Entscheidungsstichwort (Thema)
Formelle Satzungsmäßigkeit einer GmbH, die nach ihrer Satzung „soziale Einrichtungen” bauen oder erweitern soll
Leitsatz (NV)
Eine Satzung, nach der die Körperschaft den satzungsmäßigen Zweck hat, soziale Einrichtungen zu bauen und zu erweitern, erfüllt nicht die Voraussetzungen des §60 Abs. 1 AO 1977.
Normenkette
AO 1977 § 58 Nr. 4, § 60 Abs. 1; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9 S. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) -- eine 1984 gegründete GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die Stadt X ist -- hat den satzungsmäßigen Zweck, soziale Einrichtungen in X zu bauen und zu erweitern. Sie führt die Firma "X Sozialbauten GmbH". Nach ihrem auch in den Jahren 1987 und 1988 (Streitjahre) geltenden Gesellschaftsvertrag vom 30. März 1984 soll die Klägerin ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke i.S. der Abgabenordnung (AO 1977) verfolgen und selbstlos tätig sein. Anlaß der Gründung der Klägerin war die Tatsache, daß die Stadt X nach dem Krankenhausbedarfsplan des Landes das von ihr betriebene Krankenhaus schließen mußte und das Krankenhausgelände künftig für andere soziale Zwecke genutzt werden sollte.
Im April 1984 bestellte die Stadt zu Gunsten der Klägerin ein Erbbaurecht an dem Krankenhausgrundstück. In der Folgezeit wandelte die Klägerin das Krankenhaus in ein Altenpflegeheim um und errichtete auf dem Grundstück zusätzlich ein Behindertenwohnheim. Die Investitionen betrugen etwa 4,7 Mio. DM, die die Klägerin in Höhe von rund 2,9 Mio. DM durch Zuschüsse öffentlicher Stellen und in Höhe von rund 1,6 Mio. DM durch Kredite finanzierte.
Die Nutzung der Heime überließ die Klägerin einem eingetragenen Verein, der als Wohlfahrtsverband wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschaftsteuer befreit ist. Mitglieder des Vereins sind Kirchengemeinden. Der Nutzungsüberlassung liegt ein Vertrag der Klägerin mit dem Verein vom 9. Januar 1985 zugrunde. In ihm wurde sinngemäß u.a. folgendes vereinbart:
Präambel
Grundlage des Vertrags ist die Zusammenarbeit der Stadt X mit dem Verein auf dem Gebiet der Behinderten- und Altenpflege. Das Heim ist eine gemeinsame Einrichtung der Klägerin und des Vereins. Die Klägerin übernimmt die Aufgaben des Bauträgers, der Verein die des Betriebsträgers.
§§1 bis 5
Der Verein ist verantwortlich für die pflegerischen Betreuungsdienste, die personelle und wirtschaftliche Führung des Heims, die Abwicklung der Verwaltungsarbeit und die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Die Belegung des Behindertenwohnheims erfolgt allein durch den Verein im Zusammenwirken mit dem Landeswohlfahrtsverband. Für die Belegung des Altenpflegeheims ist ebenfalls der Verein zuständig. Er hat dabei die Interessen der Stadt X und des Landkreises zu berücksichtigen. Die Plätze im Pflegeheim sollen vorrangig Einwohnern des Landkreises zur Verfügung gestellt werden. Der Verein hat die Kosten für die Unterhaltung der ihm zur Nutzung überlassenen Gebäude und Außenanlagen zu tragen und muß verbrauchtes Inventar ersetzen.
§§6 und 7
Die Klägerin erhält ein Nutzungsentgelt. Es setzt sich aus einem Pachtzins, Zinsen für Fremdmittel und Tilgungsleistungen zusammen. Die Zinsen sind auf die Beträge begrenzt, die im Pflegesatz zu berücksichtigen sind. Tilgungsleistungen sind in tatsächlicher Höhe, höchstens jedoch in Höhe der im Pflegesatz berücksichtigten Abschreibungen der Gebäude zu vergüten. Die Einzelheiten werden jeweils im Zusammenhang mit der Festlegung des Pflegesatzes durch die Pflegesatzkommission des Landeswohlfahrtsverbandes geregelt. Der Nutzungsvertrag hat eine Laufzeit von 25 Jahren mit Verlängerungsmöglichkeit.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) veranlagte die Klägerin für die Streitjahre zur Körperschaftsteuer und setzte die Steuer auf jeweils Null DM fest. Er vertrat die Auffassung, die Klägerin sei nicht gemäß §5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit, da sie nicht unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolge. Einspruch und Klage der Klägerin waren erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1341 veröffentlicht.
Die Klägerin stützt ihre Revision auf Verletzung des §52 Abs. 1 i.V.m. §52 Abs. 2 Nr. 2 und §§57 und 58 AO 1977 und beantragt sinngemäß, das Urteil des FG und die Körperschaftsteuerbescheide für 1987 und 1988 aufzuheben und das FA zu verpflichten, der Klägerin für die Streitjahre Körperschaftsteuer-Freistellungsbescheide zu erteilen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Klägerin ist nicht wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke von der Körperschaftsteuer befreit. Ihre Satzung genügt nicht den formellen Anforderungen des §60 Abs. 1 AO 1977.
1. Gemäß §5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG 1984 ist eine Körperschaft in den Streitjahren von der Körperschaftsteuer befreit, wenn sie nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken diente (§§51 bis 68 AO 1977). Nach §60 Abs. 1 AO 1977 müssen die Satzungszwecke und die Art ihre Verwirklichung so genau bestimmt sein, daß aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gegeben sind (sog. formelle Satzungsmäßigkeit). Diese gesetzlich geforderte Festschreibung der Satzungszwecke und der Art ihrer Verwirklichung in der Satzung hat die Funktion eines Buchnachweises (Senatsurteile vom 26. Februar 1992 I R 47/89, BFH/NV 1992, 695; vom 13. August 1997 I R 19/96, BFHE 183, 371, BStBl II 1997, 794; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §60 AO 1977 Tz. 1; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §60 AO 1977 Rz. 2). Die zuständige Finanzbehörde soll in die Lage versetzt werden, schon an Hand der Satzung prüfen zu können, ob die Körperschaft ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke verfolgt. Der formellen Satzungsmäßigkeit wird zwar genügt, wenn sich die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuervergünstigungen aufgrund einer Auslegung aller Satzungsbestimmungen ergeben (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482; vom 29. August 1984 I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844; in BFH/NV 1992, 695). Außerhalb der Satzung getroffene Vereinbarungen oder die Bezugnahme auf Regelungen in anderen Satzungen dürfen bei der Auslegung aber nicht berücksichtigt werden, da §60 Abs. 1 AO 1977 eine Prüfungsmöglichkeit "aufgrund der Satzung" fordert (s. Senatsurteile vom 19. April 1989 I R 3/88, BFHE 156, 381, BStBl II 1989, 595; in BFH/NV 1992, 695; Fischer, a.a.O., §60 AO 1977 Rz. 6; Tipke/Kruse, a.a.O., §60 AO 1977 Tz. 1; Klein/Gersch, Abgabenordnung, 6. Aufl., 1998, §60 Anm. 1 und §59; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., 1996, §60 Rz. 2).
2. Aufgrund des Gesellschaftsvertrages (= Satzung) der Klägerin vom 30. März 1984 kann nicht geprüft werden, ob die Klägerin die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gemäß §5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1984 erfüllte.
a) Nach der Satzung sind "der Bau und die Erweiterung sozialer Einrichtungen in X" Gegenstand des Unternehmens der Klägerin. Der Begriff "soziale Einrichtungen" wird in der Satzung nicht erläutert. Die Firma der Klägerin, die Teil der Satzung und somit bei deren Auslegung zu beachten ist (s. Senatsurteil in BFHE 183, 371, BStBl II 1997, 794), läßt zwar den Schluß zu, daß die Klägerin "Sozialbauten" errichten oder erweitern soll. Welche Bauten "Sozialbauten" sind, ergibt sich aber nicht aus der Satzung. Eine ausreichend genaue Bestimmung der Satzungszwecke liegt deshalb nur dann vor, wenn man -- wie wohl das FA und das FG -- davon ausgeht, daß nach allgemeinem Sprachgebrauch nur Einrichtungen der Jugend- oder Altenhilfe, des öffentlichen Gesundheitswesens und des Wohlfahrtswesens als Sozialeinrichtungen bezeichnet werden. Die Satzung kann dann dahingehend ausgelegt werden, daß die Klägerin Einrichtungen bauen oder erweitern soll, die der Förderung der in §52 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 aufgeführten Zwecke mit Ausnahme des Sports dienen.
b) Selbst wenn die Satzung so auszulegen ist, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen des §60 Abs. 1 AO 1977. Sie läßt nicht erkennen, auf welche Art die Klägerin durch den Bau und die Erweiterung derartiger Einrichtungen gemeinnützige Zwecke verwirklichen soll. Weder bestimmt sie, daß die Klägerin selbst die Einrichtungen betreiben und dadurch gemeinnützige Zwecke verwirklichen soll, noch läßt sich der Satzung entnehmen, daß die Klägerin die Einrichtungen Dritten zur Nutzung überlassen oder übereignen und dadurch u.U. gemeinnützigen Zwecken dienen soll. Nach der Satzung ist es somit nicht ausgeschlossen, daß sich die Klägerin auf eine vermögensverwaltende Tätigkeit beschränkt. Eine vermögensverwaltende Tätigkeit schließt zwar die Steuerbefreiung nicht aus (s. Senatsurteile vom 23. Oktober 1991 I R 19/91, BFHE 165, 484, BStBl II 1992, 62; vom 24. Juli 1996 I R 35/94, BFHE 181, 57, BStBl II 1996, 583; Fischer, a.a.O., §58 AO 1977 Rz. 7 und 26; Tipke/Kruse, a.a.O., §56 AO 1977 Tz. 2; Klein/Gersch, a.a.O., §56; Koch/Scholtz, a.a.O., §56 Rz. 2). Sie ist aber grundsätzlich keine gemeinnützige Tätigkeit.
c) Offen bleiben kann im Streitfall, ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn eine Körperschaft ihr Vermögen zwar durch Vermietung oder Verpachtung nutzt, die Art der Nutzung aber der Förderung eines gemeinnützigen Zwecks dient (z.B. Vermietung von Wohnungen an soziale Randgruppen zu Bedingungen, die dem Gebot der Selbstlosigkeit -- §55 AO 1977 -- entsprechen; vgl. Senatsurteil in BFHE 181, 57, BStBl II 1996, 583). Auch wenn eine derartige ihrer Form nach vermögensverwaltende Tätigkeit zugleich eine gemeinnützige Tätigkeit sein sollte, genügt die Satzung der Klägerin nicht den Anforderungen des §60 Abs. 1 AO 1977. Denn sie bestimmt nicht, daß die Klägerin die Einrichtungen in dieser Art nutzen soll.
Aus dem gleichen Grund muß der erkennende Senat auch nicht die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage entscheiden, ob es eine für die Steuerbefreiung ausreichende Tätigkeit ist, wenn eine Körperschaft einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft für deren steuerbegünstigte Zwecke (selbstlos) Räume überläßt (§58 Nr. 4 AO 1977; zu dieser Streitfrage s. Klein/Gersch, a.a.O., §58 Anm. 2; Fischer, a.a.O., §58 AO 1977 Rz. 26; Oberfinanzdirektion Münster, Verfügung vom 1. März 1989, Deutsches Steuerrecht 1989, 429; Finanzministerium Nordrhein-Westfalen, Erlaß vom 6. August 1990, Steuererlasse in Karteiform, Abgabenordnung, §52 Nr. 59).
d) Der Verstoß gegen §60 Abs. 1 AO 1977 ist auch dann entscheidungserheblich, wenn der Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt wird, die Satzung sei 1984 im Einvernehmen mit dem FA formuliert worden. Das FA hat nach dem Vortrag der Klägerin allenfalls Hinweise für die Formulierung der Satzung gegeben. Diese Hinweise waren eine unverbindliche Rechtsauskunft, keine das FA nach Treu und Glauben bindende Zusage (s. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 24. Juni 1987 in BStBl I 1987, 474; Senatsurteil vom 14. September 1994 I R 125/93, BFH/NV 1995, 369, m.w.N.), die auch der erkennende Senat zu beachten hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 56188 |
BFH/NV 1999, 739 |
HFR 1999, 481 |