Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung des gemeinen Werts von nichtnotierten Aktien und Anteilen ist, sofern bei Betriebsgrundstücken ein Zuschlag zum Einheitswert gemacht wurde, ein gleichzeitiger Abschlag für eine etwaige künftige Ertragsteuerbelastung des höher angesetzten Vermögenswerts nicht zulässig.
Normenkette
BewG §§ 5-6, 13/2, § 11/2, § 14/3, § 12/3; BewDV § 64
Tatbestand
Streitig ist der gemeine Wert der eigenen nichtnotierten Anteile der Revisionsklägerin auf den 31. Dezember 1959.
Die Revisionsklägerin ist eine GmbH mit einem voll eingezahlten Nennkapital (Stammkapital).
Das Finanzamt - FA - (Revisionsbeklagter) hat den gemeinen Wert der Anteile für 100 DM eingezahltes Stammkapital auf 258 DM (Vermögenswert 312,9 v. H.) und für die Anteile der Gesellschafter mit nur geringem Einfluß auf die Geschäftsführung (Abschn. 80 der Vermögensteuer-Richtlinien - VStR - 1960) auf 224 DM (Vermögenswert 278,1 v. H.) einheitlich und gesondert festgestellt. Beim Vermögenswert wurden die Grundstücke mit 2.742.628 DM nach dem Buchwert angesetzt, wobei für die am 21. Juni 1948 vorhandenen Grundstücke mit einem Buchwert von 1.007.530 DM ein Zuschlag von 100 % gemacht wurde. Von dem ermittelten Vermögenswert von 2.972.812 DM wurden 10 % gemäß Abschn. 77 Abs. 5 VStR 1960 bzw. 20 v. T. gemäß Abschn. 80 Abs. 1 VStR 1960 abgesetzt.
Die Einwendungen der Revisionsklägerin richteten sich nicht gegen den Ansatz der höheren Werte bei den Betriebsgrundstücken gegenüber den Buchwerten, sondern gegen die Ablehnung eines gleichzeitigen Abzuges der Barwerte der künftigen Ertragsteuern auf den Unterschiedsbetrag zwischen den angesetzten Grundstückswerten und den Buchwerten. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Finanzgerichts (FG) Freiburg I 25/56 vom 21. April 1958 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1958 S. 329) beantragte die Revisionsklägerin, bei der Bewertung der Zurechnung zu den Einheitswerten der Grundstücke gemäß Abschn. 77 Abs. 3 VStR 1960 einen Abschlag von 60 % des Buchgewinns = 691.932 DM vorzunehmen. Der Grundsatz sei in Abschn. 77 Abs. 4 VStR 1960 bei steuerbegünstigten Darlehen nach §§ 7 c, 7 d und 7 f EStG anerkannt. Infolgedessen müßten - wenn hier auch keine Darlehen vorlägen - ganz allgemein die steuerlichen Rückflußbelastungen als Abzugsposten bei der Berechnung des Vermögenswertes der GmbH- Anteile ohne Einschränkung berücksichtigt werden. ...
Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg. ...
Entscheidungsgründe
Die im Jahre 1963 eingelegte Rb. ist gemäß der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO vom 6. Oktober 1965 (BGBl I S. 1477) als Revision zu behandeln. Ihre Zulässigkeit richtet sich nach § 286 AO a. F. (Hinweis auf § 184 Abs. 1 und 2 FGO).
Die Revision ist unbegründet. Vorweg sei darauf hingewiesen, daß die von der Revisionsklägerin geltend gemachte Beanstandung des Urteils des FG betreffend Nichtberücksichtigung der künftigen Ertragsteuerbelastung keinen wesentlichen Verfahrensmangel, sondern die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Nach § 13 BewG in der am Stichtag geltenden Fassung sind Anteile an einer GmbH mit dem gemeinen Werte anzusetzen. Dieser ist beim Fehlen von Verkaufspreisen unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen. Auf die Ausführungen, die der Senat zur Berechnung des gemeinen Werts von GmbH-Anteilen unter Verwendung der AntBewR 1953 und 1957 in den Urteilen III 396/58 S vom 19. Dezember 1960 (a. a. O.) und III 261/59 U vom 6. April 1962 (BFH 74, 682, BStBl III 1962, 253) gemacht hat, wird verwiesen. Sie gelten entsprechend für die Abschnitte 76 ff. VStR 1960 über die Ermittlung des gemeinen Werts von nichtnotierten Aktien und Anteilen, die hier zur Anwendung kommen. Die vom FA vorgenommene Bewertung der GmbH- Anteile der Revisionsklägerin nach den VStR 1960 ist dem Grundsatz nach auch gar nicht streitig. Das Rechtsmittel richtet sich nur dagegen, daß FA und FG bei der sachlich nicht bestrittenen Korrektur bezüglich des Wertansatzes der Betriebsgrundstücke nach Abschn. 77 Abs. 3 VStR 1960 den Ansatz eines Abschlages für eine mögliche, in Frage kommende Gewerbesteuer- und Körperschaftsteuerbelastung bei der Ermittlung des Vermögenswertes abgelehnt haben.
Bei der Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile im Wege der Schätzung ist nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG u. a. das Gesamtvermögen zu berücksichtigen. Durch das Wort "Berücksichtigung" macht das Gesetz deutlich, daß das Gesamtvermögen nicht schlechthin der Schätzung zugrunde zu legen ist, sondern lediglich als Schätzungsgrundlage zu beachten und zu würdigen ist (vgl. zu dem ähnlichen Fall des § 217 Abs. 1 Satz 2 AO; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., § 217 Anm. 5; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 1607). In diesem Sinne hat der Senat schon im Urteil III 396/58 S (a. a. O.) ausgeführt, daß nach dem Gesetz das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten heranzuziehen seien.
Aus dem Zweck des § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG, den gemeinen Wert der Anteile im Wege der Schätzung ermitteln zu lassen, folgt, daß das zu berücksichtigende Gesamtvermögen an einem bestimmten Stichtage möglichst mit seinem tatsächlichen Wert angesetzt wird; denn dieses Vermögen wird in gewisser Hinsicht durch die Anteile an der Kapitalgesellschaft verkörpert. Die oben erwähnten Verwaltungsanordnungen gehen für die Schätzung - mit dem Ziel, den Vermögenswert zu ermitteln - mangels anderer hinreichend sicherer Unterlagen von den Werten aus, die der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zugrunde lagen. Zuschläge zu den bei der Einheitsbewertung angesetzten Werten sind ein Hilfsmittel, um für Zwecke der Anteilsbewertung möglichst den tatsächlichen Wert der der Kapitalgesellschaft gehörenden Vermögenswerte zu finden.
Durch diese Zuschläge werden stille Reserven nicht aufgedeckt (oder aufgelöst, wie die Revisionsklägerin ausführt). Das Wesen der stillen Reserven besteht darin, daß sie aus der Bilanz nicht ersichtlich sind, sich vielmehr nur als Unterschied zwischen den der Bilanz zugrunde liegenden Bewertungen und den realen Werten ergeben. Ein gedanklicher Zusammenhang zwischen der Aufdeckung stiller Reserven, deren Realisierung eine ertragsteuerliche Belastung auslöst und der oben erwähnten Art der Wertermittlung im Wege der Schätzung als Grundlage für die Anteilsbewertung zu den jeweiligen Bewertungsstichtagen ist nicht ersichtlich. Nach dem Zweck des Gesetzes ist der Wert des bei der Anteilsbewertung zu berücksichtigenden Vermögens der Kapitalgesellschaft auf bestimmte Stichtage nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu ermitteln. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ist zu erkennen, daß bei der Ermittlung des Vermögenswerts eine rechtliche Bindung an die Bewertung des Vermögens der Gesellschaft, wie sie in deren Büchern zum Ausdruck kommt, oder an den Einheitswert des Betriebsvermögens bestehen soll. Wenn bei der Wertermittlung an den Einheitswert und damit in gewisser Hinsicht auch an die Unterlagen der Kapitalgesellschaft - jedoch ohne Bindung an diese, angeknüpft wird, so sind dafür rein praktische Gesichtspunkte maßgebend (vgl. Urteil des RFH III 137/41 vom 19. Februar 1942, RStBl 1942, 476). Die Anknüpfungsmerkmale sollen lediglich als Ausgangspunkt für eine möglichst zutreffende Schätzung des wahren Werts dienen. Das Fehlen einer Bindung an den Einheitswert wird vor allem deutlich, wenn man berücksichtigt, daß bei der Ermittlung des Werts des Gesamtvermögens Lasten abgezogen werden, die bei der Einheitsbewertung außer Betracht bleiben mußten. Aber auch wenn man im vorliegenden Fall mit der Revisionsklägerin den höheren Ansatz der Grundstücke über den Einheitswert (bzw. den Buchwert) mit dem Begriff der stillen Reserven - direkt oder auch nur analog - in Verbindung bringt, ist der Abzug etwaiger künftiger auf den Unterschiedsbetrag entfallender Ertragsteuern nicht gerechtfertigt. Im einzelnen ist auf das diesbezügliche Vorbringen der Revisionsklägerin folgendes zu entgegnen.
Der Senat hat es in mehreren Urteilen (u. a. III 133-134/55 S vom 25. August 1955, BFH 61, 207, BStBl III 1955, 278; III 390/58 U vom 22. April 1960, BFH 71, 103, BStBl III 1960, 288; III 94/61 U vom 30. April 1965, BFH 82, 425, BStBl III 1965, 402) abgelehnt, bei der Bewertung von §§ 7 c-, 7 d- und 7 f- Darlehen nach dem BewG die Rückflußbelastung durch die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer zu berücksichtigen. Die durch die Rückzahlung ausgelöste Besteuerung erfolge nach allgemeinen Grundsätzen, wie sie auch sonstige spätere wirtschaftliche Vorgänge auslösen könnten. Dabei ist allerdings darauf hingewiesen, das Problem der Bewertung solcher Darlehen liege ähnlich wie bei der Auflösung stiller Rücklagen.
Bei der hier in Frage stehenden Bewertung der GmbH-Anteile handelt es sich nicht um die Möglichkeit einer zukünftigen steuerlichen Belastung des Gesellschafters durch einen Veräußerungsgewinn (wie im Urteil des BFH III 261/59 U vom 6. April 1962, a. a. O.), sondern um eine etwaige eigene steuerliche Belastung der GmbH. Desgleichen handelt es sich nicht um die rein vermögensteuerrechtliche Bewertung des Betriebsvermögens, sondern um die mehr wirtschaftliche Schätzung des Wertes der nichtnotierten Anteile an einer Kapitalgesellschaft. Trotzdem kann dem Begehren der Revisionsklägerin nicht stattgegeben werden. Bei der Ermittlung des Vermögenswertes der GmbH-Anteile ist von dem Wert der Wirtschaftsgüter am Stichtage auszugehen. Die Erfassung der über den Buchwerten liegenden tatsächlichen Werte ist auf den laufenden Betrieb, d. h. auf die Fortführung des Betriebes unter den gegenwärtigen Umständen, nicht aber auf dessen ganze oder teilweise Auflösung abzustellen. Alsdann ist für eine etwaige künftige Belastung mit Ertragsteuern im Falle einer Auflösung verdeckter Werte kein Raum, da sich dem Grundsatz nach nicht übersehen läßt, ob, wann und in welcher Höhe derartige steuerliche Belastungen Realität werden. Solange dies nicht ersichtlich, ist es nicht gerechtfertigt, das Gesamtvermögen zu mindern (vgl. Entscheidung des BFH III 245/61 vom 15. Oktober 1965, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 S. 169). Auch nach wirtschaftlicher Betrachtung ist die steuerliche Belastung der GmbH bei einer tatsächlich und zeitlich ungewissen Auflösung der stillen Reserven am Stichtage nur fiktiv, während die tatsächlichen Werte am Stichtage selbst eine Realität sind, die auch von der Revisionsklägerin anerkannt wird. Eine steuerliche Belastung der GmbH durch spätere Auflösung dieser Werte steht mehr oder weniger im Belieben der GmbH; sie braucht sie entweder überhaupt nicht eintreten zu lassen oder kann sie zu einem ihr genehmen Zeitpunkt in möglichst neutraler Form vornehmen. Bei solcher grundsätzlichen Ungewißheit ist für einen Abschlag kein Raum, wenn nicht jede Grundlage für die Schätzung der Anteilswerte verlorengehen soll. Der Hinweis der Revisionsklägerin auf die Berücksichtigung der Rückflußbelastung bei Darlehen nach §§ 7 c, 7 d und 7 f EStG gemäß Abschn. 77 Abs. 4 Satz 3 VStR 1960 greift nicht durch, weil diese Fälle, auch vom Standpunkt der Revisionsklägerin aus, nicht ohne weiteres mit den stillen Reserven verglichen werden können. Es mag zudem dahingestellt bleiben, inwieweit die Richtlinien mit der Rechtsprechung des Senats betreffend Nichtberücksichtigung der Rückflußbelastung bei der Bewertung des Betriebsvermögens vereinbar sind. In jedem Falle stellt diese Regelung eine begünstigende Ausnahme und kein Beispiel dar. Dies ergibt sich aus der Beschränkung der Richtlinien auf Darlehen, die voll abgeschrieben wurden (vor dem 1. Januar 1955 hingegeben), und bei denen demnach in Verbindung mit dem Darlehnsvertrag grundsätzlich überblickbare Verhältnisse vorliegen.
Somit sind grundsätzlich für die Zwecke der Anteilsbewertung keine Abschläge für etwaige künftige steuerliche Belastungen der GmbH bei Auflösung der "stillen Reserven" vorzunehmen. Den anderslautenden Urteilen des FG Freiburg I 25/56 vom 21. April 1958 (a. a. O.) und des FG Düsseldorf III 7/64 Bew vom 21. Oktober 1965 (EFG 1966 S. 214) stimmt der Senat nicht zu.
Der von der Revisionsklägerin gerügte Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch Auslösung einer Ertragsteuerbelastung liegt keinesfalls vor; denn die Höherbewertung der Betriebsgrundstücke im Rahmen der Anteilsbewertung löst eine Ertragsteuerbelastung nicht aus und gibt, wie ausgeführt, auch keine steuerlich berücksichtigungsfähige Grundlage für eine spätere Belastung.
Es handelt sich im Rechtsstreit um eine steuerliche Vermögensbewertung mit dem Stichtagsprinzip und den besonderen gesetzlichen Grundsätzen über die Berücksichtigung laufend veranlagter Ertragsteuern. Die von der Revisionsklägerin ganz allgemein angeschnittene Frage der Bewertung der stillen Reserven bei der wirtschaftlichen Unternehmensbewertung kann daher hier ebensowenig wie die im übrigen nicht einheitliche Zivilrechtsprechung im Umwandlungsverfahren zur Abfindung der bei der Umwandlung ausgeschiedenen Aktionäre von maßgebender Bedeutung sein. Für die von der steuerlichen Wertermittlung von Gesellschaftsanteilen abweichenden verschiedenen Methoden zur wirtschaftlich-kaufmännischen Unternehmensbewertung sei auf die Abhandlung des Wirtschaftsprüfers Dr. Peupelmann in "Der Betrieb" 1961 S. 1397 verwiesen. Im übrigen wird auch in den von der Revisionsklägerin angezogenen Darstellungen ausgeführt, daß man für die durch die Neubewertung von Grundstücken ermittelten stillen Reserven normalerweise, wenn man von einer Veräußerung absehe und die Fortführung des Unternehmens und die Beibehaltung des Grundbesitzes unterstellen könne, überhaupt keinen Schuldposten für die auf den stillen Reserven latent lastenden Ertragsteuern in Ansatz zu bringen brauche, da in einem solchen Fall die Auflösung der stillen Reserven nicht erfolgen werde und demzufolge auch keine Ertragsteuern anfallen würden (vgl. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Dr. Bankmann in "Die Wirtschaftsprüfung" 1959 S. 148, 149; ähnlich Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Dr. Heudorfer, ebenda, 1962 S. 530, 531). Die Revisionsklägerin hat selbst schriftsätzlich erklärt, daß ein Verkauf der fraglichen Grundstücke nicht in Frage komme. Es handelt sich also keinesfalls hier um einen "kurzzeitigen Steuervorteil", ein Begriff, der bei Berechnung des Substanzwertes eines Unternehmens zur Erörterung gestellt wird (vgl. Wirtschaftsprüfer Dr. Bodarwe in "Die Wirtschaftsprüfung" 1962 S. 281, 286, 287).
Der Senat kommt somit auch auf diesem Wege zu dem Ergebnis, daß bei der Ermittlung des gemeinen Wertes von nichtnotierten Aktien und Anteilen, sofern bei Betriebsgrundstücken ein Zuschlag zum Einheitswert gemacht wurde, ein gleichzeitiger Abschlag für eine etwaige künftige Ertragsteuerbelastung des höher angesetzten Vermögenswertes nicht zulässig ist.
Da der Abschlag somit bereits dem Grunde nach abzulehnen ist, erübrigt es sich, auf die von der Revisionsklägerin vorgetragene Berechnung eines betragsmäßigen Abschlages einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 412266 |
BStBl III 1967, 43 |
BFHE 1967, 108 |
BFHE 87, 108 |