Leitsatz (amtlich)
1. Der für die Annahme einer mehrgemeindlichen Betriebstätte nach § 30 GewStG unter anderem geforderte räumliche Zusammenhang zwischen mehreren Betriebsteilen kann bei einem Unternehmen der Mineralölwirtschaft auch dadurch begründet werden, daß eine Raffinerie mit einem Tanklager durch unterirdische Rohrleitungen verbunden ist.
2. Die Klage gegen die Ablehnung einer Zerlegung nach § 30 GewStG ist nur zulässig, wenn die betroffene Gemeinde geltend macht, daß ihr bestimmte Lasten erwachsen sind, die eine vom Regelmaßstab des § 29 GewStG abweichende Zerlegung angebracht erscheinen lassen.
Normenkette
GewStG §§ 29-30; FGO § 40 Abs. 2
Tatbestand
Die Steuerpflichtige betreibt im Gebiet der beigeladenen Gemeinde H. auf eigenem Grundstück eine Mineralölraffinerie. In der Raffinerie werden die Fertigprodukte in Produktentanks vorübergehend eingelagert. Soweit der Abtransport per Binnenschiff auf dem Wasserweg geschieht, werden die Produkte durch ein Rohrleitungssystem in ein auf den Gebieten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - einer Stadtgemeinde - W und der beigeladenen Gemeinde V liegendes Tanklager gepumpt, von wo sie in die Schiffe weitergepumpt werden. Das Tanklager befindet sich in etwa 5 bis 6 km Entfernung von der Raffinerie auf einem Hafengelände, an dem die Steuerpflichtige erbbauberechtigt ist. Die Raffinerie und das Hafentanklager sind durch sechs unterirdische Rohrleitungen miteinander verbunden. Sämtliche Rohrleitungen verlaufen über Grundbesitz, an dem der Steuerpflichtigen Grunddienstbarkeiten eingeräumt worden sind.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Raffinerie in H und das Hafentanklager in W eine mehrgemeindliche Betriebstätte (§ 30 GewStG) bilden. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte bei der Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags der Steuerpflichtigen die Raffinerie als selbständige, auf das Gebiet der Gemeinde H beschränkte, das Hafentanklager als mehrgemeindliche, die Gebiete der Klägerin und der Gemeinde V umfassende Betriebstätte. Dagegen machte die Klägerin geltend, eine Zerlegung nach dem Regelmaßstab des § 29 GewStG würde angesichts der von ihr getragenen Lasten den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Diesem Umstand könne durch eine Zerlegung nach § 30 GewStG Rechnung getragen werden. Die Raffinerie und das Hafentanklager bildeten eine einheitliche Betriebstätte, die sich auf die Gebiete der drei beteiligten Gemeinden erstrecke. Beide seien in organisatorischer, technischer, wirtschaftlicher und räumlicher Hinsicht zu einer Einheit verbunden.
Die Beschwerde der Klägerin an die OFD und die Klage an das FG hatten keinen Erfolg. Das FG verneinte das Vorliegen einer mehrgemeindlichen Betriebstätte. Zwischen Raffinerie und Hafentanklager bestehe kein räumlicher Zusammenhang im Sinne der steuerlichen Begriffsbestimmung einer Betriebstätte. Dies folge zwar noch nicht allein daraus, daß eine Verbindung durch die Erdoberfläche fehle. Im Streitfall sei indes die räumliche Entfernung der beiden Anlagen voneinander zu groß, als daß noch von einer geschlossenen räumlichen Einheit gesprochen werden könne. Eine räumliche Verbindung durch technische Anlagen sei, abgesehen von den Fällen bestimmter Versorgungsbetriebe (Gas, Elektrizität, Wasser), grundsätzlich nur dann möglich, wenn diese Anlagen nicht mehr als eine kurzstreckige Überbrückung zusammengehöriger Betriebstättenteile darstellten. Voraussetzung sei, daß der Gesamteindruck der Anlagen ein räumlich einheitlicher sei und eine Zerlegung in mehrere Betriebstätten nur deswegen, weil keine Verbindung durch die Erdoberfläche, sondern lediglich durch technische Anlagen bestehe, gekünstelt erscheinen würde. Daran fehle es im Streitfall. Die Besonderheiten, die bei Versorgungsbetrieben eine andere Beurteilung rechtfertigten, ließen eine ausdehnende Anwendung auf andere Unternehmen nicht zu.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, die Vorentscheidung verstoße gegen § 30 GewStG in Verbindung mit § 16 Abs. 1 StAnpG. Voraussetzung für eine mehrgemeindliche Betriebstätte sei die funktionale Zusammengehörigkeit, die die Rechtsprechung als organisatorische, wirtschaftliche oder technische Einheit der Betriebsanlagen definiere. Hinzu kommen müsse zwar auch ein räumlicher Zusammenhang. Diesem dürfe jedoch angesichts der Technisierung der Wirtschaft nicht die wesentliche Bedeutung beigemessen werden. Das vornehmliche Abstellen auf den optischen Eindruck sei verfehlt. Auch der zu Elektrizitätsunternehmen ergangene Beschluß des BFH vom 16. November 1965 I B 249/62 U (BFHE 84, 108, BStBl III 1966, 40) lasse erkennen, daß dem räumlichen Zusammenhang nur noch eine untergeordnete Bedeutung zukomme. Bei Großkonzernen sei überdies eine Entfernung von 5 bis 6 oder gar 10 km beim Stand der heutigen Technisierung nicht außergewöhnlich. Die übrigen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 30 GewStG (wirtschaftliche, technische und organisatorische Einheit) seien gegeben (wird näher ausgeführt).
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA ist der Ansicht, die zwischen Produktion (Raffinerie) und Vertrieb (Lager) bestehende Abhängigkeit führe nicht zur Annahme einer einheitlichen Betriebstätte. Es verweist insbesondere auf die schwerwiegenden Konsequenzen - insbesondere auf die praktischen Schwierigkeiten -, die sich ergeben könnten, wenn durch Rohrleitungen mehrere Betriebsteile zu einer einheitlichen Betriebstätte zusammengefügt werden könnten. Es müsse der Normenzusammenhang der §§ 28, 29 und 30 GewStG beachtet und dabei berücksichtigt werden, daß die Konstruktion der mehrgemeindlichen Betriebstätte nach § 30 GewStG nur für solche Fälle gedacht sei, in denen der bei der Zerlegung regelmäßig anzuwendende Maßstab des § 29 GewStG versage.
Die beigeladene Gemeinde H hat sich schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung eingehend zur Sache geäußert. Sie hält die Entscheidung des FG für zutreffend und beantragt ebenfalls, die Revision zurückzuweisen.
Nach Einlegung der Revision hat das FA einen gemäß § 387 Abs. 2 AO geänderten Zerlegungsbescheid für das Streitjahr erlassen. Die Klägerin hat diesen Bescheid gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. In dem berichtigenden Zerlegungsbescheid ging das FA von einem einheitlichen Steuermeßbetrag der Steuerpflichtigen von 2 048 411 DM gegenüber bisher 2 046 220 DM aus. Der Zerlegungsanteil der Klägerin beträgt nunmehr 3 846,83 DM gegenüber bisher 3 843 DM.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. In verfahrensrechtlicher Hinsicht kann nicht beanstandet werden, daß das FG im Streitfall nur die Steuerpflichtige sowie die Gemeinden V und H nach § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beigeladen hat. Allerdings entfallen über den Kreis der beigeladenen Gemeinden hinaus auch noch auf eine Vielzahl anderer Gemeinden Zerlegungsanteile aus dem einheitlichen Steuermeßbetrag der Steuerpflichtigen. Diese Gemeinden sind jedoch, wie das FG zutreffend dargelegt hat, von den rechtlichen Folgen, die sich aus der Behauptung einer mehrgemeindlichen Betriebstätte, bestehend aus Raffinerie und Hafentanklager, ergeben, nicht betroffen. Der Senat folgt dem FG in der Auffassung, daß das BFH-Urteil vom 24. Juni 1971 IV R 219/68 (BFHE 102, 460, BStBl II 1971, 714) eine Beiladung weiterer Gemeinden nicht gebietet. Zwar ist in dem Urteil ausgesprochen, daß die nach § 384 AO am Zerlegungsverfahren Beteiligten gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren vor dem FG notwendig beizuladen seien. Indes ergibt sich aus den Gründen des Urteils, daß damit nur diejenigen Beteiligten gemeint sind, deren Belange durch das Klagebegehren berührt werden. Im Streitfall sind dies nur die Gemeinden H und V.
2. Indessen kann die Vorentscheidung aus materiellrechtlichen Gründen nicht aufrechterhalten werden.
a) Erstreckt sich die Betriebstätte auf mehrere Gemeinden, so ist der einheitliche Steuermeßbetrag oder Zerlegungsanteil auf die Gemeinden zu zerlegen, auf die sich die Betriebstätte erstreckt (§ 30 GewStG). Welche Merkmale eine mehrgemeindliche Betriebstätte im einzelnen begründen, regelt das Gesetz nicht. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen liegt eine mehrgemeindliche Betriebstätte dann vor, wenn in räumlicher, organisatorischer, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht ein einheitliches Ganzes besteht (vgl. BFH-Urteil vom 25. September 1968 I B 118/65, BFHE 93, 476, BStBl II 1968, 827). Der danach geforderte räumliche Zusammenhang von Betriebsanlagen ist in der Regel jedenfalls dann gegeben, wenn die Anlagen durch die Erdoberfläche verbunden sind. Einer solchen Verbindung durch die Erdoberfläche bedarf es jedoch nicht in allen Fällen. Ein räumlicher Zusammenhang kann vielmehr auch durch technische Anlagen in der Luft oder unter der Erde hergestellt werden (vgl. für Drahtseilbahnen Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. April 1930 VIII G.St 154, 155/28, Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 1930 S. 599, und für untertägige Anlagen von Bergbauunternehmen Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. April 1936 VIII G.St 211-220/35, OVGE 98, 2). Werden Betriebsanlagen durch unterirdische Rohrleitungen verbunden, so kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Die betriebsspezifisch bedingte Verbindung mehrerer Betriebsanlagen eines Mineralölunternehmens durch unterirdische Rohrleitungen kann nicht mit Telefonleitungen und ähnlichem verglichen werden, wie sie Einrichtungen erfordern, die der allgemeinen Kommunikation dienen.
b) Sieht man indes auch Verbindungen unter der Erde jedenfalls grundsätzlich als geeignet an, Betriebsanlagen räumlich zu verbinden, so kann bei der Beurteilung, ob die Betriebsanlagen "ein einheitliches Ganzes" darstellen, die Eigenart einer solchen Verbindung nicht außer Betracht bleiben. Es kann dann nicht ohne weiteres als entscheidend angesehen werden, welchen Gesamteindruck die auf der Erdoberfläche liegenden Betriebsanlagen optisch hervorrufen. Denn es liegt in der Natur der Sache, daß unterirdische Verbindungen, da sie äußerlich nicht in Erscheinung treten, auch nicht geeignet sind, die Betriebsanlagen zu einer sichtbaren räumlichen Einheit zusammenzufügen. Die Ansicht des FG, eine räumliche Verbindung durch technische Anlagen sei grundsätzlich nur dann möglich, wenn diese Anlagen nur eine kurzstreckige Überbrückung zusammengehöriger Betriebstättenteile darstellten und daß dies bei einer Entfernung der Betriebsanlagen von 5 bis 6 km nicht mehr der Fall sei, vermag der Senat in dieser Allgemeinheit nicht zu teilen. Ob in einem solchen Fall ein einheitliches Ganzes vorliegt, kann abschließend erst beurteilt werden, wenn neben dem Merkmal der räumlichen Verbindung auch die Merkmale der organisatorischen und der wirtschaftlichen Verbindung der Betriebsanlagen in die Betrachtung miteinbezogen werden (Hinweis auf das BFH-Urteil I B 118/65). Auch wenn die Entfernung zwischen den Betriebsanlagen nicht schlechthin bedeutungslos sein mag, so kann doch die Prüfung und Abwägung aller für das einheitliche Ganze in Betracht kommenden Merkmale ergeben, daß die Entfernung der Betriebsanlagen gegenüber den anderen Merkmalen in den Hintergrund tritt. Entscheidend sind die Verhältnisse des einzelnen Falles.
c) Das FG hat die technische, organisatorische und wirtschaftliche Verbindung im Streitfall nicht abschließend geprüft und gegenüber der optischen räumlichen Verbindung abgewogen. Das angefochtene Urteil wird daher aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Im erneuten Verfahren vor dem FG besteht auch Gelegenheit, Einwände gegen die Zulässigkeit der Klage vorzubringen. Die Klage wäre nach § 40 Abs. 2 FGO nur dann zulässig, wenn die Klägerin geltend macht, daß ihr bestimmte Lasten erwachsen sind, die eine vom Regelmaßstab des § 29 GewStG abweichende Zerlegung angebracht erscheinen lassen könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 71147 |
BStBl II 1975, 42 |
BFHE 1975, 123 |