Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird das Urteil des Finanzgerichts wegen mangelnder Sachaufklärung aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen, so ist das Finanzgericht nicht berechtigt, erneut ohne entsprechende Sachaufklärung zu entscheiden, weil es diese aus irgendwelchen Gründen nicht für angezeigt hält.
Normenkette
AO §§ 217, 288; FGO § 118/1; AO § 296 Abs. 4; FGO § 126/5
Tatbestand
Der Bf. bewirtschaftete in den Jahren 1948 und 1949 als Landwirt zwei Obsthöfe von 2,10 ha und 4,62 ha Größe. Streitig sind die Schätzungen seiner Gewinne für die Veranlagungen II/1948 und 1949 nach § 217 AO. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
In seinem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil bestätigte der Senat die Feststellung des Finanzgericht, daß die Voraussetzungen der Schätzung nach § 217 AO beim Bf. gegeben seien. Das Urteil des Finanzgerichts wurde jedoch wegen unvollständiger Sachaufklärung aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen, das bei seiner erneuten Entscheidung die in der Rb. vom Bf. erstmals vorgebrachte Behauptung prüfen sollte, bei der Nachprüfung seines Obstlagerbestandes durch einen Prüfer des Finanzamts im November 1949 seien bei ihm nicht nur eigene Obstvorräte, sondern es sei auch Obst seines Bruders eingelagert gewesen.
Das Finanzgericht gelangte zu dem Ergebnis, daß sein Urteil im ersten Rechtsgang im wesentlichen bestehen bleiben müsse.
Entscheidungsgründe
Die erneute Rb. führt wiederum zur Aufhebung der Vorentscheidung. Das Finanzgericht war auch im zweiten Rechtsgang Tatsacheninstanz und hatte als solche die Aufgabe, die Richtigkeit der erstmals in der Rb. vorgebrachten Behauptung des Bf., bei Nachprüfung seiner Obstvorräte durch das Finanzamt im November 1949 seien bei ihm ca. 100 Ztr. Obst seines Bruders eingelagert gewesen, die der Prüfer aus Unwissenheit mitgezählt habe, von Amts wegen zu ermitteln. Der Senat hat das Finanzgericht auf diese Verpflichtung ausdrücklich hingewiesen. Das Finanzgericht ist ihr jedoch nicht nachgekommen; es glaubte vielmehr durch hypothetische Annahmen eine Tatsachenbehauptung als unzutreffend widerlegen zu können, die im gerichtlichen Verfahren nur durch geeignete Beweiserhebungen, hier durch Vernehmung von Auskunftspersonen, z. B. der Schwiegertochter oder des Sohnes des Bf., hätte geklärt werden können. Im übrigen verkennt das Finanzgericht mit der Feststellung, es würde jeder Lebenserfahrung widersprechen, daß der Bf., wenn er wirklich fremdes Obst eingelagert gehabt hätte, weder im Veranlagungs- noch im Einspruchsverfahren darauf hingewiesen habe, die Bedeutung der Nachprüfung des Lagerbestands vom 6. November 1949 im ganzen Verfahren bis zum finanzgerichtlichen Urteil. Im Veranlagungsverfahren und im Einspruchsverfahren wurde die Schätzung der Ernte 1949 auf die Betriebsprüfung vom Juli 1950 gestützt; das Ergebnis der Nachprüfung des Obstlagers im November 1949 war nicht mehr als Grundlage für die Gewinnberechnung aufgegriffen worden. Erst das Finanzgericht hat bei seiner Schätzung der Gesamternte 1949 auf das Ergebnis dieser Nachprüfung zurückgegriffen. Es ist daher naheliegend, daß der Bf. erst in seinem Rechtsmittel gegen das Urteil des Finanzgerichts auf die Einlagerung fremden Obstes im November 1949 hingewiesen hat, zumal er bei der Nachprüfung selbst nicht anwesend war.
Die Aufklärung dieser strittigen Tatfrage ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil es von ihr abhängt, ob die Vorinstanz bei ihrer Schätzung berechtigt war, bei der Feststellung der Gesamternte 1949 eine Hinzuschätzung von 117 Ztr. vorzunehmen. Sollte sich nämlich herausstellen, daß die betreffenden Beamten tatsächlich ca. 100 Ztr. Obst, die dem Bruder des Bf. gehörten, irrtümlich dem eigenen Lagerbestand des Bf. zugerechnet haben, so würde damit die Grundlage für diese Hinzuschätzung wegfallen.
Der Senat hat im ersten Rechtsgang das Urteil des Finanzgerichts wegen unvollständiger Sachaufklärung aufgehoben, weil es dem Einwand des Bf. nicht nachgegangen war, für den benachbarten Obsthof seines Bruders habe das Finanzamt bei fast dreifacher Größe und älterem Baumbestand nahezu die gleiche Ertragsmenge geschätzt wie für seinen Hof. Durch die mit der Aufhebung verbundene Zurückverweisung der Sache aus dem angeführten Grunde war der Vorinstanz von selbst die Verpflichtung auferlegt, in dieser Frage eine weitere Sachaufklärung durchzuführen. Gemäß § 296 Abs. 4 AO war das Finanzgericht an diese Verpflichtung gebunden. Die Vorinstanz hat jedoch unter Berufung auf das Steuergeheimnis gar nicht den Versuch unternommen, in dieser Frage durch geeignete Ermittlungen die angegriffenen Punkte zu klären. Nachdem es sich bei dem Nachbarhof um den landwirtschaftlichen Betrieb des Bruders des Bf. gehandelt hat, der selbst ein ähnliches Rechtsmittel beim Finanzgericht laufen hatte und dabei auch die Interessen des Bf. als dessen Bevollmächtigter wahrgenommen hat, hätte das Finanzgericht zumindest bei den Beteiligten anfragen müssen, ob sie zum Zwecke eines Betriebsvergleichs mit der Aufhebung des Steuergeheimnisses einverstanden seien. Dies lag um so näher, als der Bf. über die Schätzung der Erträge seines Bruders, offenbar durch ihn selbst, genau unterrichtet war. Es ist auch nicht so, daß ein solcher Vergleich der beiden Ertragsschätzungen für die Entscheidung ohne Bedeutung wäre. Denn es geht auch bei diesem Einwand des Bf. allein um die Frage, ob die Hinzuschätzung von 117 Ztr. begründet war.
Es ist sicher schwierig, die hier strittigen Tatsachen nach so vielen Jahren noch aufzuklären. Diese Schwierigkeiten dürfen sich aber keinesfalls zum Nachteile des Bf. auswirken, da nicht er es zu vertreten hat, daß sein Fall durch die Verwaltung und die Gerichte erst viele Jahre später bearbeitet wurde. Eine solche nachteilige Möglichkeit wäre aber gegeben, wenn die Gerichte wegen des Zeitablaufs auf Beweiserhebungen verzichten und auf Grund bloßer Wahrscheinlichkeitserwägungen zuungunsten des Bf. entscheiden würden.
Schließlich durfte das Finanzgericht nach der Zurückverweisung der Sache durch den Senat seine neue Entscheidung schon deshalb nicht auf solche Erwägungen ohne die Erhebung von Beweisen gründen, weil diese Erwägungen ja der Senat selbst hätte anstellen können und angestellt hätte, wenn er sie für ausreichend und damit für bedeutsam erachtet hätte.
Das Urteil des Finanzgerichts muß daher gemäß § 288 in Verbindung mit § 296 Abs. 4 AO und wegen mangelnder Sachaufklärung aufgehoben werden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 182/51 U vom 11. Dezember 1951, BStBl 1952 III S. 22, Slg. Bd. 56 S. 53, und IV 72/59 U vom 30. April 1959, BStBl 1959 III S. 276, Slg. Bd. 69 S. 40), da es nicht ausgeschlossen ist, daß das Finanzgericht hinsichtlich der Höhe der Schätzung der Erträge des Bf. für das Jahr 1949 zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die strittigen Sachverhalte durch geeignete Beweiserhebungen aufgeklärt hätte. Der Fall wird nochmals an das Finanzgericht zurückverwiesen, das bei seiner erneuten Entscheidung seine Bindung gemäß § 296 Abs. 4 AO an die oben dargelegte rechtliche Beurteilung, insbesondere an die vom Senat ausgesprochene Verpflichtung, bestimmte Ermittlungen durchzuführen, soweit es noch möglich ist, zu beachten haben wird. Die Vorinstanz wird dabei auch selbst zu prüfen haben, inwieweit die Bestimmungen des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BStBl 1957 I S. 352) Anwendung finden. Das Finanzgericht ist nicht berechtigt, wegen der Frage der Ehegattenbesteuerung die Sache an das Finanzamt zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409679 |
BStBl III 1960, 276 |
BFHE 1961, 76 |
BFHE 71, 76 |