Entscheidungsstichwort (Thema)
Wert-, Art- und Zurechnungsfeststellungen als jeweils selbständig anzufechtende Verwaltungsakte
Leitsatz (NV)
1. Feststellungen über den Grundstückswert, die Grundstücksart und die Zurechnung des Grundstücks sind Gegenstand je eines Verwaltungsakts, der selbständig mit Rechtsbehelfen anfechtbar ist und selbständig bestandskräftig werden kann. Das gilt auch dann, wenn diese Verwaltungsakte - wie es bei der Haupt- oder Nachfeststellung stets erforderlich ist - auf einem Formblatt miteinander verbunden sind.
2. Es ist kein Mangel der Rechtsbehelfsbelehrung, der die Klagefrist von einem Monat (§ 47 FGO) gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht in Lauf setzen würde, wenn sie keinen Hinweis darauf enthält, daß Gegenstand des Einspruchsverfahrens und damit der Einspruchsentscheidung zwei rechtlich selbständige Feststellungen (Verwaltungsakte), nämlich die Artfortschreibung einerseits und die Wertfortschreibung andererseits, waren.
3. Bei der Auslegung von Prozeßerklärungen sind die für die Auslegung bürgerlich-rechtlicher Willenserklärungen entwickelten Grundsätze anzuwenden. Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen. Auf einen verborgen gebliebenen inneren Willen kann es allerdings nicht ankommen; abzustellen ist vielmehr darauf, wie die Erklärung im Augenblick ihrer Abgabe unter Berücksichtigung der dem Erklärungsempfänger bekannten oder erkennbaren Umstände verstanden werden muß. Die Auslegung darf nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen.
Normenkette
BewG § 19; AO 1977 § 356 Abs. 1; FGO § 55 Abs. 1 S. 1, § 65; BGB § 133
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl. Nr. . . . in A., für das zum 1. Januar 1983 im Wege der Nachfeststellung die Grundstücksart unbebautes Grundstück und der Einheitswert auf . . . DM festgestellt wurden. Auf diesem Grundstück errichtete der Kläger ein zweigeschossiges Wohnhaus, das im Jahre 1986 bezugsfertig wurde. In dem Bescheid über die Anerkennung von Wohnungen als steuerbegünstigte Wohnungen geht die Kreisverwaltungsbehörde davon aus, daß das Gebäude zwei Raumeinheiten von insgesamt 234,29 qm enthält, von denen die Raumeinheit im Erdgeschoß/Dachgeschoß eine Wohnfläche von 149,74 qm und die im Dachgeschoß eine Wohnfläche von 84,55 qm haben.
Nach den auf den Bauplänen fußenden Feststellungen des Finanzgerichts (FG) befindet sich hinter der Hausabschlußtür ein Windfang, von dem links eine Treppe in das Dachgeschoß und rechts ein offener, nicht verschließbarer Durchgang in die Diele der Hauptwohnung im Erdgeschoß abgehen. Vom Wohn-Eßbereich der Hauptwohnung im Erdgeschoß führt eine weitere Treppe zu einer Empore im Dachgeschoß, an die ein Hobbyraum anschließt. Die übrigen Räume im Dachgeschoß (Flur, Küche-Essen, Bad, Schlafzimmer, Wohnzimmer) haben im Dachgeschoß keine bauliche Verbindung zu dem Hobbyraum und zu der Empore. Sie sind nur über die vom Windfang abgehende Treppe zu erreichen. Diese Räume sind insgesamt durch eine Tür zwischen dem Flur und dem Treppenabsatz verschließbar.
Das Finanzamt (FA) nahm zum 1. Januar 1987 eine Art- und Wertfortschreibung vor. Es stellte die Grundstücksart Einfamilienhaus und den Einheitswert, ermittelt im Sachwertverfahren, auf . . . DM fest. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein. Der Einspruch wurde weder von ihm noch von dem von ihm eingeschalteten Bevollmächtigten - dem Prozeßbevollmächtigten - begründet. Das FA wies den Einspruch gegen den ,,Einheitswertbescheid - Art- und Wertfortschreibung auf den 1. 1.1987" als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 18. Mai 1987 zugestellt.
Mit der vom Prozeßbevollmächtigten namens und im Auftrag des Klägers am 27. Mai 1987 erhobenen Klage hat der Kläger (zunächst) begehrt, den Einheitswert für das Grundstück nach dem Ertragswertverfahren zu bemessen und ihn entsprechend herabzusetzen. Unter Vorbehalt der näheren Klagebegründung wird in der Klageschrift darauf hingewiesen, es könne ,,keine Rede davon sein, daß sich das streitgegenständliche Einfamilienhaus hinsichtlich Gestaltung oder Ausstattung wesentlich von den nach § 76 Abs. 1 Nr. 4 BewG zu bewertenden Einfamilienhäusern unterscheidet". In der Klagebegründungsschrift vom 3. Juli 1987 - eingegangen beim FG am 6. Juli 1987 - wird dann ausgeführt, das Gebäude sei kein Einfamilienhaus, sondern ein Zweifamilienhaus; die Wohnfläche des Gebäudes verteile sich auf zwei Wohnungen. Da das Gebäude im übrigen weder eine besondere Gestaltung noch eine besondere Ausstattung aufweise, die es aus der Masse der Wohngebäude heraushebe - dies wird im einzelnen näher dargelegt -, sei im Streitfall nicht das Sachwertverfahren, sondern das Ertragswertverfahren anzuwenden. Vom Vorsitzenden des Senats des FG wurde der Kläger darauf hingewiesen, für die Frage, ob die Anzahl der Wohnungen zu prüfen sei, könne es möglicherweise von Bedeutung sein, ob die Feststellung ,,Einfamilienhaus" bestandskräftig sei. Daraufhin hat der Kläger ausgeführt, Gegenstand der Klage sei nicht nur die Bewertung im Sachwertverfahren, sondern auch die dieser Bewertung offensichtlich zugrunde liegende Annahme des FA, es handle sich um ein Einfamilienhaus und nicht um ein Zweifamilienhaus. Soweit im Einheitswertbescheid überhaupt eine selbständige Artfeststellung ,,Einfamilienhaus" enthalten sei, müsse sie als vom Begehren des Klägers mitumfaßt angesehen werden.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Sie sei in bezug auf die Artfortschreibung unzulässig und im übrigen unbegründet. Seine Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 68 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt der Kläger, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er rügt Verletzung von §§ 55, 65 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie von § 19 des Bewertungsgesetzes (BewG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Klage des Klägers nur insoweit zulässig erhoben wurde, als mit ihr begehrt wird, den im Wege der Wertfortschreibung festgestellten Einheitswert unter Anwendung des Ertragswertverfahrens herabzusetzen.
1. Nach § 157 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) bildet die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen einen mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheides, soweit die Besteuerungsgrundlagen nicht gesondert festgestellt werden. Eine derartige gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ordnet § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 für die Einheitswerte nach Maßgabe des BewG an. Einheitswerte werden nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BewG u. a. für Grundstücke festgestellt. In dem diesbezüglichen Feststellungsbescheid sind neben der Wertfeststellung gemäß § 19 Abs. 3 BewG bei Grundstücken auch Feststellungen über die Grundstücksart zu treffen (Nr. 1 Buchst. a) sowie über die Zurechnung (Nr. 2). Die einzelnen erforderlichen Feststellungen sind Gegenstand je eines Verwaltungsaktes, der selbständig mit Rechtsbehelfen anfechtbar ist und selbständig bestandskräftig werden kann. Das gilt auch dann, wenn diese Verwaltungsakte - wie es bei einer Haupt- oder Nachfeststellung (§§ 21, 23 BewG) stets erforderlich ist - auf einem Formblatt miteinander verbunden sind. Denn die einzelnen Feststellungen haben während eines Hauptfeststellungszeitraums nach Maßgabe des § 22 BewG ein voneinander unabhängiges materiell-rechtliches und verfahrensrechtliches Schicksal; sie können nach Maßgabe des § 179 Abs. 3 AO 1977 Gegenstand eines Ergänzungsbescheids sein (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88 und vom 10. Dezember 1986 II R 88/85, BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292). Allein der Umstand, daß bei bebauten Grundstücken die Feststellung der Grundstücksart (§ 75 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a BewG) Auswirkungen auf das Wertermittlungsverfahren (§ 76 BewG) haben kann, beeinträchtigt die Selbständigkeit der verschiedenen Feststellungen in dem Feststellungsbescheid über den Einheitswert nicht. Das verdeutlicht § 22 BewG in Absatz 2 einerseits und Absatz 1 Nr. 1 andererseits, wonach eine Artfortschreibung nicht automatisch und in jedem Falle auch eine Wertfortschreibung nach sich ziehen kann, sondern nur bei Erreichen der Wertfortschreibungsgrenzen.
2. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO beginnt im Fall der Anfechtungsklage gegen einen schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Frist für die Erhebung der Klage nur, wenn der Berechtigte über die Klage und das Gericht oder die Behörde, bei denen sie anzubringen ist, deren Sitz und die einzubehaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist grundsätzlich die Einlegung der Klage nur innerhalb eines Jahres seit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zulässig (§ 55 Abs. 2 FGO).
Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Rechtsbehelfsbelehrung, mit der die Einspruchsentscheidung vom 29. April 1987 versehen war (vgl. § 366 AO 1977), die Klagefrist (§ 47 FGO) in Lauf gesetzt hat. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers bedurfte es keines Hinweises darauf, daß Gegenstand des Einspruchsverfahrens und damit der Einspruchsentscheidung zwei rechtlich selbständige Feststellungen (Verwaltungsakte), nämlich die Artfortschreibung einerseits und die Wertfortschreibung andererseits, waren. Es ist eine allgemeine Besonderheit der nach §§ 179, 180 AO 1977 durchzuführenden gesonderten oder gesonderten und einheitlichen Feststellungen, daß sie mehrere selbständige Feststellungen enthalten, die als selbständiger Gegenstand eines Klageverfahrens in Betracht kommen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544 m. w. Nachw.). In all diesen Fällen bedarf es keines Hinweises in der Rechtsbehelfsbelehrung, daß die Anfechtung einzelner Feststellungen, die eine rechtlich selbständige Würdigung beinhalten und eines rechtlich selbständigen Schicksals fähig sind, nicht zugleich bewirkt, daß auch die Rechtmäßigkeit der übrigen getroffenen Feststellungen dem Gericht zur Überprüfung unterbreitet und damit Streitgegenstand der Klage geworden sind.
3. Auch soweit das FG davon ausgegangen ist, daß innerhalb der Klagefrist nur der Wertfortschreibungsbescheid in Gestalt der ihn bestätigenden Einspruchsentscheidung (§ 44 Abs. 2 FGO) angefochten wurde, hält seine Entscheidung der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Prozeßerklärungen sind auslegungsfähig (vgl. Senatsurteil vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532). Die für die Auslegung bürgerlich-rechtlicher Willenserklärungen entwickelten Grundsätze sind dabei anzuwenden. Ziel der Auslegung ist auch hier, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen. Auf einen verborgen gebliebenen inneren Willen der Partei kann es nicht ankommen; abzustellen ist vielmehr darauf, wie die Erklärung im Augenblick ihrer Abgabe unter Berücksichtigung der dem Erklärungsempfänger bekannten oder erkennbaren Umstände verstanden werden muß. Die Auslegung darf nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen (vgl. auch Senatsurteil vom 10. Mai 1989 II R 196/85, BFHE 157, 217, BStBl II 1989, 822). Aus der Klageschrift lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, daß die Klage sich nicht nur gegen die Wertfortschreibung, sondern auch gegen die Artfortschreibung richtet. Denn in ihr kommt nur das Begehren des Klägers zum Ausdruck, die Rechtmäßigkeit der Wertfeststellung für das Einfamilienhaus im Sachwertverfahren zu überprüfen. Im Hinblick auf den eindeutigen Inhalt der Klageschrift bestand - entgegen der Auffassung des Klägers - kein Anlaß, ihn gemäß § 65 Abs. 2 FGO zur Konkretisierung des Streitgegenstands aufzufordern, da die Klageschrift dem Gebot des § 65 Abs. 1 FGO, u. a. den Streitgegenstand zu bezeichnen (ausführlich vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99), nachkam.
4. Soweit der Kläger im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens auch die Artfeststellung (Artfortschreibung) angegriffen und damit seine Klage auch darauf erstreckt hat, ist das FG zutreffend von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen. Denn insoweit handelt es sich um eine kumulativ auf einen weiteren Anfechtungs- und Streitgegenstand gerichtete Klageänderung in Form einer zusätzlichen Klage, die nur dann zulässig ist, wenn neben den Voraussetzungen des § 67 FGO hinsichtlich des neu eingeführten Klagebegehrens alle Prozeßvoraussetzungen, wie z. B. die Einhaltung der Klagefrist, vorliegen (vgl. BFH-Urteile vom 26. Februar 1980 VII R 60/78, BFHE 130, 12, BStBl II 1980, 331 und vom 16. September 1987 II R 237/84, BFH/NV 1988, 690; s. auch Beschluß des Großen Senats des BFH vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327, unter C. II. 3.). Diese Voraussetzung lag hinsichtlich der selbständigen Artfortschreibung nicht vor, weil die Klagefrist gegen die Einspruchsentscheidung im Zeitpunkt der Einführung dieses zusätzlichen Klagebegehrens bereits verstrichen und die Artfortschreibung somit bestandskräftig geworden war.
Fundstellen
Haufe-Index 417672 |
BFH/NV 1991, 726 |