Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ort der Geschäftsleitung einer Organgesellschaft ist in der Regel der Ort, an dem die gesetzlichen Vertreter der Organgesellschaft (bzw. deren Stellvertreter) tätig werden.
Normenkette
AO § 72 Nr. 2, § 73a/1, § 73a/6; StAnpG § 15 Abs. 1
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.), die ihren Sitz in S hat, ist ein Organ der ... AG in F. Bis zum Jahre 1953 wurde der Einheitswert des Betriebsvermögens der Bfin. vom Finanzamt F (dem für die beherrschende Gesellschaft örtlich zuständigen Finanzamt) festgestellt; dieses Finanzamt veranlagte bis dahin auch die Bfin. zur Vermögensteuer. Auf Grund einer Beanstandung des zuständigen Landesrechnungshofs machte das Finanzamt S gegenüber dem Finanzamt F seine Zuständigkeit für die Besteuerung des Vermögens der Bfin. mit der Begründung geltend, daß sich die Geschäftsleitung der Bfin. in S befinde. Im Einvernehmen mit dem Finanzamt F übernahm das Finanzamt S zum 1. Januar 1953 die Besteuerung der Bfin. nach ihrem Vermögen, stellte den Einheitswert fest und veranlagte die Bfin. zur Vermögensteuer. Einspruch und Berufung der Bfin., die Beibehaltung der bisherigen örtlichen Zuständigkeit verlangte, waren erfolglos.
Die Entscheidung der Vorinstanz beruht im wesentlichen auf folgenden Erwägungen: Wenn auch die Bfin. eine Organgesellschaft sei, so befinde sich ihre Geschäftsleitung doch nicht schlechthin an dem Ort, wo die Geschäfte der beherrschenden Gesellschaft geleitet würden. Die Geschäfte einer Gesellschaft - auch einer beherrschten - würden stets an dem Ort geleitet, an dem die gesetzlichen Vertreter der Organgesellschaft bzw. deren Stellvertreter tätig würden (Urteil des Reichsfinanzhofs III A 37/32 vom 12. Januar 1933, Reichssteuerblatt - RStBl - 1933 S. 132). Im Streitfall wohnten die Geschäftsführer der beherrschten Gesellschaft in S und führten auch von S aus die Geschäfte der Gesellschaft. Die Buchführung der Gesellschaft, für welche die Geschäftsführer zu sorgen hätten, befinde sich nicht in F, sondern in S. Wenn auch die Geschäftsführer hinsichtlich ihrer Tätigkeit an bestimmte Weisungen gebunden seien, so könne das für die Leitung der Geschäfte der beherrschten Gesellschaft nicht als entscheidend angesehen werden. Abgesehen davon sei auch auf Grund des Einvernehmens zwischen den beteiligten Finanzämtern die Zuständigkeit des Finanzamts S begründet worden.
Demgegenüber wird in der Rechtsbeschwerde (Rb.) geltend gemacht: Das Urteil des Reichsfinanzhofs, auf das die Vorinstanz ihre Auffassung stütze, sei durch die spätere Rechtsprechung entscheidend modifiziert worden. Das Finanzgericht irre auch, wenn es der Buchführung besondere Bedeutung beimesse. Die beherrschte Gesellschaft führe über die laufenden Geschäftsvorfälle keine eigenen Bücher; vielmehr erscheine alles in den Büchern der beherrschenden Gesellschaft. Soweit die Geschäftsvorfälle von der beherrschten Gesellschaft festgehalten würden, tun sie dies auftragsweise für die beherrschende Gesellschaft in deren Büchern. Im übrigen könnten die Finanzämter nicht über den Kopf des Steuerpflichtigen hinweg eine von den Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) abweichende Regelung vereinbaren.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Nach § 72 Ziff. 2 AO ist für die Feststellung des Einheitswerts eines gewerblichen Betriebs das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet. Das gleiche gilt bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen für die Besteuerung nach dem Vermögen (ß 73a Abs. 1 und 6 AO). Geschäftsleitung im Sinne der Steuergesetze ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung (ß 15 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -).
Die Vorinstanz hat aus dem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 12. Januar 1933 geschlossen, daß bei Organgesellschaften (zumal diese für das Gebiet der Vermögensbesteuerung als steuerlich selbständige Gesellschaften behandelt werden) stets als Ort der Geschäftsleitung der Ort anzusehen ist, an dem die gesetzlichen Vertreter der Organgesellschaft oder ihre Stellvertreter tätig werden. Die Vorinstanz hat aber - hierauf hat die Bfin. mit Recht hingewiesen - nicht beachtet, daß das genannte Urteil durch die spätere Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteil des Reichsfinanzhofs II A 107/35 vom 16. Juni 1936, RStBl 1936 S. 765) entscheidend modifiziert worden ist. In übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung ist der Senat der Auffassung, daß die Abhängigkeit, wie sie gewöhnlich zwischen einer beherrschten und einer beherrschenden Gesellschaft besteht, nicht ohne weiteres den Ort der Geschäftsleitung der beherrschten Gesellschaft an den der beherrschenden Gesellschaft verschiebt; in besonders gelagerten Fällen kann diese Folge allerdings eintreten. Ort der Geschäftsleitung einer Organgesellschaft ist daher in der Regel der Ort, an dem die gesetzlichen Vertreter der Organgesellschaft (bzw. deren Stellvertreter) tätig werden.
Im Streitfall reichen die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen für die Annahme aus, daß die Geschäftsleitung der Bfin. (Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung) nicht in F., sondern in S. ist. Da das Einvernehmen der beiden Finanzämter (ß 78 Abs. 1 AO) im Sinne der gesetzlichen Regelung liegt, kann nicht zugegeben werden, daß Interessen der Bfin. verletzt sind.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 307 AO.
Fundstellen
Haufe-Index 408838 |
BStBl III 1957, 341 |
BFHE 1958, 280 |
BFHE 65, 280 |