Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis der Bundesanstalt für Arbeit; Pfändung von Kindergeld
Leitsatz (NV)
1. Die Bundesanstalt für Arbeit ist bei der Pfändung des Anspruchs auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz Drittschuldner.
Sie ist befugt, die Unpfändbarkeit des Kindergeldanspruchs mit der Klage auch vor den Finanzgerichten geltend zu machen.
Die Bundesanstalt kann auch durch den Direktor eines Arbeitsamtes gerichtlich vertreten werden.
2. Zur Unpfändbarkeit des Anspruchs auf Kindergeld nach dem BKGG aufgrund von Ansprüchen der Finanzverwaltung aus dem Steuerschuldverhältnis (Abweichung vom Urteil des Senats vom 18. Mai 1982 VII R 98/80, BFHE 136, 54, BStBl II 1982, 576).
Normenkette
FGO § 57; ZPO § 50 Abs. 1; AFG § 189; SGB I § 54 Abs. 2, 3 Nr. 2; AO 1977 § 319; BKGG
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) betreibt gegen den Steuerpflichtigen K wegen vollstreckbarer Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (insgesamt 191 581,49 DM) die Zwangsvollstreckung. Mit Verfügung vom 4. Oktober 1982 pfändete das FA beim Arbeitsamt B als Drittschuldner die Ansprüche des Schuldners auf Kindergeld. Die Beschwerde des Drittschuldners gegen die Pfändungsverfügung blieb erfolglos.
Mit der von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), der Bundesanstalt für Arbeit, - vertreten durch den Direktor des Arbeitsamtes B - erhobenen Klage beantragte diese, die Pfändungsverfügung aufzuheben. Sie vertrat die Ansicht, die Pfändung des Kindergeldanspruchs sei im Hinblick auf Art. 1 § 54 des Sozialgesetzbuches, Erstes Buch, Allgemeiner Teil (SGB I) rechtswidrig.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus:
Die Klage sei unzulässig, denn sie sei vom falschen Kläger erhoben worden. Nach § 25 Abs. 2 SGB I seien für die Leistungen nach dem Kindergeldrecht die Arbeitsämter zuständig. Diese Zuständigkeit umfasse auch das Recht, gegen Pfändungen der Kindergeldansprüche durch die Finanzverwaltung Beschwerde einzulegen und im Unterliegensfalle zu klagen. Die Klage sei jedoch von der Bundesanstalt für Arbeit erhoben worden. Der richtige Kläger (das Arbeitsamt B) trete nur als deren Bevollmächtigter auf.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe zu Unrecht die Klagebefugnis der Bundesanstalt für Arbeit verneint.
In der Sache rügt die Klägerin Verletzung der § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I und § 850e Nr. 2 Buchst. a der Zivilprozeßordnung (ZPO). Sie führt aus, die Pfändung des Kindergeldes wegen Steuerschulden widerspreche seiner Zweckbestimmung und sei daher unzulässig.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des FA in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. Das FG hat die Klage der Klägerin zu Unrecht durch Prozeßurteil als unzulässig abgewiesen.
1. Im Streitfall befinden sich zwei Sachurteilsvoraussetzungen, nämlich die Beteiligtenfähigkeit und die Prozeßführungsbefugnis (Klagebefugnis) der Klägerin, im Streit (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 57 FGO Tz.1). Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin als Drittschuldnerin gegen die Pfändung der Ansprüche eines Steuerpflichtigen auf Kindergeld durch das FA. Der Drittschuldner ist befugt, Einwendungen gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung, zu denen auch die Geltendmachung der Unpfändbarkeit von Forderungen (vgl. § 319 der Abgabenordnung - AO 1977 -) gehört, bei der Vollstreckung nach der ZPO mit der Erinnerung (§ 766 ZPO), bei der Verwaltungszwangsvollstreckung durch die Finanzbehörde nach der AO 1977 mit der Anfechtungsklage geltend zu machen (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 766 Rdnr. 32 m.w.N. in Fußnote 94; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 45. Aufl., § 766 Anm. 3 C Stichwort ,,Drittschuldner"; Tipke/Kruse, a.a.O., § 262 AO 1977 Tz. 3; Bauer, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1978, 871, 873). Ob der Klägerin diese Prozeßführungsbefugnis zusteht, richtet sich danach, ob sie selbst als Drittschuldnerin von der angefochtenen Pfändung betroffen ist. Ihre Fähigkeit, als Klägerin an finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein, setzt ferner voraus, daß sie parteifähig - d.h. rechtsfähig - i.S. des § 50 Abs. 1 ZPO ist, da ein Fall der über die Rechtsfähigkeit nach dem Zivilrecht hinausgehenden besonderen Steuerrechtsfähigkeit hier nicht in Betracht kommt (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 57 FGO Tz. 2).
2. Der Anspruch auf Kindergeld, um dessen Pfändbarkeit im vorliegenden Verfahren gestritten wird, hat seine Rechtsgrundlage im Bundeskindergeldgesetz - BKGG - (vgl. § 1), das auch die Durchführung des Auszahlungsverfahrens regelt (§§ 15, 17 ff., 45 BKGG). Nach § 15 BKGG führt die Bundesanstalt für Arbeit das BKGG nach fachlichen Weisungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung durch (Abs. 1); sie führt bei der Durchführung dieses Gesetzes die Bezeichnung ,,Kindergeldkasse" (Abs. 2). Für die Entgegennahme der Anträge auf Kindergeld und die Entscheidung über die Ansprüche sind die Arbeitsämter zuständig (§§ 17 Abs. 1, 24 BKGG), deren örtliche Zuständigkeit in § 24 Abs. 1 BKGG näher geregelt ist. Nach § 24 Abs. 2 BKGG trifft die Entscheidung über den Antrag der Direktor des Arbeitsamtes. Auch § 25 Abs. 3 SGB I (i.d.F. des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 6. Dezember 1985, BGBl I, 2154 - zuvor § 25 Abs. 2 -) führt die Arbeitsämter als die zuständigen Stellen für die Bearbeitung der Ansprüche nach dem Kindergeldrecht an.
Soweit - wie im Streitfall - das zuständige Arbeitsamt über den geltend gemachten Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG zu entscheiden hat, handelt es als unselbständige Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit (vgl. Schieckel, Arbeitsförderungsgesetz, § 189 Anm. 2). Das folgt bereits aus dem BKGG, das im Zweiten Abschnitt unter der Überschrift ,,Organisation" die Bundesanstalt für Arbeit unter der Bezeichnung ,,Kindergeldkasse" mit der Durchführung dieses Gesetzes beauftragt (§ 15), während es im Vierten Abschnitt ,,Verfahren" den Arbeitsämtern die Abwicklung des Antragsverfahrens im einzelnen zuweist (vgl. §§ 17, 24). Insbesondere ergibt sich die unselbständige Stellung der Arbeitsämter gegenüber der Bundesanstalt aus der Organisationsregelung für die Bundesanstalt für Arbeit in § 189 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Danach ist die Bundesanstalt eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (Abs. 1); sie gliedert sich in die Hauptstelle, die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter (Abs. 2). Als Organe der Bundesanstalt bestimmt § 190 AFG den Verwaltungsrat, den Vorstand und die Verwaltungsausschüsse der Landesarbeitsämter und der Arbeitsämter. Die Arbeitsämter werden somit bei der verfahrensmäßigen Abwicklung der Anträge auf Kindergeld als Gliederungen der Bundesanstalt für Arbeit für diese tätig. Der Direktor des Arbeitsamtes trifft seine in § 24 Abs. 2 BKGG vorgesehene Entscheidung über den Anspruch für die Bundesanstalt für Arbeit als Kindergeldkasse. Schuldnerin der nach dem BKGG zu gewährenden Leistungen ist die Bundesanstalt für Arbeit und nicht das zuständige Arbeitsamt (vgl. Krebs, Arbeitsförderungsgesetz, § 189 Anm. 2; Schieckel, a.a.O., § 189 Anm. 1). Das folgt auch aus § 16 Abs. 2 BKGG, wonach der Bund der Bundesanstalt nach Bedarf die Mittel bereitstellt, die sie für die Zahlung des Kindergelds benötigt.
3. Für den Streitfall ergibt sich daraus, daß die Bundesanstalt für Arbeit und nicht das Arbeitsamt B Drittschuldner des vom FA gepfändeten Anspruchs des Gläubigers auf Kindergeld ist. Sie war daher als Klägerin befugt, die Unpfändbarkeit des Kindergeldanspruchs mit der vorliegenden Klage geltend zu machen (vgl. § 27 BKGG, wonach öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten dieses Gesetzes Streitigkeiten in Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit . . . sind). Das FG hat die Klage zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, daß nur das Arbeitsamt als Kläger in Betracht komme. Der Prozeßführungsbefugnis der Klägerin (Bundesanstalt) steht entgegen der Auffassung des FG und des FA die Regelung des § 25 Abs. 3 - früher Abs. 2 - SGB I nicht entgegen. Diese Vorschrift erwähnt zwar nur die verfahrensmäßige Zuständigkeit der Arbeitsämter für die Abwicklung der Leistungen nach dem Kindergeldrecht. Sie ist aber unvollständig und findet ihre Ergänzung in den vorstehend genannten Bestimmungen über die Organisation der Bundesanstalt für Arbeit (§ 189 AFG) und in dem Abschnitt ,,Organisation" des BKGG (§ 15).
Das zuständige Arbeitsamt wäre auch für das finanzgerichtliche Verfahren nicht beteiligtenfähig (§ 57 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), da ihm als unselbständiger Organisationseinheit der Bundesanstalt für Arbeit die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit fehlt (vgl. § 50 Abs. 1 ZPO, § 61 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und § 70 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -; Tipke/Kruse, a.a.O., § 57 FGO Tz. 2). Da es hier um die Beteiligtenfähigkeit auf der Klägerseite (§ 57 Nr. 1 FGO) geht, findet das im finanzgerichtlichen Verfahren für den Beklagten geltende Behördenprinzip (§ 63 FGO) keine Anwendung, so daß nicht entschieden zu werden braucht, ob das Arbeitsamt eine Behörde darstellt (vgl. hierzu die unterschiedlichen Auffassungen von Krebs, a.a.O., § 189 Anm. 10, und Schieckel, a.a.O., § 189 Anm. 2). Dagegen ist die Klägerin als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 189 Abs. 1 AFG) parteifähig und damit auch beteiligtenfähig für das vorliegende Verfahren. Sie wird im Revisionsverfahren gemäß § 209 AFG zutreffend von ihrem Präsidenten als Geschäftsführer vertreten. Auch der im Klageverfahren aufgetretene Direktor des Arbeitsamtes B war nach § 17 Abs. 2 der gemäß § 214 AFG erlassenen Satzung der Bundesanstalt für Arbeit (vgl. Satzung vom 27. März 1980, Bundesanzeiger - BAnz - 1980, Nr. 128, S. 1) befugt, die Bundesanstalt gerichtlich zu vertreten.
II. Die Revision ist auch in der Sache begründet, denn die Ansprüche auf Kindergeld sind wegen Forderungen des FA aus dem Steuerschuldverhältnis regelmäßig nicht pfändbar.
1. a) Nach § 12 Abs. 1 und 2 BKGG in der durch Art. II § 12 SGB I aufgehobenen Fassung konnte der Anspruch auf Kindergeld nur wegen des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs eines Kindes und dann nur in Höhe des Kindergeldes abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden, das auf das Kind entfällt. Seit dem 1. Januar 1976 richtet sich die Übertragung, Verpfändung und Pfändung von Sozialleistungen, zu denen auch das Kindergeld gehört (§ 25 SGB I) nach den § 53 und § 54 SGB I (vgl. für die Vollstreckung nach der AO 1977 die Verweisung in § 319 AO 1977). Durch die Neuregelung sollte die Möglichkeit, Sozialleistungen zu übertragen, zu verpfänden und zu pfänden, die nach dem alten Recht teils gar nicht, teils nur unter engen kasuistisch geregelten Voraussetzungen gestattet war, zwar erweitert, aber je nach der Art der Sozialleistung und insbesondere ihrer Zweckbestimmung differenziert werden (vgl. BTDrucks 7/868 S. 32).
Für die Pfändung von Geldleistungen bestimmt § 54 Abs. 2 SGB I, daß Ansprüche auf einmalige Leistungen nur gepfändet werden können, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung die Pfändung der Billigkeit entspricht. Ansprüche auf laufende Geldleistungen können dagegen nach § 54 Abs. 3 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden
(1) wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche,
(2) wegen anderer Ansprüche nur, soweit die in Abs. 2 genannten Voraussetzungen vorliegen und der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird.
Die letztere Voraussetzung ist derzeit regelmäßig ohne Bedeutung. Denn die - wie bei der Pfändung von Arbeitseinkommen - zu berücksichtigenden Freibeträge nach § 850c ZPO liegen praktisch immer oberhalb der Regelsätze für den Regel- und Mehrbetrag i.S. der §§ 22, 23 BSHG und der Regelsatzverordnung, so daß, von Ausnahmen abgesehen, der Schuldner nicht hilfebedürftig i.S. des § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I werden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. Oktober 1984 IX ZR 110/83, BGHZ 92, 339, m.w.N.). Ist eine laufende Sozialgeldleistung nach der vorstehenden Regelung pfändbar, so ist sie auf Antrag nach § 850e Nr. 2 Buchst. a ZPO mit dem Arbeitseinkommen zusammenzurechnen, soweit dies nach den Umständen des Falles unter denselben Kriterien, wie sie in § 54 Abs. 2 SGB I genannt sind, der Billigkeit entspricht.
b) Die neue Pfändungsvorschrift des § 54 SGB I soll einerseits dem sozialen Schutz des Leistungsberechtigten und den Interessen der Allgemeinheit, andererseits den Anliegen der Gläubiger und des Rechtsverkehrs Rechnung tragen (vgl. Urteil in BGHZ 92, 339). Dabei schreibt das Gesetz für den Fall der Pfändung laufender Sozialgeldleistungen wegen anderer als der privilegierten Unterhaltsansprüche (§ 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I) - d.h. auch für den im Streitfall gepfändeten Kindergeldanspruch wegen Steuerschulden - in § 54 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB I eine Abwägung der gegensätzlichen Interessen unter Billigkeitsgesichtspunkten vor, die wegen der Besonderheiten des Einzelfalles und dem unterschiedlichen Zweck der jeweiligen Sozialleistung weder zu dem Ergebnis einer generellen Pfändbarkeit noch zu dem einer generellen Unpfändbarkeit des Leistungsanspruchs führt. Da die Pfändungsvorschrift ganz unterschiedliche Sozialleistungen betrifft, kommt bei der Billigkeitsprüfung gemäß § 54 Abs. 2 SGB I - wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (BTDrucks 7/868 S. 32) - der Zweckbestimmung der zu pfändenden Sozialleistung eine besondere Bedeutung zu (vgl. Urteil in BGHZ 92, 339; einschränkend Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 22. Juni 1979 3 RK 84/77, Sozialrecht - SozR - 1200 § 54 SGB I Nr. 3).
Der BGH ist aufgrund einer an der Zweckbestimmung orientierten Auslegung des § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I zu dem Ergebnis gelangt, daß Sozialgeldleistungen, die wie Arbeitseinkommen den laufenden Lebensbedarf des Schuldners und seiner Familie decken sollen (im Urteil: Altersruhegeld), deren Verwendung zur freien Disposition des Schuldners steht und die deshalb gemäß § 53 Abs. 3 SGB I abtretbar und verpfändbar sind, aufgrund dieser Zweckbestimmung auch der Pfändung unterliegen, soweit nicht in Ausnahmefällen eine Unbilligkeit vorliegt. Dagegen soll bei laufenden Sozialgeldleistungen, die nicht fehlendes Einkommen ersetzen oder vorhandenes Einkommen ergänzen, sondern dazu bestimmt sind, besonderen Bedürfnissen des Schuldners abzuhelfen, die Zweckbestimmung gegen die Pfändbarkeit sprechen (BGHZ 92, 339).
c) Folgt man der Auslegung des BGH für den Streitfall, so spricht dies gegen die generelle Pfändbarkeit des Anspruchs auf Kindergeld. Die Pfändung des Kindergeldanspruchs kann dann nur unter besonderen Voraussetzungen der Billigkeit i.S. des § 54 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB I entsprechen, weil dem Kindergeld nicht - wie den Sozialrenten, die an die Stelle des Arbeitseinkommens treten - eine Lohnersatz- oder -ergänzungsfunktion zukommt (vgl. Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Oldenburg vom 30. Juli 1980 2 W 21/80, Der Deutsche Rechtspfleger - Rpfleger - 1981, 449; Mümmler, Das Juristische Büro - JurBüro - 1982, 961, 966). Das Kindergeld stellt vielmehr einen teilweisen Ausgleich - Familienlastenausgleich - für das Opfer dar, das Familien mit Kindern - auch - im Interesse der Allgemeinheit zur Erfüllung des ,,Generationenvertrages" erbringen (vgl. BSG-Urteil vom 25. März 1982 10 RKg 2/81, BSGE 53, 208, 211 unter Bezugnahme auf Ruland, Festschrift zum 25jährigen Bestehen des BSG, Kindergeld in Sozialrechtsprechung, Bd. 1 S. 437, 451). Zweck der Kindergeldregelung ist es, die Familie, in der das den Kindergeldanspruch auslösende Kind dauernd lebt, zu begünstigen. Den Familien, die Kinder haben, soll ein Ausgleich gewährt werden für die Mehrbelastung, die ihnen durch das Aufziehen und die Ausbildung der Kinder im Vergleich zu den Ledigen, kinderlos Verheirateten und kinderarmen Familien erwächst (vgl. BSG-Urteile vom 22. Mai 1974 4 RJ 17/73, NJW 1974, 2152, und vom 25. März 1982 10/8b RKg 17/80, BSGE 53, 201, 203; ferner Urteil des Senats in BFHE 136, 54, BStBl II 1982, 576, m.w.N.). Da somit das Kindergeld dazu bestimmt ist, die besonderen Bedürfnisse der Familie, die mit dem Unterhalt, der Erziehung und der Ausbildung von Kindern verbunden sind, teilweise auszugleichen, wäre es nach der vom BGH gefundenen Abgrenzung der Sozialgeldleistungen jedenfalls nicht ohne weiteres pfändbar (vgl. Urteil des BSG in SozR 1200, § 54 SGB I Nr. 3 zur Unpfändbarkeit der Grundrente aus der Kriegsopferversorgung, weil diese dem Ausgleich immaterieller Schäden und der Abgeltung des Mehraufwandes dient).
2. Der erkennende Senat hatte allerdings in seiner Entscheidung in BFHE 136, 54, BStBl II 1982, 576 eine Zweckbestimmung des Kindergeldes in dem Sinne, daß es nur zum Wohle des Kindes verwendet werden darf, verneint. Er hat dies damit begründet, durch die Gewährung des Kindergeldes werde die Leistungsfähigkeit dessen gestärkt, der ein oder mehrere Kinder unterhalte, und das BKGG bringe nirgends zum Ausdruck, das Kindergeld sei in dem Sinne ,,zweckgebunden", daß der Berechtigte es nur zugunsten des Kindes, nicht dagegen für seine eigenen Zwecke verwenden dürfe. Aus § 1 BKGG, wonach der Anspruchsberechtigte das Kindergeld ,,für seine Kinder" erhält, ergibt sich nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats lediglich, daß die Gewährung von Kindergeld an das Vorhandensein eigener Kinder geknüpft ist. Der Senat hat deshalb eine der Pfändbarkeit des Kindergeldanspruchs gemäß § 54 Abs. 2 SGB I entgegenstehende Zweckbestimmung der Sozialleistung verneint. Zwar hat er im vorstehend genannten Urteil den Rechtsstreit zur weiteren Prüfung der Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 und 3 SGB I an das FG zurückverwiesen. Er ist aber davon ausgegangen, daß der Anspruch auf Kindergeld auch wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis grundsätzlich pfändbar sei. Diese Rechtsansicht bedarf der Überprüfung.
a) Die Auffassung des Senats ist in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend auf Ablehnung gestoßen (vgl. das den Parteien bekannte Urteil des Oberverwaltungsgerichts - OVG - Rheinland-Pfalz vom 2. Dezember 1982 1 A 14/81; Hornung, Rpfleger 1983, 216, 219 bis 221; Mümmler, JurBüro 1983, 1617, 1984, 306 und 1986, 161; Fischer, Der Betrieb - DB - 1983, 1902; dagegen zustimmend: Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 319 Anm. 18; App, Betriebs-Berater - BB - 1983, 633; Schmitz/Peiffer, BB 1986, 458; Beninde, Rpfleger 1985, 369). Sie steht hinsichtlich der Pfändbarkeit des Anspruchs auf Kindergeld wegen anderer Forderungen als gesetzlicher Unterhaltsansprüche im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung der Zivilgerichte und der Verwaltungsgerichte sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum.
b) Die weitaus überwiegende Auffassung stellt für die Pfändbarkeit des Kindergeldes bei der nach § 54 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB I durchzuführenden Billigkeitsprüfung auf den Zusammenhang zwischen der Zweckbestimmung des Kindergeldes und der titulierten Forderung, derentwegen vollstreckt wird, ab. Sie sieht die Pfändung nur dann als zulässig an, wenn die Gegenleistung aus der Vollstreckungsforderung (auch) dem Kind, für das der gepfändete Kindergeldanspruch besteht, zugute gekommen ist oder zugute kommen sollte. Die Pfändung des Kindergeldes wegen nicht bevorrrechtigter Forderungen entspricht danach nur dann der Billigkeit, wenn die Leistung des Vollstreckungsgläubigers, die dem titulierten Anspruch zugrunde liegt, zum Vorteil des Kindes bestimmt war. Entsprechend einer weiteren oder engeren Sicht hinsichtlich der Zweckbestimmung des Kindergeldes - Sozialleistung zugunsten der Familie oder zugunsten des Kindes - bestehen unterschiedliche Auffassungen über seine Pfändbarkeit in Rechtsprechung und Schrifttum nur insoweit, ob der Vorteil aus der Vollstreckungsforderung dem Kind unmittelbar (ausschließlich) zugute gekommen sein muß oder ob es ausreicht, daß dieses mittelbar (als Mitglied der Familie) von der Leistung des Gläubigers profitiert hat - Beispiele: Verbindlichkeiten wegen der Familienwohnung oder Heizöllieferung für die Wohnung einerseits oder wegen des Kaufs von Kinderkleidung oder Kindermöbeln andererseits - (vgl. in diesem Sinne: Beschluß des OLG Hamm vom 29. September 1980 14 W 40/80, Rpfleger 1981, 447; Beschluß des OLG Stuttgart vom 28. Oktober 1980 8 W 428/80, Rpfleger 1981, 449; Beschluß des OLG Oldenburg vom 30. Juli 1980 2 W 21/80, Rpfleger 1981, 449; Beschluß des OLG Celle vom 8. April 1980 8 W 64/80, Rpfleger 1981, 452; Beschluß des OLG Düsseldorf vom 19. Oktober 1983 3 W 299/83, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1984, 152; Beschluß des OLG Hamm vom 7. Juni 1984 14 W 242/83, JurBüro 1985, 312; Beschluß des OLG Stuttgart vom 20. November 1981 8 W 126/81, JurBüro 1982, 1746; Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 6. Januar 1983 19 T 336/82, JurBüro 1984, 305; Beschluß des Landgerichts Lübeck vom 28. April 1983 7 T 282/83, JurBüro 1983, 1421; Beschluß des Landgerichts Kassel vom 19. September 1983, T 6 366/83, JurBüro 1985, 314; Urteil des Verwaltungsgerichtshofs - VGH - Mannheim vom 17. März 1983 2 S 642/81, NJW 1984; 253; Urteil des OVG Münster vom 4. Februar 1982 2 A 1590/80, NJW 1982, 1662; Urteil des Verwaltungsgerichts - VG - Minden vom 15. März 1985 5 K 1169/83, Rpfleger 1985, 369; Urteil des FG Bremen vom 8. Oktober 1980 II 21/80 K, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 142; Zöller/Stöber, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 850e Rdnr. 23; Burdenski/von Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., § 54 Rdnr. 28; Roberz, NJW 1978, 2086; Hornung, Rpfleger 1983, 216, 219 bis 221; Schmeken, Rpfleger 1981, 448; Mümmler, JurBüro 1982, 961, 966, 967, JurBüro 1983, 1617, JurBüro 1984, 306, JurBüro 1985, 315 und JurBüro 1986, 161; anderer Ansicht: Bauer, NJW 1978, 871).
c) Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist in seiner jüngsten Entscheidung der herrschenden Meinung zur Pfändbarkeit des Kindergeldes im Ergebnis insoweit gefolgt, als es ebenfalls darauf abstellt, ob die Forderung, derentwegen die Zwangsvollstreckung erfolgt, mit einer Leistung des Gläubigers im Zusammenhang steht, die (auch) dem Kind zugute gekommen ist (Urteil vom 23. März 1987 9 C 10.86, zur Veröffentlichung bestimmt). Zwar vertritt das BVerwG unter Berufung auf das Urteil des Senats in BFHE 136, 54, BStBl II 1982, 576 eine weite Auffassung zur Zweckbestimmung des Kindergeldes. Nach seiner Ansicht begnügt sich das Gesetz damit, daß sich der Lastenausgleich für die Familie mittelbar auch auf das Kind auswirkt. Das Gericht hält deshalb die Pfändung gemäß § 54 Abs. 3 SGB I grundsätzlich für zulässig, wenn das Kind durch die Leistung des Gläubigers nur mittelbar - z. B. in der Teilhabe an der Begründung einer Familienexistenz oder der Erhöhung des Familienlebensstandards - begünstigt worden ist. Demgemäß hat es im Urteilsfall die Pfändung des Kindergeldes wegen eines (Bürgschafts-) Anspruchs auf Rückzahlung eines Aufbaudarlehens nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (KGfEG) für zulässig angesehen. Das BVerwG hat aber andererseits klargestellt, daß es die Pfändung wegen Schulden der Eltern aus der Anschaffung von Luxusgütern oder wegen der Befriedigung von Ansprüchen Dritter, die mit den Belangen der Kinder in keinerlei Zusammenhang stehen, im Hinblick auf die Zweckbestimmung des Kindergeldes für unbillig ansieht.
3. Der Senat schließt sich unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Entwicklung in der Rechtsprechung der vorstehend dargestellten herrschenden Auffassung zur Pfändbarkeit des Kindergeldanspruchs an. Sie trägt der differenzierten Behandlung von Sozialgeldleistungen hinsichtlich ihrer Pfändbarkeit, von der auch der BGH (BGHZ 92, 339) und das BVerwG ausgegangen sind, Rechnung und ermöglicht eine Entscheidung über die Pfändung des Kindergeldes wegen anderer als Unterhaltsansprüche - wie in § 54 SGB I vorgesehen - nach Billigkeitsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles. Die Ausführungen des Senats zur Zweckbestimmung des Kindergeldes in seiner Entscheidung in BFHE 136, 54, BStBl II 1982, 576 bedürfen teilweise der Erläuterung und der Berichtigung. Soweit der Senat auf ihrer Grundlage den Anspruch auf Kindergeld generell für pfändbar angesehen hat, hält er daran nicht mehr fest.
a) Es ist zwar zutreffend, daß das Kindergeld keine an das Wohl des Kindes ,,zweckgebundene" Sozialleistung darstellt und das BKGG es in Kauf nimmt, daß die anspruchsberechtigten Eltern das Kindergeld für eigene Zwecke verwenden (Entscheidung in BFHE 136, 54, BStBl II 1982, 576; Urteil des BVerwG vom 23. März 1987 9 C 10.86). Aus der mangelnden Zweckbindung folgt aber nicht, daß dieser Sozialleistung auch jegliche gesetzliche Zweckbestimmung fehlt. Wie oben ausgeführt, dient das Kindergeld als Familienlastenausgleich dazu, den Familien, die Kinder haben, einen gewissen Ausgleich für die Mehrbelastungen zu gewähren, die ihnen durch das Aufziehen und die Ausbildung der Kinder erwachsen. Das folgt nunmehr auch aus § 6 SGB I, wonach derjenige, der Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastung hat. Daraus ergibt sich eine Zweckbestimmung des Kindergeldes, wenn auch nicht unmittelbar zugunsten des anspruchsberechtigten Kindes, so doch zugunsten der Familie, in der das Kind lebt. Von der Zweckbestimmung der Kindergeldregelung, die Familie, in der das Kind lebt, zu begünstigen, geht auch die Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes aus. Das BSG hat daraus hergeleitet, daß gegen Ansprüche auf Kindergeld keine Beitragsansprüche der zuständigen Sozialleistungsträger aufgerechnet und verrechnet (§ 51, 52 SGB I) werden können (Urteil in BSGE 53, 208), daß das Kindergeld auch nicht in Höhe des sog. Zählkindervorteils an ein Zählkind abgetreten werden könne, weil für dieses das Kindergeld nicht gezahlt werde (Urteil in BSGE 53, 201), und daß auch die unmittelbare Auszahlung des Zählkindervorteils an das Zählkind (§ 48 Abs. 1 SGB I) nicht zulässig sei (Urteil vom 25. März 1982 10/8b RKg 22/80, SozR 1200, § 48 SGB Nr. 4). Das BVerwG hat aus der Zweckbestimmung des Kindergeldes - dort: zum Unterhalt der Kinder! (vgl. ebenso BSG-Urteil vom 14. November 1968 7 RKg 3/66, NJW 1969, 894) - gefolgert, daß sich eine Mutter das ihr gewährte Zweitkindergeld nicht auf die ihr selbst gewährte Sozialhilfe anrechnen lassen müsse (Urteil vom 27. Januar 1965 V C 32.64, BVerwGE 20, 188).
b) Der Zweckbestimmung des Kindergeldes zugunsten der durch die Kinder mit Mehraufwendungen belasteten Familie kommt - wie oben ausgeführt - auch bei der Frage der Pfändung dieser Sozialleistung besondere Bedeutung zu. Dem steht nicht entgegen, daß die Rechtsprechung die Pfändung von Kindergeld (hier des Zählkindvorteils) wegen des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs des Zählkindes zuläßt, obwohl dieses nicht zur Familie des Anspruchsberechtigten gehört (vgl. Beschluß des OLG Hamm vom 4. Oktober 1979 14 W 32/79, MDR 1980, 323; Beschluß des OLG Stuttgart vom 11. Oktober 1982 8 W 229/82, JurBüro 1983, 1419). Denn die Pfändung wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche erfolgt nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I; sie unterliegt - außer den Pfändungsfreibeträgen nach § 850c ZPO - keinen gesetzlichen Einschränkungen. Bei der für die Pfändung wegen nicht privilegierter Forderungen - wie im Streitfall - anzustellenden Billigkeitsprüfung gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB I sind aber neben den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten und der Art des beizutreibenden Anspruchs, insbesondere die Höhe und die Zweckbestimmung der zu pfändenden Geldsozialleistung zu berücksichtigen. Hier führt die Beachtung der Zweckbestimmung des Kindergeldes dazu, daß je nach Art des - nach dem Gesetz ebenfalls bedeutsamen - beizutreibenden Anspruchs die Pfändung für bestimmte Fallgruppen als zulässig und für andere als unzulässig anzusehen ist. Die oben dargestellte herrschende Meinung trägt der Zweckbestimmung der Sozialleistung und dem Billigkeitsgesichtspunkt Rechnung, wenn sie die Pfändbarkeit des Kindergeldes davon abhängig macht, ob die Leistung des Gläubigers, die dem vollstreckbaren Anspruch zugrunde liegt, (auch) dem Kind zugute gekommen ist. Sie entspricht jedenfalls mehr dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit und der Billigkeit als die bisherige Auffassung des Senats, die unter Verneinung einer Zweckbestimmung des Kindergeldes zum Wohl des Kindes zu seiner generellen Pfändbarkeit - auch für Steuerforderungen - gelangt ist.
c) Der Senat, der nunmehr im Grundsatz der herrschenden Meinung folgt, braucht nicht zu entscheiden, ob die Pfändung des Kindergeldes nur dann der Billigkeit entspricht, wenn die Gegenleistung des Pfändungsgläubigers dem Kind unmittelbar zugute gekommen ist oder ob es dazu - wie überwiegend angenommen wird - ausreicht, daß das Kind mittelbar als Mitglied der Familie von der Leistung des Gläubigers profitiert hat. Denn bei der Vollstreckung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis fehlt jegliche Gegenleistung des Steuergläubigers (vgl. § 3 Abs. 1 AO 1977), so daß die Pfändung des Kindergeldanspruchs wegen dieser Forderung in der Regel auch dann als unbillig angesehen werden muß, wenn man hinsichtlich der Zweckbestimmung der weitergehenden Auffassung - Begünstigung der Familie - folgt, wie sie beispielsweise das BVerwG vertritt (ebenso: Urteil des VG Minden in Rpfleger 1985, 369, und Beschluß des VGH Mannheim in NJW 1984, 253).
Daß die Zahlung (Beitreibung) von Steuern in irgendeiner Form der Gesamtheit der Staatsbürger und damit auch dem den Kindergeldanspruch auslösenden Kind zugute kommt, reicht nicht aus, um den für die Pfändung erforderlichen Zusammenhang zwischen der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Zweckbestimmung der Sozialleistung zu begründen. Eine andere Beurteilung würde den Staat als Steuergläubiger gegenüber anderen Pfändungsgläubigern privilegieren und die Zweckbestimmung des Kindergeldes, der Familie einen Ausgleich für die mit dem Aufziehen und der Ausbildung der Kinder verbundene Mehrbelastung zu gewähren, außer Betracht lassen. Zwischen Steuerschulden und dem kinderbedingten Mehraufwand der Familie besteht kein Zusammenhang. Der Senat gelangt somit zu dem Ergebnis, daß die Pfändung des Anspruchs auf Kindergeld wegen der Ansprüche der Finanzverwaltung gegen die Eltern aus dem Steuerschuldverhältnis nach den § 319 AO 1977, 54 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB I grundsätzlich nicht der Billigkeit entspricht.
d) Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch der grundsätzliche Gleichlauf der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Abtretung, Verpfändung und Pfändung (vgl. §§ 400, 1274 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -, 851 Abs. 1 ZPO, und BGHZ 92, 339). Wie bereits ausgeführt, hat das BSG im Hinblick auf die Zweckbestimmung sowohl die Auszahlung und Abtretung von Kindergeld an ein Zählkind als auch die Aufrechnung und Verrechnung von Kindergeldansprüchen mit rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen des Kindergeldberechtigten für unzulässig erklärt (vgl. SozR 1200, § 48 SGB I Nr. 4 BSGE 53, 201 und 208). Der Anspruch auf Kindergeld kann nicht - ohne weitere gesetzliche Beschränkungen - gemäß § 53 Abs. 3 SGB I übertragen und verpfändet werden, soweit er den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteigt. Denn es handelt sich beim Kindergeld nicht um eine laufende Sozialleistung, die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt ist; das Kindergeld dient vielmehr dazu, den kinderbedingten Mehraufwand der Familie teilweise auszugleichen (vgl. Entscheidung in BFHE 136, 54, BStBl II 1982, 576, 580, und BSGE 53, 201, 205).
4. Der Senat verkennt nicht, daß der Grundsatz der Unpfändbarkeit des Kindergeldanspruchs wegen Steuerforderungen dann nicht zu einem in jeder Hinsicht plausiblen Ergebnis führt, wenn man die Gesamtregelung des Familienlastenausgleichs für Kinder und die Auswirkung der Unterhaltsverpflichtung für Kinder auf die Pfändungsfreibeträge des § 850c ZPO in die Gesamtbetrachtung miteinbezieht. Dem Gesetzgeber steht es indes frei, den Kinderlastenausgleich durch die Zahlung von Kindergeld, durch die Gewährung steuerlicher Kinderfreibeträge oder durch ein Nebeneinander beider Entlastungsmöglichkeiten für die Familie zu regeln (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 23. November 1976 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, BStBl II 1977, 135).
a) Während die bis 1974 geltenden und ab dem Veranlagungszeitraum 1983 wieder eingeführten Kinderfreibeträge (vgl. den Überblick über die gesetzliche Entwicklung bei Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 6. Aufl., 1987, § 32 Anm. 1) wegen ihrer steuerlichen Entlastungswirkung zu einer Erhöhung des verbleibenden Nettoeinkommens und damit zu einer Erweiterung der Pfändbarkeit des Arbeitseinkommens führen, soll die Pfändung des demselben Zweck dienenden Kindergeldes unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 54 SGB I unbillig sein. Ferner wird das Kindergeld, das nach den vorstehenden Ausführungen wegen Steuerforderungen nicht gepfändet werden kann, in unterschiedlicher Höhe gezahlt. Je nach der Ordnungszahl des Kindes, für das es gewährt wird, ist es der Höhe nach gestaffelt (vgl. § 10 Abs. 1 BKGG in der jetzt geltenden Fassung: 50 DM, 100 DM, 220 DM, 240 DM); es vermindert sich ab einem bestimmten Jahreseinkommen des Berechtigten ab dem zweiten und jedem weiteren Kind (§ 10 Abs. 2 BKGG), und Berechtigte mit geringem Einkommen erhalten einen Zuschlag zum Kindergeld (§ 11a BKGG). Demgegenüber sieht § 850c Abs. 1 ZPO für den zweiten bis fünften unterhaltsberechtigten Angehörigen - das sind (nach dem Ehegatten) in der Regel die Kinder - eine gleichmäßige Erhöhung des pfändungsfreien Arbeitseinkommens vor (vgl. zum vorstehenden Absatz: App, BB 1983, 633 und Schmitz/Peiffer, BB 1986, 458, die deshalb für eine generelle Pfändbarkeit des Kindergeldes plädieren).
b) Die unterschiedliche Auswirkung des Familienlastenausgleichs durch steuerliche Kinderfreibeträge einerseits und durch die Zahlung von Kindergeld andererseits auf die Pfändbarkeit der finanziellen Begünstigung, die die Familie mit Kindern in beiden Fällen erhält, ist aber systembedingt durch die unterschiedliche Wirkung von steuerlichen Entlastungen und direkten Subventionen. Die verschiedenen Auswirkungen hinsichtlich der Pfändbarkeit müssen ebenso hingenommen werden wie die unterschiedlichen Ergebnisse, die sich infolge der Progression des Steuertarifs ergeben können. Wenn der Gesetzgeber das Kindergeld aus bestimmten sozialen Erwägungen je nach den Einkommensverhältnissen des Berechtigten und der Ordnungszahl des Kindes in unterschiedlicher Höhe gewährt, so erscheint es ferner vertretbar, daß sich eine gemäß § 54 SGB I aus Billigkeitsgründen ergebende Unpfändbarkeit des Kindergeldes je nach den Verhältnissen des Einzelfalls unterschiedlich auswirkt, wenn auch der daneben bestehende Pfändungsfreibetrag vom Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO) grundsätzlich für jedes unterhaltsberechtigte Kind in gleicher Höhe gewährt wird. Die mangelnde Abgestimmtheit der angesprochenen Regelungen darf jedenfalls nicht dazu führen, die spezielle Pfändungsvorschrift für laufende Sozialgeldleistungen (§ 54 Abs 3 SGB I), die den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls gerade Rechnung tragen soll, zu mißachten und von einer generellen Pfändbarkeit des Kindergeldanspruchs auch wegen solcher Forderungen auszugehen, die mit den Belangen der Kinder in keinem Zusammenhang stehen.
5. Der Senat, der nunmehr die Pfändung von Kindergeld wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis grundsätzlich für unzulässig hält, kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
a) Im Streitfall liegen keine Anhaltspunkte vor, die abweichend von dem vorgenannten Grundsatz die vom FA ausgesprochene Pfändung gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB I als billig erscheinen lassen. Als solche Ausnahmefälle kämen etwa - wie in § 54 Abs. 2 SGB I angeführt - besonders günstige Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Leistungsberechtigten in Betracht. Solche liegen im Streitfall nicht vor, denn das FA ist - wie die OFD in der angefochtenen Beschwerdeentscheidung festgestellt hat - nicht in der Lage, die Rückstände des Steuerpflichtigen durch andere Vollstreckungsmaßnahmen zu realisieren, weil das Arbeitseinkommen den pfändungsfreien Betrag nicht übersteigt.
b) Da die Pfändung des Kindergeldes im Streitfall nicht der Billigkeit entspricht, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen das Kindergeld mit dem Arbeitseinkommen zur Berechnung des pfändbaren Betrages zusammenzurechnen ist und ob der unpfändbare Grundbetrag dem Arbeitseinkommen oder der gepfändeten Sozialleistung zu entnehmen ist. Die Zusammenrechnung und die Durchführung der hierfür in § 850e Nr. 2 Buchst. a ZPO vorgeschriebenen - weiteren - Billigkeitsprüfung setzt die Pfändbarkeit der jeweiligen Sozialleistung voraus (vgl. Beschluß des OLG Hamm in Rpfleger 1981, 447, 448; Stöber, Forderungspfändung, 7. Aufl., Rdnr. 1409, Fußnote 126; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, a.a.O., 45. Aufl., § 850e Anm. 2 B.b.). Die angefochtene Pfändungsverfügung, die dazu ergangene Beschwerdeentscheidung und das Urteil des FG waren demnach aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 415215 |
BFH/NV 1988, 14 |