Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Berichtigung eines Steuerbescheids wegen einer im maschinellen Veranlagungsverfahren unterlaufenen offenbaren Unrichtigkeit
Leitsatz (NV)
1. Offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO 1977 sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d. h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, wie z. B. Übertragungsfehler. Sie können auch in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabewertbogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisungen bestehen.
2. Voraussetzung für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist es nicht, daß die Unrichtigkeit für den Steuerpflichtigen erkennbar ist.
3. Eine Berichtigung nach § 129 AO ist ausgeschlossen, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung einer Rechtsnorm besteht. Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muß nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden.
Normenkette
AO 1977 § 129
Verfahrensgang
Tatbestand
Bei der Veranlagung des beschränkt steuerpflichtigen Klägers und Revisionsklägers (Kläger) für das Streitjahr 1974 trug der Bearbeiter des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) in die Spalte ,,800" des Eingabewertbogens den Wert 13 ein. Damit sollte die Steuerfestsetzung als vorläufig nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) gekennzeichnet werden. Die durch einen Fehlerhinweis notwendig gewordene erneute Eingabe führte zu einer weiteren Hinweismitteilung ( . . .Veranlagungsschlüssel fehlt). Der Sachbearbeiter des Veranlagungsbezirks füllte daraufhin einen neuen Vordruck ESt 1 C (masch.) mit den Eintragungen wie in der ersten Verfügung vom 7. Mai 1976 aus und zeichnete die Verfügung zu diesem Vordruck am 14. Juli 1976 mit dem Hinweis in der Spalte ,,Namenszeichen des Sachgebietsleiters": siehe Verfügung vom 7. Mai 1976. Dabei unterließ er den Hinweis auf die Vorläufigkeit der Veranlagung im entsprechenden Feld. Der Bescheid wurde ohne diese Kennzeichnung am 25. August 1976 zur Post gegeben. Mit Schreiben vom 25. September 1978 teilte das FA dem Kläger in einem ,,Ergänzungsbescheid zum Einkommensteuerbescheid 1974" mit, der Bescheid vom 25. August 1976 sei entsprechend der Unterschrift lt. Steuerakte vorläufig nach § 100 Abs. 2 AO.
Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordung - FGO -).
Die Berichtigung des Steuerbescheides vom 25. August 1976 war nach § 129 der Abgabenordnung - AO 1977 - (bzw. § 92 Abs. 2 AO) zulässig.
1. Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 AO wurden Verfügungen der Behörden für einzelne Personen dadurch wirksam, daß sie demjenigen zugingen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt waren (Bekanntgabe). Maßgebend für den Inhalt der Verfügung war nach § 92 Abs. 2 AO in der im Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheides 1974 geltenden Fassung nicht der dem Kläger zugegangene Einkommensteuerbescheid 1974 vom 25. August 1976, sondern der Inhalt der die Einkommensteuer 1974 festsetzenden Verfügung vom 7. Mai 1976. Durch die Berichtigung vom 25. September 1978 hat sich daran nichts geändert. Der bei den Steuerakten bleibende Eingabewertbogen behielt nach wie vor die Funktion des Steuerbescheides (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Februar 1982 VIII R 192/81, nicht veröffentlicht - NV -).
2. Ob eine Berichtigung dieses Bescheides nach § 129 AO 1977 oder nach § 92 Abs. 2 AO zulässig war, kann dahinstehen. Beide Berichtigungsvorschriften sind hinsichtlich des hier strittigen Begriffs ,,offenbare Unrichtigkeit" identisch.
3. Offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschriften sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d. h., ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, wie z. B. Übertragungsfehler. Sie können auch in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabewertbogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisungen bestehen. Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 (bzw. § 92 Abs. 2 AO) ist ausgeschlossen, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei Anwendung einer Rechtsnorm besteht. Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muß nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. BFH-Urteile vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3; vom 21. Oktober 1987 IX R 156/84, BFH/NV 1988, 277).
4. Im Streitfall war nach den den erkennenden Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen. Der Veranlagungsbeamte wollte eine vorläufige Veranlagung durchführen und trug die entsprechende Kennziffer (,,13") in die Spalte 800 des Eingabewertbogens in der Aktenverfügung vom 7. Mai 1976 ein; in der wegen eines Hinweisfalls notwendig gewordenen zweiten Bearbeitung vom 14. Juli 1976 unterließ er, wie das FG festgestellt hat, diesen Vermerk versehentlich. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, daß der Beamte diese Eintragung der Kennziffer ,,13" aufgrund eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder eines Irrtums bei Anwendung einer Rechtsnorm unterließ. Demnach war eine Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 (§ 92 Abs. 2 AO) zulässig.
5. Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß die Unrichtigkeit ,,offenbar" i.S. des § 129 AO 1977 war, obwohl der Kläger den Fehler in dem bekanntgegebenen Einkommensteuerbescheid 1974 nicht erkennen konnte. Zu der angesprochenen Frage hat der VIII. Senat durch Urteil vom 31. März 1987 VIII R 46/83 (BFHE 149, 478, BStBl II 1987, 588), der II. Senat im Urteil vom 8. April 1987 II R 236/84 (BFHE 149, 413, BStBl II 1988, 164) und der IV. Senat im Urteil vom 23. Juni 1988 IV R 111/86 (BFH/NV 1989, 205) mit eingehender Begründung Stellung genommen. Danach hat die Berichtigung nach § 129 AO 1977 nicht zur Voraussetzung, daß die Unrichtigkeit für den Steuerpflichtigen erkennbar ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Sie berücksichtigt die besonderen Bedürfnisse des Steuerverfahrens, die der Gesetzgeber in seine Überlegung aufgenommen hat und die Ausdruck im Wortlaut des § 129 AO 1977 gefunden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 416431 |
BFH/NV 1990, 478 |