Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung, wann ein Grundstück zwar mit Hilfe eines Kredites, aber nicht mit Hilfe einer Kapitalabfindung erworben und der ursächliche Zusammenhang zwischen Grundstückserwerb und Kapitalabfindung nicht gewahrt ist.
Normenkette
GrEStG § 8 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger, Kriegsbeschädigter, und seine Ehefrau (Klägerin) erwarben am 18. September 1961 einen Miteigentumsanteil zu je 1/2 Anteilen verbunden mit dem Sondereigentum an einer Eigentumswohnung. Die erforderlichen Eigenmittel erbrachten die Kläger u. a. durch Aufnahme eines ihnen am 20. September 1961 ausgezahlten Bankkredites. Am Ende des Kaufvertrags hatten die Kläger Befreiung von der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Nr. 4 des Baden-Württembergischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (GrEStWG) vom 21. September 1953 (GesBl, 147) beantragt. Der Aufforderung des FA (Beklagten) im Oktober 1961, eine entsprechende Bescheinigung der Baubehörde einzureichen, waren die Kläger nicht nachgekommen. Im März 1963 stellte der Beklagte fest, daß die Eigentumswohnung lt. Anerkennungsbescheid der Baubehörde vom Januar 1963 ausschließlich der Arztpraxis des Klägers diente. Deshalb forderte der Beklagte durch zwei getrennte Bescheide im März 1963 von den Klägern Grunderwerbsteuer an.
Daraufhin beantragten die Kläger im April 1963, den Erwerb gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG zu begünstigen. Der Kläger habe Ende März 1963 eine Kapitalabfindung beim Versorgungsamt beantragt. Wegen eines Engpasses in der Finanzierung habe er höhere Kapitalbeträge als ursprünglich eingeplant beschaffen müssen. Er habe daher die Kapitalabfindung zur Spitzenfinanzierung vorgesehen und den Abfindungsantrag gestellt, nachdem ihm der Grunderwerbsteuerbescheid zugegangen sei.
Die Kapitalabfindung hat der Kläger nach Angabe seines Prozeßbevollmächtigten vom Oktober 1963 zwischenzeitlich erhalten und zur teilweisen Tilgung des Bankkredites verwendet.
Der Einspruch und die Klage waren erfolglos.
Das FG vertrat die Auffassung, daß der Kläger den Antrag auf Kapitalabfindung nicht alsbald (unverzüglich) nach Abschluß des Kaufvertrags gestellt und den Kredit nicht in der Absicht aufgenommen habe, ihn mit Hilfe der Kapitalabfindung zu tilgen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Erwerb und Abfindung sei nicht gegeben.
Dementgegen machen die Kläger auch mit der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde - als einzig strittigen Punkt - geltend, bei nach der Rechtsprechung des BFH unter Berücksichtigung der Entwicklung der Verhältnisse gelockerter großzügiger Auslegung müsse § 8 GrEStG auch im vorliegenden Fall anwendbar sein. Er, der Kläger, habe sich zwar in der Finanzierung verkalkuliert und habe das erworbene Wohnungseigentum für grundsteuerbefreit und damit ohne weiteres den Erwerb auch für grunderwerbsteuerbefreit gehalten. Als er seinen Irrtum erkannt habe, habe er unverzüglich die Kapitalabfindung beantragt. Für die Frage, ob ein Grundstück mit Hilfe einer Kapitalabfindung erworben sei, könne es nicht auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Erwerb und Abfindung und nicht auf die Absicht (Kalkulation) des Steuerpflichtigen ankommen, sondern nur auf einen - allerdings erforderlichen - ursächlichen Zusammenhang zwischen Erwerb und Abfindung in dem Sinne des objektiven Endergebnisses, daß die Kapitalabfindung zur Abdeckung des für den Grundstückserwerb erforderlich gewesenen Zwischenkredites verwendet werde.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann aus Rechtsgründen keinen Erfolg haben.
Es trifft allerdings zu, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Senats steuerbegünstigende Normen nicht schon deshalb eng auszulegen sind, weil es sich um Ausnahmen von der Besteuerung handelt, sondern unter Würdigung des mit der Ausnahmevorschrift verfolgten Zwecks (vgl. Urteil des Senats II 132/65 vom 13. Januar 1970, BFH 98, 453, 456, BStBl II 1970, 440). Das gilt gerade auch für § 8 GrEStG (vgl. die Nachweise im Urteil II 23/60 U vom 18. Januar 1965, BFH 81, 482, 484, BStBl III 1965, 174). Gegebenenfalls kann bei steuerbegünstigenden Vorschriften - insbesondere solchen mit mehrdeutigem Wortlaut (vgl. BFH-Urteil II 56/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 255, 256, BStBl II 1970, 597) - auch eine ausdehnende Auslegung in Betracht kommen (BFH-Urteil II R 93/66 vom 14. Juli 1970, BFH 100, 228, BStBl II 1970, 872). Andererseits sind aber Gericht und Verwaltung nicht befugt, einen genau umrissenen Tatbestand - auch einen Vergünstigungstatbestand - auf Grund eigener Wertvorstellungen auszuweiten (BFH-Urteil II 121-122/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 406, 408, BStBl II 1970, 671); dies - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht mit Hilfe des § 1 Abs. 2, 3 StAnpG. Diese Vorschrift dient dazu, die zur Zeit der Gesetzesabfassung oft noch nicht zu übersehende Entwicklung zu berücksichtigen. Das Gebot des § 1 Abs. 2, 3 StAnpG stellt den Richter aber nicht über das Gesetz (vgl. Becker, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 4 Anm. 5, 7). Die Entwicklung der Verhältnisse ist auch nicht ausschlaggebend, sondern nur zu "berücksichtigen"; ihr kann also nur insoweit Rechnung getragen werden, als das Ergebnis noch im Regelungsbereich des Gesetzes liegt (vgl. Urteile des Senats II 110/62 vom 28. November 1967, BFH 91, 132, 135, BStBl II 1968, 216; II 119/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 402, 404, BStBl II 1970, 670). Zunächst ist nicht ersichtlich, inwiefern die Entwicklung der Verhältnisse seit Einführung der fraglichen Vergünstigungsvorschrift mit jeweils nur modifizierten Änderungen (seit § 21 GrEStG 1919) in tatsächlicher oder steuerrechtlicher Hinsicht deren Inhalt in dem hier streitigen Punkt wesentlich verändert haben sollte. Vor allem aber ist der Wortlaut des § 8 GrEStG insofern eindeutig, als der Kriegsbeschädigte das Grundstück bereits mit Hilfe der Kapitalabfindung erwerben muß (BFH-Urteil II 177/62 vom 26. Januar 1966, BFH 85, 196, 197, BStBl II 1966, 282). Insoweit ist eine wirtschaftliche oder ähnlich geartete Ausweitung des Gesetzes nicht zulässig (BFH 99, 406, 408; vgl. ferner Urteil des Senats II 109/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 250, 253, BStBl II 1970, 600). Auch eine "großzügige" Auslegung ist nur in dem begrenzten Rahmen möglich, daß zwischen Kapitalabfindung und Grundstückserwerb selbst ein - sachlich und zeitlich erkennbarer - ursächlicher Zusammenhang besteht.
Nach genauem Wortsinn und Sprachgebrauch ist ein Grundstück "mit Hilfe einer Kapitalabfindung erworben" (die Fälle des § 8 Abs. 3 GrEStG können hier außer Betracht bleiben) im Grunde nur dann, wenn die Kapitalabfindung vor Kaufabschluß ausgezahlt oder bereits bewilligt oder doch wegen des beabsichtigten Grundstückserwerbs vor oder doch zeitnahe nach dem Kaufabschluß beantragt und nach Auszahlung unmittelbar zur Tilgung des (gestundeten) Kaufpreises verwendet wird. In den Fällen, in denen die Kapitalabfindung erst nach, aber eben wegen des Grundstückserwerbs und deshalb unverzüglich nach Kaufabschluß beantragt wird und in denen der Erwerb zunächst mit Hilfe eines Zwischenkredits finanziert werden muß, liegt - genau besehen - nur noch ein mittelbarer Zusammenhang zwischen Grundstückserwerb und Kapitalabfindung vor. Wenn der Senat auch diese Fälle in die Steuervergünstigung des § 8 GrEStG einbezogen hat (Urteil II 30/53 S vom 3. Juni 1953, BFH 57, 550, BStBl III 1953, 211), so ist das bereits in nicht enger Auslegung dieser Vorschrift geschehen, jedoch immerhin noch insofern als in deren Regelungsbereich liegend und deshalb gerechtfertigt, als der Zwischenkredit von vornherein in der Absicht aufgenommen worden ist, mit ihm den Kaufpreis und ihn selbst mit der Kapitalabfindung zu tilgen. Insofern bleibt - trotz des Zwischengliedes des Kredites - der ursächliche Zusammenhang auch noch zwischen Grundstückserwerb und Kapitalabfindung gewahrt. Dagegen kann - entgegen der Meinung des Klägers - ein grunderwerbsteuerrechtlich erheblicher, ursächlicher Zusammenhang zwischen Grundstückserwerb und Kapitalabfindung nicht bejaht werden und ein solcher nur zwischen einem - wenn auch aus Anlaß des Grundstückserwerbs aufgenommenen - Kredit und einer Kapitalabfindung auch dann nicht genügen, wenn im objektiven Endergebnis mit der Kapitalabfindung zwar der Kredit getilgt wird, letzterer seinerseits aber gar nicht mit Rücksicht auf eine (noch gar nicht beantragte, nicht in Aussicht stehende) Kapitalabfindung aufgenommen worden ist. Dann ist das Grundstück mit Hilfe eines Kredites und gerade ohne Rücksicht darauf, ob der Kläger eine Kapitalabfindung beantragt oder in Aussicht hatte, d. h. also (auch) ohne Hilfe einer Kapitalabfindung erworben worden. Wie im Falle des o. a. Urteils II 177/62 (BFH 85, 198) kann, wenn der Kredit zwar zur Kaufpreistilgung, nicht aber wegen einer bereits in Aussicht stehenden Kapitalabfindung aufgenommen wird, von einem "Zwischenkredit" im Sinne der o. a. Rechtsprechung des Senats nicht gesprochen werden. Insofern ist der Ausdruck "Zwischenkredit" in Fällen solcher Art irreführend.
Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger unstreitig den Kredit bereits im September 1961 ohne Rücksicht auf einen - wie sich aus einem Schreiben der Ehefrau des Klägers (der Klägerin) vom August 1963 selbst ergibt - damals noch gar nicht beabsichtigten Kapitalabfindungsantrag aufgenommen. Erst 1 1/2 Jahre später und erst, nachdem ihm die Steuerbefreiung wegen sozialen Wohnungsbaus versagt und ein Steuerbescheid erteilt worden war, hat der Kläger im März 1963 die Kapitalabfindung beantragt. Im Zeitpunkt des Erwerbs der Eigentumswohnung konnte eine weder beantragte noch zum Erwerb der Eigentumswohnung überhaupt erstrebte Kapitalabfindung auch nicht der Finanzierung dieses Erwerbs dienen.
In diesem Zusammenhang darf nicht unbeachtet bleiben, daß der Erwerb (und nicht die Erhaltung) eines Grundstücks (einer Eigentumswohnung) mit Hilfe der Kapitalabfindung unmittelbare Tatbestandsmerkmale des § 8 GrEStG sind und daß die Frage, ob die Tatbestandsmerkmale einer Vorschrift, auch die einer Vergünstigungsvorschrift, erfüllt sind, nach dem sogenannten Stichtagsprinzip bei der Grunderwerbsteuer als einer Einzelverkehrsteuer sich nach den Verhältnissen richten muß, wie sie im Zeitpunkt des wirksamen Erwerbsvorganges selbst gegeben sind (BFH-Urteil II R 15/68 vom 20. Juni 1968, BFH 93, 340, 341, BStBl II 1968, 783). Bereits in dem o. a. Urteil II 177/62 (BFH 85, 197) ist bemerkt, daß zwar nach § 21 Abs. 1 GrEStG 1935 in Verbindung mit § 20 Abs. 4 GrEDB 1935 die Steuervergünstigung auch dann galt, wenn die Kapitalabfindung nachträglich für ein bereits erworbenes Grundstück gewährt und zur Bezahlung des Kaufpreises oder der zu dessen Tilgung aufgenommenen Schulden verwendet wurde (vgl. bereits § 21 Abs. 1 GrEStG 1919/1927 in Verbindung mit § 3 der Bekanntmachung des ehemaligen RdF vom 29. Juni 1923, Reichsministerialblatt S. 644, RStBl 231). Eine entsprechende Vorschrift ist in das GrEStG 1940 aber nicht aufgenommen worden. Auch bei der nunmehr gebotenen Auslegung der Vorschrift aus sich selbst heraus hat der Senat es bereits in dem o. a. Urteil II 30/53 S (BFH 57, 550) zur Wahrung des Zusammenhangs zwischen Kapitalabfindung und Grundstückserwerb für erforderlich gehalten, daß ein kurzfristiger Zwischenkredit (Überbrückungskredit) im Hinblick auf die zu erwartende Kapitalabfindung in der Absicht aufgenommen worden sein muß, ihn mit Hilfe dieser Kapitalabfindung zu tilgen.
Bei dieser Betrachtung kann es - jedenfalls für die rechtliche Würdigung des Tatbestandsmerkmales "mit Hilfe einer Kapitalabfindung" - keinen Unterschied machen, ob ein Kriegsbeschädigter zur Finanzierung eines Grundstückserwerbs (zunächst) bewußt auf eine Kapitalabfindung verzichtet oder nur deshalb, weil ihm die Abfindungsmöglichkeit nicht bekannt gewesen sein sollte. Auch der Umstand, daß der Erwerb vorerst nicht besteuert worden war, weil der Kläger versichert hatte, es handele sich um eine steuerbegünstigte Kaufeigentumswohnung, obwohl er sie aber als Arztpraxis verwendete, vermag das rechtliche Ergebnis nicht zu ändern. Angesichts dieser auf Steuerbefreiung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus beschränkten Versicherung und mangels jeden Anhaltspunktes dafür, daß noch eine andere Vergünstigung in Frage kommen könnte, war der Beklagte - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht verpflichtet oder auch nur veranlaßt, von sich aus auf die Vorschrift des § 8 GrEStG hinzuweisen (vgl. auch die Entscheidungen des Senats II 67/64 vom 23. März 1966, BFH 85, 517, 521, BStBl III 1966, 437; II B 39/69 vom 9. Dezember 1969, BFH 97, 293, BStBl II 1970, 97). Auch aus dem mit Zustimmung des ehemaligen RdF ergangenen - die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit ohnehin nicht bindenden - Erlaß des ehemaligen Oberkommandos der Wehrmacht vom 6. September 1943 (RStBl 753) ist für Fälle der vorliegenden Art nichts zu gewinnen. Diese offensichtlich an die Versorgungsbehörden gerichtete Weisung, daß Anträge auf Erteilung einer Bescheinigung zur Erlangung der Grunderwerbsteuervergünstigung beim Vorliegen aller sonstigen (gemeint doch wohl: versorgungsrechtlichen) Voraussetzungen entsprochen werden konnte, wenn sie spätestens innerhalb eines Monats nach Eingang der Zahlungsaufforderung des FA eingingen, läßt die Frage nach dem Vorliegen der - ohnehin von den Steuerbehörden zu prüfenden - steuer rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere also auch nach dem Zeitpunkt, wann die Kapitalabfindung selbst mit steuerrechtlicher Wirkung zu beantragen war, offen. Sie konnte auch als Anhalt für den Zeitpunkt gedacht gewesen sein, bis zu dem in der Regel äußerstenfalls überhaupt solche Bescheinigungen (Versicherungen) im Sinne des § 8 Abs. 6 GrEStG ausgestellt werden sollten.
Da die Steuervergünstigung des § 8 GrEStG schon aus den vorstehenden rechtlichen Erwägungen nicht gewährt werden konnte, kommt es nicht mehr darauf an, daß sich eine gemäß § 8 Abs. 6 GrEStG erforderliche Versicherung nicht bei den Akten befindet.
Fundstellen
Haufe-Index 69587 |
BStBl II 1971, 779 |
BFHE 1972, 235 |