Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Sind die Kosten zur Herstellung von Wirtschaftsgütern des Umlaufsvermögens am Bilanzstichtag nachhaltig gegenüber dem Zeitpunkt der Herstellung gesunken, so entspricht der Teilwert dieser Wirtschaftsgüter auch dann den niedrigeren Wiederherstellungskosten, wenn der Veräußerungspreis voraussichtlich nicht entsprechend sinkt.
Die Ermittlung der Wiederherstellungskosten erfordert die Berücksichtigung der am Bilanzstichtag geltenden Preise und Löhne für die gesamten Aufwendungen. Neben den Kostensenkungen sind auch die Kostenerhöhungen zu beachten. Dabei sind nur solche Preisänderungen zu berücksichtigen, die zu einer nachhaltigen, die Herstellungskosten voraussichtlich für längere Zeit beeinflussenden änderung des Preisspiegels führen.
Normenkette
EStG § 6 Ziff. 2, § 6/1/2
Tatbestand
Die Steuerpflichtige ist eine Brauerei. Sie setzte die am Bilanzstichtag vom 30. Juni 1953 vorhandenen Bierbestände nicht mit den tatsächlichen Herstellungskosten, sondern unter Zugrundelegung der am Stichtag gesunkenen Rohstoffpreise mit einem entsprechend niedrigeren Teilwert an. Das Finanzamt lehnte den Ansatz des niedrigeren Teilwerts mit der Begründung ab, daß sich die erst kurz vor dem Stichtag eingetretene Senkung der Rohstoffpreise bei der Dauer des Herstellungsvorganges von Bier bei keiner Brauerei auf die Herstellungskosten der tatsächlich am Bilanzstichtag vorhandenen Bierbestände ausgewirkt haben könne, daß deshalb zu diesem Zeitpunkt keine Brauerei zur Abgabe von Bier zu einem niedrigeren Preis als zu den tatsächlichen Herstellungskosten bereit gewesen sei und jeder Erwerber des Betriebes dieser Sachlage bei Bemessung des Kaufpreises hätte Rechnung tragen müssen. Der Ansatz eines niedrigeren Teilwerts führe auch deshalb zu einer unrichtigen Gewinnermittlung, weil am Bilanzstichtag kein Zweifel darüber bestanden habe, daß die Verkaufspreise für Bier nicht sinken würden.
Das Finanzgericht schloß sich der Auffassung der Steuerpflichtigen an. Es sah auf Grund der Beantwortung von zwei Anfragen der Steuerpflichtigen an Lieferanten als erwiesen an, daß die Preise für Gerste, Malz und Hopfen am 30. Juni 1953 in dem sich aus diesen Antwortschreiben ergebenden Umfang gefallen seien und daß ein Erwerber des ganzen Betriebes die zur Herstellung des Biers verwendeten Rohstoffe bei der Errechnung des Kaufpreises nur mit den Marktpreisen am Stichtag berücksichtigen würde. In einem darüber hinausgehenden Preis, den der Erwerber etwa mit Rücksicht darauf bewilligen würde, daß er am Stichtag aus verbilligten Rohstoffen hergestelltes Bier nirgends erwerben könne, zur Fortführung des Unternehmens aber auf einen gewissen Bierbestand angewiesen sei, liege ein Entgelt für einen Geschäftswert, der bei der Ermittlung des Teilwerts der Bierbestände nicht berücksichtigt werden dürfe.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Anschlußbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts ergibt folgendes. Die Vorschriften des § 6 Ziff. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1950 stimmen mit den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung überein, die auch in § 133 Ziff. 3 des Aktiengesetzes ihren Ausdruck finden. Danach sind die Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens, wenn sie einen Börsen- oder Marktpreis haben, mit diesem Preis anzusetzen, wenn er unter den Anschaffungskosten liegt (Niederstwertprinzip). Ist ein Börsen- oder Marktpreis nicht gegeben, so muß dem Niederstwertprinzip in der Weise Rechnung getragen werden, daß an Stelle des niedrigeren Marktpreises der Wert angesetzt wird, der den Waren am Bilanzstichtag beizulegen ist. Das ist der Wert, den die Ware nach sorgfältiger kaufmännischer überlegung für das fortbestehende Unternehmen hat (Kommentar zum Aktiengesetz von Godin-Wilhelmi 1950 § 133 Anm. 10). Im einzelnen siehe hierzu auch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 118/55 U vom 3. Juli 1956 (Slg. Bd. 63 S. 133, BStBl III S. 248). Der Kaufmann ist nach handelsrechtlichen Grundsätzen nicht verpflichtet, bei der Berechnung des der Ware beizumessenden Wertes jeden Preisrückgang der zur Herstellung der Ware verwendeten Rohstoffe zu berücksichtigen. Hier wird dem Kaufmann vielmehr ein gewisser Spielraum eingeräumt.
Die in § 6 Ziff. 1 und 2 EStG 1950 enthaltene Begriffsbestimmung des Teilwerts soll in erster Linie klarstellen, daß der Wertansatz nicht dem Einzelveräußerungspreis und dem Liquidationswert gleichgesetzt werden darf, sondern die Fortführung des Betriebs berücksichtigt werden muß (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 469/51 U vom 15. Mai 1952, Slg. Bd. 56 S. 436, BStBl 1952 III S. 169). Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten bei der Schätzung des Teilwerts haben der Reichsfinanzhof und ihm folgend der Bundesfinanzhof den Grundsatz aufgestellt, daß der Teilwert in der Regel nicht über den Wiederbeschaffungskosten am Stichtag liegt (Urteil des Bundesfinanzhofs I 292/55 U vom 17. Juli 1956, Slg. Bd. 63 S. 476, BStBl 1956 III S. 379). Die Ermittlung der Wiederbeschaffungskosten, die im allgemeinen bei einer Betriebsveräußerung vom Veräußerer gefordert und vom Erwerber auch bezahlt werden, bereitet wesentlich geringere Schwierigkeiten als die Feststellung, von welchen Erwägungen die Parteien tatsächlich bei der Bemessung des Gesamtkaufpreises ausgehen würden und wie dieser Gesamtkaufpreis auf die einzelnen Wirtschaftsgüter und auf einen eventuellen Geschäftswert verteilt werden soll. Was für die Wiederbeschaffungskosten gilt, muß auch für die Wiederherstellungskosten zutreffend sein. Der Teilwert der im Betrieb hergestellten Wirtschaftsgüter kann deshalb in der Regel nicht über den Wiederherstellungskosten liegen.
Handelt es sich um den Teilwert von im Betrieb hergestellten Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens, deren Herstellung zwar am Bilanzstichtag möglich ist, die aber wegen der Art und Dauer des Herstellungsverfahrens zu den am Stichtag bestehenden günstigeren Bedingungen noch nicht hergestellt sein können, so spricht die Vermutung dafür, daß der Veräußerer des Betriebes nur dann zur Abgabe dieser Erzeugnisse zu den verbilligten Herstellungskosten bereit sein wird, wenn die Preissenkung von Dauer ist und sich deshalb die Verkaufspreise voraussichtlich dieser Preissenkung in Kürze anpassen. Ist das nicht der Fall, so wird im allgemeinen der Veräußerer nicht bereit sein, die Ware mit einem Verlust abzugeben, der beim Erwerber nur zu einer Erhöhung der Gewinnspanne führt. Ob der Erwerber diesen Erwägungen des Veräußerers Rechnung trägt, hängt weitgehend von der Marktlage ab. Außer Betracht bleiben müssen die Gewinnchancen des Unternehmens, also der Geschäftswert. Er darf weder bei der Ermittlung des Teilwerts von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, noch des Umlaufsvermögens berücksichtigt werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 469/51 U). Wegen der sich daraus ergebenden Ermittlungsschwierigkeiten ist es auch in diesem Fall kaum möglich, mit einiger Sicherheit festzustellen, was der Erwerber des ganzen Betriebs tatsächlich für die Waren bezahlen würde.
Auch im Interesse einfacher und klarer Abgrenzungsmerkmale erscheint es zweckmäßig, wenn der Kaufmann den Wert der von ihm hergestellten Waren nach den Wiederherstellungskosten am Stichtag berechnet. Daß das im Handels- und Steuerrecht verankerte Niederstwertprinzip bei der Warenbewertung grundsätzlich mit der voraussichtlichen Entwicklung der Verkaufspreise nicht in Verbindung gebracht werden darf, zeigt der zwingende Ansatz der niedrigeren Börsen- oder Marktpreise auch dann, wenn im Gegensatz zu der wohl üblichen Auswirkung auf die Verkaufspreise im Einzelfall mit einem entsprechenden Rückgang dieser Preise nicht zu rechnen ist. Die sich dann ergebende Vergrößerung der Gewinnspanne soll grundsätzlich dem Erwerber des Betriebes, also dem Ertrag des Wirtschaftsjahres zugute kommen, in dem die hergestellte Ware veräußert und damit auch der im Herstellungsverfahren steckende Gewinn realisiert wird.
Die Entscheidung des Finanzgerichts muß wegen mangelnder Sachaufklärung und der Möglichkeit eines Rechtsirrtums aufgehoben werden. Wie sich aus den Akten ergibt haben die Vorbehörden eine für die Berechnung des Teilwerts maßgebende Preissenkung dadurch als nachgewiesen angesehen, daß die Steuerpflichtige auf zwei ihrer Anfragen beantwortende Schreiben von Lieferanten vom 30. Juni und 1. Juli 1953 Bezug nahm. Dieser Vortrag der Steuerpflichtigen reicht aber zum Nachweis einer nachhaltigen Preissenkung nicht aus. Die Markt- und Börsenpreise der für die Herstellung von Bier verwendeten Rohstoffe, insbesondere Hopfen und Braugerste, zeigen im Laufe eines Wirtschaftsjahres in der Regel sehr erhebliche Schwankungen, die auf den verschiedensten Gründen, z. B. auf spekulativen Erwägungen, auf der Wertveränderung der Rohstoffe durch längere Lagerung oder auf den Aussichten der künftigen Ernte in Deutschland und in anderen Ländern beruhen. Bei einer solchen Sachlage kann nicht jede Preissenkung oder gar jede eine Preissenkung bestätigende Auskunft des Lieferanten einen gegenüber den tatsächlichen Herstellungskosten niedrigeren Teilwert rechtfertigen. Im Urteil des Bundesfinanzhofs I 292/55 U vom 17. Juli 1956, Slg. Bd. 63 S. 476, BStBl 1956 III S. 379, ist hervorgehoben, daß man bei erheblichen Preisschwankungen prüfen muß, ob sich diese Schwankungen im Laufe des Wirtschaftsjahres nicht ausgleichen. Der Preisrückgang von Rohstoffen, die zur Herstellung von Waren verwendet werden, kann deshalb einen niedrigeren Teilwert der Waren nur dann rechtfertigen, wenn mit einer nachhaltigen, die Erzeugung tatsächlich für längere Zeit verbilligenden Senkung des Preisspiegels gerechnet werden muß. Zeigen die Preise der Rohstoffe innerhalb des Wirtschaftsjahres erfahrungsgemäß starke Schwankungen und fallen z. B. die Preise der Rohstoffe des Vorjahres erfahrungsgemäß mit dem Näherrücken der neuen Ernte, so können die am Bilanzstichtag mehr oder weniger zufällig sich ergebenden Preise nicht die Grundlage für die Wiederherstellungskosten bilden. Die Antwort der beiden Lieferanten reicht schon deshalb nicht aus, weil nicht ersichtlich ist, ob es sich bei den angegebenen Preisen nicht um Restbestände der alten Ernte handelt, deren Preisrückgang darauf beruht, daß zu dieser Zeit solche Bestände normalerweise von Brauereien nicht mehr in dem bisherigen Umfang erworben werden.
Aus den Akten ergibt sich nicht, ob bei der Berechnung der Wiederherstellungskosten auf der Grundlage der am Bilanzstichtag geltenden Rohstoffpreise geprüft worden ist, ob sich die am Stichtag geltenden Preise für andere der Herstellung dienenden Materialien und die Löhne gegenüber den tatsächlichen Herstellungskosten geändert haben. Es besteht die Möglichkeit, daß hier Preissteigerungen vorliegen, die die Preissenkung bei den Rohstoffen ausgleicht. Die Sache bedarf der weiteren Aufklärung und wird deshalb zur erneuten Verhandlung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 424173 |
BStBl III 1957, 442 |
BFHE 1958, 541 |
BFHE 65, 541 |