Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn bereits Einkommensteuerveranlagungen vorgenommen worden sind, so steht das einer nachträglichen einheitlichen Gewinnfeststellung grundsätzlich nicht entgegen.
Der Gewinn einer aus Vater, Sohn und Tochter bestehenden KG ist dem bisher als Alleininhaber tätig gewesenen Vater zuzurechnen, wenn der Gewinn tatsächlich nicht auf die Gesellschafter aufgeteilt, sondern dem Vater allein belassen worden ist.
Normenkette
AO § 215 Abs. 2; EStG § 15 Nr. 2
Tatbestand
Nach Auffassung der Bfin., einer aus Vater, Sohn und Tochter bestehenden KG, ist das bis zum 31. Dezember 1958 von dem Vater als Alleininhaber geführte Straßen- und Tiefbauunternehmen ab 1. Januar 1959 von der KG betrieben worden. Das Finanzamt hat jedoch den Einkommensteuererklärungen des Vaters entsprechend diesem die Gewinne der Jahre 1959 und 1960 als Einzelunternehmen zugerechnet; die Veranlagungen sind rechtskräftig.
Dem Finanzamt war von dem damaligen Berater der Firma, einem Steuerbevollmächtigten, unter dem 5. Januar 1959 angezeigt worden, daß das Unternehmen ab 1. Januar 1959 in der Form einer KG betrieben werde. Im April 1960 erhielt es auch vom Amtsgericht die Mitteilung, daß die KG in das Handelsregister eingetragen worden sei. Die vom Finanzamt an die KG übersandten Steuererklärungsvordrucke wurden trotz Mahnung nicht ausgefüllt; wie bisher gab vielmehr der Vater auch weiterhin die für die einkommensteuerliche und gewerbesteuerliche Erfassung erforderlichen Steuererklärungen ab und erklärte darin den Gewinn als seinen Gewinn. In den Akten des Vaters und in den Akten der KG vermerkte das Finanzamt im Februar 1961, daß es zur Errichtung der KG nicht gekommen sei, weil hinsichtlich der Beteiligungsverhältnisse keine Einigung habe erzielt werden können. In der Zeit vom 29. Juni bis 17. Juli 1961 fand bei der Firma eine Betriebsprüfung statt, die die Veranlagungszeiträume 1957 bis 1959 umfaßte. In dem Prüfungsbericht findet sich der Vermerk, es sei beabsichtigt gewesen, das Unternehmen ab 1. Januar 1959 als KG weiterzuführen, die Verhandlungen der Beteiligten untereinander hätten jedoch zu keinem endgültigen Ergebnis geführt; auch die Buchhaltung sei unverändert weitergeführt worden; die KG sei am 18. März 1960 in das Handelsregister eingetragen worden, obwohl die eigentlichen Voraussetzungen (vertragliche Gestaltung, Buchführung, Eröffnungsbilanz) fehlten; die Firma trage zwar auf ihren Briefköpfen die Bezeichnung KG, sei aber steuerlich ein Einzelunternehmen. In der Schlußbesprechung, an der auch der Berater der Bfin. teilnahm, wurden gegen die Behandlung als Einzelunternehmen keine Bedenken geltend gemacht. Die auf Grund der Betriebsprüfung berichtigten Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide richteten sich wiederum gegen den Vater als Einzelunternehmer und wurden rechtskräftig.
Unter dem 31. Januar 1962 wandte sich die Bfin. über ihren neuen Steuerberater an das Finanzamt mit der Bitte, ihre gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Das Finanzamt antwortete, daß nach seiner Kenntnis keine KG bestehe. Im Februar 1962 schlossen die Gesellschafter einen schriftlichen Vertrag mit Wirkung ab 1. Januar 1962, in dem einleitend festgestellt wurde, daß sie laut Eintragung ins Handelsregister bereits seit dem 1. Januar 1959 ein Straßen- und Tiefbaugeschäft in der Rechtsform einer KG betrieben und daß, da "bisher lediglich das Anwenden der im Handelsgesetzbuch enthaltenen gesetzlichen Bestimmungen Bestandteil der über die Regelung der Gesellschaftsverhältnisse getroffenen Vereinbarungen" gewesen sei, "nunmehr, um die Entwicklung und die besonderen Gegebenheiten der Gesellschaft besser zu berücksichtigen, die in Zukunft geltenden Vereinbarungen über die Gesellschaftsverhältnisse im nachstehenden Vertrag schriftlich niedergelegt" würden. Die Bfin. beschwerte sich bei der Oberfinanzdirektion über das erwähnte Antwortschreiben des Finanzamts, worauf die Oberfinanzdirektion dem Finanzamt mitteilte, daß über die behauptete Mitunternehmereigenschaft nur in einem Feststellungsverfahren entschieden werden könne.
Das Finanzamt erließ nunmehr für die Jahre 1959 und 1960 Gewinnfeststellungsbescheide und rechnete darin den Gewinn dieser Jahre voll dem Vater zu.
Die Sprungberufung wurde mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Feststellungsbescheide ersatzlos aufgehoben wurden. Das Finanzgericht, dessen Entscheidung in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1963 S. 429 abgedruckt ist, hielt zwar den Erlaß von Feststellungsbescheiden grundsätzlich noch für möglich, auch wenn die beteiligten Gesellschafter bereits rechtskräftig zur Einkommensteuer veranlagt seien. Im Streitfall verstoße aber der Antrag der Bfin. gegen Treu und Glauben.
Mit ihrer Rb. rügt die Bfin. unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Nach ihrer Ansicht durfte das Finanzgericht nicht daran vorbeigehen, daß die KG in das Handelsregister eingetragen und daß dies dem Finanzamt mitgeteilt worden war. Das Finanzamt habe unter diesen Umständen das Bestehen der KG anerkennen müssen. Daß über die Verteilung des Gewinns kein schriftlicher Vertrag vorgelegen habe, sei unschädlich; in solchen Fällen griffen die Bestimmungen des HGB ein. Die Unterlassung der einheitlichen Gewinnfeststellung sei fehlerhaft. Der Fehler sei durch die Oberfinanzdirektion aufgedeckt, so daß die einheitliche Gewinnfeststellung, wenn sie nicht schon ohnehin nachzuholen sei, auf jeden Fall nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO durchgeführt werden müsse. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben könne ihr nicht vorgeworfen werden. Sie sei seinerzeit nicht sachgemäß vertreten gewesen; der Steuerbevollmächtigte sei sich offenbar über die gesellschaftsrechtlichen Fragen nicht im klaren gewesen. Dies könne ihr - der Bfin. - aber nicht angelastet werden, weil sie darauf hätte vertrauen dürfen, daß ein vom Finanzamt zugelassener Bevollmächtigter über die erforderlichen Kenntnisse verfüge. Schließlich sei zu beanstanden, daß das Finanzgericht ihr die Kosten auferlegt habe. Das Finanzgericht habe die Feststellungsbescheide ersatzlos aufgehoben; sie habe ihre Rechtsmittel aber gerade eingelegt, weil die Bescheide erlassen worden seien. Seien diese zu Unrecht erlassen worden, dann müßten die Kosten nicht ihr, sondern der Finanzverwaltung auferlegt werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist im Ergebnis nicht begründet.
Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß eine einheitliche Gewinnfeststellung grundsätzlich noch durchgeführt werden kann, auch wenn die Einkommensteuerveranlagungen der Gesellschafter, in die die festgestellten Gewinnanteile zu übernehmen sind, bereits vorgenommen worden und unanfechtbar sind. Nach § 218 Abs. 4 AO sind, wenn ein Feststellungsbescheid geändert wird, auch die auf diesem beruhenden Bescheide entsprechend zu ändern. Wie der Bundesfinanzhof in dem Urteil IV 357/54 U vom 10. November 1955 (BStBl 1955 III S. 398, Slg. Bd. 61 S. 519) im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs ausgeführt hat, findet § 218 Abs. 4 AO auch Anwendung, wenn der Gewinn erst nach der Vornahme der Einzelveranlagungen einheitlich festgestellt wird. Der Bundesfinanzhof hat hier in der Tatsache, daß die Einzelveranlagungen bereits durchgeführt waren, kein Hindernis für die einheitliche Gewinnfeststellung gesehen. Dies entspricht auch der Auffassung des erkennenden Senats. Wenn § 215 Abs. 2 AO die einheitliche Gewinnfeststellung als einen besonderen Bescheid herausstellt, so liegt darin eine Verselbständigung gegenüber der Einkommensteuerveranlagung. Die Frage, ob eine nicht vorgenommene Gewinnfeststellung noch nachgeholt werden kann, ist nur aus dem Feststellungsverfahren heraus zu beantworten. Ist keine Gewinnfeststellung getroffen worden, so steht ihrer Nachholung grundsätzlich nichts im Wege, ähnlich etwa, wie auch eine Einkommensteuerveranlagung grundsätzlich nachgeholt werden kann, wenn sie versehentlich unterblieben ist.
Dem Finanzgericht ist zuzugeben, daß eine nachträgliche einheitliche Gewinnfeststellung unter besonderen Umständen unzulässig sein kann, z. B. wenn die Einkommensteuer, für deren Veranlagung die Feststellung zugrunde zu legen wäre, bereits verjährt ist. Ob man mit dem Finanzgericht von einem "Anspruch" des Steuerpflichtigen auf die einheitliche Gewinnfeststellung sprechen kann und ob ein Anspruch dieser Art wirklich, wie das Finanzgericht meint, verwirkt werden kann, erscheint dem Senat bedenklich. Keinesfalls kann man aber daraus die vom Finanzgericht gezogene Folgerung ableiten, daß hier keine Feststellung vorgenommen werden könne; denn die Frage, ob eine einheitliche Gewinnfeststellung vorzunehmen ist, ist auch von Amts wegen zu prüfen. Die Gewinnfeststellung steht ferner, wenn mehrere an denselben Einkünften beteiligt sind, nicht im Ermessen des Finanzamts.
Das angefochtene Urteil war danach wegen unrichtiger Anwendung von § 215 AO aufzuheben, weil es die Zulässigkeit der einheitlichen Gewinnfeststellung zu Unrecht verneinte. überdies hätten - auch vom Standpunkt des Finanzgerichts aus - die angefochtenen Feststellungsbescheide nicht ersatzlos aufgehoben werden dürfen, sondern durch eine "Ablehnung" der Anträge auf Erlaß der einheitlichen Gewinnfeststellung ersetzt werden müssen.
Nach Aufhebung der Vorentscheidung kann der Senat gemäß § 296 Abs. 3 AO in der Sache selbst entscheiden. Die Sache ist spruchreif. Das Finanzgericht hat die Berufung mit Recht als unbegründet zurückgewiesen. Der Bfin. ist zuzugeben, daß durch die Eintragung in das Handelsregister die KG entstanden ist. Dem entspricht, daß das Finanzamt die einheitlichen Gewinnfeststellungen gegenüber den Gesellschaftern (Vater, Sohn und Tochter) erlassen hat. Es hat zu Recht aber dabei den gesamten Gewinn zutreffend dem Vater zugerechnet. Wie sich aus den Erklärungen des Vaters und dem Verhalten der Kinder ergibt, ist der der KG zugrunde liegende Vertrag, soweit es um die Gewinnverteilung ging, nicht vollzogen worden; der Gewinn ist vielmehr voll dem Vater belassen worden. Nur diese Tatsache konnte der einheitlichen Feststellung zugrunde gelegt werden. Wenn die Bfin. unter Hinweis auf die angebliche Unkenntnis ihres früheren Beraters ihr eigenes Verhalten, besonders auch ihr Verhalten in der Schlußbesprechung, als unmaßgeblich darzustellen sucht, so ist dem nicht zu folgen. Auch dem Nichtfachmann ist klar, daß bei einer Gesellschaft grundsätzlich nicht ein Gesellschafter allein den gesamten Gewinn, sondern jeder etwas erhält. Wenn gleichwohl der Vater alles als seinen Gewinn erklärt hat und weder der Sohn noch die Tochter etwas anderes geltend gemacht haben, so müssen sie dies jetzt gegen sich gelten lassen.
Danach war das Urteil des Finanzgerichts, das die Berufung unter ersatzloser Aufhebung des Feststellungsbescheids zurückgewiesen hatte, zwar aufzuheben. Die Berufung war aber wiederum als unbegründet zurückzuweisen.
Bei der Bemessung des Streitwerts ist das Finanzgericht von dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 320/60 S vom 28. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 196, Slg. Bd. 72 S. 540) ausgegangen, nach dem in den Feststellungsfällen, in denen es lediglich um die Aufteilung des Gewinns auf Ehegatten geht, der Streitwert auf 10 v. H. des in der Zurechnung umstrittenen Gewinns festzustellen ist. Wie der erkennende Senat verschiedentlich dargelegt hat (z. B. in dem Urteil VI 224/62 vom 21. Juni 1963, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 S. 427), handelt es sich hierbei um eine auf den Fall von Ehegatten beschränkte Ausnahme. Für den Streitfall muß es daher bei der Regel bleiben, daß der Streitwert in Feststellungssachen auf 25 v. H. des strittigen Gewinns festzustellen ist. Die Gewinne der Jahre 1959 und 1960 stellten sich auf zusammen 242.991 DM. Hiervon sollten angeblich auf die Kinder 56 v. H., also insgesamt 136.075 DM fallen. Das ergab einen Streitwert von 34.018 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 411425 |
BStBl III 1965, 52 |
BFHE 1965, 147 |
BFHE 81, 147 |