Leitsatz (amtlich)
Zahlt eine GmbH, nachdem eine Kapitalherabsetzung beschlossen, aber noch nicht im Handelsregister eingetragen ist, Kapital an einen Gesellschafter zurück, so kann bei den Gesellschaftern eine steuerfreie Kapitalrückzahlung anzunehmen sein, wenn, abgesehen von Ausnahmefällen, 1. die Beteiligten im Zeitpunkt der Zahlung alles unternommen hatten, was zur Durchführung der handelsrechtlichen Wirksamkeit der Kapitalherabsetzung erforderlich ist, 2. die Eintragung der Kapitalherabsetzung alsbald nachgeholt wird und 3. ausgeschlossen werden kann, daß die Kapitalherabsetzung als mißbräuchliche Steuerumgehung i. S. des § 6 StAnpG anzusehen ist (Abweichung von dem BFH-Urteil vom 9. August 1963 VI 72/60 U, BFHE 77, 366, BStBl III 1963, 454).
Normenkette
EStG § 20; StAnpG § 6
Tatbestand
Streitig ist, ob Zahlungen einer GmbH an ihre Gesellschafter, die auf Grund eines Kapitalherabsetzungsbeschlusses nach dessen dreimaliger Veröffentlichung im Bundesanzeiger (BAnz), jedoch vor dessen Eintragung im Handelsregister vorgenommen wurden, verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 EStG) sind.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie wurden für das Streitjahr 1962 beide mit Einkünften aus Gewerbebetrieb und die Klägerin - Ehefrau - mit Einkünften aus Kapitalvermögen - der Beteiligung an einer GmbH - vorläufig zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
Nach einer Betriebsprüfung bei der GmbH, deren Gesellschafter die Klägerin und ihre beiden Kinder waren, ergab sich folgendes: Laut Gesellschafterbeschluß der GmbH vom 20. September 1961 sollte das Stammkapital der Gesellschaft von 100 000 DM auf 20 000 DM herabgesetzt werden. Die GmbH zahlte am 2. Juli 1962 ihren Gesellschaftern 80 000 DM aus, wovon entsprechend ihrer Beteiligung von 70 v. H. am Stammkapital auf die Klägerin 56 000 DM entfielen. Die Kapitalherabsetzung wurde am 14. November 1963 im Handelsregister eingetragen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) kam danach zu der Auffassung, daß die Kapitalherabsetzung unwirksam sei und die vor Eintragung der Kapitalherabsetzung im Handelsregister und vor Ablauf des Sperrjahres nach § 58 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) vorgenommene Auszahlung der Klägerin als verdeckte Gewinnausschüttung zugerechnet werden müsse. Dementsprechend erging ein endgültiger Bescheid.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus:
Die Zahlung an die Klägerin sei eine verdeckte Gewinnausschüttung, da weder eine handelsrechtlich wirksame noch eine steuerrechtlich anzuerkennende Kapitalherabsetzung vorgelegen habe und Umdeutung in eine Darlehensgewährung nicht möglich sei.
Für die steuerrechtliche Beurteilung von Kapitalherabsetzungen bei einer GmbH sei, wie im Urteil des BFH vom 1. Dezember 1967 VI 379/65 (BFHE 90, 485, BStBl II 1968, 145) ausgeführt, vom Handelsrecht auszugehen. Ein ertragsteuerrechtlich neutraler Vorgang setze voraus, daß die Zahlung der GmbH an die Klägerin auf Grund einer handelsrechtlich wirksamen Kapitalherabsetzung vorgenommen worden wäre. Das sei nicht der Fall. Das Stammkapital der GmbH habe 1962 noch 100 000 DM betragen. Daran habe der Gesellschafterbeschluß vom 20. September 1961 nichts geändert. Eine Kapitalherabsetzung bedürfe nach § 54 GmbHG zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung im Handelsregister. Die Eintragung, die konstitutive Wirkung habe (BFH-Urteil vom 9. August 1963 VI 72/60 U, BFHE 77, 366, BStBl III 1963, 454), sei jedoch erst in 1963 vorgenommen worden. Ob ein Versehen des Notars hinsichtlich der Eintragung vorgelegen habe, sei belanglos. Nach Lage des Falles habe der Notar den Eintragungsantrag aus Rechtsgründen erst zu einem Zeitpunkt stellen können, nachdem die Auszahlung bereits erfolgt war.
Angesichts der handelsrechtlichen Unwirksamkeit der Kapitalherabsetzung im Zeitpunkt der Auszahlung brauche nicht geprüft zu werden, ob ein Umgehungstatbestand im Sinne von § 6 StAnpG erfüllt sei.
Die Auszahlung könne auch nicht in eine Darlehensgewährung umgedeutet werden. Zum Darlehen gehöre, daß dessen Rückzahlung vereinbart werde. Hier sei jedoch die Auszahlung zum endgültigen Verbleib bei den Gesellschaftern bestimmt gewesen.
Mit der Revision wird Verletzung materiellen Rechts gerügt und dazu vorgebracht:
Das FG habe zu Unrecht eine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen. Ein Gestaltungsmißbrauch komme nicht in Betracht, da wegen Aufgabe der Geschäftsgrundlage nicht mehr benötigtes Stammkapital zurückgezahlt worden sei. Bei der Auszahlung vor Eintragung der Kapitalherabsetzung im Handelsregister habe lediglich ein Formfehler vorgelegen, der nicht zu steuerlichen Nachteilen führen dürfe, wenn die GmbH weder Gewinne ausgeschüttet noch einen Vermögensverlust gehabt habe. Beides sei hier nicht der Fall. Kapitalrückzahlungen könnten keine Gewinnausschüttungen sein. Ein Vermögensverlust entstehe auch bei Auszahlung vor der Eintragung im Handelsregister nicht, weil die GmbH einen Rückzahlungsanspruch behalten habe. Deshalb seien auch die Bilanzen der GmbH unrichtig; in diesen müßte bei unverändertem Stammkapital auf der Vermögensseite eine Umschichtung zwischen Geldkonten und Forderungen aus § 31 GmbHG vorgenommen werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG.
1. Dem FG ist nicht darin zu folgen, wenn es im vorliegenden Fall keine steuerfreie Kapitalrückzahlung, sondern eine steuerbare verdeckte Gewinnausschüttung angenommen hat.
Die Rückzahlung von Gesellschaftskapital an den Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist im allgemeinen kein Kapitalertrag im Sinne von § 20 EStG, sondern ein einkommensteuerlich neutraler Vorgang im Vermögensbereich. Für die steuerrechtliche Beurteilung der Frage, ob bei der Leistung einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter eine Kapitalrückzahlung vorliegt, ist - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - vom Handelsrecht auszugehen (vgl. z. B. BFH-Urteil VI 379/65). Der BFH hat deshalb im Anschluß an die Rechtsprechung des RFH Kapitalrückzahlungen nur dann anerkannt, wenn die Zahlungen der Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter auf Grund einer formellen Kapitalherabsetzung geleistet wurden (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1972 I R 70/70, BFHE 108, 175, BStBl II 1973, 449, mit Nachweisen - Nr. 3 b der Gründe -). Bei einer GmbH wird eine Änderung des Gesellschaftsvertrages, zu der auch eine Kapitalherabsetzung gehört, erst mit der konstitutiv wirkenden Eintragung im Handelsregister wirksam (§ 54 GmbHG). Deshalb wurde für die steuerliche Anerkennung einer Kapitalherabsetzung und für die Annahme einer Kapitalherabsetzung die Eintragung im Handelsregister verlangt (vgl. BFH-Urteil VI 72/60 U).
An dem Grundsatz, daß Ausgangspunkt für die steuerliche Beurteilung einer Kapitalherabsetzung das Handelsrecht ist, hält auch der erkennende Senat fest. Er ist deshalb der Auffassung, daß keine echte Kapitalrückzahlung vorliegt, wenn zwar eine Kapitalrückzahlung von den Gesellschaftern beschlossen, aber nicht in das Handelsregister eingetragen wird. Um einen solchen Sachverhalt handelt es sich aber im Streitfall nicht. Denn die von den Gesellschaftern beschlossene Kapitalherabsetzung ist am 14. November 1963 tatsächlich in das Handelsregister eingetragen worden. Der Umstand, daß die Eintragung erst nach Ablauf des hier streitigen Veranlagungszeitraums eingetragen wurde, ist jedenfalls unbeachtlich. Man kann den einheitlichen Vorgang der Kapitalherabsetzung, der sich bei engem Sachzusammenhang der entsprechenden Maßnahmen naturgemäß über einen längeren Zeitraum hinzieht, auch nur einheitlich beurteilen (so auch Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 20 EStG, Anm. 30 aE). Denn die Kapitalrückzahlung vor Eintragung der Kapitalherabsetzung in das Handelsregister verstößt zwar gegen § 30 Abs. 2 GmbHG. Sie ist aber nicht nichtig (vgl. Urteil des RG vom 15. Dezember 1941 II 103/41, RGZ 168, 292, 302). Sie kann lediglich bürgerlich-rechtliche Schadensersatzansprüche der übergangenen Gläubiger gegen die Gesellschaft und deren Geschäftsführer und eine Rückzahlungsverpflichtung nach § 31 Abs. 1 GmbHG begründen (vgl. Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 6. Aufl., Anm. 20 zu § 73). Es liegt auch kein Fall vor, in dem nach ständiger Rechtsprechung trotz handelsrechtlicher Wirksamkeit die Kapitalrückzahlung steuerrechtlich wegen Gestaltungsmißbrauchs im Sinne des § 6 StAnpG nicht anerkannt werden kann. Es handelt sich zwar um eine Familiengesellschaft, bei der nach ständiger Rechtsprechung an die Ernsthaftigkeit gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen strenge Anforderungen zu stellen sind. Im Streitfall können aber an der Ernstlichkeit der Kapitalherabsetzung nach dem tatsächlichen Geschehen keine Zweifel bestehen. Hier ist allein zu entscheiden, ob eine vor der handelsrechtlichen Wirksamkeit der Kapitalherabsetzung vorgenommene Zahlung an die Gesellschafter ausnahmslos als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt werden muß, wie der VI. Senat des BFH im Urteil VI 72/60 U entschieden hat. Gegen diese Entscheidung sind im Schrifttum erhebliche Bedenken erhoben worden (vgl. z. B. Ranft, StRK, Anmerkung, Einkommensteuergesetz, § 20, Rechtsspruch 53; Littmann, a. a. O.; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 17. Aufl., Bd. IV, § 20 EStG, Anm. 19). Auch der Senat hat gegen sie Bedenken. Er ist der Auffassung, daß in Einzelfällen eine Zahlung an die Gesellschafter vor der Eintragung der Kapitalherabsetzung bei der Einkommensbesteuerung der Gesellschafter als echte Kapitalrückzahlung behandelt werden kann. Dadurch wird wenigstens in diesen Fällen der Nachteil eines Gesellschafters, der seine Beteiligung im Privatvermögen hält, ausgeglichen, daß er nicht wie ein Gesellschafter, dessen Beteiligung Betriebsvermögen ist, den Zufluß des ausgeschütteten Betrags durch eine Passivierung seiner Rückzahlungsverpflichtung nach § 31 GmbHG neutralisieren kann.
Voraussetzung für die Behandlung der Zahlung als echte Kapitalrückzahlung ist nach Meinung des Senats in der Regel, daß die Beteiligten im Zeitpunkt der Zahlung alles unternommen haben, was zur Herbeiführung der handelsrechtlichen Wirksamkeit der Kapitalherabsetzung erforderlich ist. Dazu gehören nach § 58 GmbHG die dreimalige Bekanntmachung des Herabsetzungsbeschlusses in den dazu bestimmten öffentlichen Blättern, die Befriedigung oder Sicherstellung der sich meldenden Gläubiger, der Ablauf des Sperrjahres und die Anmeldung des Kapitalherabsetzungsbeschlusses zur Eintragung in das Handelsregister. In besonders gelagerten Fällen hält der Senat den Ablauf des Sperrjahres und die Anmeldung zum Handelsregister nicht für unbedingt erforderlich. Der Zweck des Sperrjahres ist es sicherzustellen, daß jeder Gläubiger seine Ansprüche bei der GmbH geltend machen kann, nachdem er durch die Bekanntmachung auf die beabsichtigte Kapitalherabsetzung hingewiesen worden ist. Besteht aber nach der ganzen Sachlage gar nicht die Möglichkeit, daß noch unbekannte Gläubiger vorhanden sind, oder ist deren Befriedigung trotz der vorzeitigen Zahlung an die Gesellschafter sichergestellt, dann hat die Einhaltung des Sperrjahres nur mehr formale Bedeutung. Der Senat ist der Auffassung, daß in einem solchen Fall eine Umdeutung der Zahlung auf Grund der von den Beteiligten ernstlich gewollten und später handelsrechtlich wirksam gewordenen Kapitalherabsetzung in eine verdeckte Gewinnausschüttung nicht möglich ist. Denn es liegt dann in der vorzeitigen Zahlung keine Verletzung der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers, die nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 19. März 1975 I R 137/73, BFHE 116, 12, BStBl II 1975, 722) Voraussetzung für die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung ist. Nach Auffassung des Senats ist jedoch im Hinblick auf die Einheitlichkeit des sich über eine längere Zeit hinziehenden Vorgangs der Kapitalherabsetzung erforderlich, daß der Antrag auf ihre Eintragung in das Handelsregister baldmöglichst, also alsbald nach Ablauf des Sperrjahres, gestellt wird; bei rechtzeitiger Antragstellung kommt es dann auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Eintragung nicht mehr an.
2. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsüberlegungen ausgegangen ist und darauf beruht, war aufzuheben. Der Senat kann nicht selbst entscheiden. Das FG hat, was von seinem Standpunkt aus nicht erforderlich war, keine Feststellungen hinsichtlich des Zeitpunkts der Antragstellung zur Handelsregistereintragung und zur Frage der Sicherstellung etwa noch unbekannter Gläubiger getroffen. Die Sache geht deshalb an das FG zurück, das die notwendigen Feststellungen treffen und beurteilen wird.
3. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von dem BFH-Urteil VI 72/60 U ab; ein Fall des § 11 Abs. 3 FGO ist nicht gegeben, weil es sich bei der früheren Entscheidung nicht um ein sogenanntes S-Urteil handelt (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Februar 1966 II S 2/66, BFHE 86, 248, 250, BStBl III 1966, 402). Eine Abweichung von dem BFH-Urteil I R 70/70 liegt nicht vor, weil dort über einen anderen Sachverhalt - keine Kapitalherabsetzung - zu entscheiden war.
Fundstellen
Haufe-Index 71801 |
BStBl II 1976, 341 |
BFHE 1976, 230 |