Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der finanzgerichtlichen Ermittlungspflicht; unzulässige Vorwegnahme einer Beweiswürdigung
Leitsatz (NV)
Verletzung der finanzgerichtlichen Ermittlungspflicht und unzulässiges Absehen von einer Beweisaufnahme liegen vor, wenn das FG eine Partei- und Zeugenvernehmung mit der Begründung unterläßt, daß die entsprechenden Aussagen nicht imstande sein würden, die gerichtliche Überzeugung zu erschüttern.
Normenkette
AO 1977 § 41; FGO §§ 76, 126 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klin. hatte mit ihrem Sohn am 28. Dezember 1965 einen notariell beurkundeten Erbvertrag abgeschlossen, nach dessen Inhalt der Sohn ihr seine Beteiligung an der X-OHG vermächtnisweise zuwandte. Der Sohn starb am 14. April 1976. Er wurde von seinen Söhnen A und B je zur Hälfte beerbt. Am 6. August 1976 schloß die Klin. mit ihrem Enkel A einen notariell beurkundeten Abtretungsvertrag. In dessen Vorspann wird auf die Unmöglichkeit schlichter Ausschlagung zugunsten nur eines Erben verwiesen. Anschließend tritt die Klin. ihren Vermächtnisanspruch an den Enkel A ab.
Mit Bescheid vom 5. Juli 1979 setzte das FA gegen die Klin. wegen des Vermächtniserwerbs . . . DM ErbSt fest. Zur Begründung der Klage, mit der die Klin. die Aufhebung der Steuerfestsetzung begehrt, führt sie aus: Die Personen, die den Erbvertrag geschlossen hätten, seien zusammen mit dem Enkel A mündlich einig gewesen, daß die Gesellschaftsbeteiligung unmittelbar vom Sohn auf den Enkel übergehen sollte. Zum Beweis legte die Klin. eine Stellungnahme des beurkundenden Notars vor, die im wesentlichen Teil folgenden Inhalt hat: ,,Frau . . . hat mit den in der genannten Urkunde (gemeint ist die Abtretungsvereinbarung) abgegebenen Erklärungen lediglich dem mehrfach in meiner Gegenwart geäußerten Willen des Erblassers D entsprochen, daß seine Beteiligung am Unternehmen der X-OHG nach seinem Tode nicht seiner Mutter, sondern unmittelbar seinem Sohn A zufallen solle. Ich habe Herrn D seinerzeit darauf hingewiesen, daß zur Verwirklichung dieses seines Willens die Änderung des bestehenden Erbvertrages aus dem Jahr 1965 erforderlich sei. Herr D wollte diese Änderung vornehmen, sobald die damals in Aussicht genommene Teilübertragung seiner Beteiligung zu Lebzeiten an seinen Sohn A vollzogen sein würde. Darüber ist dann Herr D verstorben. . . ."
Das FG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es liege kein formungültiges Rechtsgeschäft des Erblassers vor; denn dieser habe - wie sich aus der Erklärung des Notars ergebe - nur die Absicht der Änderung des Erbvertrags gehabt. Das FG erklärt sich für überzeugt, daß der Erblasser, der von der Formbedürftigkeit der Aufhebung bzw. Änderung des Erbvertrages gewußt habe, nicht im Vorgriff hierauf eine formungültige Aufhebung des Erbvertrages mit der Klin. vereinbart habe. Es führt wörtlich aus: ,,Die diesbezügliche Überzeugung des Gerichts ist so stark, daß sie auch nicht durch eine gegenteilige Aussage der Klin. als Partei und des A als Zeuge zu erschüttern wäre."
Mit der Revision verfolgt die Klin. ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt Verletzung von § 41 AO 1977 sowie der finanzgerichtlichen Ermittlungspflicht.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klin. ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das finanzgerichtliche Urteil ist deshalb aufzuheben, weil das FG der ihm obliegenden Ermittlungspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen ist und die erforderliche Beweisaufnahme deshalb unterlassen hat, weil es sie - ohne ihr Ergebnis zu kennen - als nicht geeignet ansah, die Überzeugung des Gerichts zu erschüttern. Darin liegt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung.
Fundstellen
Haufe-Index 413788 |
BFH/NV 1985, 41 |