Leitsatz (amtlich)
Grundsätzliches zu den Voraussetzungen, unter denen Essensgeldzuschüsse als Annehmlichkeit steuerfrei sind, wenn für die Wertmarken in einer Kantine statt einer hergerichteten Mahlzeit auch verpackte Lebensmittel erworben werden können.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1; LStR 1968 Abschn. 15
Tatbestand
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gebietskörperschaft, vertreten durch die Verwaltung X. Die zum Bereich der Verwaltung X gehörende Verwaltung Y hat in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis 31. Juli 1969 an ihre Bediensteten, die nicht regelmäßig am Mittagessen in der Kantine teilnehmen konnten, Wertmarken zu je 0,60 DM ausgegeben, die in der Kantine eingelöst werden konnten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) schloß sich der Auffassung des Lohnsteuerprüfers an, der die Voraussetzungen für die Lohnsteuerfreiheit nach Abschn. 15 LStR nicht als gegeben ansah, weil die Verwaltung Y nicht sichergestellt habe, daß die Marken nur zum Bezug von Mahlzeiten berechtigten. Der Prüfer hatte festgestellt, daß die Arbeitnehmer mit den Essenmarken auch Konserven und andere Waren in der Kantine kaufen konnten. Das FA nahm die Klägerin durch zwei Haftungsbescheide wegen eines pauschal mit 17,3 v. H. des Wertes dieser Marken errechneten Lohnsteuerbetrages in Anspruch.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage verwies die Klägerin auf eine Hausverfügung und eine dazu ergangene Ergänzung. Dort sei angeordnet, daß gegen Wertmarken nur Milchprodukte, Wurstwaren, Süßwaren (Schokolade, Pralinen, Bonbons, Kekse usw.), Fleischkonserven und alkoholfreie Getränke einschließlich Kaffee, Tee und Brühe ausgegeben werden durften. Soweit in wenigen Ausnahmefällen auch Genußmittel verabreicht worden seien, lasse sich daraus eine Steuerpflicht in dem vom FA dargelegten Umfang nicht herleiten; denn der Anteil der so verwendeten Wertmarken sei so gering gewesen, daß er praktisch nicht ins Gewicht falle und lohnsteuerrechtlich außer Betracht bleiben könne.
Das FG hat den Kantinenpächter als Zeugen vernommen. Dieser hat ausgesagt, die Wertmarken seien im Dezember 1965 rückwirkend ab 1. Oktober 1965 ausgegeben worden. Die Bediensteten der Verwaltung Y hätten sich deshalb von vornherein angewöhnt, beim Kauf der überwiegend verpackten Lebensmittel sämtliche oder mehrere Wertmarken in Zahlung zu geben. Dieses Verfahren sei auch später beibehalten worden, zumal die Lebensmittel nur an zwei Tagen in der Woche in der Mittagspause ausgegeben worden seien. Die Verwaltung Y habe ihm vorgeschrieben, welche Waren er gegen Wertmarken habe ausgeben dürfen. An diese Anweisung habe er sich gehalten. Waren zum sofortigen Verzehr seien nur in seltenen Ausnahmefällen ausgegeben worden. Alkoholische Getränke habe er gegen die Wertmarken nicht verkaufen dürfen.
Das FG gab der Klage in Höhe eines Betrages von 105,33 DM, um den auch nach Auffassung des FA die Haftungssumme ermäßigt werden mußte, statt und wies sie im übrigen ab. Es führte zur Begründung u. a. aus: Die Rechtsgrundlage der Regelung in Abschn. 15 Abs. 1 Sätze 3-6 LStR sei zweifelhaft. Hierzu brauche im Streitfall jedoch keine Entscheidung getroffen zu werden, da schon die nach dieser Regelung zu fordernden Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Denn es sei nicht sichergestellt, daß die Barzuschüsse ausschließlich zur Verbilligung von täglichen Mahlzeiten verwendet würden bzw. die Essenmarken nur zum Bezug von täglichen Mahlzeiten im Betrieb berechtigten. Der Kantinenpächter habe keine Mahlzeiten, sondern Waren ausgegeben. Die Verwendung des Wortes Mahlzeiten in den Richtlinien könne nur bedeuten, daß die ausgegebenen Lebensmittel an Ort und Stelle verzehrt werden sollen. Der Zeuge habe glaubwürdig ausgesagt, daß die Wertmarken regelmäßig nicht zum Kauf von Lebensmitteln für den sofortigen Verzehr, sondern fast ausnahmslos für den Kauf verpackter Waren verwendet worden seien, die nicht in der Kantine verzehrt wurden. Da die Waren von den Arbeitnehmern mit nach Hause genommen werden konnten, habe es an der Voraussetzung gefehlt, daß der Zuschuß ausschließlich der Verbilligung von Mahlzeiten während der Arbeitszeit dienen dürfe. Bei dieser Sachlage komme es auch nicht darauf an, ob die Bediensteten die gekauften Waren in nicht feststellbarem Umfang in ihrer Dienststelle während der Arbeitszeit verzehrt hätten.
Mit der Revision begehrt die Klägerin Herabsetzung des Haftungsbetrages auf 23,28 DM Lohnsteuer. Sie trägt u. a. vor: Abschn. 15 Abs. 1 Satz 6 LStR erweitere den Begriff der Mahlzeit über den üblichen Sprachgebrauch hinaus ausdrücklich dahin gehend, daß Mahlzeiten alle Speisen und Getränke seien, die üblicherweise der Ernährung dienen. Daß dies auch für verpackte Lebensmittel zutreffe, könne kaum zweifelhaft sein. Auch eine Beschränkung auf die Fälle, in denen die Lebensmittel an Ort und Stelle, d. h. in der Kantine, verzehrt werden, finde in der Verwaltungsregelung keinen Anhalt. Der anders zu beurteilende Fall, daß Arbeitnehmer die Lebensmittel zum häuslichen Verzehr mitnehmen, sei nicht bewiesen. Wenn die Mahlzeiten nicht unmittelbar in der Kantine verzehrt werden müßten, müsse es den Arbeitnehmern auch freistehen, Wertmarken für zwei oder mehr Tage auf einmal einzulösen, um derart sogleich Lebensmittel für mehrere Tage zum Verzehr am Arbeitsplatz zu erstehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Der Senat hat mit Urteil vom 21. März 1975 VI R 94/72 (BFHE 115, 268, BStBl II 1975, 486) entschieden, daß Essensgeldzuschüsse bis zur Höhe von 1,50 DM täglich, die nach Abschn. 15 Abs. 1 LStR 1963/1966 gezahlt werden, als Annehmlichkeiten lohnsteuerfrei sind, da sie der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes im weiteren Sinne dienen. Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen. Der Senat hat dort insbesondere ausgeführt, daß die Regelung des Abschn. 15 Abs. 1 LStR inzwischen als fast allgemeinübliche Sozialleistung im Bewußtsein der Sozialpartner verankert ist.
Ziel der Gewährung von Essenszuschüssen ist es aus der Sicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmern bei der heute allgemeinüblichen durchgehenden Arbeitszeit die Möglichkeit zur Einnahme einer Hauptmahlzeit zu verschaffen und die Einnahme der Mahlzeit so zu gestalten, daß dadurch die Arbeitsleistung für den Betrieb möglichst wenig beeinträchtigt wird. Ist eine Betriebskantine, die fertige Mahlzeiten verabfolgt, vorhanden, so ergeben sich in der Regel keine Schwierigkeiten. Diese können jedoch dann auftreten, wenn im Betrieb keine fertigen Mahlzeiten verabfolgt werden können oder wenn der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung außerhalb des Betriebs eingesetzt ist. Schon im Urteil VI R 94/72 hat der Senat ausgeführt, zu den steuerfreien Annehmlichkeiten gehöre auch der Wert solcher Essenmarken, die in Lebensmittelgeschäften eingelöst werden können, sofern durch Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Lebensmittelgeschäft sichergestellt ist, daß auf die Essenmarken nur Lebensmittel zum Verzehr während der Arbeitzeit verabfolgt werden dürfen. Er hat ferner ausgeführt, daß es nicht von Bedeutung sein kann, ob gegen die Essenmarken nur hergerichtete Mahlzeiten oder ob auch einzelne Lebensmittel (z. B. Brot, Butter und Aufschnitt), die sich der Arbeitnehmer an Ort und Stelle selbst herrichtet, abgegeben werden. An diesen Grundsätzen ist auch für den Fall festzuhalten, daß eine Betriebskantine zwar fertige Mahlzeiten abgibt, daß aber der Arbeitnehmer sich mit seinen Essenmarken nicht daran beteiligt, sondern dafür in der Kantine Lebensmittel einkauft. Dabei erscheint der Grund für die Nichtteilnahme an den Mahlzeiten nebensächlich. Es kann sein, daß der Arbeitnehmer die Gerichte gesundheitlich nicht verträgt, daß sie ihm nicht gefallen oder daß er zu den kantinenüblichen Eßzeiten nicht im Betrieb anwesend ist. Dem Sinn der Richtlinienregelung wird auch dann Rechnung getragen, wenn der Arbeitnehmer nicht hergerichtete Lebensmittel kauft, um sie während der Arbeitszeit zu verzehren. Dabei kann auch ein Verzehr im unmittelbaren Anschluß an die Arbeitszeit ebensowenig schädlich sein, als wenn ein Arbeitnehmer, der tagsüber auswärts tätig war, nach Rückkehr in den Betrieb in der Betriebskantine eine dann noch angebotene Hauptmahlzeit verbilligt einnimmt.
Dem FG ist zuzugeben, daß beim Kauf einzelner Lebensmittel die Voraussetzungen der Richtlinienregelung nur bei solchen Lebensmitteln erfüllt sind, die sich zum Verzehr im Betrieb eignen. Hierzu würden etwa nicht gehören Gemüsekonserven oder Backwaren, die nicht ohne weitere Aufbereitung verzehrt werden können, sofern nicht im Betrieb selbst ausnahmsweise solche Aufbereitungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Es kann dem Arbeitnehmer aber nicht verwehrt werden, zum Verzehr im Betrieb geeignete Lebensmittel oder auch Getränke, die üblicherweise zu den Mahlzeiten verzehrt zu werden pflegen, zu erwerben. Die Frage, wie diese Lebensmittel verpackt sind, ist dabei ohne Bedeutung. Insbesondere kann aus der Tatsache, daß die Lebensmittel fertig abgepackt sind, keineswegs allgemein geschlossen werden, daß sie für den Verzehr während der Arbeitszeit im Betrieb ungeeignet sind. Auch die Inzahlunggabe mehrerer Wertmarken gleichzeitig kann nicht ohne weiteres einen Mißbrauchsfall begründen. Denn es kann den Arbeitnehmern, die nicht am Kantinenessen teilnehmen, nicht verwehrt werden, daß sie sich bei einem Kauf Lebensmittel für mehrere Mahlzeiten gleichzeitig verschaffen. Jedoch könnte bei der Ausgabe von Wertmarken für einen zurückliegenden Zeitraum nicht mehr von einer steuerfreien Annehmlichkeit gesprochen werden, weil in diesem Fall der Zweck der Regelung des Abschn. 15 LStR nicht mehr erreicht werden kann.
Bei der rechtlichen Beurteilung muß unterschieden werden zwischen der Frage, ob die im Einzelfall bestehende Regelung (z. B. Anweisungen an die betriebseigene Kantine oder Vereinbarungen mit Vertragsgaststätten oder Vertragshändlern) insgesamt den Voraussetzungen des Abschn. 15 LStR entspricht, und der weiteren Frage, wie bei einer wirksamen Gesamtregelung einzelne festgestellte Mißbräuche zu beurteilen sind. Denn es würde dem Vereinfachungszweck der Richtlinienregelung widersprechen, jeden einzelnen Verstoß gegen deren Sinn und Zweck zum Anlaß zu nehmen, die vom Arbeitgeber getroffene Regelung insgesamt zu verwerfen.
Im Streitfall gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß die bestehende Regelung insgesamt noch den zu stellenden Anforderungen entspricht. Nach den dargelegten Grundsätzen des Senats muß die Mehrzahl der vom FG angenomenen Mißbrauchsfälle noch als den Voraussetzungen entsprechend angesehen werden. Nach der vom FG als glaubhaft bezeichneten Aussage des Zeugen hat dieser als Kantinenpächter sich auch an die bestehenden Anweisungen gehalten. Wenn diese Anweisungen es auch nicht schlechthin ausschlossen, daß erst nach weiterer Herrichtung zum Verzehr geeignete verpackte Lebensmittel verkauft und mit nach Hause genommen wurden, so kann dies allein die Gesamtregelung nicht in Frage stellen. Zwar wäre auch eine Regelung denkbar oder empfehlenswert, die schärfere Kontrollen wegen der zweckentsprechenden Verwendung der Essenmarken vorsieht (z. B. Aufdruck eines Tagesdatums auf jeder Essenmarke und Beschränkung der Einlösungsmöglichkeit auf diesen Tag, tägliche Abrechnung der Kantine usw. mit dem Arbeitgeber). Es muß indessen letztlich den Beteiligten überlassen bleiben, wie sie im einzelnen den zu stellenden Anforderungen unter Berücksichtigung der bei ihnen gegebenen Verhältnisse genügen. Die vom Zeugen erwähnte rückwirkende Ausgabe von Essenmarken für mehrere Monate war im Streitfall nicht zu würdigen, weil die Lohnsteuer des Jahres 1965 nicht streitbefangen ist.
Wenn auch die Gesamtregelung der Annahme lohnsteuerfreier Annehmlichkeiten durch Gewährung der Essenmarken nicht entgegensteht, so bedarf es des weiteren der Prüfung, ob nicht im Einzelfall die Lohnsteuerfreiheit versagt werden muß, wenn ein Mißbrauch feststeht. Der Senat bejaht diese Frage, wenn auch mit der Einschränkung, daß hierbei nicht kleinlich verfahren zu werden braucht. Eine Begrenzung der steuerlichen Auswirkung ist ohnehin dadurch gegeben, daß pro Tag höchstens 1,50 DM steuerfrei bleiben dürfen. Ein solcher Bagatellfall, der unbeachtet bleiben könnte, wäre allerdings nicht mehr gegeben, wenn die Kantine im Streitfall nachhaltig und in größerem Umfange auf die Wertmarken Waren, die sich für Mahlzeiten nicht eignen (z. B. Tabakwaren), oder wenn sie Lebensmittel abgegeben hätte, die zum Verzehr während der Arbeitszeit ungeeignet sind.
Die Vorinstanz hat in größerem Umfange Mißbrauchsfälle angenommen, als dies nach den Darlegungen des Senats gerechtfertigt erscheint. Das Urteil war daher aufzuheben. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Das FG muß noch Feststellungen darüber treffen, ob und in welchem Umfange auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats noch Mißbräuche vorliegen, die zur Versagung der Steuerfreiheit führen.
Fundstellen
Haufe-Index 71677 |
BStBl II 1976, 50 |
BFHE 1976, 172 |