Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Betrieb veräußert, so ist eine Rückstellung für Pensionsanwartschaften nicht zugunsten des laufenden Gewinns des letzten Wirtschaftsjahres aufzulösen, wenn die Pensionsverpflichtungen auf den Erwerber übergehen oder beim Veräußerer verbleiben.
2. Wird ein Betrieb veräußert, so erhöht der Wegfall einer Ausfuhrförderungsrücklage den Veräußerungsgewinn und nicht den laufenden Gewinn des letzten Wirtschaftsjahres.
Normenkette
EStG 1961 §§ 16, 34, 6a; AusfFördG § 3
Tatbestand
Streitig ist, ob bei einer Betriebsveräußerung und -aufgabe eine Rückstellung für Pensionsanwartschaften und eine Ausfuhrförderungsrücklage zugunsten des laufenden Gewinns des letzten Wirtschaftsjahres aufzulösen sind.
Der Kläger und sein Bruder W. waren im Streitjahr die alleinigen Gesellschafter der OHG; beide Gesellschafter waren mit je 50 v. H. am Gewinn und Verlust der OHG beteiligt.
Mit Vertrag vom 9. November 1961 veräußerten der Kläger und sein Bruder mit Wirkung vom 31. Dezember 1961 das bewegliche Anlagevermögen und die Warenvorräte der OHG an die Firma X zum Preise von 870 000 DM. Die Übernahme von Schulden durch den Erwerber war vertraglich ausgeschlossen. Mit Vertrag vom 11. November 1961 veräußerten der Kläger und sein Bruder außerdem das zum Betriebsvermögen gehörige Fabrikgrundstück an Y zum Preise von 430 000 DM. Die restlichen Aktiven und die nicht auf den Erwerber übergegangenen Betriebsschulden übernahmen der Kläger und sein Bruder in das Privatvermögen.
W. verstarb 1963. Er wurde vom Kläger und dessen Ehefrau, der Beigeladenen zu 1., sowie deren Söhnen, den Beigeladenen zu 2. und 3., beerbt.
Zusammen mit der einheitlichen Gewinnfeststellungserklärung 1961 reichte der Kläger eine Steuerbilanz der OHG zum 31. Dezember 1961 und eine zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns bestimmte "Auseinandersetzungsbilanz" ein. In der Steuerbilanz waren (neben einer Rückstellung für laufende Pension in Höhe von 4 052 DM) eine Rückstellung für Pensionsanwartschaften in Höhe von 74 700 DM und eine Ausfuhrförderungsrücklage in Höhe von 36 526 DM ausgewiesen. In der Auseinandersetzungsbilanz waren diese beiden Passivposten zugunsten des Veräußerungsgewinns gewinnerhöhend aufgelöst.
Das FA vertrat nach einer 1964 durchgeführten Betriebsprüfung die Auffassung, die Rückstellung für die Pensionsanwartschaften und die Ausfuhrförderungsrücklage seien zugunsten des laufenden Gewinns 1961 aufzulösen gewesen. Auf dieser Grundlage stellte es in dem endgültigen Gewinnfeststellungsbescheid 1961 vom 12. Mai 1965 einen Gesamtgewinn von 742 100 DM fest, der einen laufenden Gewinn von 135 169 DM und einen Veräußerungsgewinn von 606 931 DM enthielt. Die hiergegen erhobene Sprungberufung, die nach Inkrafttreten der FGO als Klage zu behandeln war, hatte Erfolg, nachdem das FA während des finanzgerichtlichen Verfahrens den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid aus Gründen, die nicht streitig sind, geändert und der Kläger beantragt hatte, den Bescheid gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Das FG änderte den Gewinnfeststellungsbescheid 1961 dahin, daß es unter Berücksichtigung einer vom FA anerkannten Wertberichtigung von 65 000 DM auf die Kaufpreisforderung aus der Betriebsveräußerung den Gesamtgewinn der OHG auf 689 495 DM und den darin enthaltenen Veräußerungsgewinn auf 665 552 DM feststellte. Das FG war der Meinung, daß der aus der Auflösung der Rückstellung für Pensionsanwartschaften und der Ausfuhrförderungsrücklage erzielte Gewinn nicht zum laufenden, sondern zum Veräußerungsgewinn gehöre, weil er eine zwangsläufige Folge der Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe sei.
Mit der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, daß der Gewinn der OHG für 1961 689 495 DM betrage und darin ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 554 326 DM enthalten sei. Das FA rügt die Verletzung der §§ 4, 5, 6a, 16 und 34 EStG.
Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 16 Abs. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die erzielt werden bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs, wobei nach § 16 Abs. 3 EStG als Veräußerung auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs gilt. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG ist Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis und, soweit einzelne Wirtschaftsgüter nicht mitveräußert werden, der gemeine Wert dieser Wirtschaftsgüter nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens übersteigt. Der Wert des Betriebsvermögens ist für den Zeitpunkt der Veräußerung oder Aufgabe nach § 5 EStG zu ermitteln (§ 16 Abs. 2 Satz 2 EStG)
Die für die steuerliche Beurteilung des Streitfalls entscheidende Frage geht somit dahin, ob bei der Ermittlung des "Wertes des Betriebsvermögens" im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG nach Maßgabe der Vorschriften des § 5 EStG die Rückstellung für Pensionsanwartschaften und die in früheren Jahren gebildete steuerfreie Ausfuhrförderungsrücklage noch anzusetzen sind. Nur wenn dies zu verneinen wäre, könnte die Revision des FA Erfolg haben. Der Wegfall der beiden Passivposten würde dann den laufenden Gewinn des Wirtschaftsjahres erhöhen, in das der Veräußerungszeitpunkt fällt, denn die Wertermittlung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG dient nicht nur der Berechnung des Veräußerungsgewinns, sondern gleichzeitig auch der Berechnung des laufenden Gewinns für die Zeit vom Beginn des Wirtschaftsjahres der Veräußerung bis zum Zeitpunkt der Veräußerung (vgl. § 6 Abs. 2 EStDV; dazu Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 15. Aufl., § 16 EStG Anm. 29 und 31).
1. Rückstellung für Pensionsanwartschaften
Der Vorentscheidung ist darin beizupflichten, daß die Rückstellung für Pensionsanwartschaften bei der Wertermittlung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG und damit in der letzten steuerlichen Jahresbilanz in der unstreitigen Höhe von 74 700 DM anzusetzen, also nicht vorher zugunsten des laufenden Gewinns aufzulösen war.
Eine Auflösung der Rückstellung zugunsten des laufenden Gewinns wäre unter Berücksichtigung des Bilanzenzusammenhangs allenfalls dann geboten gewesen, wenn nach den Verhältnissen des Bilanzstichtags, der dem Zeitpunkt der Betriebsveräußerung entspricht, festgestanden hätte, daß die Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern aus den Ruhegeldversprechen ersatzlos weggefallen sind, z. B. weil sie an die auflösende Bedingung einer Betriebsveräußerung geknüpft waren (also eine Rückstellungsbildung an sich unzulässig gewesen wäre) und damit weder auf den Betriebserwerber als neuen Arbeitgeber übergegangen, noch beim Betriebsveräußerer als bisherigem Arbeitgeber verblieben sind. Im Streitfall ist diesen Voraussetzungen nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen der Vorentscheidung nicht genügt. Insbesondere ist nicht festgestellt, daß die von der OHG im Rahmen der Arbeitsverträge übernommenen Ruhegeldverpflichtungen an die auflösende Bedingung einer Betriebsveräußerung geknüpft waren und damit die den Pensionsanwartschaften entsprechenden Verpflichtungen mit der Betriebsveräußerung ersatzlos weggefallen sind. Der Vortrag des FA, Bestandteil der Ruhegeldzusagen seien sogenannte Inhaberklauseln gewesen, ist neu und muß deshalb in der Revisionsinstanz unberücksichtigt bleiben; auch zulässige und begründete Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben.
Für die steuerliche Beurteilung des Streitfalles ist deshalb davon auszugehen, daß die Pensionsanwartschaften der Arbeitnehmer mit der Betriebsveräußerung nicht weggefallen sind, sondern daß die diesen Anwartschaften entsprechenden aufschiebend bedingten Schulden
a) entweder auf den Betriebserwerber als neuen Arbeitgeber übergegangen
b) oder beim Betriebsveräußerer als bisherigem Arbeitgeber verblieben sind.
In beiden Fällen war der Passivposten "Rückstellung für Pensionsanwartschaften" in der letzten steuerlichen Jahresbilanz, die gleichzeitig Grundlage für die Ermittlung des Betriebsveräußerungs- und -aufgabengewinns ist, fortzuführen.
Zu a): Werden im Rahmen einer Betriebsveräußerung passivierte Verbindlichkeiten vom Betriebserwerber übernommen, so ist die durch die Betriebsveräußerung eintretende Schuldbefreiung des bisherigen Betriebsinhabers kein Grund, die Schulden bereits bei der Ermittlung des Wertes des Betriebsvermögens im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG und damit in der letzten steuerlichen Jahresbilanz außer Ansatz zu lassen. Denn ihr Vorhandensein und ihre Übernahme durch den Erwerber wirken sich regelmäßig auf die Höhe des in bar zu entrichtenden Veräußerungspreises aus; sie müssen deshalb auch bei der Ermittlung des diesem Preis gegenüberzustellenden buchmäßigen Eigenkapitals (=Wert des Betriebsvermögens im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG) berücksichtigt werden.
Im Streitfall spricht alles dafür, daß die den Pensionsanwartschaften der Arbeitnehmer entsprechenden Verpflichtungen auf den Betriebserwerber übergegangen sind. Die Vereinbarung, daß der Erwerber die Schulden des Betriebs nicht übernimmt, steht dem nicht entgegen. Die Bestimmung ist auslegungsfähig. Sie muß dahin verstanden werden, daß sie sich nicht auf die Verpflichtungen aus den Arbeitsverhältnissen bezieht, denn unstreitig hat der Betriebserwerber die Arbeitnehmer übernommen. Ist aber der Anspruch des bisherigen Arbeitgebers auf Dienstleistung der Arbeitnehmer auf den Betriebserwerber übergegangen, so ist dieser, mindestens soweit die einzelnen Arbeitnehmer nicht ausdrücklich widersprochen haben, in vollem Umfange in die Arbeitgeberstellung eingetreten. Der Unternehmenserwerber hat damit nicht nur sämtliche Rechte aus dem Arbeitsverhältnis, sondern auch sämtliche Verpflichtungen einschließlich der Verpflichtungen zu künftig fällig werdenden sozialen Leistungen wie Pensionszahlungen bei Eintritt des Pensionsfalles nach der Betriebsveräußerung übernommen (vgl. Hueck-Nipperday, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., I. Band S. 519 mit Fußnote 21; Hueck, BB 1951, 365/366).
Das von der Revision zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29. April 1966 3 AZR 208/65 (SAE 1967, 9) besagt nichts Gegenteiliges; es bezieht sich nicht auf Pensionsanwartschaften, die sich aus einem vom Betriebsveräußerer auf den Betriebserwerber übergehenden Arbeitsverhältnis ergeben, sondern lediglich auf bereits laufende Pensionen.
Zu b): Selbst wenn man jedoch unterstellen wollte, daß die den Pensionsanwartschaften entsprechenden bedingten Verpflichtungen des bisherigen Betriebsinhabers nicht auf den Erwerber übergegangen sind (z. B. weil die Arbeitnehmer des Betriebs einer derartigen befreienden Schuldübernahme nicht zustimmten), so wären sie doch im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung noch nicht ersatzlos weggefallen gewesen, sofern die Pensionszusagen - wie für den Streitfall im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen des FG anzunehmen ist - nicht von vornherein unter der auflösenden Bedingung einer Betriebsveräußerung gegeben waren. Denn nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen kann sich der Arbeitgeber den mit Abschluß des Arbeitsvertrags übernommenen Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern einschließlich der Verpflichtung aus einer Ruhegeldzusage allenfalls durch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der dafür im Einzelfalle maßgebenden Fristen und unter Berücksichtigung der besonderen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzvorschriften entziehen. Daß im Streitfall die Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung durch eine Kündigung rechtswirksam beendet waren, hat weder das FG festgestellt noch das FA behauptet.
2. Ausfuhrförderungsrücklage
Der Vorentscheidung ist auch darin zu folgen, daß die Ausfuhrförderungsrücklage bei der Wertermittlung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG und damit in der letzten steuerlichen Jahresbilanz in der unstreitigen Höhe von 36 526 DM anzusetzen und nicht schon vorher zugunsten des laufenden Gewinns aufzulösen war.
a) Nach § 3 AusfFördG in der Fassung vom 18. September 1953 (BGBl I 1953, 1379) und in der Fassung vom 16. Dezember 1954 (BGBl I 1954, 373, 392) konnten Unternehmer, die vor dem 1. Januar 1955 bestimmte Ausfuhrlieferungen und bestimmte Leistungen für das Ausland bewirkten, nach Maßgabe der Absätze 2 bis 3 dieser Bestimmung bei der steuerlichen Gewinnermittlung eine steuerfreie Rücklage bilden, die nach § 3 Abs. 4 Ausf-FördG in den auf die Bildung folgenden zehn Jahren in gleichen Teilbeträgen aufzulösen war.
b) Im steuerrechtlichen Schrifttum und in der Rechtsprechung der FG wird die Frage, ob der Wegfall steuerfreier Rücklagen durch eine Veräußerung oder Aufgabe eines Betriebs den laufenden Gewinn des Wirtschaftsjahres der Veräußerung oder den Veräußerungsgewinn erhöht, unterschiedlich beantwortet.
Soweit eine Rücklage für Preissteigerung in Frage steht, treten für eine Auflösung zugunsten des laufenden Gewinns ein Stockhausen (DStZ A 1961, 242), Seithel (Rechts- und Wirtschaftspraxis - RWP - 14 Steuerrecht D ESt II B 8a S. 59/62 und 63, und II B 8b S. 49/52) und das FG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 16. April 1970 I 1/69 (EFG 1970, 498). Für eine Erfassung der steuerfreien Rücklagen im Rahmen des tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns sprechen sich aus Theis (FR 1956, 524), Rau (DB 1956, 726), Blümich-Falk (Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 16 Anm. 7b am Ende) und wohl auch Herrmann-Heuer (a. a. O., 15. Aufl., § 16 Anm. 24).
Die Finanzverwaltung ist der Ansicht, daß bei Veräußerung oder Aufgabe eines Betriebs zwar eine Rücklage nach § 6b EStG zugunsten des tarifbegünstigten Veräußerungs- oder -aufgabegewinns aufzulösen sei (Abschn. 41b Abs. 7 EStR 1969), andere unversteuerte Rücklagen hingegen zugunsten des laufenden Gewinns aufzulösen seien (vgl. Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. Oktober 1968, DB 1968, 1969). Hingegen soll nach Meinung der Finanzverwaltung bei einer Veräußerung oder Aufgabe eines Betriebs ein Gewinn, der auf die Auflösung von durch einen Bewertungsabschlag für Importwaren nach § 80 EStDV bedingten stillen Reserven zurückgeht, zum tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn gehören (vgl. Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 1970, DB 1970, 1200). Hinsichtlich der Vergünstigungen des Entwicklungshilfssteuergesetzes vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, ein Gewinn, der durch die Auflösung der durch einen Bewertungsabschlag gebundenen stillen Reserven entstehe, sei dem tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn zuzurechnen, während ein Gewinn, der durch die Auflösung einer steuerfreien Rücklage im Zuge einer Betriebsveräußerung entstehe, den laufenden Gewinn erhöhe (vgl. Schreiben des BdF vom 24. März 1971, DB 1971, 796).
c) Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß eine in früheren Jahren gebildete und unter Beachtung des § 3 Abs. 4 AusfFördG im Zeitpunkt der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs noch nicht voll aufgelöste Ausfuhrförderungsrücklage in der Schlußbilanz nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG noch als Passivposten, der das bilanzierte Eigenkapital mindert, anzusetzen ist. Der Wegfall der Rücklage, der sich daraus ergibt, daß der Passivposten nicht wie eine Verbindlichkeit auf den Erwerber übergeht und auch vom Veräußerer nicht fortgeführt werden kann, erhöht deshalb den tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn des Veräußerers. Der Senat stützt diese Rechtsansicht auf folgende Überlegungen:
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 20. August 1964 IV 40/62 U (BFHE 80, 83, BStBl III 1964, 504) die Auffassung vertreten, eine Rücklage für Ersatzbeschaffung im Sinne von Abschn. 35 EStR könne nur unter der Voraussetzung gebildet werden und nur solange bestehenbleiben, als der Steuerpflichtige den Willen habe, ein Ersatzwirtschaftsgut zu beschaffen und damit die Rücklage zweckentsprechend zu verwenden. Nach dieser Entscheidung gehört somit zum Tatbestand der von der Rechtsprechung entwickelten Steuervergünstigung "Rücklage für Ersatzbeschaffung" als subjektives Element der Wille des Steuerpflichtigen zur Ersatzbeschaffung und damit zu einer zweckentsprechenden Verwendung der in der Rücklage steuerfrei gebundenen Mittel.
Demgegenüber ist den gesetzlichen Vorschriften über die Ausfuhrförderungsrücklage nicht zu entnehmen, daß diese Steuervergünstigung an ein gleichartiges subjektives Tatbestandsmerkmal geknüpft ist. Der Wortlaut der einschlägigen Rechtsnormen und deren Entstehungsgeschichte (vgl. dazu Bundestags-Drucksachen Nr. I/2061 und 2213) geben keinerlei Hinweise in diese Richtung. Der Zweck der Vorschrift dürfte allerdings darauf gerichtet gewesen sein, die Besteuerung der durch Ausfuhrlieferung und Leistung erzielten Gewinne hinauszuschieben, um damit einen allgemeinen Anreiz zu derartigen Lieferungen und Leistungen, insbesondere zu weiteren derartigen Lieferungen und Leistungen zu schaffen. Daraus läßt sich aber noch nicht ableiten, daß die Steuervergünstigung vom Willen des Steuerpflichtigen abhängig sein sollte, auch in Zukunft gleichartige Lieferungen und Leistungen zu erbringen. Denn wäre ein derartiger Wille Tatbestandselement der Steuervergünstigung, so müßte die Rücklage auch in Fällen eines betrieblichen Strukturwandels, insbesondere einer Einstellung weiterer Ausfuhrlieferungen aufgelöst werden. Da das Gesetz den Auflösungsfall ausdrücklich anspricht, sich aber damit begnügt, zu verfügen, daß die Rücklage in den auf die Bildung folgenden zehn Wirtschaftsjahren in gleichen Teilbeträgen aufzulösen ist, kann nicht angenommen werden, daß der Wille des Gesetzgebers auf die Einführung eines subjektiven Tatbestandsmerkmals der Steuervergünstigung "Wille zu weiteren Ausfuhrlieferungen und Leistungen" gerichtet war und dieser Wille im Gesetz auch zum Ausdruck gekommen ist. Vielmehr muß aus der gesetzlichen Regelung geschlossen werden, daß eine beabsichtigte Betriebsveräußerung ebenso wie ein beabsichtigter Strukturwandel noch nicht zur Auflösung einer zulässigerweise gebildeten Rücklage zwingt. Dies gilt um so mehr, als dem Gesetzgeber bei Einführung der Steuervergünstigung nicht verborgen geblieben sein kann, daß eine Veräußerung des Betriebs zur Realisierung der im Buchansatz des Betriebsvermögens ruhenden unversteuerten Reserven führt und Betriebsveräußerungsgewinne einem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
Dem Einkommensteuergesetz ist auch kein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, daß Steuervergünstigungen, die zu Lasten des laufenden, nach dem normalen Tarif besteuerten Gewinns in Anspruch genommen wurden, auch wieder zugunsten des laufenden, nach dem normalen Tarif besteuerten Gewinns aufzulösen sind. Hiervon geht auch die Verwaltungspraxis aus, wenn sie unversteuerte stille Reserven, die auf der Aktivseite der Bilanz durch erhöhte Absetzungen (z. B. nach § 7b EStG), durch Sonderabschreibungen (z. B. nach § 51 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 79 EStDV) oder durch Bewertungsabschläge und Bewertungsfreiheiten (z. B. nach § 51 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 80 EStDV oder nach § 6 Abs. 2 EStG) entstanden sind, oder unversteuerte stille Reserven, die auf objektbezogenen Wertberichtigungsposten der Passivseite beruhen (vgl. z. B. die Wertberichtigung nach § 7c EStG 1953), als Bestandteil des tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns ansieht. Nach Auffassung des erkennenden Senats fehlen - abgesehen vom Sonderfall der Rücklage für Ersatzbeschaffung - zureichende Gründe dafür, die durch Betriebsveräußerung bedingte Auflösung von unversteuerten Reserven verschieden zu behandeln, je nachdem, ob diese auf der Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen beruhenden Reserven gesetzestechnisch aktivisch oder passivisch gebildet werden und ob sie objektbezogen sind, also unmittelbaren Bezug zum Buchansatz einzelner Wirtschaftsgüter haben oder lediglich den Buchansatz des Betriebsvermögens insgesamt berühren.
Der Senat verkennt nicht, daß eine steuerfreie Rücklage ihrer Wirkung nach einer langfristigen Steuerstundung nahekommt, und daß der Zweck einer Steuervergünstigung in Form einer steuerfreien Rücklage demgemäß in erster Linie auf Gewährung einer langfristigen Steuerstundung und nicht etwa eines Steuererlasses gerichtet ist. Daraus läßt sich aber nicht ableiten, daß steuerfreie Rücklagen in jedem Falle zugunsten des laufenden normal versteuerten Gewinns aufzulösen sind. Denn auch Steuervergünstigungen in der Form von erhöhten Absetzungen, Sonderabschreibungen, Bewertungsabschlägen und Bewertungsfreiheiten führen zu langfristigen Steuerstundungen. Auch ihr Zweck ist demnach in erster Linie auf eine Steuerstundung und nicht etwa auf einen Steuererlaß gerichtet. Steuerfreie Rücklagen einerseits und erhöhte Absetzungen, Sonderabschreibungen, Bewertungsabschläge und Bewertungsfreiheiten andererseits sind deshalb als Instrumente der Steuerpolitik wirtschaftlich gleichwertig (vgl. Herrmann-Heuer, a. a. O., 15. Aufl., § 5 EStG, Anm. 60p [3] am Ende) und deshalb bei ihrem Wegfall durch Betriebsveräußerung auch gleich zu behandeln, soweit nichts anderes angeordnet ist. Denn es entspricht dem Wesen einer "Steuerstundung" mit bilanztechnischen Mitteln, daß sie sich im Hinblick auf die Veränderung der Besteuerungsgrundlagen und des Steuertarifs in einen teilweisen Steuererlaß verwandeln können.
Nicht überzeugen kann schließlich die im Schrifttum vereinzelt vertretene Auffassung, schon der Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG spreche dafür, daß Steuervergünstigungen in Form steuerfreier Rücklagen bei der Ermittlung des Werts des Betriebsvermögens zur Errechnung des Veräußerungsgewinns nicht zu berücksichtigen seien, weil § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG nur auf § 5 EStG, nicht hingegen auf die zur Rücklagenbildung berechtigenden Sondervorschriften verweise (vgl. Stockhausen, DStZ A 1961, 242). Diese Auffassung verkennt, daß nach § 5 EStG grundsätzlich die Wertansätze der Handelsbilanz maßgebend sind. Hieraus folgt, daß mindestens auf solche steuerfreien Rücklagen verwiesen ist, die freiwillig oder als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuervergünstigung auch in der Handelsbilanz gebildet sind. Dann kann aber aus Gründen der Gleichbehandlung nichts anderes gelten für steuerfreie Rücklagen, die ausnahmsweise unabhängig vom Wertansatz in der Handelsbilanz in Anspruch genommen werden können. Gerade im Hinblick auf die dargestellte Zweischneidigkeit der nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG vorzunehmenden Wertermittlung muß angenommen werden, daß auf die allgemeinen steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften Bezug genommen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 70682 |
BStBl II 1974, 3 |
BFHE 1974, 257 |