Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsinteresse bei außer Kraft getretener verbindlicher Zolltarifauskunft
Leitsatz (NV)
1. Zur Frage des berechtigten Interesses an der Feststellung einer außer Kraft getretenen vZTA.
2. Will der Kläger eine neue vZTA zur tariflich gleichen Ware beantragen, so besteht ein berechtigtes Feststellungsinteresse (1.) nur, wenn sicher ist, daß eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten ist (verneint für die Tarifierung von Waren der Tarifnr. 25.19 GZT/Pos. 2519 KN).
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1 S. 4; ZG § 23 Abs. 3; GZT/Tarifnr. 25.19; KN Pos. 2519
Tatbestand
Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin die verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) Nr. . . . vom Juni 1986, durch die zur Herstellung feuerfester Produkte bestimmtes ,,Seewassermagnesit" aus Japan als (gesintertes) Magnesiumoxid, nicht aus natürlichem Magnesiumcarbonat gewonnen, der Tarifst. 25.19 A des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zugewiesen wurde. Der Einspruch der Klägerin, mit dem diese die Zuweisung zur Tarifst. 25.19 B - ,,andere" - begehrte, blieb erfolglos.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Tarifierungsbegehren zunächst weiter. Sie führte im wesentlichen aus, es handele sich um totgebrannte (gesinterte) Magnesia, die als ,,anderes" Magnesiumoxid anzusehen seien, ohne Rücksicht darauf, aus welchem Rohstoff sie stammten. So würde die Ware auch in anderen Ländern der Gemeinschaft tarifiert. Sie müsse von nur kaustisch gebrannten Magnesia unterschieden werden.
Die OFD vertrat demgegenüber die Ansicht, zur Tarifst. 25.19 A gehöre jedes Magnesiumoxid, das - wie die tarifierte Ware - nicht unter die darin vorgesehene Ausnahme falle; soweit totgebrannte (gesinterte) Magnesia zur Tarifst. 25.19 B gehörten, betreffe dies ausschließlich das durch Brennen von natürlichem Magnesiumcarbonat erhaltene Produkt.
Nach Außerkrafttreten der vZTA infolge der Zolltarifrechtsänderungen zum 1. Januar 1988 hat die OFD die Hauptsache für erledigt erklärt.
Die Klägerin ist nunmehr von der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen. Sie begründet ihr Feststellungsinteresse damit, daß ein Klageverfahren gegen Steuerbescheide anhängig sei; dieses sei in Ansehung der Klage gegen die vZTA ausgesetzt worden. Den Steuerbescheiden liege die angefochtene Auskunft zugrunde. Da die Zolltarifrechtsänderung am 1. Januar 1988 keine Rückwirkung besitze, sei die Frage der Rechtmäßigkeit der vZTA weiterhin von rechtlicher wie wirtschaftlicher Bedeutung. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ferner vorgetragen, sie beabsichtige, auch künftig entsprechende Waren unter dem Schutz einer vZTA einzuführen. In materieller Hinsicht habe die Rechtslage sich nicht geändert. Die Tarifierung sei für sie - Klägerin - von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Nachdem die angefochtene vZTA sich auf Grund der Zolltarifrechtsänderungen anders als durch Zurücknahme erledigt hat (vgl. § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes - ZG -), könnte eine Sachentscheidung über die Rechtmäßigkeit der vZTA nur auf Feststellungsantrag ergehen, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). An dieser Voraussetzung fehlt es.
Dem Vortrag der Klägerin läßt sich nicht entnehmen, daß ein berechtigtes Feststellungsinteresse besteht. Wie der Senat entschieden hat (Urteil vom 4. April 1978 VII K 4/77, BFHE 125, 24, 26, BStBl II 1978, 407), kann ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten vZTA nicht aus der Absicht des Klägers hergeleitet werden, die Erstattung von Zoll zu erlangen, den er infolge der angeblich rechtsirrigen Tarifauffassung der Verwaltung bei früheren Einfuhren entrichtet hat. Ein solcher Streit ist vielmehr zwischen den Parteien des betreffenden Verfahrens - Kläger und Hauptzollamt - auszutragen, wenn die zugrunde liegenden Eingangsabgabenbescheide angefochten sind; der Senat kann ggf. nur mehr über die Revision gegen ein in der Zolltarifsache ergangenes Urteil entscheiden (zulassungsfreie Revision; § 116 Abs. 2 FGO).
Dieselben Grundsätze gelten, wenn im Hinblick auf die streitige Tarifierung nicht über die Erstattung, sondern über die Nachforderung von Zoll gestritten wird (Senat, Urteil vom 19. April 1988 VII K 7/86, BFHE 153, 206, BStBl II 1988, 735). Auch in einem solchen Falle ist Rechtsschutz durch Anfechtung der maßgebenden Steuerbescheide zu suchen; die Feststellungsklage, die allgemein hinter Gestaltungs- und Leistungsklagen zurücktritt (§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO), soweit durch diese gleichwertiger Rechtsschutz gewährleistet ist, ist auch im Rahmen von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO nicht gegeben (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 5839). Der Umstand, daß das Finanzgericht (FG) das Ruhen des wegen der Zollnachforderung anhängigen Klageverfahrens angeordnet hat - bis zur Entscheidung im Rechtsstreit über die vZTA -, kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Eine Sachentscheidung über die Klage gegen die vZTA mag für das beim FG anhängige Verfahren von Interesse sein; ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der vZTA ergibt sich daraus nicht. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die der vZTA eigentümliche Wirkung bei der zollamtlichen Behandlung tariflich gleicher Waren durch die gebundene Zollstelle (§ 23 Abs. 3 ZG; vgl. Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, B/23 Rz. 11). Diese auf Verlangen des Antragstellers eintretende Wirkung ist ihrem Wesen nach zukunfts-, nicht vergangenheitsbezogen (vgl. auch Urteil in BFHE 125, 24, 27 a. E., BStBl II 1978, 407; Senat, Urteil vom 20. Oktober 1987 VII K 16, 21-23/87, BFHE 151, 266, 269), unbeschadet einer möglichen Berücksichtigung der vZTA bei der zolltariflichen Entscheidung über zurückliegende Fälle (insbesondere Einfuhrfälle).
Auch im übrigen läßt sich ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der außer Kraft getretenen vZTA nicht erkennen. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats (grundlegend Urteil vom 29. April 1980 VII K 5/77, BFHE 130, 568, 570, BStBl II 1980, 593; vgl. auch Urteil vom 17. Januar 1978 VII K 7/76, BFHE 124, 150, 152) kann ein solches Interesse anerkannt werden, wenn der Kläger eine neue vZTA zur (tariflich) gleichen Ware beantragen will und eindeutig feststeht, daß eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten und daher mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die OFD an der von ihr in dem erledigten Verfahren nachdrücklich vertretenen Auffassung bei der Erteilung einer neuen vZTA festhalten wird.
Im Streitfalle kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Zolltarifrechtslage nicht verändert hat. Zwar ist die Einführung der neuen Kombinierten Nomenklatur (KN) für sich allein noch kein zureichender Grund, eine materielle Rechtsänderung anzunehmen; entscheidend kommt es vielmehr auf die im Einzelfall maßgebenden Tarifvorschriften an (Senat, Urteil vom 5. Juli 1988 VII K 12/86, zur Veröffentlichung bestimmt). Wenn auch der Wortlaut der Position 2519 KN mit dem der Tarifnr. 25.19 GZT übereinstimmt, so ist doch die Position anders untergliedert als die bezeichnete Tarifnummer. Während diese nur in ,,Magnesiumoxid, ausgenommen gebranntes natürliches Magnesiumcarbonat" (Tarifst. 25.19 A) und ,,andere" (Tarifst. 25.19 B) aufgegliedert war, erfaßt Position 2519 KN ,,natürliches Magnesiumcarbonat (Magnesit)" - Unterposition 2519 10 00 - und ,,andere" - Unterposition 2519 90 -, letztere aufgefächert in folgende Zollinien:
- ,,Magnesiumoxid, ausgenommen gebranntes natürliches Magnesiumcarbonat" (Unterposition 2519 90 10),
- ,,totgebrannte (gesinterte) Magnesia" (Unterposition 2519 90 30) und
- ,,andere" (Unterposition 2519 90 90).
Schon die ausdrückliche Aufführung von Magnesit in einer eigenen Unterposition könnte sich als Änderung darstellen (vgl. Senat, Urteil vom 11. Dezember 1973 VII K 27/71, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1974, 180), auch wenn die tarifierte Ware nach übereinstimmender Auffassung der Parteien kein Magnesit im zolltariflichen Sinne ist. Erst recht könnte in der Einteilung der Unterposition 2519 90 ,,andere" eine materielle Rechtsänderung gesehen werden, denn diese Unterposition stimmt nicht (voll) mit Tarifst. 25.19 B überein. Totgebrannte (gesinterte) Magnesia sind zudem in einer besonderen Unterposition ausgewiesen, gleichrangig neben ,,Magnesiumoxid . . ." und ,,andere". Innerhalb der Unterposition 2519 90 hat die zolltarifliche Einordnung in eine der drei anschließenden Unterpositionen zu erfolgen. Zolltarifrechtlich ergibt sich damit eine andere Lage als zur Zeit der Geltung des (früheren) GZT, der - was auch die OFD verkennt - nicht in dieser Weise untergliedert war. Weiter aufgegliedert war nur der (frühere) Deutsche Gebrauchszolltarif, nämlich - zu Tarifst. 25.19 B (,,andere" als ,,Magnesiumoxid, ausgenommen . . .") - in ,,nicht gebrannt" (Code-Nr. 2519 100 00) und ,,gebrannt", dieses in ,,totgebrannte (gesinterte) Magnesia" (Code-Nr. 2519 510 00) und ,,andere(r)" (Code-Nr. 2519 590 00). Bei diesen Unterteilungen handelte es sich jedoch nicht um Tarifstellen des Zolltarifs (vgl. Senat, Urteil vom 14. Juli 1987 VII K 1/86, BFHE 150, 253, 255).
Nicht entscheidend ist, ob es sich bei den eingetretenen Änderungen - wie die Klägerin zu meinen scheint - um solche nur deklaratorischer (,,formeller") Art handelt (vgl. Senat in VII K 12/86). Allein maßgebend bleibt, daß mit Rücksicht auf sie nicht eindeutig von einer materiell unveränderten Rechtslage ausgegangen werden kann. Es kommt mithin auch nicht darauf an, daß die OFD, wie ihren schriftsätzlichen Erklärungen zu entnehmen ist, auch unter der Geltung des neuen Zolltarifrechts lediglich bis zur Sinterung gebranntes natürliches Magnesiumcarbonat als ,,totgebrannte (gesinterte) Magnesia" ansieht, das aus Meerwasser gesinterte Magnesiumoxid aber - anders als die Klägerin - der Unterposition für ,,Magnesiumoxid . . ." zuordnet. Abgesehen davon, daß die OFD in der mündlichen Verhandlung sich nicht mehr in dieser Weise erklärt hat, könnte ein Festhalten an der bisher vertretenen Tarifauffassung bei der Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten vZTA besteht, nur eine Rolle spielen, wenn sicher anzunehmen wäre, daß eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten ist. Das ist indessen - wie ausgeführt - nicht der Fall.
Fundstellen
Haufe-Index 416050 |
BFH/NV 1989, 338 |