Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Gestaltungsmißbrauch durch Widerruf des Verzichts auf Steuerbefreiung bei uneinbringlichem Entgelt
Leitsatz (NV)
Es stellt auch dann keinen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts dar, wenn der leistende Unternehmer einen (zunächst) nach § 9 Abs. 1 UStG 1980 als steuerpflichtig behandelten Umsatz als steuerfrei behandelt, weil der Leistungsempfänger in Konkurs gefallen ist.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 14 Abs. 2, § 17
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt das Kreditgewerbe. Bei den Umsätzen aus der Gewährung von Krediten an gewerbliche Kunden hat sie regelmäßig auf die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 8 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 verzichtet (§ 9 UStG 1980). Diesen Verzicht hat sie widerrufen, wenn die Kunden in Konkurs fielen und nicht mehr in der Lage waren, den Zins- und Tilgungsdienst zu leisten. Den Widerruf führte sie in der Weise durch, daß sie den Kunden im Streitjahr (1989) jeweils eine Sammelrechnung über die mit diesen getätigten Umsätze aus der Zeit der bei ihr noch nicht bestandskräftigen Umsatzsteuerveranlagungen 1986 bis 1989 übersandte. Die Sammelrechnung enthielt eine Aufzählung der zuvor als steuerpflichtig behandelten Umsätze und die Nullstellung der Umsatzsteuer. Zugleich wurde den Kunden mitgeteilt, daß sie die bisher bezogenen Vorsteuerbeträge an das Finanzamt zurückzuzahlen hätten, was diese wegen ihrer Konkurse zum großen Teil aber nicht mehr konnten.
In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr minderte die Klägerin die Umsatzsteuer um die entsprechenden Steuerbeträge. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) folgte dem nicht. Er sah in dem Widerruf des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung einen Mißbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 der Abgabenordnung -- AO 1977 --).
Der gegen die hiernach ergangene Steuerfestsetzung eingelegte Einspruch hatte insofern Erfolg, als das FA -- im Einvernehmen mit der Klägerin -- nunmehr die Hälfte der zurückgeforderten Vorsteuerbeträge anerkannte, da sich die Höhe der uneinbringlichen Kundenforderungen nicht mehr exakt ermitteln ließ. In der Sache hielt das FA aber seinen Standpunkt aufrecht. Auch die anschließende Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieb insoweit ohne Erfolg. Sie wurde mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 619 wiedergegebenen Gründen abgewiesen.
Ihre Revision begründet die Klägerin mit Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klagestattgabe. Das FG hat zu Unrecht einen Mißbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts angenommen.
1. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung bzw. Verrechnung von Umsatzsteuer wegen des widerrufenen Verzichts auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG 1980 zu.
a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980 schuldet der Unternehmer, der in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen hat, auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, so ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980 § 17 Abs. 1 dieses Gesetzes entsprechend anzuwenden.
b) § 14 Abs. 2 UStG 1980 erfaßt auch jene Fälle, in denen ein Unternehmer in einer Rechnung Umsatzsteuer für steuerfreie Umsätze gesondert ausgewiesen hat (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 29. Oktober 1992 V R 48/90, BFHE 169, 559, BStBl II 1993, 251; vom 25. Februar 1993 V R 78/88, BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777). Im Streitfall wurden die von der Klägerin ausgewiesenen Beträge für die fraglichen Kreditumsätze wegen deren Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG 1980 nicht geschuldet. Zwar hatte die Klägerin diese Umsätze (zunächst) als steuerpflichtig behandelt (§ 9 Abs. 1 UStG 1980). Sie hat jedoch im Streitjahr -- im Rahmen der noch nicht bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1986 bis 1989 -- nach den Feststellungen des FG den von ihr erklärten Verzicht auf die Steuerbefreiung widerrufen und damit im Ergebnis die Leistungen als steuerfrei behandelt. Ein derartiger Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung ist möglich; es kommt darauf an, wie der Unternehmer den Umsatz im letzten maßgebenden Zeitpunkt behandelt (BFH-Urteil in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777, 779; siehe auch zum UStG 1967 BFH-Urteil vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394). Dieser Zeitpunkt liegt jedenfalls nicht vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer (BFH-Urteil in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777, 779; weitergehend die Finanzverwaltung, vgl. Abschn. 148 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 Sätze 2 und 3 der Umsatzsteuer- Richtlinien -- UStR -- 1992).
c) Entgegen der Annahme der Vorinstanz ist ein solcher Übergang zur Behandlung des Umsatzes als steuerfrei nicht von der Zustimmung des Leistungsempfängers abhängig. Dies gilt selbst dann, wenn der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger gegenüber verpflichtet war, den (an sich steuerfreien) Umsatz gemäß § 9 UStG 1980 als steuerpflichtig zu behandeln. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des V. Senats des BFH (Urteil in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777, 779) an und verweist hierauf. -- Es bedurfte deshalb im Streitfall keiner weiteren Aufklärung darüber, ob und in welchen Fällen die Klägerin den Verzicht auf die Steuerbefreiung der Kreditumsätze im jeweiligen Einverständnis widerrufen hat oder nicht.
d) Es kann auch dahinstehen, ob die Klägerin bei Widerruf der Verzichtserklärung in jedem Fall von den Kreditnehmern die sog. Erstrechnung zurückerhalten hat. Wie der BFH in seinen Urteilen in BFHE 169, 559, BStBl II 1993, 251, und in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777 näher dargelegt hat, läßt sich ein solches Wirksamkeitserfordernis dem Wortlaut der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980 nicht entnehmen. Auch wenn der Leistende die Erstrechnung nicht zurückerhalten hat, wird die Aufgabe der Finanzverwaltung, zu prüfen, ob der Leistungsempfänger die ihm obliegende Vorsteuerberichtigung durchgeführt hat, nicht unzumutbar erschwert. Sie kann entsprechende Kontrollmitteilungen erlassen. Auch das Risiko des FA, die Ansprüche aus einer Vorsteuerberichtigung beim Lei stungsempfänger wegen dessen (zwischenzeitlicher) Zahlungsunfähigkeit nicht (mehr) durchsetzen zu können, mindert sich durch eine Rückgabe der Erstrechnung nicht. -- Der Senat nimmt im einzelnen zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf das genannte BFH-Urteil in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777 Bezug.
e) Es schadet zum weiteren nicht, daß die Klägerin ihren Kreditkunden gegenüber die Rechnungsberichtigung in Form einer Sammelrechnung über die einzelnen getätigten Umsätze durchgeführt hat. Mehrere Berichtigungen können in einer einzigen Korrekturmitteilung zusammengefaßt werden. Die Mitteilung muß lediglich erkennen lassen, auf welche Steuerbeträge im einzelnen sich die Berichtigung beziehen soll (BFH-Urteil vom 25. Februar 1993 V R 112/91, BFHE 171, 373, BStBl II 1993, 643, 644). Diesem Erfordernis ist im Streitfall nach den Feststellungen des FG genügt.
f) Schließlich ergibt sich aus § 42 AO 1977 nichts anderes.
Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Der Übergang von der bisherigen Behandlung eines Umsatzes als steuerpflichtig (§ 9 Abs. 1 UStG 1980) zur Behandlung dieses Umsatzes als steuerfrei und die dadurch bedingte Berichtigung des Steuerbetrages durch den leistenden Unternehmer gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980 ist unabhängig davon, ob das FA die Ansprüche aus der gebotenen Vorsteuerberichtigung durch den Leistungsempfänger (§ 14 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1980) durchsetzen kann. Das Gesetz sieht für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistungsempfängers keine Einschränkung der Pflicht des leistenden Unternehmers zur Berichtigung des für den Umsatz geschuldeten Steuerbetrages vor. Dies zeigt deutlich der Vergleich mit § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980. Nach dieser Vorschrift hat der leistende Unternehmer den Steuerbetrag auch und gerade dann zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist. In einem solchen Fall ist zu erwarten, daß das FA die Ansprüche aus der Vorsteuerberichtigung des Leistungsempfängers nicht durchsetzen kann. Es handelt sich dabei um eine vom Gesetzgeber gewollte Risikoverteilung. Im einzelnen ergibt sich dies aus den erwähnten BFH-Urteilen in BFHE 171, 373, BStBl II 1993, 643, und in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777, denen der Senat folgt und auf die er verweist. Ist der leistende Unternehmer aber ohnehin gezwungen, die von ihm erklärten Steuerbeträge zu berichtigen, kann es ihm nicht verwehrt sein, den von ihm zuvor ausgeübten Verzicht auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 UStG zugleich zu widerrufen. Er schafft sich dadurch keinen ungerechtfertigten Vermögensvorteil zu Lasten des Fiskus (ggf. anders als in dem -- umgekehrten -- Fall der Verschaffung eines Vorsteueranspruchs des Leistungsempfängers nach Option gemäß § 9 Abs. 1 UStG 1980 durch den überschuldeten Leistenden; vgl. dazu z. B. BFH-Urteile vom 16. März 1993 V R 54/92, BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736; vom 18. Juni 1993 V R 6/91, BFHE 172, 172, BStBl II 1993, 854; vom 23. September 1993 V R 3/93, BFH/NV 1994, 745). Ein Mißbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts liegt darin nicht.
2. Die Vorinstanz ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Ihr Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die von der Klägerin mit ihrer Steuererklärung zurückgeforderten Umsatzsteuerbeträge sind in voller Höhe zu erstatten.
Fundstellen