Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerb eines Grundstücks im Zustand der Bebauung
Leitsatz (NV)
Für die Steuerbefreiung nach § 1 Nr. 4 (des früher geltenden) GrEStWoBauG NW kommt es nicht auf die Gründe an, die für die Nichtvollendung des Bauwerks durch den Veräußerer maßgeblich waren. Nicht mehr begünstigungsfähig sind Fälle, in denen es sich um objektiv nahezu abgeschlossene Baumaßnahmen handelt, für die durch Zusammenwirken der Beteiligten ,,der Zustand der Bebauung" im Grunde nur vertraglich herbeigeführt wird.
Normenkette
GrEStWoBauG NW § 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 20. Januar 1981 verpflichtete sich die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zur Übertragung des Eigentums an einem (unbebauten Acker-)Grundstück auf die A-GmbH (GmbH). Die GmbH verpflichtete sich ihrerseits zur Übertragung des Eigentums an einem noch zu bildenden (Teil-)Grundstück. Sie verpflichtete sich darüber hinaus zur Zahlung von 226 800 DM an die Klägerin, die bis zum 30. September 1981 zinslos gestundet wurden. Die Begleichung der Zahlungsverpflichtung der GmbH sollte nach dem Vertrag vom 20. Januar 1981 dadurch erfolgen, daß die GmbH für die Klägerin auf dem von dieser erworbenen (Teil-) Grundstück die Rohbauten für zwei Einfamilienhäuser nebst Garagenrohbauten errichtete. Für diese Bebauung lag eine konkrete Bauplanung vor. Die zur Errichtung der Gebäude erforderlichen Leistungen der GmbH sollten mit dem Zahlungsanspruch der Klägerin verrechnet werden, zusätzlich sollte die Klägerin 15 000 DM zahlen. Die Gebäude wurden zum . . . 1982 bezugsfertig errichtet und am 10. Januar 1983 als steuerbegünstigt anerkannt.
Die Klägerin beantragte für den Grundstückserwerb Steuerbefreiung nach § 1 Nr. 1 des damals geltenden nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG). Das beklagte Finanzamt (FA) stellte den Erwerb zunächst steuerfrei und erteilte die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Durch Steuerbescheid vom 21. März 1983 setzte das FA jedoch Grunderwerbsteuer in Höhe von 21 569 DM gegen die Klägerin fest. Die Klägerin habe kein unbebautes Grundstück, sondern ein mit einem noch zu errichtenden Rohbau bebautes erworben. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Einspruchsverfahren führte zur Erhöhung der Grunderwerbsteuer auf 22 619 DM.
Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machte die Klägerin in erster Linie geltend, daß sie ein unbebautes Grundstück erworben habe. Sie sei Bauherrin des Vorhabens gewesen. Zumindest sei ihr Steuerbefreiung nach § 1 Nr. 4 GrEStWoBauG für den Erwerb von Objekten im Zustand der Bebauung zu gewähren.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Gegenstand des Erwerbsvorgangs sei das Grundstück mit den noch zu errichtenden Rohbauten gewesen. Für diesen Erwerbsvorgang lägen die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 1 Nr. 4 GrEStWoBauG vor. Diese Steuerbefreiung sei nicht beschränkt auf den Erwerb von wegen Erschöpfung der finanziellen Mittel des Veräußerers steckengebliebenen Bauten.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 1 Nr. 4 GrEStWoBauG.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Nach § 1 Nr. 4 GrEStWoBauG ist von der Besteuerung ausgenommen u. a. der Erwerb eines Grundstücks, das sich im Zustand der Bebauung befindet, zur Fertigstellung von Gebäuden, die den Erfordernissen der Begünstigung des sozialen Wohnungsbaus entsprechen. Vor dem Beginn der Bebauung muß es sich um ein unbebautes Grundstück gehandelt haben. Im ,,Zustand der Bebauung" befindet sich ein Grundstück dann, wenn mit der Bebauung zwar begonnen, diese aber noch nicht zur bezugsfertigen Errichtung des Gebäudes geführt hat. Maßgebend für die Beurteilung ist aber grundsätzlich nicht der objektive Zustand des Grundstücks zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern der Zustand, in dem das Grundstück Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. April 1983 II R 53/81, BFHE 138, 476, BStBl II 1983, 606; zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs vgl. Urteil vom 18. Oktober 1989 II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181). Dies findet seine Grenze allerdings darin, daß die Parteien einen bereits bestehenden objektiven Zustand (z. B. Bezugsfertigkeit) nicht durch vertragliche Vereinbarung wieder ,,abändern" können (vgl. BFH-Entscheidung vom 2. Februar 1977 II R 169/75, BFHE 121, 538, BStBl II 1977, 437). Der vertraglich vereinbarte Gegenstand des Erwerbsvorgangs muß insoweit mit dem (später) tatsächlich verwirklichten Sachverhalt übereinstimmen.
Auf die Gründe, die für die Nichtvollendung des Bauwerks durch den Veräußerer maßgeblich waren, kommt es dagegen - wovon das FG im Ergebnis zutreffend ausgeht - nicht an. Der Gesetzgeber hat den Begriff ,,im Zustand der Bebauung" nicht näher erläutert. Zur Auslegung kann auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift herangezogen werden. Maßgeblich ist jedoch der objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er im Gesetz selbst seinen Niederschlag gefunden hat. Eine Einschränkung der Steuerbefreiung, die auf den Grund der Nichtfertigstellung durch den Veräußerer abstellt, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift weist allenfalls darauf hin, daß die Förderung des Erwerbs nichtfertiggestellter Objekte, die aus finanziellen Gründen des Veräußerers steckengeblieben sind, auslösendes Moment für die Schaffung der Befreiuungsvorschrift war, nicht aber daß die vorgeschlagene Befreiung auf diese Fälle beschränkt werden sollte (vgl. zu den Gesetzesmaterialien die Darstellung in BFHE 121, 538, BStBl II 1977, 437). Eine aus allenfalls andeutungsweise erkennbaren gesetzgeberischen Motiven abgeleitete allgemeine Einschränkung der Befreiungsvorschrift ließe sich auch nicht mit dem Grundsatz vereinbaren, daß gerade die früheren landesrechtlichen Grunderwerbsteuerbefreiungen zugunsten des Wohnungsbaus nicht eng auszulegen waren (vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 1967 II R 68/63, BFHE 88, 567, BStBl III 1967, 493).
Nicht mehr begünstigungsfähig sind allerdings Fälle, in denen es sich um objektiv nahezu abgeschlossene Baumaßnahmen handelt, für die durch Zusammenwirken von Veräußerer und Erwerber ,,der Zustand der Bebauung" im Grunde nur vertraglich herbeigeführt wird (vgl. BFHE 121, 538, BStBl II 1977, 437). Eine Steuerbefreiung auch für diese Fälle würde einer vom Gesetzgeber gerade nicht gewollten Begünstigung des Handels mit fertigen Wohngebäuden gleichkommen.
2. Im vorliegenden Fall tragen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht die von ihm getroffene Entscheidung. Diese ist daher aufzuheben.
Der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht nicht aus, um den Rechtsstreit abschließend zu entscheiden. Nicht festgestellt ist insbesondere bisher, ob die Klägerin tatsächlich das Erwerbsobjekt selbst fertiggestellt hat. Darüber hinaus sind Feststellungen darüber zu treffen, ob nicht eine - nicht mehr begünstigungsfähige - nahezu abgeschlossene Baumaßnahme vorgelegen hat. Die Sache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 416991 |
BFH/NV 1991, 59 |