Form der vom Gesetz vorgeschriebenen Anzeige abzustellen, sondern auf die möglicherweise erst durch eigens anzustellende Ermittlungen und unter Umständen schwierige rechtliche Bewertungen festzustellende ausreichende Kenntnis des FA, dass Umstände, die ein Abtretungsverbot nach § 46 Abs. 4 AO 1977 zur Folge haben, nicht gegeben sind.
Im Übrigen hat im Streitfall das FA nach den Feststellungen des FG erst nach der Verrechnung der Einkommensteuererstattung Kenntnis davon erlangt, dass der Abtretung an B materiell-rechtlich nichts entgegenstand. Inwiefern dies der bereits vollzogenen Verrechnung nachträglich den Boden entziehen könnte, wie das FG im Ergebnis anzunehmen scheint, wäre nicht leicht nachvollziehbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1301171 |
BFH/NV 2005, 394 |
BStBl II 2005, 238 |
BFHE 2005, 1 |
BFHE 208, 1 |
BB 2005, 314 |
DStRE 2005, 220 |
DStZ 2005, 96 |
HFR 2005, 289 |