Leitsatz (amtlich)
Zur Ermessensgrenze bei einer Stundungsentscheidung, wenn der Stundungsantrag mit Gegenansprüchen (Erstattungsansprüchen) begründet wird.
Normenkette
AO 1977 § 222 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Jahren 1968 bis 1974 an verschiedenen Gesellschaften, GmbH & Co. KG'en, mit zusammen 945 000 DM beteiligt. Seine Einlagen führten nach eigenen Angaben zu Verlusten von 2 307 901 DM. Das Betriebsfinanzamt (Betriebs-FA) vertrat nach Betriebsprüfungen den Standpunkt, den Gesellschaftern stünden Verlustzuweisungen für 1968 bis 1974 nicht zu; es seien nur Anzahlungen für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens geleistet worden. Erst von dem Zeitpunkt an, in dem die bestellten Wirtschaftsgüter abgenommen worden seien, sei der eigentliche Investitionsvorgang vollendet und der Abschreibungstatbestand erfüllt worden. Aufgrund der Mitteilungen des Betriebs-FA änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Einkommensteuerbescheide für den Kläger, wobei sich für die Streitjahre Abgabenforderungen in Höhe von insgesamt 532 078,80 DM ergaben. Gegen die Änderungsbescheide erhob der Kläger Einspruch. Einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gab das FA wegen eines Betrags von 22 562 DM für 1974 statt.
Aufgrund einer Empfehlung des Betriebs-FA vom 10. August 1978 an die Wohnsitz-FÄ, die sich aus den Mitteilungen ergebenden Steuernachzahlungen in halber Höhe zinslos zu stunden, entsprach das FA einem Stundungsantrag in Höhe der Hälfte des damals fälligen Forderungsbetrags von 505 456 DM bis 31. Dezember 1978. Für den Rest forderte das FA Ratenzahlungen, die fristgerecht eingingen.
Einem weiteren Antrag vom 18. Dezember 1978 auf Verlängerung der Stundung für 252 728 DM über den 31. Dezember 1978 hinaus entsprach das FA nicht. Die Beschwerde des Klägers blieb ohne Erfolg. Die Oberfinanzdirektion (OFD) begründete die Zurückweisung damit, daß es fraglich sei, ob Steuererstattungen zu erwarten seien, da es in Anbetracht der hohen unterschiedlichen Einkünfte und der Nichtanrechnung von Verlusten aus anderen Beteiligungen des Klägers zu erheblichen Steuerzahlungen kommen könne.
Die Klage war erfolglos. Persönliche Stundungsgründe seien weder vorgebracht noch erkennbar, eine sachliche, die Stundung rechtfertigende Härte, die eine Stundungsablehnung ermessensfehlerhaft erscheinen lasse, sei nicht ersichtlich. Selbst wenn die in der Vergangenheit nicht anerkannten Verluste aus Beteiligungen in späteren Veranlagungszeiträumen ausgleichsfähig sein sollten, würde dies nicht notwendigerweise Steuererstattungen für den Kläger mit sich bringen. Wie die Finanzverwaltungsbehörden unwidersprochen ausgeführt hätten, sei z. Zt. nicht festzustellen, ob und in welchen Jahren die fraglichen Verluste tatsächlich zu Erstattungsansprüchen des Klägers führen würden. Der Kläger habe dies nicht substantiiert vorgetragen, sondern sich darauf beschränkt, auf die bloße zeitliche Verschiebung der Verlustzuweisungen abzuheben.
Mit der Revision rügt der Kläger unzureichende Sachaufklärung und Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und jeweils die Hälfte der Steuernachzahlungen aufgrund der berichtigten Einkommensteuerbescheide für 1968 bis 1970, 1973 und 1974 zinslos zu stunden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Rüge, die angefochtene Entscheidung beruhe auf fehlerhafter Sachaufklärung, ist nicht begründet. Der Senat sieht gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) von einer Begründung seiner Entscheidung insoweit ab.
2. Das FG ist zutreffend von den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gesetzten Grenzen seiner Prüfung ausgegangen. Danach durfte das FG nur prüfen, ob der Stundungsantrag in fehlerhafter Ermessensausübung abgelehnt worden ist. Die Entscheidung über die Stundung ist nach § 222 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Ermessensentscheidung. Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach dieser Vorschrift ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit der Steuern eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Steueranspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Das FG hat ohne Rechtsverstoß verneint, daß die Einziehung der fälligen Steuernachzahlungen eine erhebliche persönliche oder sachliche Härte für den Kläger darstellte, welche die Ablehnung fehlerhaft machte.
Persönliche Stundungsgründe hat der Kläger auch in der Klage nicht vorgetragen, sie sind auch sonst nicht erkennbar geworden.
Eine erhebliche sachliche Härte kann die Einziehung einer Steuer beispielsweise dann darstellen, wenn die Erfüllung von Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis begehrt wird und diesen alsbald zu erstattende Ansprüche gegenüberstehen. Es widerspräche dem Grundsatz von Treu und Glauben, in einem solchen Fall etwas zu fordern, was sogleich wieder zurückgewährt werden müßte.
So hat der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 14. August 1963 V 132/59 U (BFHE 77, 344, BStBl III 1963, 445) einen sachlichen Billigkeitsgrund für eine Stundung für nicht ausgeschlossen gehalten, wenn der Steuerpflichtige dartut, daß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die zu zahlende Steuer demnächst zu erstatten sein wird. Nach dem Urteil vom 12. Dezember 1963 V 239/60 S (BFHE 78, 136, BStBl III 1964, 54) ist es ermessensfehlerhaft, die Stundung laufender Steuern abzulehnen, wenn mit Sicherheit davon auszugehen ist, daß der Steuerpflichtige aufgrund eines Rechtsmittels, das dieselbe Steuerart betrifft, vollen Erfolg haben wird und er mit erheblichen Steuererstattungen rechnen kann. Ferner hat der BFH im Urteil vom 29. April 1965 IV 346/64 U (BFHE 82, 609, BStBl III 1965, 466) im Fall einer Steuerstundung wegen bestehender Gegenansprüche aus einer Enteignung ausgeführt, daß in dem Verlangen der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, die nach dem Gesetz geschuldete Steuer zu entrichten, zu deren Zahlung der Staatsbürger nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage sei, nur dann eine unbillige Härte gesehen werden könne, wenn die Körperschaft aufgrund der Enteignungsmaßnahmen mit größter Wahrscheinlichkeit zu Zahlungen, die die Steuerforderung überschreiten, verpflichtet werde und wenn die Unterlassung der Zahlung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht vereinbar sei. Diese Rechtsprechung zu § 127 der Reichsabgabenordnung (AO) ist nach Weiterführung dieser Vorschrift in § 222 AO 1977 unverändert von Bedeutung.
Für die Anwendung des Grundsatzes, daß es gegen Treu und Glauben verstoße, etwas zu fordern, was sogleich wieder zurückgewährt werden muß, genügt es nicht, daß nur eine ungewisse oder unbestimmte Aussicht auf Erstattung der Steuer besteht. Wenn in diesem Fall die Verwaltungsbehörde nicht stundet, verletzt sie in Anbetracht eines solchen Gegenanspruchs ihr Ermessen nicht. Eine erhebliche Härte derart, daß die Stundungsablehnung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens rechtswidrig überschritte, wäre i. S. von § 222 AO 1977 hier nur dann gegeben, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und in absehbarer Zeit fällig werden wird; d. h. zur Zeit der Steuereinziehung muß der Gegenanspruch bereits nach Grund und Höhe rechtlich wie tatsächlich schlüssig belegt sein und in naher Zeit fällig werden. Denn nur in diesem Fall wäre, wenn nicht sogleich, so doch wenigstens alsbald mit der Zurückgewähr des Stundungsbetrags zu rechnen.
Der Kläger machte im Stundungsverfahren bis zur Beschwerdeentscheidung nicht einmal glaubhaft, daß er einen alsbald zu erstattenden Anspruch erlangen werde. Auch seine Behauptung, für die Jahre 1975 und später würden ihm die nicht mehr anerkannten Verlustanteile zugerechnet werden, ergibt nicht schlüssig Steuererstattungsansprüche. Dazu hätte es einer Darlegung und Glaubhaftmachung bedurft, in welchen Jahren und in welcher Höhe andere Einkünfte des Klägers den noch zu beziffernden Verlustanteilen ausgleichsfähig gegenüberstehen würden. Erst daraus hätte sich eine Übersicht über die folgenden ertragsteuerlichen Ansprüche gegen den Kläger gewinnen lassen. Wenn dies dem Kläger aus den Verhältnissen bei den Beteiligungsgesellschaften nicht möglich war, so liegt dies im Bereich seines mit den Beteiligungen eingegangenen wirtschaftlichen Wagnisses.
Die Vorentscheidung, die im Ergebnis diesen Rechtsgrundsätzen folgt, konnte nach den getroffenen Feststellungen nicht von Ansprüchen ausgehen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald dem Kläger zuwachsen würden. Ohne eine solche Verdichtung von Gegenansprüchen stellt die Einziehung der fälligen Steuern keine erhebliche Härte dar, die eine Stundung gebietet.
Fundstellen
Haufe-Index 74606 |
BStBl II 1983, 397 |
BFHE 1983, 1 |