Entscheidungsstichwort (Thema)
Realisierung stiller Reserven von einbringungsgeborenen Anteilen anläßlich einer Kapitalerhöhung?
Leitsatz (NV)
Entgegen Tz. 66 des BMF-Schreibens vom 16. Juni 1978 (BStBl I 1978, 235) tritt keine Gewinnrealisierung ein, wenn stille Reserven von Gesellschaftsanteilen, die durch Sacheinlage gemäß § 20 Abs. 1 UmwStG erworben worden sind, bei einer Kapitalerhöhung auf junge, durch Bareinlage erworbene Anteile desselben Gesellschafters übergehen.
Normenkette
UmwStG §§ 20-21
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Gesellschafter einer GmbH, die im Jahre 1979 durch Umwandlung gemäß §§ 46 ff. des Umwandlungsgesetzes (UmwG) aus einer OHG entstand. Die neu gegründete GmbH führte die Buchwerte des übertragenen Handelsgeschäfts fort. Vom Stammkapital der GmbH in Höhe von 300 000 DM entfielen 225 000 DM auf den Kläger und 75 000 DM auf X. Noch im Jahre 1979 erwarb die Mutter des Klägers von ihm und X einen Geschäftsanteil an der GmbH von 50 000 DM. Danach waren der Kläger mit 200 000 DM, X und die Mutter des Klägers mit je 50 000 DM beteiligt.
Am . . . 1981 beschlossen die Gesellschafter, das Stammkapital um 300 000 DM zu erhöhen. Davon übernahmen der Kläger 200 000 DM und X 100 000 DM. Sie erbrachten die dafür zu leistende Stammeinlage auf das erhöhte Kapital, indem sie auf Darlehensforderungen gegenüber der GmbH in gleicher Höhe verzichteten.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte die Kapitalerhöhung, Tz. 66 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 16. Juni 1978 (BStBl I 1978, 235) folgend, wie eine anteilige Veräußerung einbringungsgeborener Anteile nach § 21 Abs. 1 des Umwandlungs-Steuergesetzes (UmwStG) und ermittelte dabei für den Kläger einen Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM. Der Einspruch gegen den entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage statt. Die Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 359 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 21 UmwStG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Zutreffend hat das FG entschieden, daß keine Gewinnverwirklichung eintritt, wenn stille Reserven von Gesellschaftsanteilen, die durch Sacheinlage gemäß § 20 Abs. 1 UmwStG erworben worden sind (sog. einbringungsgeborene Anteile), bei einer Kapitalerhöhung auf junge, durch Bareinlage erworbene Anteile des nämlichen Gesellschafters übergehen. Die Tz. 66 des BMF-Schreibens vom 16. Juni 1978 (BStBl I 1978, 235) ist insoweit ohne Rechtsgrundlage.
1. § 21 Abs. 1 UmwStG ist mangels Veräußerung im Sinne der Vorschrift nicht anwendbar. Ebensowenig sind die Voraussetzungen eines Ersatztatbestandes des § 21 Abs. 2 UmwStG erfüllt, wonach die Rechtsfolgen des Abs. 1 der Vorschrift auch ohne Veräußerung eintreten können.
§ 21 Abs. 1 UmwStG, auf den sich das BMF-Schreiben vom 16. Juni 1978 bezieht, führt nur dann zu einem steuerbaren Gewinn, wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden. Unter einer Veräußerung in diesem Sinne ist die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an solchen Gesellschaftsanteilen auf einen anderen Rechtsträger zu verstehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Juli 1988 I R 147/83, BFHE 155, 52, BStBl II 1989, 271). Daran fehlt es im Streitfall, weil hinsichtlich der im Altanteil des Klägers gespeicherten stillen Reserven kein Rechtssubjektwechsel eintrat. Der Kläger ist Inhaber des bisherigen und des jungen Gesellschaftsanteils und der darin verkörperten stillen Reserven.
2. Der von der Finanzverwaltung geltend gemachten analogen Anwendung des § 21 Abs. 1 UmwStG bedarf es nicht, wenn und soweit stille Reserven anläßlich einer Kapitalerhöhung von einbringungsgeborenen Altanteilen auf junge Gesellschaftsanteile des bisherigen Inhabers übergehen, da diese Reserven weiterhin steuerverhaftet bleiben (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juli 1965 I 167/59 U, BFHE 83, 390, BStBl III 1965, 640).
Werden die jungen Gesellschaftsanteile später veräußert, so hat der Veräußerer sie i. S. des § 21 Abs. 1 UmwStG durch eine Sacheinlage (§ 20 Abs. 1 UmwStG) erworben, soweit sich die Anteile vermittels des dem Gesellschafter einer GmbH zustehenden Bezugsrechts von einbringungsgeborenen Altanteilen ableiten. Kraft seines bisherigen Geschäftsanteils steht nämlich dem Gesellschafter einer GmbH ein (gesetzliches oder vertragliches) Recht zu, bei der Kapitalerhöhung junge Anteile im Verhältnis seiner Beteiligung zu beziehen (BFH-Urteile vom 8. April 1992 I R 128/88, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt und vom 16. April 1991 VIII R 63/87, BFHE 164, 513, BStBl II 1991, 832; vom 5. März 1986 I R 218/81, nicht veröffentlicht - NV -, wiedergegeben bei Eppler, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1988, 65, und vom 20. Februar 1975 IV R 15/71, BFHE 115, 223, 230, BStBl II 1975, 505, 509). Nach den Feststellungen des FG nahm der Kläger im Streitfall entsprechend seiner vorherigen Beteiligung, die er durch Sacheinlage gemäß § 20 Abs. 1 UmwStG erworben hatte, an der Kapitalerhöhung teil. Kommt es in einem solchen Fall bei einer GmbH zur Begründung eines Bezugsrechts mit einem Ausgabekurs, der unter dem Wert des Geschäftsanteils liegt, so verlieren die alten Anteile im Wege der Abspaltung an Substanz, die zunächst auf das neu entstandene Bezugsrecht übergeht (BFH in BFHE 115, 223, 230, BStBl II 1975, 505, 509) und sich in den jungen Anteilen fortsetzt. Dieser abgespaltenen Substanz haftet die Steuerverstrickung nach § 21 UmwStG an. Anderenfalls könnte sich der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck nicht verwirklichen, die Besteuerung der in den alten Anteilen enthaltenen stillen Reserven zu sichern, die wiederum ihrerseits die stillen Reserven des im Wege der Sacheinlage gemäß § 20 Abs. 1 UmwStG eingebrachten Betriebsvermögens verkörpern (vgl. Begründung zu § 17 UmwStG 1969, abgedruckt bei Glade / Steinfeld, Umwandlungs-Steuergesetz 1977, Kommentar, 3. Aufl., S. 458 f., und in BFHE 121, 63, BStBl II 1977, 283).
Das weitere Schicksal der Geschäftsanteile soll das folgende Beispiel erläutern:
Jahr DM
01 Sacheinlage des A zum Buchwert von 100 000 DM gegen
eine 10 %ige Beteiligung, Stammanteil 50 000
02 Wert des Stammanteils des A vor Kapitalerhöhung 300 000
Kapitalerhöhung 500 000 DM zu pari, davon auf A entfallend 50 000
Nominalbetrag der Anteile, soweit einbringungsgeboren:
100 000 (Nominalbetrag der Anteile) x 300 000
350 000 (Wert der Anteile) 85 714
Anschaffungskosten, soweit einbringungsgeborene Anteile 100 000
Nominalbetrag der Anteile, soweit nicht einbringungsgeboren
(100 000 ./. 85 714) 14 286
03 Veräußerung aller Geschäftsanteile des A für 400 000 DM
a) Veräußerungsgewinn gemäß § 21 UmwStG auf Anteile
entfallender Veräußerungserlös, soweit diese
einbringungsgeboren sind
400 000 x 85 714
100 000 342 856
Anschaffungskosten der Anteile, soweit einbringungsgeboren 100 000
= 242 856
b) auf Anteile entfallender Veräußerungserlös, soweit diese
nicht einbringungsgeboren sind
400 000 x 14 286
100 000 57 144
Anschaffungskosten der Anteile, soweit diese nicht
einbringungsgeboren sind 50 000
steuerfreier Veräußerungsgewinn = 7 144.
Für die vom FA geforderte Analogie ist somit mangels einer Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes kein Raum (vgl. BFH-Beschluß vom 21. November 1983 GrS 2/82, BFHE 140, 50, 60, BStBl II 1984, 160, 166). Der Senat muß deshalb nicht darauf eingehen, ob § 16 des Einkommensteuergesetzes - wie das FA meint - als allgemeiner ,,Entstrickungstatbetand" hilfsweise die Besteuerung stiller Reserven sichert. Ebensowenig bedarf es der im BMF-Schreiben vom 17. August 1982 IV B 2 - S 1909 - 19/82 für Fälle der Erhöhung des Stammkapitals nach Art. 1 Nr. 3 i. V. m. Art. 12 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung zugelassenen Umwegfinanzierung, wonach die Gesellschafter der Gesellschaft nicht gebundenes Kapital zuführen und damit eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durchführen können, wobei die neuen Anteile als einbringungsgeborene Anteile gelten sollen.
Das BFH-Urteil vom 26. Januar 1977 VIII R 109/75 (BFHE 121, 63, BStBl II 1977, 283), auf das sich der BMF in einem Parallelverfahren für seine Rechtsauffassung berufen hat, nahm Gewinn- und Verlustrealisierung an, wenn der Anteilseigner beschränkt steuerpflichtig wurde, und erging für die Zeit vor Inkrafttreten des UmwStG 1969/1977. Die von dieser Entscheidung erkannte Rechtsfolge ist inzwischen - im Gegensatz zu der vom BMF im Streitfall begehrten - in § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG (1977) ausdrücklich geregelt. Dies belegt einmal mehr, daß § 21 Abs. 2 UmwStG als Teil eines geschlossenen Systems enumerativ sein soll und deshalb die Schaffung dort nicht aufgeführter, gänzlich neuer Realisationstatbestände im Wege der Analogie bzw. aufgrund allgemeiner Erwägungen ausschließt. Das (bisherige) Schweigen des Gesetzgebers zu der Verwaltungsregelung kann jedenfalls nicht als Billigung derselben verstanden werden.
Der bei eventueller späterer Veräußerung der Anteile notwendigen Aufteilung des Preises steht kein gesetzliches Verbot entgegen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 121, 63, BStBl II 1977, 283 unter C. I. 2 der Gründe). Damit verbundene rechtstechnische Schwierigkeiten müssen zurücktreten, da ein Aufteilungsverbot entweder zu Lasten des Zweckes des § 21 UmwStG oder des Steuerpflichtigen ginge. Solche Schwierigkeiten treten z. B. in gleicher Weise bei der Anwendung des § 17 EStG oder auch des § 21 UmwStG auf, wenn teilentgeltlich erworbene Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden (vgl. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 17 Anm. 18 a, und Widmann / Mayer, Umwandlungsrecht, 2. Aufl., Rz. 7362).
Fundstellen
Haufe-Index 418398 |
BFH/NV 1992, 706 |