Leitsatz (amtlich)
Ist ein im Erdgeschoß eines mehrstöckigen Hauses untergebrachter Ladenraum durch einen eingeschossigen Anbau in der Weise vergrößert worden, daß - nach Entfernung der Wand des alten Gebäudes zwischen den anstoßenden Wänden des Neubaus - Alt- und Neubau in einem einheitlich gestalteten Raum ineinander übergehen, so spricht dies gegen die Annahme, der Anbau sei als solcher ein selbständiges Gebäude, welches als körperliches Wirtschaftsgut Gegenstand eines selbstverbrauchsteuerpflichtigen Vorgangs sein kann.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine OHG, betreibt die Herstellung und den Verkauf von Pelzwaren und den Verkauf von Herrenartikeln. Sie nutzte u. a. das Erdgeschoß eines dreieinhalbgeschossigen unterkellerten, mit seiner Schmalseite (von ca. 10m Länge) an einer öffentlichen Straße gelegenen Gebäudes betrieblich. Die betriebliche Nutzfläche war 1954 durch einen eingeschossigen Werkstattanbau an der der Straße abgewandten Schmalseite des Gebäudes vergrößert worden und betrug im Erdgeschoß ca. 190 qm. Dort befand sich neben dem Ladenraum, der zwei Drittel der Grundfläche des Erdgeschosses einnahm und zu dem ein Eingang von der Straße aus führte, noch die Kürschnerwerkstatt. Die - vom Ladeneingang aus gesehen - rechte Seitenwand des Gebäudes (von ca. 23m Länge) war nicht gerade. Denn der der Straße zugewandte Teil des Gebäudes war einen Meter schmäler als der Teil, an dem der Werkstattanbau stand. Im Jahre 1969 errichtete die Klägerin an dieser Seitenwand ca. vier Meter von der der Straße abgewandten Schmalseite des Gebäudes entfernt einen nahezu im rechten Winkel zum alten Gebäude stehenden, eingeschossigen unterkellerten Anbau, dessen (ca. 15 Meter lange) Wände vor und hinter der Verbreiterung an den Altbau angebaut wurden. Zwischen diesen beiden Wänden des Neubaus ist die Seitenwand im Erdgeschoß des Altbaues nahezu in voller Breite herausgeschlagen. Stehengeblieben ist im wesentlichen nur das kleine Stück, durch das der Schornstein und die Abwässerleitungen führen. Auf diese Weise wurde der Ladenraum des Altbaus vergrößert. Denn 57 qm des Anbaus (der insgesamt eine Fläche von 86 qm hat) bilden zusammen mit dem früheren Ladenraum einen einzigen Verkaufsraum. Der restliche Teil des Anbaus enthält einen Büroraum, ein WC und einen Flur, von dem aus man ins Freie und (über eine Treppe) in den Keller gelangen kann. Im Kellergeschoß des Anbaus befinden sich drei an einem gemeinsamen Gang gelegene Räume, die dem Betrieb als Lager dienen. Zwischen diesem Gang und dem Keller im Altbau ist eine Verbindung durch einen Mauerdurchbruch und den Einbau einer Tür geschaffen worden.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hat im Anschluß an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung den Anbau als selbständiges Wirtschaftsgut beurteilt und im endgültigen Umsatzsteuerbescheid für 1969 Selbstverbrauchsteuer in Höhe von 7 v. H. der Herstellungskosten des Anbaus festgesetzt. Demgegenüber ist die Klägerin der Auffassung, daß es sich bei dem Anbau um eine nicht steuerbare Erweiterungsinvestition gehandelt habe.
Das FG hat die Auffassung der Klägerin bestätigt. Es hat dazu unter Berufung auf die Urteile des BFH vom 13. April 1972 V R 151/71 (BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654) und vom 23. März 1972 V R 104/71 (BFHE 105, 409, BStBl II 1972, 681) ausgeführt: Altbau und Anbau seien miteinander verschachtelt. Das zeige sich in besonderem Maße in dem einheitlich gestalteten Verkaufsraum. Einem unbefangenen Besucher werde nicht der Eindruck vermittelt, daß er sich während des Aufenthalts im Laden in mehreren Gebäuden bewege. Die Bauteile seien auch nutzungsmäßig aufeinander abgestimmt. Der Anbau habe außerdem nicht zur Entstehung eines aus ihm und dem Altbau bestehenden neuen Wirtschaftsguts geführt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung von § 30 UStG 1967 gerügt wird.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage gegen den angefochtenen Bescheid abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 nur die Zuführung selbständiger Wirtschaftsgüter erfaßt, nicht jedoch die Erweiterung bereits vorhandener Wirtschaftsgüter, auch wenn dabei aktivierungspflichtiger Aufwand anfällt. Nach dem BFH-Urteil V R 104/71 ist es gerechtfertigt, eine Gebäudeerweiterung anzunehmen, wenn der angefügte Neubau als Teil des schon vorhandenen Gebäudes erscheint. Der Neubau muß im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude wert- und größenmäßig untergeordnet sein. Gebäude und Anbau müssen miteinander verschachtelt sein. Sind sie in ihrer Nutzung aufeinander abgestimmt, so spricht dies für die Einheitlichkeit. Das FG hat der Vorentscheidung diese Grundsätze zugrunde gelegt und ist bei ihrer Anwendung ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt, daß der Anbau unselbständiger Teil des bei seiner Errichtung bereits vorhandenen Gebäudes war.
Zutreffend hat es das FG als ein maßgebliches, für ein einziges Gebäude sprechendes Merkmal gewertet, daß die Verkaufszwecken dienende Fläche des Anbaus mit dem bisherigen Pelzverkaufsraum des Altbaus einen Verkaufsraum bildet, dessen Einheitlichkeit noch durch die Ausstattung mit gleichem Teppichboden und die aufeinander abgestimmte Einrichtung unterstrichen wird. Entgegen der Auffassung des FA hat das FG damit nicht nur auf den - erst in zweiter Linie maßgebenden - Nutzungszusammenhang abgestellt, sondern auch eine bauliche Verbindung zwischen Alt- und Neubau angesprochen, die neben den anderen baulichen Bindungen wesentlich zur Verschachtelung beiträgt, die in diesem Raum dadurch in Erscheinung tritt, daß Alt- und Neubau in einem einheitlich gestalteten Raum ineinander übergehen.
Zu Unrecht meint das FA, eine zu einer Gebäudeeinheit führende Verschachtelung liege nur vor, wenn die Verhältnisse mit denen vergleichbar seien, die im Falle des BFH-Urteils vom 21. April 1955 IV 532/54 U (BFHE 60, 478, BStBl III 1955, 183) vorgelegen hätten. Dort sei die Verschachtelung dadurch zum Ausdruck gekommen, daß Teile des (Praxis-)Gebäudes wegen des darin fehlenden Treppenhauses nur durch das daneben stehende (Wohn-)Gebäude zugänglich gewesen seien. Das FA berücksichtigt bei dieser Auffassung nicht, daß jede bauliche Verbindung eines Anbaus mit einem Altbau zur Verschachtelung beitragen kann. Der Senat hat bereits in seinem Urteil V R 151/71 die Herausnahme von Zwischenwänden als einen Umstand gewertet, der für die Annahme einer Gebäudeeinheit spricht. Allerdings kann nur eine Mehrzahl baulicher Verbindungen zu einer Verschachtelung und damit zur Entstehung eines einzigen Gebäudes führen. Denn erst durch eine Reihe solcher Verbindungen entsteht ein Bauwerk, dessen Teile bei einem etwaigen Verkauf nicht ohne erhebliche Bauaufwendungen voneinander getrennt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1965 VI 62/65 U, BFHE 84, 234, BStBl III 1966, 86, mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Soweit das FA vorträgt, daß die Mauerdurchbrüche verhältnismäßig einfach wieder zugemauert werden könnten, vernachlässigt es zu Unrecht die übrigen baulichen Verbindungen, z. B. den Anschluß des Anbaus an das Versorgungssystem des Altbaus.
Das FG hat folgende bauliche, vereinheitlichend wirkende Merkmale festgestellt: Neben dem Durchlaß in der vollen Breite des Erdgeschosses befindet sich im Keller eine Verbindungstür. Der Anbau und der angrenzende eingeschossige Werkstatteil des Altbaus weisen nahezu dieselbe Höhe und dieselbe Verklinkerung auf. Der Anbau ist an das Versorgungssystem des Altbaus angeschlossen. Der Heizkessel der Heizungsanlage mußte wegen des Anbaus vergrößert werden. Das Dach des Neubaus ruht zumindest zum Teil auf der Außenmauer des Altbaus.
Die auf diesen Feststellungen beruhende Entscheidung des FG, der angefügte Neubau erscheine als unselbständiger Teil des schon vorhandenen Gebäudes liegt, als Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung. Sie ist für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), da sie nicht auf Denkfehlern oder auf Verletzung von Erfahrungssätzen beruht und das FA keine Verfahrensrüge erhoben hat.
Nach der Entscheidung, daß der Anbau kein selbständiges Wirtschaftsgut ist, hat das FG auch die sich daran anschließende Frage, ob durch den Erweiterungsbau ein neues Wirtschaftsgut unter Einbeziehung eines bereits vorhandenen Wirtschaftsguts geschaffen worden ist, zu Recht verneint. Es hat in Übereinstimmung mit dem BFH-Urteil V R 151/71 darauf abgestellt, ob der Anbau dem aus ihm und dem Altbau bestehenden Gesamtkomplex das Gepräge gibt. Angesichts der Größenverhältnisse hat es diese Frage zutreffend verneint. Die vom FA dagegen erhobenen Einwendungen sind unbegründet. Denn sie beruhen auf der Überlegung, daß das FG schon die Selbständigkeit des Anbaus allein mit der Begründung verneint habe, daß Größe und Wert des Altbaus überwiegen würden. Dies hat das FG jedoch nicht getan. Es hat vielmehr den Größenvergleich nur zur Prüfung der Frage vorgenommen, ob durch die Baumaßnahmen der Klägerin ein neues Gebäude unter Einbeziehung eines bereits vorhandenen Gebäudes geschaffen worden ist.
Fundstellen
BStBl II 1973, 874 |
BFHE 1974, 152 |