Entscheidungsstichwort (Thema)
Kürzung um vorgetragene Gewerbeverluste trotz zwischenzeitlicher GewSt-Befreiung; gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes für jeden Erhebungszeitraum
Leitsatz (amtlich)
1. Die Höhe der vortragsfähigen Gewerbeverluste ist gemäß § 10a Satz 2 GewStG für den jeweiligen Erhebungszeitraum gesondert festzustellen, für den ein Gewerbesteuermeßbescheid ergeht. Bei der Feststellung handelt es sich um einen Grundlagenbescheid für den Gewerbesteuermeßbescheid des Folgejahres.
2. Der Wechsel in der Steuerpflicht eines Gewerbesteuersubjekts infolge eines persönlichen Befreiungsgrundes (hier: § 3 Nr. 14 a GewStG) führt nicht zum Wegfall des Gewerbesteuersubjekts. Bleibt dieses bei Beendigung und nachfolgendem erneutem Beginn der Steuerpflicht weiterhin bestehen, ist sowohl die Unternehmens- als auch die Unternehmeridentität gewahrt. Gewerbeverluste aus vorangegangenen, nicht steuerbefreiten Erhebungszeiträumen sind deshalb nach Wiedereintritt in die Steuerpflicht abzugsfähig.
Normenkette
FGO § 74; AO 1977 § 155 Abs. 2, §§ 163, 182; GewStG § 2 Abs. 1 S. 1, § 3 Nr. 14a, § 10a; GewStG DDR § 2 Abs. 2 Nr. 1; LPGG § 4 Abs. 1; LAnpG §§ 23, 25, 31-32; DMBilG § 1 Abs. 5, § 50 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Mecklenburg-Vorpommern (Dok.-Nr. 0550103; EFG 1998, 1612) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine eingetragene Genossenschaft (e.G.), ist Rechtsnachfolgerin der am 1. Dezember 1991 aus der Umwandlung einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) im Beitrittsgebiet entstandenen M e.G., die im Erhebungszeitraum 1991 einen Gewerbeertrag von 69 736,38 DM erwirtschaftet hat. Auf den Antrag der Klägerin, die M e.G. für diesen Erhebungszeitraum 1991 gemäß § 3 Nr. 14 a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes (JStG) 1996 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) von der Gewerbesteuer zu befreien, kürzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die erklärten vortragsfähigen Gewerbeverluste um den im Erhebungszeitraum 1990 entstandenen Fehlbetrag von 653 DM, weil es infolge der Steuerbefreiung an einem Steuersubjekt als Voraussetzung für den Verlustabzug gemäß § 10a GewStG fehle (vgl. z.B. Erlaß des Finanzministeriums Brandenburg vom 16. April 1996 35 G 1412 - 1/96). Dementsprechend wurde der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1992, dem streitgegenständlichen Stichtag, festgestellt. Für die Erhebungszeiträume zuvor sind bislang keine Feststellungsbescheide ergangen.
Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 1612 abgedruckt.
Zwischenzeitlich ―im August 1998― wurde von der Klägerin der Antrag gestellt, einen entsprechenden vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1991 festzustellen, was vom FA abgelehnt worden ist. Über den dagegen gerichteten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses wird das Klageverfahren ggf. ―nach weiterer Sachaufklärung― gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen haben, bis über die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge zum 31. Dezember 1990 eine bestandskräftige gesonderte Feststellung gemäß § 10a Satz 2 GewStG ergangen ist.
1. Gemäß § 10a Satz 1 GewStG wird der maßgebende Gewerbeertrag um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrages für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrages für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen (§ 10a Satz 2 GewStG). Maßgebender Gewerbeertrag in diesem Sinne ist gemäß § 7 GewStG der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 Abs. 2 Satz 1 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge.
§ 14 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GewStG bestimmt, daß unter Erhebungszeitraum das Kalenderjahr bzw. ggf. der Zeitraum der Steuerpflicht zu verstehen ist. Nach dessen Ablauf wird der Steuermeßbetrag (vgl. § 11 GewStG) festgesetzt. Daraus folgt in zeitlicher Hinsicht: Das Gesetz ist auf eine lückenlose Fortschreibung der vortragsfähigen Fehlbeträge hin angelegt. Die Höhe dieser Beträge ist in Einklang hiermit gemäß § 10a Satz 2 GewStG für den jeweiligen Erhebungszeitraum (vgl. § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG) unter Verrechnung oder Zuschreibung von Fehlbeträgen gesondert festzustellen (Peuker in Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 4. Aufl., § 35b Rz. 9; Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 16. Aufl., § 35b GewStG Rz. 45). Der Feststellungsbescheid ist jeweils Grundlagenbescheid für den Gewerbesteuermeßbescheid des oder der Folgejahre(s), vgl. § 182 der Abgabenordnung ―AO 1977― (Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluß vom 5. August 1998 VIII B 89/97, BFH/NV 1999, 215; von Twickel in Blümich, a.a.O., § 10a GewStG Rz. 49 f.; Hofmeister, ebd., § 35b GewStG Rz. 50; Güroff in Glanegger/ Güroff, a.a.O., § 10a Rz. 25; vgl. auch zur gleichgelagerten Gesetzeslage gemäß §10d EStG von Groll in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10d Rdnr. D 70 ff.).
Da es der Klägerin im Streitfall um die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes aus dem Erhebungszeitraum 1990 geht, wäre dessen Höhe sonach ―bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen― zum Schluß dieses Kalenderjahres, also auf den 31. Dezember, als dem Verlustentstehungsjahr festzustellen gewesen (zur Anwendbarkeit von § 10a GewStG auf Gewerbeverluste des Erhebungszeitraumes 1990 siehe § 36 Abs. 5 a Satz 1 GewStG i.d.F. des Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands ―Einigungsvertragsgesetz― und der Vereinbarung vom 18. September 1990, BGBl I 1990, 885, BStBl I 1990, 653). Dies ist bislang unterblieben; das FA hat die erforderliche Besteuerungsgrundlage im Rahmen des hier streitgegenständlichen Bescheides lediglich vorläufig festgestellt (§ 155 Abs. 2 AO 1977). Das Klageverfahren muß deswegen vom FG gemäß § 74 FGO ausgesetzt werden, um den Ausgang eines Verfahrens über die vorgreifliche Feststellung abzuwarten (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom 9. Mai 1984 I R 25/81, BFHE 141, 252, BStBl II 1984, 726).
2. Daß die Klägerin gemäß § 3 Nr. 14 a GewStG in der Gestalt des JStG 1996 beantragt hat, für den Erhebungszeitraum 1991 von der Gewerbesteuer befreit zu werden, ändert daran grundsätzlich nichts.
a) Die für die Kürzung erforderliche Unternehmens- und Unternehmeridentität (BFH-Beschluß vom 3. Mai 1993 GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl II 1993, 616, unter C. II. 1. der Gründe, m.w.N.) kann gleichwohl vorliegen. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft, deren Tätigkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt. Der Umstand, daß sie gemäß § 3 Nr. 14 a Satz 1 GewStG beantragt hat, für den Erhebungszeitraum 1991 von der Gewerbesteuer befreit zu werden, steht dem nicht entgegen. Wegen der danach zu gewährenden persönlichen Steuerbefreiung für LPG und deren Rechtsnachfolger in der Rechtsform der Genossenschaft im Beitrittsgebiet entfällt zwar die ansonsten für Gewerbebetriebe bestehende Gewerbesteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG; vgl. Reichsfinanzhof, Urteil vom 23. Februar 1943 I 117/42, RStBl 1943, 801; Obermeier in Blümich, a.a.O., § 2 GewStG Rz. 802; Güroff in Glanegger/ Güroff, a.a.O., § 2 Rz. 211, 221; Abschn. 22 Abs. 6 der Gewerbesteuer-Richtlinien ―GewStR― 1990 = Abschn. 19 Abs. 6 GewStR 1998). Die Befreiung ändert jedoch nichts am Fortbestand des betreffenden Gewerbebetriebs. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz zieht der Wechsel in der Steuerpflicht eines Gewerbesteuersubjekts infolge eines persönlichen Befreiungsgrundes nicht zwangsläufig dessen Wegfall nach sich (vgl. insoweit zum Beginn und Erlöschen einer Steuerbefreiung auch § 13 KStG; dazu Bott in Arthur Andersen, Körperschaftsteuergesetz, § 13 Rz. 25; Jost in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 13 KStG Rz. 13). Bleibt das Subjekt als solches bei Beendigung und nachfolgendem (erneutem) Beginn der Steuerpflicht weiterhin bestehen, ist vielmehr sowohl die Unternehmens- als auch die Unternehmeridentität gewahrt (im Ergebnis ebenso Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, 10. Aufl., § 3 Rz. 56 a; Güroff, a.a.O., § 3 Rz. 156 a).
b) Dies steht in Einklang mit der Zielsetzung, die der Gesetzgeber mit der zeitlich begrenzten (und antragsabhängig ausgestalteten) Steuerbefreiung in § 3 Nr. 14 a GewStG verbunden hat. Denn dadurch soll es der Genossenschaft ermöglicht werden, ihre in den Erhebungszeiträumen 1991 bis 1993 erlittenen steuerlichen Verluste mit etwaigen Gewinnen in späteren Jahren auszugleichen (vgl. BTDrucks 13/901, S. 146). Dieser Zielsetzung wird aber, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, nur dann durchgängig entsprochen, wenn dem Steuerpflichtigen gleichsam ein Wahlrecht zugestanden wird, für die Steuerfreiheit innerhalb der drei genannten Erhebungszeiträume beliebig zu optieren, ohne dadurch Verluste aus vorangegangenen Zeiträumen zu verlieren.
c) Die Kürzung um die Fehlbeträge gemäß § 10a Satz 1 GewStG scheitert gleichermaßen nicht daran, daß wegen der beantragten Steuerbefreiung für den vorangegangenen Erhebungszeitraum 1991 ein "maßgebender Gewerbeertrag" wegen der Steuerbefreiung nicht zu ermitteln gewesen ist. Zwar können aus diesem Grunde Verluste, die in einem von der Gewerbesteuer befreiten Gewerbebetrieb entstanden sind, nach Wegfall der Steuerbefreiung nicht abgezogen werden (von Twickel, a.a.O., § 10a GewStG Rz. 61). Darum geht es der Klägerin im Streitfall jedoch auch nicht. Sie begehrt nicht den Abzug von Fehlbeträgen aus dem vorangegangenen ―steuerbefreiten― Erhebungszeitraum 1991, sondern aus dem davor liegenden Erhebungszeitraum 1990.
d) Insofern kommt es allerdings in entscheidungserheblicher Weise darauf an, daß ihre Rechtsvorgängerin, die M e.G., in diesem Zeitraum der Gewerbesteuer unterfiel und folglich insoweit ein "maßgebender Gewerbeertrag" zu ermitteln war. Die Sachverhaltsfeststellungen des FG ermöglichen ebensowenig wie die Aktenlage eine abschließende Beantwortung dieser Frage. Dabei ist folgendes zu berücksichtigen:
aa) Im Erhebungszeitraum 1990 war im Beitrittsgebiet grundsätzlich noch das Recht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) anzuwenden. LPG waren danach nicht gewerbesteuerpflichtig. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG DDR vom 18. September 1970 (Gesetzblatt der DDR ―GBl DDR― 1970, 362) galten zwar die Tätigkeiten von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb. Daher unterfallen diese Genossenschaften grundsätzlich der Gewerbesteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 GewStG DDR). Das Gewerbesteuergesetz der DDR fand aber keine Anwendung für sozialistische Genossenschaften (Fn. 1 zu § 2 GewStG DDR) und damit auch nicht für LPG (vgl. § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 12. Juli 1982, GBl DDR 1982, 443).
bb) Nach § 1 Abs. 5 des Gesetzes über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung ―D-Markbilanzgesetzes (DMBilG)― in der Neufassung vom 18. April 1991 (BGBl I 1991, 971, BStBl I 1991, 713) konnten allerdings auf Antrag Unternehmen, die bis zum 30. Juni 1991 durch Gründung, Umwandlung, Verschmelzung, Spaltung oder Entflechtung entstanden sind, als zum 1. Juli 1990 entstanden angesehen werden. Eine derart gewählte Rückbeziehung ist nach § 50 Abs. 1 DMBilG auch für die Ertragsbesteuerung beachtlich. Aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO 1977) hat die Finanzverwaltung (vgl. gleichlautende Verfügungen der Oberfinanzdirektionen ―OFD―, z.B. OFD Rostock vom 11. Mai 1993 S 1900 - St 214, Steuererlasse in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 10d Nr. 36) solche eingetragenen Genossenschaften, die ―wie im Streitfall― aus formwechselnden Umwandlungen i.S. des § 23 des Gesetzes über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik ―Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LAnpG)― vom 29. Juni 1990 (GBl DDR I 1990, 642) hervorgegangen sind, dem gleichbehandelt und damit dem Anwendungsbereich von § 1 Abs. 5 DMBilG unterworfen, wenn alle für die Eintragung in das Genossenschaftsregister erforderlichen Maßnahmen vor dem 1. Juli 1991 ergriffen worden sind. Dazu gehören insbesondere ein wirksam gefaßter Umwandlungsbeschluß (§ 29 LAnpG) nebst Anlagen sowie die Anmeldung zur Eintragung (§§ 31, 32 LAnpG). - Unter diesen Voraussetzungen wäre die M e.G. sonach im 2. Halbjahr 1990 steuerpflichtig und auch ein ―aber nur im 2. Halbjahr― 1990 entstandener Verlust prinzipiell vortragsfähig gewesen.
3. Die Vorinstanz wird die hierfür erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zu treffen haben. Sollte sich herausstellen, daß die Klägerin im Erhebungszeitraum 1990 steuerpflichtig gewesen ist, wäre bei der hier gegebenen Verfahrenslage wegen der noch ausstehenden Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes 1990 das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen. Zu diesem Zweck war das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 56406 |
BFH/NV 1999, 1561 |
BStBl II 1999, 733 |
BFHE 189, 183 |
BFHE 2000, 183 |
BB 1999, 1803 |
DB 1999, 1887 |
DStR 1999, 1396 |
DStRE 1999, 716 |
DStZ 1999, 919 |
HFR 1999, 913 |
StE 1999, 547 |