Entscheidungsstichwort (Thema)
Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, an wen ein einheitlicher und gesonderter Bescheid über die Feststellung von Kriegssachschäden an dem gewerblichen Betrieb einer OHG zuzustellen ist, wenn die OHG am 31. Dezember 1949 in Liquidation getreten ist.
Sind mehrere Liquidatoren vorhanden, die nur gemeinschaftlich handeln können (§ 150 Abs. 1 HGB), dann kann § 150 Abs. 2 Satz 2 HGB in Verbindung mit § 125 Abs. 2 Satz 3 HGB auf die Zustellung des Feststellungsbescheides nicht angewendet werden, weil insoweit § 219 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AO die Spezialnorm darstellt.
Normenkette
HGB § 150 Abs. 2 S. 2, § 125 Abs. 2 S. 3; AO § 22 Abs. 2 Nr. 1; 10-AbgabenDV-LA 46
Tatbestand
Der Bf. ist der Sohn und alleinige Erbe des im September 1948 verstorbenen Kaufmanns A. Letzterer war zusammen mit B. zu gleichen Teilen Inhaber der Firma X-OHG. Die OHG ging zum 31. Dezember 1949 in Liquidation.
Mit Bescheid vom Oktober 1955 nahm das Finanzamt gemäß § 46 der Zehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz (10. AbgabenDV-LA) eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Kriegssachschäden für den gewerblichen Betrieb der OHG vor. Nach dem bei den Akten befindlichen Berechnungsbogen war der Bescheid betreffend den gewerblichen Betrieb gerichtet an "X-OHG", und zwar mit der Anschrift des B.
Entscheidungsgründe
Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 171/57 U vom 1. April 1958 (BStBl 1958 III S. 285, Slg. Bd. 67 S. 35) vertreten die Vorinstanzen in übereinstimmung mit dem Bf. die Auffassung, die Zustellung des einheitlichen Feststellungsbescheids nur an den früheren geschäftsführenden Gesellschafter B., die sechs Jahre nach Auflösung der OHG erfolgt sei, habe zur Folge, daß der Bescheid dem Gesellschafter A. bzw. dessen Sohn, also dem Bf., gegenüber grundsätzlich nicht wirksam geworden sei. Diese rechtliche Folgerung wäre dann zwingend, wenn die OHG im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids überhaupt nicht mehr vorhanden gewesen wäre, d. h. nach Durchführung der Auseinandersetzung die volle Beendigung der Gesellschaft eingetreten wäre. Gemäß § 145 HGB findet nach der Auflösung der OHG, die in dem zur Entscheidung stehenden Fall unstreitig am 31. Dezember 1949 erfolgt ist, grundsätzlich die Liquidation statt. Aus den Akten ergibt sich, daß auch die X-OHG in Liquidation getreten ist. Die Liquidation ist offenbar insoweit, als es sich um den hier anhängigen Steuerprozeß handelt, heute noch nicht beendet.
Befand sich im Zeitpunkt der Zustellung des Feststellungsbescheids die OHG nicht mehr in Liquidation, war also die Auseinandersetzung der Gesellschafter und damit die Vollbeendigung der Gesellschaft bereits durchgeführt - bis auf die nach Beendigung dieses Steuerrechtsstreits etwa notwendig werdende Nachtragsauseinandersetzung -, und war dies auch im Handelsregister eingetragen, so ist die Zustellung des Feststellungsbescheids an den Bf. als nicht wirksam erfolgt anzusehen. Befand sich dagegen die OHG noch im Liquidationsstadium, dann wurde sie gerichtlich und außergerichtlich von den Liquidatoren vertreten (§ 149 HGB). Wer im Streitfall zur Zeit der Zustellung des Feststellungsbescheids Liquidator gewesen ist, läßt sich weder den Vorentscheidungen noch den Akten entnehmen. Waren beide Gesellschafter, also B. und der Bf., Liquidatoren der OHG (vgl. § 146 Abs. 1 Satz 1 HGB), so konnten sie die zur Liquidation gehörenden Handlungen grundsätzlich nur gemeinschaftlich vornehmen (§ 150 HGB). Zu solchen Handlungen rechnen auch die Erklärungen, die für die Liquidationsgesellschaft dem Finanzamt gegenüber abzugeben sind. Aus den Akten läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, wer Liquidator geworden und zur Zeit der Zustellung des Feststellungsbescheids gewesen war. Sollte B. allein Liquidator geworden sein bzw. sollte er gemäß § 150 HGB rechtlich befugt gewesen sein, einzeln zu handeln, dann würde die Zustellung des Feststellungsbescheids allein an B. ausreichen und es keiner zusätzlichen Zustellung an den Bf. bedürfen, um den Bescheid auch letzterem gegenüber in vollem Umfang wirksam werden zu lassen. Es wird hierzu auf die Ausführungen des erkennenden Senats im Urteil III 329/58 U vom 16. Juni 1961 (BStBl 1961 III S. 349, Slg. Bd. 73 S. 221) verwiesen. Da es von der Klärung dieser Frage abhängt, ob der Einspruch des Bf. möglicherweise als unzulässig zu verwerfen gewesen wäre, nämlich dann, wenn die Zustellung des Feststellungsbescheids an B. als alleinigem oder alleinbefugtem Liquidator wirksam für die noch im Liquidationsstadium befindliche Gesellschaft erfolgt wäre, die Zulässigkeit eines Rechtsmittels aber stets von Amts wegen zu prüfen ist, mußten die Vorentscheidungen auch aus diesem Grunde, nämlich wegen der Möglichkeit eines Rechtsirrtums, aufgehoben werden.
Das Finanzamt wird an Hand der Unterlagen der Gesellschaft und des Registergerichts zu prüfen haben, ob die OHG im Zeitpunkt der Zustellung des Feststellungsbescheids nicht mehr oder noch in Liquidation war. Traf letzteres zu, so wird weiter zu prüfen sein, ob B. in dem fraglichen Zeitpunkt alleiniger Liquidator bzw. Liquidator mit der Befugnis, allein handeln zu können, gewesen war, oder schließlich, ob B. und der Bf. in der fraglichen Zeit nur gemeinschaftlich handelnde Liquidatoren im Sinne des § 150 Abs. 1 HGB gewesen waren. Sollte letzteres der Fall gewesen sein, dann würde nach Ansicht des Senats § 150 Abs. 2 Satz 2 HGB in Verbindung mit § 125 Abs. 2 Satz 3 HGB auf die Zustellung des Feststellungsbescheids nicht angewendet werden können, weil insoweit im § 219 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AO die Spezialnorm zu erblicken ist. Ob der in der letzteren Vorschrift geforderte Hinweis auf die besondere Wirkung für und gegen alle Gesellschafter in dem streitigen Feststellungsbescheid enthalten war, lassen die Akten nicht erkennen. Auch dies wäre an Hand des vorzulegenden Bescheids nachzuprüfen. Fehlte ein solcher Hinweis, dann wäre der Feststellungsbescheid dem Bf. gegenüber nicht wirksam zugegangen.
Fundstellen
Haufe-Index 411856 |
BStBl III 1966, 104 |
BFHE 1966, 287 |
BFHE 84, 287 |