Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Ein Grundstück kann als Grundstück im Zustand der Bebauung im Sinne des § 1 Nr. 4 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau in der Fassung vom 19. Juni 1958 nach den Umständen des Falles auch dann noch angesehen werden, wenn das Gebäude trotz der Gesamtplanung nur abschnittsweise errichtet werden kann, dies jedenfalls dann, wenn der Bauabschnitt ein (bautechnisches) Provisorium darstellt und wenn ein solcher - z. B. aus Finanzierungsgründen - "steckengebliebener" Bau innerhalb der vom Gesetz (§ 3) eingeräumten Frist vollendet wird.
Normenkette
GrEStWGNW 1/4; GrEStWGNW 3
Tatbestand
Der Kläger erwarb durch notariell beurkundeten Vertrag im Januar 1960 von den Erben der im November 1959 verstorbenen Witwe M. ein Grundstück, das im Krieg zerstört worden war. Frau M. hatte nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) beabsichtigt, das Grundstück in zwei Bauabschnitten mit einem fünfgeschossigen Wohn- und Geschäftsgebäude wieder aufzubauen. Wegen finanzieller Schwierigkeiten, Erkrankung und Tod der Frau M. waren bei Abschluß des Kaufvertrags nur drei Geschosse errichtet und mit einem Flachdach abgedeckt worden. Im Erdgeschoß wird seit dem ... 1959 eine Gastwirtschaft betrieben. Fünf der sechs Wohnungen im 1. und 2. Stock waren bis zum ... 1959 bezogen. Eine Wohnung und zwei Ladenlokale waren im Zeitpunkt des Erwerbs noch nicht bezogen; Treppenhausanstrich und Außenputz fehlten.
Mit dem Einspruch gegen die Grunderwerbsteuerfestsetzung beantragte der Kläger erfolglos Steuerbefreiung gemäß § 1 Nr. 4 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau in der Fassung vom 19. Juni 1958 - LG - (GVBl S. 282, BStBl III, 105), da sich das Grundstück im Zustand der Bebauung befunden habe.
Mit der Berufung gegen die Einspruchsentscheidung machte der Kläger geltend, daß außer den Voraussetzungen des § 1 Nr. 4 LG auch die des § 1 Nr. 6 LG erfüllt seien. Der nur "steckengebliebene" Bau werde nach fristgerechter Fertigstellung sechs weiterer Wohnungen im 4. und 5. Stock den Erfordernissen des § 1 Nr. 1 LG entsprechen. Der beabsichtigte weitere Aufbau könne - dem bereits vorliegenden Plan entsprechend - ohne großen Aufwand durchgeführt werden, da z. B. alle Versorgungsanschlüsse (Wasser, Gas, Strom) bereits durch die Decke des 3. Stockes gezogen seien. Selbst wenn nur auf die drei bisherigen Stockwerke abgestellt werde, sei das Gebäude noch nicht fertiggestellt gewesen, denn es hätten in beiden Ladenlokalen noch der Fußbodenbelag und in einem der Ladenlokale die Türen, Heizkörper, elektrischen Leitungen, Innenputz und Anstrich gefehlt.
§ 1 Nr. 6 LG sei ebenfalls erfüllt, weil der Grundstückserwerb als Ersatz für das durch Vertrag vom 14. April / 14. Mai 1959 veräußerte Grundstück diene, das die Erwerberin, eine Baugesellschaft, steuerbegünstigt im Sinne des § 1 Nr. 1 LG verwenden werde.
Das FG wies die Berufung als unbegründet zurück. Ein Grundstück befinde sich dann nicht mehr im Zustand der Bebauung, wenn bereits errichtete Stockwerke mit einem Dach versehen, vom Gerüst befreit und bezogen worden seien, ein Bauabschnitt also vollendet sei. § 1 Nr. 4 LG begünstige die Vollendung begonnener Wohnungsbauten durch einen anderen als den bisherigen Eigentümer, nicht aber den Erwerb fertiger Wohnungen oder Gebäudeteile, auch wenn der Aufbau weiterer Wohnungen beabsichtigt sei. Bei anderer Auslegung müßte die Befreiung sinnwidrig u. U. mehrfach gewährt werden. Auf die Fertigstellung gewerblicher Räume könne im Rahmen der Förderung des Wohnungsbaus nicht abgestellt werden. Die Bewohnbarkeit der Wohnungen werde durch noch fehlende Abschlußbauten geringeren Umfangs - wie Treppenhausanstrich, Außenputz - nicht entscheidend gemindert. Eine Steuerbefreiung im Sinne des § 1 Nr. 6 LG komme nicht in Betracht, weil der ursächliche Zusammenhang mit § 1 Nr. 1-5 LG fehle. Der Kläger habe selbst erklärt, daß er den Verkauf seines Grundstücks nicht von der Beschaffung eines Ersatzlandes abhängig gemacht habe. An die Bescheinigung des Regierungspräsidenten seien Finanzverwaltung und Steuergerichte nicht gebunden.
Mit der Rb. beantragt der Kläger erneut Freistellung von der angeforderten Grunderwerbsteuer. Er rügt Verkennung des wirtschaftspolitischen Zwecks des § 1 Nr. 4 LG, der ein anderer sei als der des § 33 a BewDV. Die Auffassung des FG führe bei Errichtung von Gebäuden in Teilabschnitten zu einer vom Gesetz nicht beabsichtigten Verhinderung des sozialen Wohnungsbaues. Das FG habe auch die Anwendbarkeit des § 1 Nr. 6 LG zu Unrecht verneint.
Entscheidungsgründe
Die Rb. - jetzt Revision - ist begründet. Nach § 1 Nr. 4 LG ist von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks im Zustand der Bebauung zur Fertigstellung von steuerbegünstigten Gebäuden.
Der Begriff "Grundstück im Zustand der Bebauung" ist - wie das FG zutreffend bemerkt - im LG nicht erläutert und deshalb nach dem objektivierten Willen des Gesetzes auszulegen, wie er sich aus dem Wortlaut und Sinnzusammenhang der Vorschrift ergibt, demgegenüber die subjektiven Vorstellungen der Gesetzgebungsorgane ggf. zurücktreten müßten. Gleichwohl bietet das Gesetzgebungsmaterial gerade bei der Abgrenzung von Vergünstigungsvorschriften wertvolle Anhaltspunkte für die Erforschung des mit einer solchen Vorschrift beabsichtigten Zwecks. Es kommt hinzu, daß der vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretene Grundsatz, wonach Befreiungsvorschriften nicht schon wegen ihrer Eigenschaft als Befreiungsvorschriften eng auszulegen sind (vgl. zuletzt Urteil II 116/63 vom 5. Oktober 1966, BFH 87, 91, BStBl III 1967, 29 mit weiteren Nachweisen), im besonderen Maße für Grunderwerbsteuervergünstigungen auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus gilt. (Vgl. z. B. die Entscheidungen II 254/58 U vom 15. Oktober 1960, BFH 71, 179, BStBl III 1960, 315, und II 190/61 U vom 9. Oktober 1963, BFH 79, 288, BStBl III 1964, 336, in denen zum Ausdruck kommt, daß im Interesse der Förderung des sozialen Wohnungsbaus die Anforderungen an die Vergünstigungsvoraussetzungen nicht überspannt werden dürfen.)
Unter diesen Umständen hält es der Senat für gerechtfertigt, ein Grundstück im Sinne des § 1 Nr. 4 LG als im Zustand der Bebauung befindlich nicht nur für den Regelfall anzusehen, in dem sich das (in einem Zug zu verrichtende) Gebäude noch im Rohbau (ohne oder mit nur zum Teil bezugsfertigen Wohnungen) befindet, sondern nach den Umständen des Falles auch dann, wenn das Gebäude trotz der Gesamtplanung nur abschnittsweise errichtet werden kann, dies jedenfalls dann, wenn der Bauabschnitt ein (bautechnisches) Provisorium darstellt und wenn ein solcher - z. B. aus Finanzierungsgründen - "steckengebliebener" Bau innerhalb der vom Gesetz (§ 3 LG) eingeräumten Frist vollendet wird. Gesetzeswortlaut und Sprachgebrauch stehen dieser Auslegung nicht entgegen. In § 1 Nr. 4 LG ist dem Grundstück im Zustand der Bebauung "die Fertigstellung von Gebäuden und nicht etwa die Fertigstellung von bezugsfertigen Wohnungen gegenübergestellt. So spricht die amtliche Begründung (Landtag von Nordrhein-Westfalen 3. Wahlperiode Bd. V Drucksache Nr. 643 zu Art. 1 Ziff. 5) davon, daß der Erwerber eines wegen Erschöpfung der finanziellen Mittel vom Bauwilligen im Zustand der Bebauung veräußerten Grundstücks das Gebäude fertigzustellen habe. Ebenso begründete der Berichterstatter in den Landtagsberatungen (Landtag von Nordrhein- Westfalen 3. Wahlperiode 81. Sitzung Bd. 3 S. 2849) die Notwendigkeit der neuen Befreiungsvorschrift damit, daß hierdurch unbedingt die Fertigstellung "steckengebliebener" Bauten erleichtert werden müsse.
Wenn auch in erster Linie die Vollendung von Gebäuden mit noch nicht bezugsfertigen Wohnungen gefördert werden soll, so erscheint es im Interesse der Erstellung möglichst vieler steuerbegünstigter Wohnungen unter Ausnutzung der zulässigen Bebaubarkeit nicht weniger förderungswürdig, den Erwerb auch solcher Grundstücke noch zu begünstigen, deren Bebauung in einem ersten Abschnitt steckenblieb, dessen Wohnungen trotz des provisorischen Abschlusses (ganz oder zum Teil) bezugsfertig hergerichtet worden sind. Es ist kein einleuchtender Grund ersichtlich, solche Grundstückserwerbe (zunächst; vgl. § 3 LG) anders zu behandeln als etwa den Erwerb eines fünfstöckigen Grundstücks, in dem im Zeitpunkt der Weiterveräußerung lediglich die Wohnungen im letzten Stockwerk bereits, aber auch erst im Rohbau (noch nicht bezugsfertig) erstellt sind. Hieran zeigt sich auch, daß die - stets nur den jeweiligen Erwerbsvorgang betreffende - grunderwerbsteuerrechtliche Regelung des § 1 Nr. 4 LG nicht, wie das FG meint, ohne weiteres mit dem Bewertungsrecht (§ 33 a BewDV a. F.; § 91 BewG 1965) oder mit dem Einkommensteuerrecht (§ 7 b EStG) gleichgesetzt werden kann. Diesen letztgenannten Vorschriften liegt der Gedanke zugrunde, daß für Zwecke der abschnittsweisen (periodischen) Heranziehung zur Vermögensteuer und Grundsteuer bzw. zur Einkommensteuer die Gebäudeteile mit bereits bezugsfertigen, ertragbringenden Wohnungen - auch hinsichtlich der früheren Zubilligung der Vergünstigung des § 7 b EStG - anders zu behandeln sind als Gebäude (-teile) mit nichtbezugsfertigen Wohnungen (vgl. zu § 7 b EStG Urteil des BFH IV 298/54 U vom 28. Juli 1955, BFH 61, 245, BStBl III 1955, 292; zu § 33 a Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz 7. Aufl. § 52 BewG Tz. 76-78).
Zu Unrecht bezieht sich das FG auf andere Länderregelungen, da dort abweichende Gesetzestexte zugrunde liegen. So ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 des schleswig-holsteinischen Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaues und bei Maßnahmen im Rahmen des Schleswig- Holsteinischen Aufbaugesetzes und des Baulandbeschaffungsgesetzes vom 12. August 1954 bzw. 28. Juni 1962 (GVBl 1954, 138; 1962, 265) u. a. grunderwerbsteuerbefreit der Erwerb von Grundstücken im Zustand der Bebauung zur Fertigstellung steuerbegünstigter Wohnungen. - Nach § 1 Nr. 3 des rheinland-pfälzischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau vom 14. März 1955 (GVBl S. 21) war grunderwerbsteuerbefreit der Erwerb von Grundstücken im Zustand der Bebauung "in der Absicht, steuerbegünstigte Wohnungen fertigzustellen, wenn der Veräußerer mit der Errichtung dieser Wohnungen begonnen und den Bau wieder stillgelegt hat". In diesem Sinn ist der vom FG zitierte Erlaß des Ministeriums für Finanzen und Wiederaufbau des Landes Rheinland-Pfalz vom 28. März 1955, BStBl II 1955, 66, zu Abschn. 6 b) zu verstehen, daß ein Bauvorhaben, das in Teilabschnitten durchgeführt wird, nicht zu den stillgelegten Bauten im Sinne des § 1 Nr. 3 a. a. O. gehört. - In Baden-Württemberg begünstigte § 1 Nr. 2 des I. Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (GrEStWG) vom 21. September 1953 (GesBl S. 147) ebenfalls den Erwerb von Grundstücken im Zustand der Bebauung zur Fertigstellung steuerbegünstigter Wohnungen, § 1 Nr. 3 des II. GrEStWG vom 20. Juli 1962 (GesBl S. 74) dagegen den Erwerb solcher Grundstücke zur Fertigstellung steuerbegünstigter Gebäude, ebenso § 6 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG vom 2. August 1966 (GesBl S. 165, BStBl II 1966, 200).
Da aber das nordrhein-westfälische Landesgesetz nicht auf die Bezugsfertigkeit der einzelnen Wohnungen, sondern auf das ganze Gebäude abstellt, so kann im Sinne dieses Gesetzes ein Grundstück als im Zustand der Bebauung befindlich unter den oben (Abs. 4 dieses Abschnitts) dargelegten Voraussetzungen noch dann gelten, wenn das Bauwerk noch nicht fertiggestellt ist. Obwohl also Wohnungen des Bauwerks bezugsfertig sein können, ist das Gebäude selbst in der Regel "als fertiggestellt" anzusehen, wenn es so errichtet worden ist, wie es von vornherein (ggfs. im Laufe der Erstellung) vorgesehen war (vgl. auch BFH-Urteil VI 207/60 vom 13. Oktober 1961, HFR 1962, 330).
Die Auffassung des FG, vorstehender Auslegung des § 1 Nr. 4 LG stehe entgegen, daß dann die Grunderwerbsteuervergünstigung u. U. mehrfach, und zwar entgegen der Rechtsprechung des Senats (Urteil II 204/54 U vom 1. Dezember 1954, BFH 60, 122, BStBl III 1955, 47) gewährt werden müsse, trifft in dieser allgemeinen Form nicht zu. Dies gilt nicht nur für die Fälle, in denen für den erstbeginnenden Bauherrn als dem ursprünglichen Grundstückseigentümer mangels Grundstückswechsels eine Steuervergünstigung nach dem LG nicht in Betracht kam. Es gilt auch für alle die Fälle, in denen das Gebäude des (vom bisherigen Erwerber erstellten) Bauabschnitts im Zeitpunkt der Weiterveräußerung die Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 oder 3 LG nicht erfüllte. Die Rechtsprechung des Senats, wonach die Steuervergünstigung grundsätzlich nur einmal gewährt werden kann, betrifft durchweg Entscheidungen zur Frage der Bauherreneigenschaft im Sinne des § 1 Nr. 1 LG und vergleichbarer Tatbestände anderer Landesgesetze (vgl. noch Urteile des Senats II 66/57 U vom 2. September 1959, BFH 69, 518, BStBl III 1959, 453; II 151/59 U vom 26. Juli 1961, BFH 73, 571, BStBl III 1961, 473; II 12/62 vom 31. März 1965, HFR 1965, 417). Ob für den Sondertatbestand des § 1 Nr. 4 LG nach Lage des Falles u. U. eine andere Entscheidung denkbar wäre - etwa, weil § 1 Nr. 1 LG die "Errichtung", § 1 Nr. 4 die "Fertigstellung" eines Gebäudes betrifft -, ist für den Streitfall nicht zu erörtern.
Nach den Feststellungen des FG war das gemäß bauamtlicher Zulassung mit fünf Stockwerken geplante Grundstück wegen der finanziellen Schwierigkeiten von Frau M. im Zeitpunkt der Weiterveräußerung nur bis zum dritten Stockwerk gediehen. Es war zum - wie unstreitig - vorläufigen Abschluß mit einem flachen Notdach versehen worden; alle Vorsorgungsleitungen (Gas, Strom, Wasser) waren für den weiteren Aufbau bereits durch die Decke des dritten Stocks verlegt worden. Unter diesen Umständen kann dem Kläger (zunächst; vgl. § 3 LG) die Steuervergünstigung des § 1 Nr. 4 LG nicht versagt werden.
Die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und der Steuerbescheid des FA, die von anderen rechtlichen Erwägungen ausgehen, waren mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO aufzuheben, ohne daß noch auf die anderen Streitpunkte, insbesondere zu § 1 Nr. 6 LG einzugehen war.
Fundstellen
Haufe-Index 412585 |
BStBl III 1967, 493 |
BFHE 1967, 567 |
BFHE 88, 567 |