Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des Art. VI Abs. 2 DBA-Großbritannien
Leitsatz (amtlich)
Für die Anwendung des Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 ist es unerheblich, ob die Dividende i.S. des Abs.1 Satz 2 der Vorschrift in Großbritannien "steuerpflichtig" ist.
Normenkette
DBA GBR 1964 Art. 6 Abs. 2; DBA GBR Art. VI Abs. 2 Fassung: 1970-03-23; EStG §§ 43ff, 43
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Erziehungseinrichtung nach englischem Recht. In den Jahren 1978 und 1979 war sie an der C-GmbH mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zu 50 v.H. beteiligt. Die C-GmbH schüttete im Kalenderjahr 1979 an die Klägerin eine Dividende in Höhe von 190 000 DM aus. Von dieser Dividende behielt die C-GmbH eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 v.H. (*= 47 500 DM) ein und führte sie an das zuständige Finanzamt (FA) ab.
Mit Schreiben vom 18.April 1980 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen --BfF--), ihr den Teil der Kapitalertragsteuer zu erstatten, der 20 v.H. der Dividende übersteigt (*= 5 v.H. von 190 000 DM *= 9 500 DM). Der Antrag wurde auf Art.VI Abs.2 zweiter Halbsatz des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 23.März 1970 --DBA-Großbritannien 1964/70-- (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) gestützt. Das BfF lehnte den Antrag durch Bescheid vom 2.Juni 1980 mit der Begründung ab, die Klägerin sei in Großbritannien von der Besteuerung der Dividende befreit und dies schließe die Erstattung aus (Art.VI Abs.1 Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/70).
Gegen die Entscheidung legte die Klägerin zunächst Einspruch und später Klage ein. Beide Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.
Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verfahrensfehler und die Verletzung des Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70.
Sie beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Urteils des FG Köln vom 24.Juni 1987 6 K 648/80, des Bescheides des BfF vom 2.Juni 1980 und der Einspruchsentscheidung vom 21.Oktober 1981 das BfF zu verpflichten, an die Klägerin 9 500 DM zu erstatten.
Das BfF beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des Bescheides vom 2.Juni 1980 und der Einspruchsentscheidung des BfF vom 21.Oktober 1980 und zu der Verpflichtung des BfF, gegenüber der Klägerin einen Erstattungsbescheid über 9 500 DM Kapitalertragsteuer zu erlassen (§ 126 Abs.3 Nr.1 i.V.m. § 121, § 101 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Dem FG sind keine Verfahrensfehler unterlaufen. Die entsprechende Rüge der Klägerin greift nicht durch. Dies bedarf keiner weiteren Begründung (Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs --BFHEntlG--).
2. Nach Art.XVIII A Abs.4 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/70 schließt das Abkommen es nicht aus, daß die Steuer eines der Gebiete (hier: der Bundesrepublik) im Abzugswege an der Quelle nach Sätzen erhoben wird, die maßgebend wären, wenn das Abkommen nicht in Kraft wäre. Deshalb behielt die C-GmbH im Jahre 1979 zutreffend auf die an die Klägerin ausgeschüttete Dividende eine Kapitalertragsteuer von 25 v.H. gemäß § 43 Abs.1 Nr.1 i.V.m. § 43a Abs.1 Nr.1 und § 44 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977 ein und führte sie an das zuständige FA ab (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22.Oktober 1986 I R 261/82, BFHE 148, 143, BStBl II 1987, 171). Der Klägerin war es wegen Art.XVIII A Abs.4 DBA-Großbritannien 1964/70 verwehrt, gegen die Steueranmeldung erfolgreich Einspruch einzulegen (vgl. BFH-Urteil vom 27.Juli 1988, I R 28/87, BFHE 155, 479, BStBl II 1989, 449). Sie war darauf angewiesen, die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer zu beantragen, soweit diese nach Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 nicht geschuldet wurde.
3. Nach Art.VI Abs.2 zweiter Halbsatz DBA-Großbritannien 1964/70 darf die Bundesrepublik auf die Dividenden, die eine in der Bundesrepublik ansässige Gesellschaft (hier: C-GmbH) an eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft zahlt, nur eine deutsche Kapitalertragsteuer von höchstens 20 v.H. erheben, wenn die Beteiligung der im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaft mindestens 25 v.H. und der Unterschied zwischen den Körperschaftsteuersätzen der Bundesrepublik für ausgeschüttete Gewinne einerseits und für nicht ausgeschüttete Gewinne andererseits mindestens 20 v.H. und weniger als 28 v.H. beträgt. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall auf der Grundlage der den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 FGO) erfüllt. Die Klägerin war eine in Großbritannien ansässige Gesellschaft. Unter diesen Begriff fällt nämlich auch jeder Rechtsträger, der steuerlich als juristische Person behandelt wird (Art.II Abs.1 Buchst.g DBA-Großbritannien 1964/70). Die Klägerin war Erziehungseinrichtung nach englischem Recht. Sie wird nach deutschem Recht dem § 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 zugeordnet, wobei dahinstehen kann, ob die Klägerin Körperschaft oder Vermögensmasse war und ob sie dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Die Klägerin war an der C-GmbH zu 50 v.H. beteiligt. Die C-GmbH war eine in der Bundesrepublik ansässige Gesellschaft im Sinne des Art.II Abs.1 Buchst.g DBA-Großbritannien 1964/70. Der Körperschaftsteuersatz betrug in der Bundesrepublik für thesaurierte Gewinne im Jahre 1979 56 v.H. (§ 23 Abs.1 KStG 1977). Der Körperschaftsteuersatz für ausgeschüttete Gewinne betrug 36 v.H. (§ 27 Abs.1 KStG 1977). Damit belief sich die Differenz zwischen den beiden Steuersätzen auf 20 v.H.. Folglich darf die Kapitalertragsteuer wegen Art.VI Abs.2 zweiter Halbsatz DBA-Großbritannien 1964/70 20 v.H. der Dividende von 190 000 DM = 38 000 DM nicht übersteigen. Tatsächlich wurde jedoch eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 47 500 DM abgeführt. Deshalb ist der Differenzbetrag von 9 500 DM nach Art.XVIII A Abs.4 Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/70 zu erstatten.
4. Entgegen der Auffassung des BfF und des FG steht der Anwendung des Art.VI Abs.2 zweiter Halbsatz DBA-Großbritannien 1964/70 Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift nicht entgegen:
a) Art.VI Abs.2 zweiter Halbsatz DBA-Großbritannien 1964/70 ist "abweichend von Absatz 1" anzuwenden. Schon bei einer nur an dem Wortlaut der Formulierung sich ausrichtenden Auslegung bedeutet dies, daß die Regelung des Absatzes 2 Vorrang vor der des Absatzes 1 hat. Die Rechtsfolge des Absatzes 2 ist anzuwenden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so verdrängt dessen Rechtsfolge die des Absatzes 1. Wann die Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt sind, bestimmt sich nur nach dieser Vorschrift. Da in Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 jede Bezugnahme auf die Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 fehlt, ist es für die Anwendung des Absatzes 2 unerheblich, ob die Dividende im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 in Großbritannien "steuerpflichtig" ist.
b) Die gleiche Auslegung ergibt sich aus der englischen Fassung des Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70. Die Formulierung "Notwithstanding the provisions of paragraph (1)" ist im Sinne von "ungeachtet der Vorschrift des Absatzes 1" zu verstehen. Sie macht deutlich, daß Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 insgesamt dem Absatz 1 vorgeht und läßt keinen Raum für eine Bezugnahme des Absatzes 2 auf einzelne Tatbestandsmerkmale des Absatzes 1 Satz 2.
c) Aus dem "Sachzusammenhang" zwischen Art.VI Abs.1 und 2 DBA-Großbritannien 1964/70 folgt nichts anderes. Ein Sachzusammenhang zwischen beiden Absätzen besteht einmal insoweit, als beide Absätze sich auf Dividenden im Sinne des Art.VI Abs.4 DBA-Großbritannien 1964/70 beziehen. Daraus folgt jedoch für die hier zu entscheidende Rechtsfrage nichts. Im übrigen besteht ein Sachzusammenhang zwischen den beiden Absätzen insoweit, als Art.VI Abs.1 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/70 die Grundregel enthält, daß die aus der Bundesrepublik stammenden Dividenden in beiden Vertragsstaaten besteuert werden können. Auf dieser Grundregel bauen sowohl Absatz 1 Satz 2 als auch Absatz 2 auf. Art.VI Abs.1 Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/70 schränkt allgemein das Quellenbesteuerungsrecht beider Vertragsstaaten, soweit sie im Einzelfall als Quellenstaat fungieren, auf jeweils 15 v.H. der Dividende ein. Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 beschränkt dagegen nur das Quellenbesteuerungsrecht der Bundesrepublik und auch dieses nur auf 20 v.H. einer Schachteldividende. Schon hieraus folgt, daß die Bundesrepublik Schachteldividenden "besonders" besteuern wollte. Sie wollte sich insoweit der überwiegend engeren Regelung des Absatzes 1 Satz 2 nicht unterwerfen. Dies schließt jedoch nicht aus, daß sie bereit war, Schachteldividenden auch dann nur mit 20 v.H. zu besteuern, wenn die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 nicht vorlagen. Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 ist bei richtiger Auslegung als eine Sonderregelung zu verstehen, die einerseits nur das Quellenbesteuerungsrecht der Bundesrepublik zum Gegenstand hat, andererseits jedoch für alle Schachteldividenden gilt. Mit der Beschränkung des Quellenbesteuerungsrechts der Bundesrepublik auf 20 v.H. der Dividende korrespondiert die Verpflichtung Großbritanniens, in gleicher Höhe die deutsche Kapitalertragsteuer auf die in Großbritannien zu erhebende Steuer anzurechnen (Art.XVIII Abs.1 Buchst.a DBA-Großbritannien 1964/70).
d) Die von dem erkennenden Senat vertretene Rechtsauffassung bedeutet keinen "unverständlichen Bruch in der Logik des Abkommens", wie es das BfF in der Einspruchsentscheidung ausführt. Die den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Auslegungsschwierigkeiten sind darauf zurückzuführen, daß Großbritannien und die Bundesrepublik bei Abschluß des Abkommens 1964/70 jeweils eine unterschiedliche Abkommenspolitik betrieben. Die Bundesrepublik stellte damals Schachteldividenden, die im Inland aus Auslandsbeteiligungen erzielt wurden, von der inländischen Besteuerung frei (vgl. Art.XVIII Abs.2 Buchst.a Satz 3 DBA-Großbritannien 1964/70). Flossen Schachteldividenden aus der Bundesrepublik in einen anderen DBA-Staat, so erhob die Bundesrepublik zu Lasten des im Ausland ansässigen Anteilseigners nur eine Kapitalertragsteuer, die im Verhältnis zu einigen DBA-Staaten auf einen Steuersatz unter 25 v.H. abgesenkt wurde (vgl. z.B. Art.VI Abs.1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada vom 4.Juni 1956 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen --DBA-Kanada 1956--, BGBl II 1957, 187, BStBl I 1957, 253; Art.13 Abs.4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16.Juni 1959 --DBA-Niederlande 1959--, BGBl II 1960, 1781, BStBl I 1960, 382; Art.13 Abs.4 des Abkommens vom 23.August 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern --DBA-Luxemburg 1958--, BGBl II 1959, 1269, BStBl I 1959, 1023). Die Absenkung des Steuersatzes auf unter 25 v.H. galt jeweils unabhängig davon, ob die Schachteldividende in dem anderen Vertragsstaat einer Besteuerung unterworfen wurde. Nicht selten war sie dort steuerfrei. So gesehen ist es nur konsequent, daß die Bundesrepublik sich der Regelung in Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 unabhängig davon unterwarf, wie die Schachteldividende in Großbritannien besteuert wurde. Großbritannien verfolgte dagegen seinerseits ausschließlich die Anrechnungsmethode. Es gewährte zusätzlich die indirekte Steueranrechnung (Art.XVIII Abs.1 Buchst.b DBA-Großbritannien 1964/70) und wollte einer Reduzierung der Quellensteuer nur dann zustimmen, wenn die Dividende in der Bundesrepublik steuerpflichtig war.
e) Die vorgenommene Auslegung widerspricht auch im übrigen nicht dem Sinn des Schachtelprivilegs. Dieses dient der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbelastung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sowohl auf der Ebene der Tochtergesellschaft als auch auf der Ebene der Muttergesellschaft. Die Doppelbelastung wird regelmäßig durch Maßnahmen auf der Ebene der Muttergesellschaft vermieden. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Dividenden bei der Muttergesellschaft steuerfrei gestellt werden oder ob die Steuer der Tochtergesellschaft sowie evtl. Quellensteuern auf die Steuer der Muttergesellschaft angerechnet werden. Das wirtschaftliche Ergebnis ist jeweils vergleichbar. Das Ziel, Schachteldividenden begünstigt zu besteuern, erklärt dann aber auch das Abweichen der Regelung in Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 von der in Absatz 1 Satz 2.
f) Der Hinweis des BfF auf Art.10 Nr.2 OECD-Musterabkommen aus 1963 (OECD-MustAbk) geht schon deshalb fehl, weil das OECD-MustAbk 1963 keine dem Art.VI Abs.1 Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/70 vergleichbare Regelung enthält.
5. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Deshalb kann seine Entscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Klägerin erfüllt alle Tatbestandsvoraussetzungen, die nach Art.XVIII A Abs.4 Satz 2 i.V.m. Art.VI Abs.2 DBA-Großbritannien 1964/70 für die Erstattung der 9 500 DM Kapitalertragsteuer zu fordern sind. Die Vorentscheidung, der Bescheid vom 2.Juni 1980 und die Einspruchsentscheidung vom 21.Oktober 1980 waren deshalb aufzuheben. Das BfF war zu verpflichten, den beantragten Erstattungsbescheid zu erlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 63445 |
BFH/NV 1990, 44 |
BFHE 159, 518 |
BFHE 1990, 518 |
BB 1990, 1053 (L) |
DStR 1990, 415 (KT) |
HFR 1990, 420 (LT) |
StE 1990, 179 (K) |