Leitsatz (amtlich)
Erhält ein Gewerbetreibender von seinem Lieferanten für die Bezahlung des Kaufpreises einer jeden Warenlieferung ein längeres Zahlungsziel mit der Folge eingeräumt, daß ihm ständig ein erheblicher Betrag an Fremdmitteln zur Verfügung steht, so entstehen dadurch trotzdem keine Dauerschulden im Sinne der §§ 8 Nr. 1, 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG, wenn jedes einzelne Warengeschäft nachweisbar in der Weise für sich abgewickelt wird, daß der gestundete Kaufpreis jeweils nach Ablauf der vereinbarten Stundung bezahlt und damit auch die Kreditschuld getilgt wird (Anschluß an das BFH-Urteil vom 23. Februar 1967 IV 344/65, BFHE 88, 134, BStBl III 1967, 322).
Normenkette
GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gewährten Stundungen von Forderungen aus Warenlieferungen bei ihr zu Dauerschulden im Sinne der §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG führten.
Die Klägerin betreibt u. a. den Großhandel mit Landesprodukten. Ihr einziger Lieferant für Düngemittel ist die Firma L. Die Kaufpreise für die in den Jahren 1961 bis 1965 von dieser Firma Bezogenen Waren betrugen zwischen 183 360 DM und 320 064 DM je Jahr. Der Schuldensaldo zum Ende eines jeden Wirtschaftsjahres dieses Zeitraumes lag zwischen 134 529 DM und 258 418 DM.
Die Geschäftsabwicklung beruhte auf einer mündlichen Vereinbarung folgenden Inhalts:
Die Firma L gewährt der Klägerin ein Zahlungsziel von neun Monaten statt wie sonst üblich ein solches von drei Monaten. Bei Zahlungen nach 30 Tagen berechnet sie Zinsen. Die Klägerin erhält auf alle Zahlungen 2 % Skonto und außerdem Boni nach einer besonderen Regelung. Die Abnehmer der Klägerin sind in der Hauptsache Winzer. Diesen gegenüber bestehen die üblichen Zahlungsbedingungen; bei Zahlungen innerhalb von 14 Tagen gewährt sie 2 % Skonto, bei Zahlungen zwischen 15 und 30 Tagen verlangt sie den Nettobetrag und bei Zahlungen nach 30 Tagen berechnet sie Zinsen. Ein Großteil ihrer Kunden nimmt längere Zahlungsziele als 30 Tage in Anspruch. In der Verwendung der Rechnungsbeträge ist die Klägerin frei. Sie trägt ihre Schulden bei der Firma L in einem Zeitraum zwischen drei und 12 Monaten ab. Sicherheiten hat sie nicht geleistet. Es besteht lediglich der übliche Eigentumsvorbehalt bis zur Bezahlung der Ware.
Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1966 stellte sich der Prüfer auf den Standpunkt, daß die Firma L der Klägerin einen Warenmindestkredit eingeräumt habe, der einer Kontokorrentschuld gleichzusetzen sei. Den Mindestkredit bezifferte er für die Streitjahre einheitlich auf 80 000 DM und die von der Klägerin hierauf gezahlten Zinsen auf jährlich 4 400 DM (5,5 % aus 80 000 DM). Dementsprechend berichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) die Festsetzungen der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge 1961 bis 1964 und führte für das Jahr 1965 erstmalig eine Festsetzung durch. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das FG führte aus, nach ständiger Rechtsprechung gehöre bei Kontokorrentverhältnissen der während eines längeren Zeitraums feststellbare Mindestkredit zu den Dauerschulden. Es sei davon auszugehen, daß wenigstens in dieser Höhe das Kapital eines Betriebs auf Dauer verstärkt werde. Dabei spiele es entgegen der Meinung der Klägerin keine Rolle, ob das Kontokorrent bei einer Bank oder wie im Streitfall bei einer Lieferfirma unterhalten werde. Von dieser Regelung gebe es allerdings eine Ausnahme, wenn die Bank das einzelne Warengeschäft kreditiere. In einem solchen Falle sei es nur äußerlich, daß die Schuld im allgemeinen schuldensaldo untergehe. In Wirklichkeit bleibe das einzelne Kreditgeschäft mit dem einzelnen Warengeschäft bis zu seiner Abwicklung verknüpft. Das setze im allgemeinen voraus, daß die Forderung gegen den Abnehmer an die Bank abgetreten werde, die dann die Forderung entweder selbst einziehe oder dies durch den Kreditnehmer in ihrem Auftrag besorgen lasse. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin nicht erfüllt. Sie habe ihre Forderungen gegenüber den Winzern nicht an die Firma L abgetreten. Sie sei nicht einmal verpflichtet gewesen, das auf diese Forderungen eingehende Geld zur Abdeckung ihrer Warenbezugsschulden zu verwenden. Sie habe diese Beträge zumindest vorübergehend im eigenen Betrieb arbeiten lassen können. So habe ihr auf die Dauer gesehen ständig ein Kapital von 80 000 DM zur Verfügung gestanden. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, daß die Klägerin an die Firma L keine Akontozahlungen geleistet, sondern jede einzelne Warenlieferung bezahlt habe. Dadurch allein sei die enge Verknüpfung zwischen Kreditgeschäft und Warengeschäft, so wie ihn die Rechtsprechung verstehe, nicht gewährleistet. Der Zusammenhang sei vielmehr in dem Augenblick unterbrochen worden, in dem die Klägerin die Waren weiterverkauft habe, ohne den Gegenwert in Form der Forderung oder des Geldes der Firma L gutzubringen. Davon die Entscheidung abhängig zu machen, wie die Klägerin ihre Schulden schließlich bei der Firma L bezahlt habe (Akontozahlungen oder Tilgung jeder einzelnen Schuld), erscheine auch zu willkürlich. Schließlich könnten auch die Schuldzinsen mit dem Skonti und Boni entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verrechnet werden.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide 1961 bis 1965 dahin gehend abzuändern, daß die vom FA berücksichtigten Dauerschulden und Dauerschuldzinsen außer Ansatz bleiben. Sie rügt unrichtige Anwendung der §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG. Grundstätzlich seien Warenschulden keine Dauerschulden im Sinne dieser Vorschriften. Die Begründung des FG, nach der Rechtsprechung gehöre bei Kontokorrentverhältnissen der während eines längeren Zeitraums feststellbare Mindestkredit zu den Dauerschulden, gehe fehl und werde dem festgestellten Sachverhalt nicht gerecht. Ein Kontokorrentverhältnis habe nämlich nicht vorgelegen, da sie keine Akontozahlungen geleistet, sondern die einzelnen Warenverbindlichkeiten getilgt habe. Die Wareneinkäufe bei der Firma L hätten sonach zu jeweils selbständigen Kreditgeschäften geführt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Dauerschulden im Sinne der §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG sind solche Schulden eines gewerblichen Unternehmens, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Es muß sich dabei nicht um Kredite handeln, die von Kreditinstituten eingeräumt werden. Dauerschuldcharakter können auch andere Arten von Schuldaufnahmen im Geschäftsverkehr eines Gewerbebetriebes annehmen, wenn sich aus der Vereinbarung der Parteien und der tatsächlichen Gestaltung ihr Dauerschuldcharakter ergibt.
Zu den Dauerschulden gehören in der Regel nicht die laufenden Verbindlichkeiten, die im Gewöhnlichen Geschäftsgang eines Unternehmens entstehen, also vor allem die zur Beschaffung von Waren eingegangenen Verbindlichkeiten, die dadurch entstehen, daß der Lieferant der Ware dem Abnehmer ein längeres Zahlungsziel, somit eine Kaufpreisstundung, gewährt. Derartige Schulden können aber Dauerschuldcharakter annehmen, wenn ihre Laufzeit 12 Monate übersteigt, es sei denn, daß die längere Schuldentilgungsfrist bei der Art des Geschäftsvorfalles üblich ist (vgl. das Urteil des BFH vom 12. Dezember 1969 VI R 289/67, BFHE 98, 436, BStBl II 1970, 436 mit weiteren Hinweisen).
Räumt ein Lieferant einer Abnehmerfirma für seine Kaufpreisforderungen aus den laufenden Warenlieferungen längere Zahlungsziele mit der Folge ein, daß der Käuferin ständig ein bestimmter Betrag an Fremdmitteln zur Verfügung steht, so stellt sich die Frage, ob in diesem Falle jede einzelne Warenschuld auf ihren Dauerschuldcharakter hin zu untersuchen ist oder ob der jeweilige Gesamtbetrag der Warenschulden als Dauerschuld in Betracht kommt. Die Beantwortung Dieser Frage hängt entscheidend von der Abwicklung der einzelnen Warengeschäfte zwischen den Vertragsparteien ab. Werden die Warengeschäfte derart abgewickelt, daß bei jedem mit einem bestimmten Wareneinkauf gewährten Kredit des Lieferanten bis zur Tilgung der Zusammenhang zwischen dem Kredit und dem einzelnen Warengeschäft gewahrt bleibt und buchmäßig nachgewiesen werden kann (vgl. BFH-Entscheidung vom 23. Februar 1967 IV 344/65, BFHE 88, 134, BStBl III 1967, 322), d. h. daß die einzelnen Warenverbindlichkeiten von ihrer Entstehung bis zu ihrem Erlöschen ihre rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit bewahren, so können derartige Warenschulden nur durch eine Laufzeit von mehr als 12 Monaten Dauerschuldcharakter annehmen. Verlieren dagegen die einzelnen Warenschulden ihre Selbständigkeit dadurch, daß die Warengeschäfte in einer Art Kontokorrentverhältnis abgewickelt werden, bei dem die Einzelforderungen des Kontokorrentgläubigers derart zurücktreten, daß an deren Stelle der jeweilige Saldoanspruch tritt, so ist für die Beantwortung der Frage, ob eine Dauerschuld vorliegt, grundsätzlich nicht die einzelne Warenforderung, sondern der Kontokorrentsaldo maßgebend. Die Rechtsprechung des BFH zum Kontokorrentkredit einer Bank, der zur Finanzierung von Warenschulden eingeräumt wird (vgl. insbesondere BFH-Urteile IV 344/65 und vom 6. Juni 1973 I R 257/70, BFHE 109, 465, BStBl II 1973, 670), gilt dann insoweit auch für einen solchen Kredit eines Lieferanten.
2. Das FG ging offenbar davon aus, daß zwischen der Klägerin und der Lieferfirma kein Kontokorrentverhältnis im Sinne des § 355 HGB bestanden hat. Es meint aber, daß die Lieferfirma mit der langfristigen Stundung der Warenforderungen trotzdem wie bei einem Kontokorrentverhältnis einen Mindestkredit gewährt habe, bei dem ein Zusammenhang mit den einzelnen Warengeschäften nicht mehr feststellbar sei. Zu diesem Ergebnis kam das FG deshalb, weil die Klägerin ihre Forderungen aus dem Weiterverkauf der gelieferten Waren nicht zur Sicherheit an ihre Lieferfirma abgetreten und die entsprechenden Einnahmen nicht sogleich zur Begleichung der Verbindlichkeiten gegenüber der Lieferfirma verwendet hat. Nur daraus folgerte das FG, daß die enge Verknüpfung zwischen Kreditgeschäft und Warengeschäft, so wie sie die Rechtsprechnung versteht, nicht gewährleistet sei. Das FG verkennt dabei aber, daß der BFH in den angeführten Urteilen diesem Umstand nur bei der Frage entscheidende Bedeutung beigemessen hat, ob trotz Vorliegens eines Kontokorrentkredites einer Bank die Verbindung zwischen dem im Rahmen des Kontokorrents gewährten Mindestkredit und den einzelnen Warengeschäften gewahrt blieb. Auf einen solchen Zusammenhang kann es aber im Falle der Kreditierung einzelner Wareneinkäufe durch den Warenlieferanten nicht ankommen. Hier ist der Zusammenhang zwischen Kredit und einem bestimmten Warengeschäft durch den Kaufvertrag und die gleichzeitige Stundung des Kaufpreises selbst hergestellt und er bleibt gewahrt, wenn jeder einzelne Kaufpreis für sich nachweisbar nach ablauf der vereinbarten Stundung an den Lieferanten bezahlt und damit auch die Kreditschuld getilgt wird. Warengeschäft zwischen Lieferanten und Händler kann, wenn keine Bank als Kreditgeber eingeschaltet ist, nur der Wareneinkauf des Händlers bei seinem Lieferanten sein, das mit der Bezahlung des Kaufpreises, die gleichzeitig die Rückzahlung des Kredites beinhaltet, abgewickelt ist.
Der Umstand allein, daß eine Lieferfirma einem Kunden Zahlungsziele über einen längeren Zeitraum als üblich einräumt, reicht demnach für die Annahme, die Lieferfirma habe einen von den einzelnen Warengeschäften losgelösten Mindestkredit gewährt, nicht aus. Einer Lieferfirma kommt es - anders als bei Kontokorrentkredit einer Bank - bei der Stundung ihrer Kaufpreisforderungen im allgemeinen nicht darauf an, der Abnehmerfirma einen bestimmten Betrag an Fremdmitteln zur Verfügung zu stellen, sondern darauf, den Absatz ihrer Waren zu fördern, indem sie bei der Finanzierung eines jeden einzelnen Warengeschäftes behilflich ist. In solchen Fällen besteht daher kein Anlaß, die Selbständigkeit der Warenschulden in Frage zu stellen, wenn diese vom Schuldner wie auch in sonstigen Fällen aufgezeichnet und jeweils nach Ablauf der Stundungszeit getilgt werden (vgl. Urteil des BFH vom 4. Juli 1969 VI R 276/66, BFHE 96, 535, BStBl II 1969, 712). Trifft daher die Behauptung der Klägerin zu, daß die einzelnen Verbindlichkeiten bis zu ihrer Bezahlung in den Büchern verfolgt werden können und jeweils nach Ablauf der Stundungszeit einzeln bezahlt worden sind, so sind allein die einzelnen Warenschulden für die Prüfung maßgebend, ob Dauerschulden im Sinne der §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG vorliegen.
Anders verhält es sich dagegen, wenn die Klägerin entgegen ihrer Behauptung laufend Akontozahlungen zur Tilgung ihrer Warenschulden geleistet und mit der Lieferfirma jeweils den verbliebenen Schuldensaldo abgerechnet haben sollte. In diesem Falle hätten die Vertragsparteien die Warengeschäfte, wie bei einem Kontokorrent, derart abgewickelt, daß die einzelnen Warenforderungen zurückgetreten und nur noch der jeweilige Schuldensaldo in Erscheinung getreten wären. Demzufolge wäre wie bei einem Kontokorrent nur noch der Schuldensaldo und nicht die einzelne Warenschuld zur Prüfung des Vorliegens einer Dauerschuld heranzuziehen.
Es kommt also entgegen der Auffassung des FG entscheidend darauf an, ob die Klägerin die jeweils fällig gewordenen Warenschulden getilgt, oder ob sie laufend Akontozahlungen an die Lieferfirma geleistet hat.
3. Die Streitsache ist nicht entscheidungsreif, da vom FG nicht im einzelnen festgestellt wurde, wie die Klägerin mit den Warenschulden verfahren ist. Die Vorentscheidung muß daher aufgehoben werden. Das FG wird nunmehr in der erneuten Verhandlung zu prüfen haben, ob die Klägerin laufend Akontozahlungen an die Lieferfirma geleistet und mit dieser, wie bei einem Kontokorrent, jeweils den verbleibenden Schuldensaldo abgerechnet hat. Falls das FG dies feststellen sollte, steht der Annahme einer Dauerschuld in der Form eines Mindestkredites und in der vom FG festgestellten Höhe nichts entgegen. Falls das FG aber zu dem Ergebnis kommt, daß die Klägerin - wie sie behauptet - keine Akontozahlungen geleistet hat, so ist jede einzelne Warenschuld auf ihren Dauerschuldcharakter hin zu untersuchen; d. h., daß das FG dann wird zu prüfen haben, ob die Klägerin einzelne Warenschulden erst nach Ablauf von 12 Monaten gezahlt hat, da - wie oben ausgeführt - bei einer Laufzeit von mehr als 12 Monaten auch die einzelnen Warenschulden den Charakter von Dauerschulden annehmen können, es sei denn - auch dies wird das FG zu prüfen haben-, daß die längere Schuldentilgungsfrist bei der Art der Geschäfte üblich war.
Für den Fall, daß das FG auch nach erneuter Verhandlung zu dem Ergebnis kommt, daß Dauerschulden vorliegen, können - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - die von der Lieferfirma gewährten Boni und Skonti mit den Schuldenzinsen nicht verrechnet werden.
Fundstellen
Haufe-Index 71518 |
BStBl II 1975, 784 |
BFHE 1976, 386 |