Leitsatz (amtlich)
Halten sich Ehegatten insgesamt etwa fünf bis sechs Wochen jährlich mit Unterbrechungen ausschließlich zu Erholungszwecken in einem der Ehefrau gehörenden Einfamilienhaus auf, so begründen sie dort keinen Wohnsitz im Sinne des § 13 StAnpG.
Normenkette
StAnpG § 13; StPräfG vom 4. Juli 1955 § 1 Abs. 1
Tatbestand
Die Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen) sind Eheleute. Ihren gemeinsamen Wohnsitz haben sie in Berlin (West), wo sie seit 1953 ununterbrochen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Die Ehefrau ist Eigentümerin eines in den Jahren 1957/58 in der Gemeinde P. (Schwarzwald) errichteten Einfamilienhauses, bestehend aus Keller- und Obergeschoß. Im Kellergeschoß befindet sich ein Heizungsraum, ein Kellerraum und ein Tochterzimmer. Das Obergeschoß besteht aus je einem Wohnund Schlafzimmer, Küche und Bad. Sämtliche Räume waren im Streitjahr 1960 ihrem bestimmungsgemäßen Zweck entsprechend eingerichtet. Das Haus enthält eine Ölheizung, die auch Warmwasser liefert. Der Anschluß an die örtliche Kanalisation erfolgte 1962. Bis dahin war das Gebäude an eine Klärgrube angeschlossen.
Das Grundstück, auf dem sich das Haus befindet, gehörte bis 1953 der Gemeinde P. Der Verkauf - zu einem sehr niedrigen Kaufpreis - war unter der Bedingung erfolgt, daß das Grundstück innerhalb von drei Jahren bebaut werde. Diese Frist wurde zunächst um ein Jahr verlängert. Daran anschließend verlangte die Gemeinde jedoch die Rückübertragung des Grundstücks zum Zwecke der anderweitigen Verwendung als Baugelände. Um dies zu verhindern, wurde 1957 das besagte Einfamilienhaus errichtet.
Die Steuerpflichtigen haben sich im Streitjahr ebenso wie in den Vorjahren in diesem Haus nur während einer verhältnismäßig kurzen Zeit - mit Unterbrechungen etwa jährlich fünf bis sechs Wochen - aufgehalten, und zwar ausschließlich zu Erholungszwecken.
Der Revisionskläger (FA) sah das Einfamilienhaus in P. als Wohnsitz der Steuerpflichtigen im Bundesgebiet an und hielt daher die Voraussetzungen des § 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des EStG in der Fassung vom 21. Dezember 1954, des KStG vom 21. Dezember 1954 und des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe "Notopfer Berlin" vom 4. Juli 1955 (Berliner Steuerpräferenzgesetz - StPräfG -) - BGBl I 1955, 384, BStBl I 1955, 245 - nicht für gegeben. Er versagte den Abzug der Steuerpräferenz.
Der Einspruch der Steuerpflichtigen blieb ohne Erfolg.
Auf die Berufung der Steuerpflichtigen setzte das FG die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Berlin-Präferenz fest und legte die Kosten des Verfahrens dem FA auf.
Das FG geht zunächst davon aus, daß es schon zweifelhaft sein könne, ob das bescheiden eingerichtete Haus für einen Kaufmann, dessen Einkünfte im Streitjahr über 198 000 DM betragen haben, überhaupt eine Wohnung darstelle, wie sie den Vorstellungen und dem Lebenszuschnitt des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau entspreche. Es ließ diese Frage jedoch dahingestellt, denn selbst wenn man eine solche Wohnung annehme, so habe sie doch den Steuerpflichtigen nicht dadurch als Bleibe gedient, daß diese sie ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt haben. Die Beibehaltung der Wohnung für längere Zeit (vgl. Urteil des BFH VI 236/62 U vom 24. April 1964, BFH 79, 626, BStBl III 1964, 462) sei jedenfalls für das Streitjahr nach den Gesamtumständen nicht erkennbar. Das Haus sei auch nicht errichtet worden, um es zu einem zweiten Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Steuerpflichtigen in familiärer oder in beruflicher Hinsicht zu machen, sondern ausschließlich deshalb, um zu verhindern, daß das preiswert erworbene Baugrundstück an den Veräußerer zurückübertragen werden muß. Im Hinblick auf diese besonderen Verhältnisse könne nicht aus der massiven Bauweise des Hauses auf die Absicht der Steuerpflichtigen geschlossen werden, die Wohnung ständig oder doch für längere Zeit zu benutzen, denn wenn die Steuerpflichtigen schon zum Bauen gezwungen gewesen seien, so sei es ihnen nicht zuzumuten gewesen, nur provisorisch - und damit im Ergebnis unwirtschaftlich - zu bauen. Dem Fehlen dieser auf eine länger dauernde Benutzung eines Gebäudes gerichteten Absicht entspreche auch die tatsächliche Handhabung durch die Steuerpflichtigen. Beide seien nur verhältnismäßig kurze Zeit in P. gewesen.
Unter diesen besonderen Umständen könne daher von einer Wohnsitzbegründung keine Rede sein.
Mit der gemäß § 184 FGO als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde rügt das FA die unrichtige Anwendung des § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPräfG in Verbindung mit § 13 StAnpG. Es beantragt die Aufhebung der Vorentscheidung, die Zurückweisung der Berufung und die Festsetzung des Streitwerts auf 4 756 DM.
Schon die Höhe der Baukosten - annähernd 100 000 DM in den Jahren 1957/58 - lasse darauf schließen, daß das Haus in P. mehr als nur die Mindestvoraussetzungen einer Wohnung erfülle. Dies ergebe sich auch aus der eigenen Erklärung des Ehemannes sowie aus den Bekundungen der vernommenen Zeugen. Diese Wohnung habe aber auch den Steuerpflichtigen als Bleibe gedient, denn beide hätten zwar nicht ständig - was auch nicht erforderlich sei -, wohl aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit von der Wohnmöglichkeit Gebrauch gemacht. Daß dies ausschließlich zu Erholungszwecken geschehen sei und daß keine Absicht bestanden habe, das Haus zu einem gesellschaftlichen und beruflichen Mittelpunkt zu machen, könne an der rechtlichen Beurteilung nichts ändern. Auf die Dauer der einzelnen Aufenthalte der Steuerpflichtigen in dem Haus bzw. auf die Gesamtdauer der Benutzung in einem Jahr könne es, wenn alle übrigen Wohnsitzvoraussetzungen erfüllt seien, nicht entscheidend ankommen, zumal die entsprechenden Feststellungen ohne ein tiefes Eindringen in die persönliche Sphäre der Steuerpflichtigen häufig gar nicht zu treffen seien.
Die Steuerpflichtigen beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 StPräfG ermäßigt sich die veranlagte Einkommensteuer, soweit sie auf bestimmte Einkünfte aus Berlin (West) entfällt, bei denjenigen natürlichen Personen um 20 v. H., die seit mindestens vier Monaten vor dem Ende des Veranlagungszeitraums ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) haben. Die Steuerpflichtigen konnten im Streitjahr diese Steuerpräferenz in Anspruch nehmen, denn sie hatten seit mindestens vier Monaten vor dem Ende des Veranlagungszeitraums ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West).
Zu Recht hat die Vorinstanz angenommen, daß die Steuerpflichtigen im Streitjahr in P. keinen Wohnsitz hatten.
In den Urteilen VI 236/62 U (a. a. O.) und IV 29/64 U vom 4. Juni 1964 (BFH 80, 169, BStBl III 1964, 535) hat der BFH in ähnlich gelagerten Fällen zusammenfassend unter Berücksichtigung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage des Wohnsitzes im Sinne des § 13 StAnpG Stellung genommen. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt, daß das Einfamilienhaus der Ehefrau in P. als Wohnung der Steuerpflichtigen angesehen werden muß, denn es besteht aus mehreren Räumen, die zum Wohnen geeignet sind und - zumindest als Zweitwohnung - den Verhältnissen der Steuerpflichtigen entsprechen. Auch die Voraussetzung des "Innehabens" dieser Wohnung im Sinne des § 13 StAnpG erfüllten die Steuerpflichtigen im Streitjahr, denn sie konnten über diese Wohnung tatsächlich verfügen.
Gleichwohl kann das Einfamilienhaus nicht als Wohnsitz der Steuerpflichtigen angesehen werden, denn es diente ihnen nicht als Bleibe. Weder benutzten sie es im Streitjahr ständig noch suchten sie es mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf (vgl. Urteile des RFH III A 143/36 vom 24. September 1936, RStBl 1936, 997, und VI A 631/36 vom 10. März 1937, RStBl 1937, 498). Vielmehr verweilten sie nur gelegentlich während unregelmäßig aufeinanderfolgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken in diesem Haus. Dies allein rechtfertigt nicht die Annahme eines Wohnsitzes im Sinne des § 13 StAnpG.
Da die Frage der Wohnsitzbegründung nur nach den Verhältnissen des jeweiligen Streitjahres beurteilt werden kann (vgl. BFH-Urteil VI 236/62 U, a. a. O.), muß die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse in den Folgejahren unberücksichtigt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO.
Fundstellen
BStBl II 1968, 439 |
BFHE 1968, 5 |