Leitsatz (amtlich)
Spinnkannen einer Kammgarnspinnerei sind geringwertige Wirtschaftsgüter.
Normenkette
Berlin FG § 19 Abs. 2; EStG § 6 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in Berlin (West) eine Kammgarnspinnerei, in der sie Wolle und Kunstfasern verarbeitet. Die Wolle erhält sie in natürlicher Faserlänge, während die Kunstfasern in Endlosbändern angeliefert werden. Die Fasern werden von der Klägerin in drei Verarbeitungsstufen, sog. Nachstrecken, durch Maschinen verarbeitet (gequetscht, geteilt, parallelisiert, vergleichmäßigt usw.). Zum Transport zwischen den Maschinen dienen sog. Spinnkannen. Die Kannen werden entweder von Hand an die Maschinen geschoben und dort untergestellt oder ihr Einsatz erfolgt im automatischen Durchlauf. Die Maschinen ziehen aus den Kannen selbst die Fasern ab und legen sie nach dem Verarbeitungsvorgang in Schleifen geweils wieder in anderen Kannen ab. Die Spinnkannen werden dann zur nächsten Verarbeitungsmaschine geschoben.
Die Spinnkannen werden für das Einfüllen oder Herausnehmen der Bänder im Betrieb der Klägerin in verschiedenen Größen eingesetzt. Der Durchmesser liegt zwischen 400 und 700 mm. Die Höhe der Kannen schwankt zwischen 900 und 1 100 mm. Es handelt sich um zylindrische Trommeln, die deckellos sind, einen festen Boden und drehbare Radgestelle haben, mit denen sie auf dem Boden leicht gerollt werden können. Die Wände bestehen aus Vulkanfiber; die Böden sowie die Unter- und Oberkanten bestehen aus Metall oder sind mit Metallblech verstärkt. Lediglich ein Teil der Kannen besitzt einen auswechselbaren Boden, einen Mitteldorn und einen Deckel. In diese Kannen werden die Bänder von der letzten Nachstreckenmaschine eingelegt. Die so gefüllten Kannen werden dann in eine Presse eingeführt, die das Gut von unten und oben zu 8 bis 10 kg schweren "Bumps" preßt, die verschnürt und plastikverpackt der Weiterverarbeitung dienen.
Die Klägerin erwarb im Jahre 1974 Spinnkannen. Sie beantragte hierfür Investitionszulage von 25 v. H. der Anschaffungskosten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, daß es sich bei den Spinnkannen um geringwertige Wirtschaftsgüter (§ 19 Abs. 2 BerlinFG, § 6 Abs. 2 EStG) handele.
Der Einspruch und die Klage hatten keinen Erfolg. Die Klägerin hatte geltend gemacht, die Kannen seien nicht selbständig nutzungsfähig. Die Convertoren und Vorspinnmaschinen könnten ohne die Kannen nicht betrieben werden. Würden die jetzt eingesetzten Maschinen durch andere Maschinen ersetzt werden, so müßten an Stelle der jetzt vorhandenen Kannen auch andore, speziell für die neuen Maschinen angefertigte, Spinnkannen angeschafft werden.
Das FG hat nach Durchführung einer Augenscheinseinnahme die Spinnkannen als selbständig nutzungsfähige Wirtschaftsgüter angesehen. Es hat einen die selbständige Nutzungsfähigkeit ausschließenden Nutzungszusammenhang der Spinnkannen weder mit den einzelnen Maschinen noch mit einer wirtschaftlichen Einheit "Maschinenpark" noch mit einer denkbaren Einheit "Spinnkannen" angenommen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der sie eine Verletzung von Bundesrecht und einen Verstoß gegen den Akteninhalt rügt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und ihr weitere Investitionszulagen in Höhe von ... DM zu gewähren.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Eine Investitionszulage wird nach § 19 Abs. 2 BerlinFG nicht gewährt für geringwertige Wirtschaftsgüter. Der Begriff des geringwertigen Wirtschaftsguts setzt u. a. voraus daß es selbständig nutzungsfähig ist. Eine selbständige Nutzungsfähigkeit ist dann nicht mehr gegeben, wenn das Wirtschaftsgut mit einem oder mehreren anderen Wirtschaftsgütern ein einheitliches Ganzes bildet (vgl. Urteil des BFH vom 16. Dezember 1958 I 286/56 S, BFHE 68, 198 BStBl III 1959, 77) bzw. wenn es nach seiner betrieblichen Zweckbestimmung nur zusammen mit anderen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens genutzt werden kann (vgl. § 6 Abs. 2 EStG i. d. F. des Art. 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -, BStBl I 1976, 694 - § 6 Abs. 2 EStG n. F. -). Wann ein solches einheitliches Ganzes bzw. ein solcher die selbständige Nutzungsfähigkeit ausschließender Nutzungszusammenhang vorliegt, ist allerdings oft zweifelhaft. Die Rechtsprechung des BFH stellte bis zum Jahre 1973 darauf ab, ob nach außen ein einheitliches Ganzes in Erscheinung trat. Das war der Fall, wenn ein Wirtschaftsgut nur zusammen mit einem anderen Wirtschaftsgut, als dessen Teil es sich darstellte, genutzt werden konnte und wenn durch die Trennung nur einer der Teile seine Nutzungsfähigkeit im Betrieb verlor (vgl. z. B. BFH-Entscheidung vom 21. Juli 1966 IV 289/65, BFHE 87, 180, BStBl III 1967, 59). Ein Wirtschaftsgut konnte seine selbständige Nutzungsfähigkeit auch dann verlieren, wenn es mit anderen Wirtschaftsgütern nicht in einen technischen, sondern nur in einen wirtschaftlichen Nutzungszusammenhang trat. Durch BFH-Urteil vom 28. März 1973 I R 105/71 (BFHE 109, 323, BStBl II 1974, 2) wurde der Begriff der selbständigen Nutzungsfähigkeit erweitert. Ein Wirtschaftsgut verlor nach dieser Entscheidung seine Nutzungsfähigkeit nur noch, wenn der Nutzungszusammenhang mit anderen Wirtschaftsgütern der Einheit unauflöslich war. Das war z. B. nicht der Fall, wenn das Wirtschaftsgut ohne wesentliche Veränderung aus seinem bisherigen Nutzungszusammenhang herausgelöst werden konnte und in einem anderen Nutzungszusammenhang funktionsfähig blieb (ebenso BFH-Urteile vom 18. November 1975 VIII R 9/73, BFHE 117, 243, BStBl II 1976, 214, und vom 28. Juli 1976 I R 232/74 BFHE 119, 459, BStBl II 1977, 144). Durch § 6 Abs. 2 EStG n. F. ist der Begriff der selbständigen Nutzungsfähigkeit wieder eingeschränkt worden; nunmehr ist es ohne Einfluß, daß das Wirtschaftsgut auch in einen anderen betrieblichen Nutzungszusammenhang eingefügt werden kann. Andererseits dürfte die selbständige Nutzungsfähigkeit künftig nur noch bei einer technischen, nicht mehr dagegen bei einer wirtschaftlichen Verbindung verlorengehen. Diese Neuregelung gilt ab 1. Januar 1977. Die erweiternde oder einengende Auslegung der selbständigen Nutzungsfähigkeit hat für die Sofortabschreibung nach § 6 Abs. 2 EStG und für die Gewährung einer Investitionszulage nach § 19 Abs. 2 BerlinFG (ebenso § 1 Abs. 3 InvZulG) jeweils entgegengesetzte Auswirkungen.
2. a) Das FG hat im vorliegenden Fall eine Besonderheit festgestellt, die es überflüssig macht, auf die verschiedenen Begriffsbestimmungen der selbständigen Nutzungsfähigkeit des näheren einzugehen. Das FG hat nämlich die Feststellung getroffen, daß die Spinnkannen im Betrieb der Klägerin eine selbständige und gesonderte Funktion haben. Sie dienten nämlich dem innerbetrieblichen Transport der Fasern von einer Maschine zur andern, und dieser Transportvorgang sei ein selbständiger Bereich im betrieblichen Arbeitsablauf. Die einzelne Spinnkanne könne deshalb weder einer abgebenden noch einer annehmenden Maschine zugerechnet werden. Die Verbindung mit diesen Maschinen sei nur vorübergehender Art. Die entscheidende Aufgabe der Spinnkanne liege in dem innerbetrieblichen Warentransport. Das gelte auch für die Spinnkannen, die das Material der dritten Nachstreckenmaschine abnehmen und es zur Bumpspresse transportierten, obwohl die Verbindung mit dieser Maschine beim Preßvorgang enger sei als die Verbindung der normalen Spinnkannen mit den einzelnen Nachstreckenmaschinen.
b) Es handelt sich hierbei um eine von der Tatsacheninstanz getroffene Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO für die rechtliche Beurteilung gebunden ist. Die Klägerin macht zwar insoweit einen Verstoß gegen den Inhalt der Akten und des Protokolls über die Augenscheinseinnahme geltend. Diese Rüge ist jedoch nicht begründet. Denn auch im Protokoll werden im einzelnen die Transportvorgänge mittels der Spinnkannen beschrieben. Das FG spricht hier sogar ausdrücklich von Spinn- und Transportkannen. Da nicht erkennbar ist, daß das FG die Vorgänge falsch gedeutet hätte, hat es auch zu Recht den Antrag der Klägerin, einen Sachverständigen hinzuzuziehen, abgelehnt (zur Heranziehung eines Sachverständigen im Rahmen des § 6 Abs. 2 EStG Hinweis auf das BFH-Urteil I 286/56 S).
c) Die Klägerin sieht ferner in dem finanzgerichtlichen Urteil einen Widerspruch. Das FG habe zugegeben, daß die Convertoren und Vorspinnmaschinen ohne die Kannen oder vergleichbare Behältnisse nicht betrieben werden können und daß die einzelnen Kannen wegen der unterschiedlichen Größenverhältnisse nicht bei allen Maschinen eingesetzt werden könnten und bei der Ersetzung des Maschinenparks durch andere Maschinentypen ebenfalls ausgewechselt werden müßten. Die Klägerin sieht einen Widerspruch zwischen diesen Ausführungen und der vom FG gezogenen Schlußfolgerung, daß zwischen Spinnkannen und Nachstreckenmaschinen kein die selbständige Nutzungsfähigkeit ausschließender Nutzungszusammenhang bestehe.
Abgesehen davon, daß das FG nicht nur von Spinnkannen, sondern auch von "vergleichbaren Behältnissen" spricht, verkennt die Klägerin den Zusammenhang, in dem diese Ausführungen stehen. Das FG hat, einen in der Literatur zur Abgrenzung der geringwertigen Wirtschaftsgüter häufig gebrauchten Gesichtspunkt aufgreifend, ausgeführt, daß ein Wirtschaftsgut nicht schon dann seine selbständige Nutzungsfähigkeit verliert, wenn es in eine größere Einheit (Fabrik, Anlage usw.) eingeordnet wird und in diesem Zusammenhang eine dienende Funktion ausübt. Alle Wirtschaftsgüter eines technisch gut organisierten Betriebes seien in ihren Funktionen aufeinander abgestimmt und ständen deshalb in mehr oder weniger engen Nutzungszusammenhängen. Einen solchen Nutzungszusammenhang sah auch das FG zwischen den Spinnkannen und den Vorspinnmaschinen. Es führte anschließend aus, daß die Reihe der im Betrieb der Klägerin funktionell voneinander abhängigen Wirtschaftsgüter sicher noch fortgesetzt werden könne. Aus diesen Ausführungen ergibt sich deutlich, daß das FG den Betrieb der Klägerin lediglich als einen technisch und organisatorisch gut aufeinander abgestimmten Betrieb beschreiben wollte und zwischen den Spinnkannen und den einzelnen Maschinen oder dem Maschinenpark als Ganzes nicht einen so engen Nutzungszusammenhang sah, der nach der Rechtsprechung die selbständige Nutzungsfähigkeit der Spinnkannen entfallen ließe. Eine solche Auffassung des FG würde auch im Widerspruch stehen zu seiner Feststellung, daß die Spinnkannen im Betrieb der Klägerin eine selbständige Funktion, nämlich eine Transportfunktion, haben.
Fundstellen
Haufe-Index 72721 |
BStBl II 1978, 322 |
BFHE 1978, 182 |