Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlustberichtigung nach § 10d Satz 2 EStG; bei gesonderten Feststellungsbescheiden erwächst Verlusthöhe in Bestandskraft
Leitsatz (NV)
§ 10d Sätze 2 und 3 EStG 1983 enthält eine gegenüber den Vorschriften der AO 1977 eigenständige Korrekturvorschrift, aufgrund derer ein bestandskräftiger Bescheid, in dem ein Verlustrücktrag dem Grunde oder der Höhe nach unzutreffend berücksichtigt wurde, geändert werden kann. Zweck der Vorschrift ist die richtige und vollständige Verwirklichung des Verlustabzugs. Diesem Zweck entsprechend sind jegliche Fehler - auch Rechtsfehler -, die sich auf den Verlustabzug ausgewirkt haben, zu berichtigen.
Die Verlustberichtigung erstreckt sich auch auf Rechtsfehler, die bei der Ermittlung des Verlustes im Entstehungsjahr unterlaufen sind. Die Bestandskraft der Steuerfestsetzung für das Verlustentstehungsjahr steht dem nicht entgegen; sie erfaßt nur den festgesetzten Steuerbetrag, nicht jedoch die Besteuerungsgrundlagen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden. In diesem Fall erwachsen die Besteuerungsgrundlagen in Bestandskraft.
Normenkette
AO 1977 §§ 180, 182; EStG 1983 § 10d S. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger ist Inhaber eines Gewerbebetriebs. Den Klägern wurde mit Vertrag vom 2. Februar 1983 ein Erbbaurecht bestellt, dessen Laufzeit 50 Jahre betrug. Sie errichteten auf dem Grundstück eine neue Werkhalle für den Betrieb des Klägers und ein Wohnhaus zu eigenen Wohnzwecken. In der Einkommensteuererklärung für 1983 machte der Kläger die auf den betrieblich genutzten Teil entfallenden Erschließungskosten als Betriebsausgaben bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb geltend.
Das Finanzamt (FA) erkannte in dem Einkommensteuerbescheid 1983 vom 30. September 1985 den Abzug der Erschließungskosten als Betriebsausgaben an und legte der Besteuerung den erklärten gewerblichen Verlust von ... DM zugrunde. Der Gesamtbetrag der Einkünfte 1983 betrug ./. ... DM. Hiervon wurde ein Teilbetrag von ... DM in das Streitjahr 1982 zurückgetragen (Einkommensteuerbescheid vom 28. Oktober 1985).
Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, daß die Erschließungskosten aktiv abzugrenzen und auf die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilen seien. Der Prüfer ermittelte für 1983 Gewinnerhöhungen von insgesamt ... DM, so daß für das Streitjahr kein abziehbarer Verlust aus 1983 verblieb. Das FA folgte dieser Beurteilung. Es erließ am 13. Juni 1986 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid 1982. Mit dem Einspruch gegen diesen Bescheid machten die Kläger geltend, daß der bisherige Verlust des Jahres 1983 nur insoweit geändert werden könne, als die Außenprüfung neue Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) festgestellt habe. Bei der Beurteilung der Erschließungskosten sei dem FA jedoch ein Rechtsfehler unterlaufen. Das FA änderte daraufhin den Einkommensteuerbescheid 1982 durch Bescheid vom 30. September 1986 und berücksichtigte einen Verlustrücktrag aus 1983 von ... DM. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein, mit dem sie einen Verlustrücktrag von ... DM begehrten. Mit Schreiben vom 15. Oktober 1986 räumte das FA einen Fehler bei der Ermittlung des Verlustrücktrags ein; dieser betrage ... DM. Entgegen dieser Mitteilung erließ das FA am 13. August 1987 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1982, in dem es einen Verlustrücktrag aus 1983 überhaupt nicht berücksichtigte.
Der Klage, die sich gegen den zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen erneut geänderten Einkommensteuerbescheid 1982 vom 21. Mai 1992 richtete, hat das Finanzgericht (FG) insoweit stattgegeben, als es einen Verlustrücktrag aus 1983 von ... DM berücksichtigte. Es führt im wesentlichen aus, zwar sei nach der Rechtsprechung die Korrektur des Verlustrücktrags auch dann möglich, wenn dem FA ein Rechtsfehler beim Abzug des Verlustes unterlaufen sei. Hier liege aber dem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1983 ein Rechtsfehler bei der Ermittlung der Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb zugrunde. Der Berichtigung solcher Rechtsfehler stehe § 173 Abs. 1 AO 1977 entgegen. Die eingeschränkte Korrekturmöglichkeit nach § 173 AO 1977 werde durch die Sondervorschrift des § 10d Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht aufgehoben, auch wenn es sich dabei um eine eigenständige Korrekturvorschrift handle. Sie sei dies nur insoweit, als darunter Änderungen des Verlustabzugs als Folge einer Änderung des Verlustes im Verlustentstehungsjahr und Korrekturen von Rechtsfehlern beim Abzug des Verlustes im Rücktragsjahr fielen. Für eine Änderung des Verlustes selbst im Verlustentstehungsjahr müßten nach wie vor die Voraussetzungen einer abgabenrechtlichen Korrekturvorschrift vorliegen. Anderenfalls wäre die Anwendung des § 173 AO 1977 in Fällen wie dem vorliegenden davon abhängig, ob Betriebs- und Wohnsitz-FA zusammen- oder auseinanderfielen. Wäre eine gesonderte Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2b AO 1977 durchzuführen gewesen, so wäre die Anwendung des § 10d Sätze 2 und 3 EStG ohne eine vorhergehende Änderung des Gewinnfeststellungsbescheides nach § 173 AO 1977 nicht möglich.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10d Sätze 2 und 3 EStG. Es trägt im wesentlichen vor, das angefochtene Urteil weiche von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. September 1991 XI R 36/90 (BFH/NV 1992, 37) ab. Nach dieser Entscheidung erfasse die Verlustberichtigung auch Fehler, die die Ermittlung des Verlustes im Verlustentstehungsjahr betreffen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH werde über Grund und Höhe des Verlustrücktrags erst im Jahr des Verlustabzugs entschieden. Die bestandskräftige Festsetzung der Steuer des Verlustjahres wirke nicht als Sperre für Zwecke des Verlustabzugs. Von dem Grundsatz, daß die Finanzbehörde an die Sach- und Rechtsbehandlung in dem das Verlustjahr betreffenden Steuerbescheid nicht gebunden sei, gelte nur dann eine Ausnahme, wenn der Verlust durch einen eigenständigen Verwaltungsakt gesondert festgestellt worden sei.
Die Kläger tragen im wesentlichen vor, der Eintritt einer Bestandskraft sei wichtiger Bestandteil deutschen verfassungsmäßigen Rechtsverständnisses. Ohne logischen Grund könne die Bestandskraft nicht aufgrund einer eigenständigen verfahrensrechtlichen Änderungsvorschrift aufgeteilt werden. Es sei zwischen Fehlern beim Abzug des Verlustes und Fehlern bei der Ermittlung der Einkünfte zu unterscheiden. Gegen die Einbeziehung von Fehlern bei der Ermittlung der Einkünfte beständen erhebliche Bedenken (vgl. Herzberg in Deutsches Steuerrecht - DStR - 1991, 71). Es sei zu prüfen, ob der Ansicht des angefochtenen Urteils ohne Verletzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte - hier der steuerlichen Gewinn- und Verlustermittlung nach bestandskräftiger Feststellung - und der Verletzung der Rechtsstaatlichkeit wegen unmotivierten Teilausschlusses der Bestandskraft widersprochen werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Rechtsfehlerhaft hat das FG den Klägern den Verlustrücktrag gewährt. Daß die Ermittlung des Verlustes auf einem Rechtsfehler beruhte, der im Verlustentstehungsjahr wegen Bestandskraft der Steuerfestsetzung nicht mehr korrigierbar war, steht der vom FA vorgenommenen Berichtigung des Verlustrücktrags nicht entgegen.
Nach § 10d EStG 1983 sind nicht ausgeglichene Verluste wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten und, soweit dies nicht möglich, des ersten dem Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung vorangegangenen Veranlagunszeitraums abzuziehen. Ein für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum erlassener Steuerbescheid ist insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen ist. Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid bereits unanfechtbar geworden ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH wird über Grund und Höhe des abziehbaren Verlustes nicht im Entstehungsjahr, sondern in dem Jahr entschieden, in dem sich der Verlustrücktrag einkommensteuerrechtlich auswirkt (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1982 VIII R 53/82, BHE 139, 28, BStBl II 1983, 710; vom 10. Februar 1988 VIII R 72/84, BFH/NV 1989, 291; vom 24. April 1991 XI R 32/88, BFH/NV 1991, 598; vom 8. April 1992 I R 41/88, BFH/NV 1992, 799; vom 9. Juli 1992 XI R 29/91, BFHE 168, 558, BStBl II 1993, 29). § 10d Sätze 2 und 3 EStG 1983 enthält eine gegenüber den Vorschriften der AO 1977 eigenständige Korrekturvorschrift, aufgrund derer ein bestandskräftiger Bescheid, in dem ein Verlustrücktrag dem Grunde oder der Höhe nach unzutreffend berücksichtigt wurde, geändert werden kann. Zweck der Vorschrift ist die richtige und vollständige Verwirklichung des Verlustabzugs. Diesem Zweck entsprechend sind jegliche Fehler - auch Rechtsfehler -, die sich auf den Verlustabzug ausgewirkt haben, zu berichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 14. November 1989 VIII R 209/85, BFHE 160, 219, BStBl II 1990, 620; vom 14. November 1989 VIII R 109/86, BFH/NV 1990, 624; in BFH/NV 1992, 37; in BFHE 168, 558, BStBl II 1993, 29; vom 9. Juli 1992 XI R 23/91, BFH/NV 1992, 815). Diese Auffassung wird auch ganz überwiegend im Schrifttum vertreten (vgl. von Groll in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10d Anm. B 392; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10d EStG Rdnr. 209; Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 10d EStG Anm. 59; Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10d Anm. 30; Blümich/Horlemann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 13. Aufl., § 10d EStG Rdnrn.127f.; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10d Anm. 387; Frotscher/Lindberg, Einkommensteuergesetz, § 10d Rdnr. 75).
Die Verlustberichtigung erstreckt sich auch auf Rechtsfehler, die bei der Ermittlung des Verlustes im Entstehungsjahr unterlaufen sind. Die Bestandskraft der Steuerfestsetzung für das Verlustentstehungsjahr steht dem nicht entgegen; sie erfaßt nur den festgesetzten Steuerbetrag, nicht jedoch die Besteuerungsgrundlagen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden. In diesem Fall erwachsen die Besteuerungsgrundlagen in Bestandskraft. Daß insoweit für den Verlustabzug die Feststellungen zur Höhe des Verlustes im Entstehungsjahr maßgebend sind (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 1989 III R 38/88, BFH/NV 1990, 369), rechtfertigt nicht die vom FG vorgenommene Begrenzung der Verlustberichtigung auf im Entstehungsjahr nach den Vorschriften der AO 1977 änderbare Verluste. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung des Steuerpflichtigen, dessen Besteuerungsgrundlagen nicht gesondert festgestellt werden, in bezug auf die Verlustberichtigung ist nicht erkennbar. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen - je nachdem, ob die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden oder nicht - ergeben sich aus der unterschiedlichen Ausgestaltung des Steuerfestsetzungs- und des gesonderten Feststellungsverfahrens; diese wiederum ist durch die unterschiedlichen Sachverhalte bedingt.
Bei Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Der Kläger hatte die in 1983 in voller Höhe als Betriebsausgaben geltend gemachten Erschließungskosten von ... DM aktiv auf die Dauer des Erbbaurechts von 50 Jahren abzugrenzen (vgl. BFH-Urteile vom 17. April 1985 I R 132/81, BFHE 144, 213, BStBl II 1985, 617; vom 8. Dezember 1988 IV R 33/87, BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407). Dies führte zu einer Gewinnerhöhung von ... DM. Da das FA den geltend gemachten Betriebsausgabenabzug bei der Einkommensteuerveranlagung für 1983 rechtsfehlerhaft anerkannt hatte und der Bescheid bestandskräftig geworden war, durfte dieser Bescheid nach den Vorschriften der AO 1977 nicht mehr geändert werden. Geändert werden mußte aber nach § 10d Sätze 2 und 3 EStG 1983 der Einkommensteuerbescheid 1982 zwecks Berichtigung des vorweggenommenen Verlustabzugs. Infolge Verminderung des nicht ausgeglichenen Verlustes des Jahres 1983 um insgesamt ... DM auf ... DM verblieb nach Abzug dieses Betrags in 1981 für 1982 kein Verlustabzug mehr.
Das FA war gemäß § 10d Sätze 2 und 3 EStG 1983 befugt, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid vom 28. Oktober 1985 entsprechend zu ändern. An der Berichtigung des Verlustabzugs im Streitjahr 1982 war es auch nicht aus anderen Gründen gehindert. Insbesondere können die Kläger nicht aufgrund des Schreibens des FA vom 15. Oktober 1986 die Berücksichtigung eines Verlustabzugs von ... DM nach Treu und Glauben verlangen. Der Erledigungsvorschlag des FA im Einspruchsverfahren stellt grundsätzlich keine verbindliche Zusage dar (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 168/86, BFHE 152, 29, BStBl II 1988, 232). Ebenso ist der Verstoß des FA gegen § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 dadurch, daß es die Kläger vor Erlaß des Einkommensteuerbescheids 1982 vom 13. August 1987 nicht auf die Möglichkeit der Verböserung hingewiesen hat, unschädlich. Denn das FA hätte im Falle der Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 1982 vom 30. September 1986 diesen Bescheid zum Zweck der Berichtigung des Verlustabzugs erneut gemäß § 10d Sätze 2 und 3 EStG 1983 ändern können (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1989 VI R 124/88, BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414).
Die Versagung des Verlustabzugs durch das FA in dem zum Gegenstand des FG-Verfahrens gewordenen Einkommensteuerbescheid 1982 vom 21. Mai 1992 erweist sich danach als rechtmäßig. Die Klage war abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 419588 |
BFH/NV 1994, 710 |