Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung
Leitsatz (amtlich)
Fehlt auf dem Berechnungsbogen die Unterschrift des Sachgebietsleiters, ergibt sich aber aus einer sonstigen Verfügung, daß der Sachgebietsleiter die Veranlagung gewollt und sie für abgeschlossen erachtet hat, so ist dies als Vornahme der Veranlagung durch den Sachgebietsleiter anzusehen.
Normenkette
AO § 91
Tatbestand
Der im Laufe des Rechtsmittelverfahrens verstorbene Steuerpflichtige (Stpfl.) hatte einen Gewerbebetrieb. Nach Abschluß einer Betriebsprüfung teilte ihm der zuständige Sachgebietsleiter des Finanzamts zugleich mit der übersendung des Betriebsprüfungsberichts durch Schreiben vom 18. Februar 1957 mit, daß er die Veranlagungen für die Streitjahre dem Bericht entsprechend durchzuführen beabsichtige, falls binnen 14 Tagen keine weiteren Erklärungen des Stpfl. eingingen. Nach äußerung des Stpfl. übersandte das Finanzamt am 15. August 1957 gemäß § 222 AO einen Sammelberichtigungsbescheid für 1951 bis 1954. Der Berechnungsbogen und die Steuerfestsetzungsverfügung, auf denen der Steuerbescheid beruht, waren nur vom Sachbearbeiter, nicht aber vom Sachgebietsleiter unterzeichnet. Mit Schreiben vom 12. August 1957, das gleichzeitig mit dem Berichtigungsbescheid übersandt wurde, teilte der Sachgebietsleiter dem Stpfl. die Punkte mit, in denen der Berichtigungsbescheid vom Betriebsprüfungsbericht abwich.
Mit seinem Einspruch wandte sich der Stpfl. ohne Erfolg gegen die vom Finanzamt vorgenommenen Minderungen der Garantierückstellungen.
Die Berufung des Stpfl. hatte - nachdem der Sachgebietsleiter über den Grund der fehlenden Unterschrift auf dem Berechnungsbogen befragt worden war - aus anderen als den geltend gemachten Gründen Erfolg. Das Finanzgericht hob die Einspruchsentscheidung auf und stellte fest, daß der Berichtigungsbescheid vom 15. August 1957 nichtig sei. Es führte aus: Zur Rechtswirksamkeit des Bescheids als eines Verwaltungsakts sei die Willensbildung des zuständigen Beamten erforderlich. Diese obliege im Veranlagungsverfahren dem Sachgebietsleiter, der den Berechnungsbogen zu unterzeichnen habe. Fehle seine Unterschrift, so sei regelmäßig der Schluß berechtigt, daß der Verwaltungsakt von ihm nicht gewollt sei. Dies treffe auch im Streitfall zu. Aus der äußerung des Sachgebietsleiters, daß es ihm "heute nicht mehr bekannt" sei, weshalb er den Berechnungsbogen seinerzeit nicht unterschrieben habe, könne nicht entnommen werden, daß er den Bescheid in seinem vollen Inhalt gebilligt habe. Seine Vermerke im Berechnungsbogen ließen lediglich bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb und für 1954 auch beim Gesamtbetrag der Einkünfte eine sachliche Prüfung erkennen. Auch sein Schreiben vom 12. August 1957 besage nichts darüber, ob er den Bescheid gebilligt habe. Dieses Schreiben enthalte lediglich eine Entscheidung des Sachgebietsleiters über die streitige Garantierückstellung und die Rückstellungen für Betriebsteuern.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er führte u. a. aus: Die Willensbildung des Sachgebietsleiters sei, wenn auch nicht aus seiner Unterschrift, so doch aus den Umständen zu erkennen. Das Schreiben vom 18. Februar 1957 enthalte die Billigung des Betriebsprüfungsberichts durch den Sachgebietsleiter, das Schreiben vom 12. August 1957 seine Willensbildung in den Punkten, in denen der Berichtigungsbescheid vom Betriebsprüfungsbericht abgewichen sei. Auch aus dem Berechnungsbogen sei ersichtlich, daß der Sachgebietsleiter diesen geprüft habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht.
Das Finanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Wirksamkeit des Steuerbescheids, der ein Verwaltungsakt ist, die Willensbildung und Willensäußerung eines zuständigen Beamten voraussetzt. Ist ein Verwaltungsakt wegen Fehlens dieser Voraussetzungen nicht entstanden, so kann auch die Bekanntgabe keinen wirksamen Verwaltungsakt zur Entstehung bringen. Sie enthält vielmehr lediglich den Rechtsschein eines Verwaltungsakts (vgl. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 158; Hübschmann- Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, 1. bis 4. Aufl., § 91 Anm. 2; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 91 Anm. 8 und 9).
Der schriftlich zu erteilende Einkommensteuerbescheid ist jedenfalls dann entstanden, wenn der zuständige Beamte den Berechnungsbogen abschließend gezeichnet und abgeworfen hat (Urteile des Bundesfinanzhofs I 237/60 S vom 9. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 445, Slg. Bd. 73 S. 491; VI 150/62 U vom 23. August 1963, BStBl 1963 III S. 489, Slg. Bd. 77 S. 463; I 345/61 U vom 17. März 1964, BStBl 1964 III S. 343, Slg. Bd. 79 S. 309). Wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der zuständige Beamte in der Regel der Sachgebietsleiter (§ 6 Abs. 3 Satz 3, § 9 Abs. 2 der Geschäftsordnung für die Finanzämter, BStBl 1954 II S. 66 ff.). Er hat den Berechnungsbogen zu unterzeichnen (§ 17 der Buchungsordnung für die Finanzämter - BuchO -). Ob die im Urteil des Bundesfinanzhofs I 79/60 U vom 18. April 1961 (BStBl 1961 III S. 342, Slg. Bd. 73 S. 206) für den dort entschiedenen Fall vertretene Auffassung, daß auch die Unterschrift des Sachbearbeiters unter dem Berechnungsbogen zur Wirksamkeit des Bescheids genügt, allgemein zutrifft, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da sein Urteil schon von anderen Gründen getragen wird. Fehlt die Unterschrift des Sachgebietsleiters auf dem Berechnungsbogen, ergibt sich aber aus einer sonstigen Verfügung, daß dieser die Veranlagung gewollt und sie für abgeschlossen erachtet hat, so ist dies als Vornahme der Veranlagung durch den Sachgebietsleiter anzusehen. Der Senat folgt insoweit den Grundsätzen im Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 663/35 vom 14. September 1935, RStBl 1935 S. 1300.
Aus dem Schreiben vom 18. Februar 1957 brauchte das Finanzgericht keinen Schluß auf eine Willenserklärung des Sachgebietsleiters im Sinne der später erfolgten Steuerfestsetzungen zu ziehen. Dieses Schreiben ließ im Hinblick auf die noch ausstehende Anhörung des Stpfl. ausdrücklich offen, welche Entscheidung später ergehen würde. Hingegen kommt dem Schreiben vom 12. August 1957, das gleichzeitig mit dem Berichtigungsbescheid an den Stpfl. gesandt worden ist, wesentliche Bedeutung zu. Wie sich aus dem Inhalt der Rechtsmittelakten des Finanzamts ergibt, enthielt dieses Schreiben außer einer Darlegung derjenigen Punkte, in denen die Bescheide vom Betriebsprüfungsbericht abweichen, den ausdrücklichen Hinweis: "Den weiteren Ausführungen in der Stellungnahme konnte nicht gefolgt werden. Die entsprechenden Veranlagungen liegen an." Aus diesem Schreiben kann nur geschlossen werden, daß sich der Sachgebietsleiter mit dem beiliegenden Bescheid einverstanden erklärt hat. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so wäre es unverständlich, weshalb er die Veranlagung seinem Schreiben beigegeben hätte.
Da das Finanzgericht dies verkannt und sich deshalb mit den sachlichen Einwendungen des Beschwerdeführers im einzelnen nicht auseinandergesetzt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 411429 |
BStBl III 1965, 70 |
BFHE 1965, 198 |
BFHE 81, 198 |