Entscheidungsstichwort (Thema)
Veräußerung i. S. d. § 17 EStG nur bei entgeltlicher Anteilsübertragung; zum Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns
Leitsatz (NV)
1. Eine Veräußerung i. S. § 17 EStG liegt nur bei entgeltlicher Übertragung der Anteile an einer Kapitalgesellschaft vor (vgl. Urteil des BFH vom 17. Juli 1980 IV R 15/76 BFHE 131, 329, BStBl II 1981, 11).
2. Die Gewinnermittlung nach § 17 Abs. 2 EStG ist nicht nach dem Zuflußprinzip des § 11 EStG, sondern nach einer Stichtagsbewertung auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlustes vorzunehmen (vgl. Urteile des Senats vom 12. Februar 1980 VIII R 114/77, BFHE 130, 378, BStBl II 1980, 494, sowie vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428). Nachträgliche Änderungen der für die Berechnung des Gewinns oder Verlustes maßgeblichen Rechengrößen (Anschaffungskosten, Veräußerungskosten) sind nach durchgeführter Einkommensteuerveranlagung grundsätzlich in der Weise zu berücksichtigen, daß die Einkommensteuerveranlagung des Jahres, in das der Veräußerungsvorgang fällt, gemäß § 175 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), zu ändern ist.
3. Dies gilt jedenfalls für die Fälle, daß die spätere Änderung durch einen Umstand begründet war, der dem Veräußerungsvorgang zeitlich vorausging. Inanspruchnahmen aus vor der Veräußerung übernommenen Bürgschaften, soweit sie sich unter Anwendung des Urteils des Senats vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83 (BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320) als nachträgliche Anschaffungskosten darstellen, gehören zu dieser Fallgruppe.
Normenkette
AO 1977 § 175 S. 1 Nr. 2; EStG § 17
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger war bis zum 4. März 1974 an der M-GmbH (GmbH) wesentlich beteiligt (zuletzt mit 50 v. H.). In den Jahren 1969 bis 1971 hatte er für Verbindlichkeiten dieser GmbH in Höhe von insgesamt 1,1 Mio DM mehrere Bürgschaftserklärungen gegenüber der Sparkasse G abgegeben. Durch notariellen Vertrag vom 4. März 1974 übertrug der Kläger einen Geschäftsanteil von 20 000 DM und einen Geschäftsanteil von 10 000 DM mit sofortiger Wirkung und das Gewinnbezugsrecht ab 1. Januar 1974 an W. Der Kläger schied damit aus der GmbH aus.
Ende 1975 belegte die Sparkasse G das Festgeldkonto des Klägers im Hinblick auf die geleisteten Bürgschaftserklärungen mit einer Verfügungssperre. Am 13. Januar wurde der Betrag vom Konto des Klägers abgebucht.
Der Kläger macht im Einkommensteuerverfahren 1975 einen Verlust i. S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 1,1 Mio DM geltend. Außerdem beantragte er, Zinsen und Kosten in Höhe von . . . DM als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen, weil die Schuldzinsen für Bürgschaften zu zahlen gewesen seien, die der Finanzierung von Anschaffungskosten der Beteiligung an der GmbH gedient hätten.
Das Finanzamt (- FA -) lehnte mit Einkommensteueränderungsbescheid 1975 vom 27. Juni 1979 das Begehren der Kläger ab. Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 24. März 1980) und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus, unabhängig von der Frage, in welchem Jahre etwaige nachträgliche Anschaffungskosten anzusetzen sein sollten, scheitere die Anwendung der Vorschrift schon daran, daß keine Veräußerung der Anteile des Klägers an der GmbH i. S. § 17 Abs. 1 EStG stattgefunden habe, weil es an einem Entgelt des Übernehmers fehle. Über § 17 Abs. 4 EStG könnten die Kläger auch nicht zu dem gewünschten Ergebnis gelangen, da der Kläger im Zeitpunkt der Auflösung der GmbH nicht mehr Gesellschafter gewesen sei. Die Klage sei auch insoweit unbegründet, als die Kläger einen Zinsanteil in Höhe von . . . DM als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend machten. Zwar habe der Bundesfinanzhof (BFH) in dem von den Klägern zitierten Urteil vom 9. August 1983 VIII R 276/82 (BFHE 139, 257, BStBl II 1984, 29) entschieden, daß Schuldzinsen nachträgliche Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte des § 20 EStG sein könnten, wenn sie für Kredite zu zahlen waren, die der Finanzierung von Anschaffungskosten der Beteiligung an einer GmbH dienten. Eine solche Fallgestaltung liege jedoch in der Streitsache nicht vor. Der Zinsanteil, den der Kläger aus den Zahlungen aufgrund seiner Bürgschaftserklärungen ausscheide, betreffe Zinsen, die für die Darlehensverbindlichkeiten der GmbH bei dieser angefallen seien. Diese Zinsen seien ein Teil der Verbindlichkeiten, auf die sich die Bürgschaftserklärungen des Klägers bezogen hätten. Nach Tz. 1 der jeweiligen Erklärungen gegenüber der Sparkasse G habe der Kläger auch für die Zinsen gebürgt. Diese teilten damit das Schicksal der Zahlungen auf die Bürgschaftsschuld.
Mit der Revision rügen die Kläger unter ausdrücklicher Anerkennung der vom FG festgestellten Tatsachen als richtig die Verletzung der §§ 17 und 20 EStG. Zu Unrecht habe das FG die Entgeltlichkeit der Anteilsübertragung verneint. Der Gesellschafter W habe die wertlosen GmbH-Anteile übernommen, weil ihm in einem Zusatzvertrag eine Leibrente zugesagt worden sei. Der Verlust sei 1975 entstanden, weil in diesem Jahr die Kontensperre seitens der Bank erfolgt sei. Zu Unrecht habe das FG auch den Abzug der Zinsen und Kosten in Höhe von 135 640 DM abgelehnt. Die Bürgschaft sei eine Art Kreditgewährung. Wie bei Darlehen seien deshalb auch die zusätzlich anfallenden Zinsen und Kosten Betriebsausgaben i. S. des § 4 Abs. 4 EStG.
Die Kläger beantragen, unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids, der Einspruchsentscheidung und des FG-Urteils einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von . . . DM zu berücksichtigen.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat im Streitjahr keinen Veräußerungsverlust erlitten. Denn entweder fehlt es an einer ,,Veräußerung" der Anteile oder - sofern eine Veräußerung stattgefunden haben sollte - wäre diese bereits 1974 durchgeführt worden mit der Folge, daß eine sich nachträglich ergebende Änderung des Veräußerungsgewinns oder -verlusts im Wege der Änderung des Einkommensteuerbescheids 1974 zu berücksichtigen wäre.
1. Aus den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergibt sich nicht zweifelsfrei, ob der Kläger die Anteile ,,veräußert" i. S. des § 17 EStG hat. Eine Veräußerung im Sinne dieser Vorschrift liegt - worauf das FG zutreffend abstellt - nur bei entgeltlicher Übertragung der Anteile vor (vgl. Urteil des BFH vom 17. Juli 1980 IV R 15/76, BFHE 131, 329, BStBl II 1981, 11). Das Urteil des Senats vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83 (BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320) steht dem nicht entgegen, denn in jenem Falle war die Gegenleistung in der Verpflichtung des Erwerbers zu sehen, die ausstehende Stammeinlage an die Gesellschaft zu zahlen.
In dem vom FG in Bezug genommenen Vertrag über die Geschäftsanteilsabtretung vom 4. März 1974 ist unter III Abs. 2 die Verpflichtung des Erwerbers festgelegt, ,,den Veräußerer von allen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Gesellschaft, die mit der Erbringung der Stammeinlage zusammenhängen, freizustellen". Sofern diese Vereinbarung nicht - mangels irgendwelcher Verbindlichkeiten des Klägers gegenüber der GmbH - nur eine materiell inhaltsleere Formalie darstellen sollte, könnte die Verpflichtung des Erwerbers zur Freistellung des Veräußerers möglicherweise eine Gegenleistung zum Inhalt haben.
2. Trotz dieser Unklarheit im tatsächlichen Bereich kommt eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und eine Zurückverweisung der Sache an das FG nicht in Betracht (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Urteil ist im Ergebnis auch dann richtig, wenn der Vertrag vom 4. März 1974 eine ganz oder teilweise entgeltliche Anteilsübertragung zum Gegenstand hätte. Denn in diesem Falle wäre ein Gewinn/Verlust aus der Anteilsveräußerung nicht im Streitjahr, sondern bereits im Veranlagungszeitraum 1974 entstanden.
Nach fast übereinstimmend im Schrifttum vertretener Auffassung sowie nach ständiger Rechtsprechung ist der Zeitpunkt der Gewinn- bzw. Verlustverwirklichung i. S. von § 17 EStG der Zeitpunkt der Veräußerung (u. a. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 17 EStG Tz. 172; Hörger in Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., Tz. 71). Die Gewinnermittlung nach § 17 Abs. 2 EStG ist nicht nach dem Zuflußprinzip des § 11 EStG, sondern nach einer Stichtagsbewertung auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlustes vorzunehmen (vgl. Urteile des Senats vom 12. Februar 1980 VIII R 114/77, BFHE 130, 378, BStBl II 1980, 494, sowie vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428). Nachträgliche Änderungen der für die Berechnung des Gewinns oder Verlustes maßgeblichen Rechengrößen (Anschaffungskosten, Veräußerungskosten) sind nach durchgeführter Einkommensteuerveranlagung grundsätzlich in der Weise zu berücksichtigen, daß die Einkommensteuerveranlagung des Jahres, in das der Veräußerungsvorgang fällt, gemäß § 175 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), bzw. früher § 4 Abs. 3 Nr. 2 des Steueranpassungsgesetzes, zu ändern ist (Hörger in Littmann, a. a. O., § 17 EStG Anm. 72; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 17 Anm. 22c; vgl. auch Entscheidungen des Reichsfinanzhofs vom 8. November 1933 VI A 1187/33, RStBl 1933, 1226, und vom 29. April 1936 VI A 424/35, RStBl 1936, 678, am Ende). Dies gilt jedenfalls für die Fälle, daß die spätere Änderung durch einen Umstand begründet war, der dem Veräußerungsvorgang zeitlich vorausging. Inanspruchnahmen aus vor der Veräußerung übernommenen Bürgschaften, soweit sie sich unter Anwendung des Urteils des Senats in BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320 als nachträgliche Anschaffungskosten darstellen, gehören zu dieser Fallgruppe.
Hieraus ergibt sich auf den vorliegenden Sachverhalt bezogen, daß die Inanspruchnahme aus den Bürgschaften zwar möglicherweise als nachträgliche Anschaffungskosten der Anteile anzusehen sein könnte, deren steuerliche Berücksichtigung im Rahmen des § 17 EStG jedoch nicht im Streitjahr erfolgen kann.
Die Überlegung des Klägers, daß eine Berücksichtigung der Bürgschaftszahlungen im Streitjahr deshalb zulässig sein müsse, weil die Gesellschaft in diesem Jahr zahlungsunfähig geworden sei (vgl. BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428), kann schon deshalb nicht durchgreifen, weil sich der Kläger allenfalls auf einen Veräußerungsverlust i. S. von § 17 Abs. 1 und 2 EStG berufen kann. Ein Auflösungsverlust i. S. von § 17 Abs. 4 EStG kann beim Kläger nicht entstanden sein, weil der Kläger die Anteile zeitlich vor der Auflösung der Gesellschaft an W übertragen hat.
3. Die Ausführungen des FG, wonach die Zinsen aufgrund ihrer Abdeckung durch die Bürgschaftserklärungen das Schicksal der Zahlungen auf die Bürgschaftsschuld teilen, sind frei von Rechtsirrtum. Der Senat ist an die von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), wonach es sich nicht um Zinsen des Klägers in Verbindung mit kreditierten Anschaffungskosten handelt, sondern um Zinsen der GmbH, auf welche sich die vom Kläger übernommene Bürgschaft erstreckt hatte. Bei dieser Fallgestaltung können Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht in Betracht kommen.
Fundstellen
Haufe-Index 414741 |
BFH/NV 1986, 731 |