Leitsatz (amtlich)
Das FA ist zur Ablehnung eines Billigkeitserlasses von Lastenausgleichsabgaben befugt, selbst wenn es zur Gewährung des beantragten Erlasses nicht zuständig wäre. Auch wenn das FA einen solchen Erlaß ausdrücklich auf Anweisung der OFD ablehnt, bleibt dies eine Entscheidung des FA, gegen die das Rechtsmittel der Beschwerde an die OFD gegeben ist.
Normenkette
AO a.F. §§ 131, 304 Abs. 1; AO n.F. § 249 Abs. 1; LAG § 203 Abs. 1, 5, § 204
Tatbestand
Die Abgabeschuldnerin (Klägerin und Revisionsbeklagte) war am 21. Juni 1948 Eigentümerin eines Grundstücks mit den Hausnummern A, B und C. Die Gebäude auf dem Grundstücksteil C waren durch Kriegseinwirkung zerstört. Auf dem gesamten Grundstück lasteten Umstellungsgrundschulden. Der Grundstücksteil C wurde im Jahre 1951 mit Rücksicht auf den bevorstehenden Wiederaufbau der Gebäude aus der Pfandhaft entlassen und bildet nunmehr ein selbständiges Grundstück.
Das FA setzte die auf dem Restgrundstück (A + B) ruhende HGA fest. Es lehnte eine Herabsetzung der HGA nach § 104 LAG wegen Wiederaufbaus des aus der Pfandhaft entlassenen Grundstücks ab, weil bei Beginn des Wiederaufbaus (am 1. Juli 1951) keine öffentliche Last mehr auf diesem Grundstück ruhte. Der Bescheid wurde unanfechtbar.
Die Abgabeschuldnerin begehrte daraufhin, ihr die Abgabeschulden mit Wirkung ab 1. Juli 1951 aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO zu erlassen. Sie meint, es wären die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der HGA nach § 104 LAG erfüllt gewesen, wenn der Grundstücksteil C nicht aus der Haft entlassen worden wäre. Die Zahlung der HGA sei für sie eine unbillige Härte, da sie die Pfandentlassung nur beantragt habe, um den Wiederaufbau besser durchführen zu können. Sie habe die Auswirkungen auf das Herabsetzungsverfahren nach § 104 LAG nicht voraussehen können.
Das FA legte den Vorgang zunächst der ihm übergeordneten OFD (Beklagte und Revisionsklägerin) vor und lehnte den Erlaßantrag sodann "auf Anweisung der Oberfinanzdirektion" ab. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Das FG hob die Beschwerdeentscheidung der OFD und die Verfügung des FA auf. Es führte aus: Der BdF könne nach § 131 Abs. 3 AO Lastenausgleichsabgaben aus Billigkeitsgründen erlassen; er dürfe diese Befugnis auch auf nachgeordnete Stellen übertragen. Der BdF und die OFD hätten das Recht, Ausgleichsabgaben zu erlassen oder einen solchen Erlaß abzulehnen, aber nicht auf das FA übertragen. Es sei im übrigen unzulässig, das FA lediglich zu ermächtigen, Billigkeitserlasse abzulehnen, ihm aber das Recht vorzuenthalten, Erlasse zu gewähren. Denn nach § 304 AO i. d. F. vor Inkrafttreten der FGO - AO a. F. - seien Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur solche Verfügungen, die das FA auf die Beschwerde hin zurücknehmen oder ändern könne. Die Verfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD seien ersatzlos aufzuheben, da das FA nicht zur Ablehnung des Billigkeitserlasses und die OFD nicht als Beschwerdeinstanz zuständig gewesen seien. Die Finanzverwaltung habe den Erlaßantrag der Abgabeschuldnerin dem BdF zur Entscheidung vorlegen müssen.
Die OFD beantragte mit der Rechtsbeschwerde, das Urteil des FG aufzuheben. Sie rügte unrichtige Anwendung bestehenden Rechts. Sie meint, nach Abschn. B Nr. 4 des Erlasses der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom 27. Mai 1957 - 51/56 - S 1153 - 11 - (BStBl II 1957, 90) seien die FÄ unabhängig von der Höhe des begehrten Erlasses in jedem Fall berechtigt, Anträge auf Erlaß von Steuern im Sinne des § 131 Abs. 1 AO abzulehnen, wenn sie die Anträge nicht für begründet erachten. Diese Anweisung beziehe sich auch auf Anträge auf Erlaß von HGA.
Der BdF ist nach § 122 Abs. 2 FGO dem Revisionsverfahren beigetreten. Er schließt sich der Revisionsbegründung des FA an.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Die Abgabeschuldnerin begehrt einen Erlaß von HGA gemäß § 131 AO. Nach dieser Vorschrift können Steuern und sonstige Geldleistungen ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. § 131 AO gilt gemäß § 203 Abs. 1 LAG auch für den Erlaß von Lastenausgleichsabgaben. Der Gesetzgeber hat den BdF in § 203 Abs. 5 LAG allerdings ermächtigt, die Anwendung des § 131 AO auf Lastenausgleichsabgaben durch besondere Verwaltungsanweisungen zu regeln. Auf Grund dieser Ermächtigung hat der BdF in mehreren Verwaltungsanordnungen Richtlinien für die Anwendung des § 131 AO für bestimmte Gruppen von Tatbeständen erlassen. Für den hier vorliegenden Sachverhalt besteht keine präzisierte Gruppenregelung. Das schließt die unmittelbare Anwendung des § 131 AO aber nicht aus.
Nach § 131 Abs. 3 Satz 1 AO steht die Befugnis, Steuern und sonstige Geldleistungen ganz oder teilweise zu erlassen, "der obersten Finanzbehörde der Körperschaft, die die Steuer verwaltet, oder den von ihr bestimmten Stellen zu". Nach Satz 2 dieser Vorschrift wird hierdurch die Regelung in § 203 Abs. 5 LAG nicht berührt. Der BdF konnte daher die Befugnis zum Erlaß von Lastenausgleichsabgaben nach § 203 Abs. 5 LAG durch Verwaltungsanordnungen auf andere Stellen übertragen, da die Ermächtigung, die Anwendung des § 131 AO durch Verwaltungsanweisungen zu regeln, auch das Recht umfaßt, die Zuständigkeit für die Gewährung eines Erlasses von Lastenausgleichsabgaben zu bestimmen. Der BdF hat die Befugnis zur Gewährung von Billigkeitserlassen nach § 131 AO in HGA-Fällen, für die er keine speziellen Anordnungen getroffen hat, im Erlaß IV C/5 - LA 2611 6/55 vom 6. April 1955 (Lastenausgleichskartei, Karte 7 vor § 129 LAG) in Verbindung mit der Bekanntgabe des Ergebnisses der 16. HGA-Länderreferentenbesprechung bis zum Erlaß von Abgabebeträgen von 5 000 DM auf die obersten Landesfinanzbehörden delegiert. Die obersten Landesfinanzbehörden dürfen nach der Anweisung des BdF die Erlaßbefugnis an die OFD, vorbehaltlich späterer Anordnungen aber nicht an die FÄ weitergeben.
Das FA war entgegen der Auffassung des FG jedoch befugt, den Erlaßantrag der Abgabeschuldnerin auf Grund eigener Zuständigkeit abzulehnen. Welche Behörden Erlaßanträge ablehnen dürfen, hat der Gesetzgeber in § 131 AO nicht geregelt. Der Abs. 3 dieser Vorschrift befaßt sich nur mit der Befugnis zur Gewährung eines Erlasses aus Billigkeitsgründen nach Abs. 1 und zur Aufstellung von Richtlinien für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen nach Abs. 2. Die Zuständigkeit des FA zur Ablehnung eines Erlasses von HGA ergibt sich im Streitfall aber aus Abschn. B Nr. 4 des von der OFD zitierten Erlasses der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom 27. Mai 1957 (a. a. O.), der die FÄ und die OFD ermächtigte, "unabhängig von der Höhe des Betrages in jedem Falle ... Anträge auf Stundung nach § 127 AO und auf Erlaß im Sinne des § 131 Abs. 1 AO abzulehnen, wenn die Anträge nicht für begründet erachtet werden". Diese sogenannte "gemeinsame Anordnung" bezieht sich gemäß der Überschrift des Erlasses vom 27. Mai 1957 auf Stundung und Erlaß aller "Landessteuern und der vom Land verwalteten Bundessteuern und sonstigen Abgaben" und somit auch auf die Ablehnung von Stundungs- und Erlaßgesuchen bei der HGA. Sie entspricht insoweit der sich unmittelbar aus § 204 LAG ergebenden Rechtslage. Der Gesetzgeber übertrug mit dieser Vorschrift die Verwaltung der Lastenausgleichsabgaben direkt den sogenannten "Landesfinanzbehörden" als Auftragsverwaltung (vgl. auch die Ermächtigung in Art. 108 Abs. 1 Satz 4 GG). Behörden im Sinne des § 204 LAG sind nach § 2 Abs. 1 FVG vom 6. September 1950 (BGBl 1950, 448) auch die FÄ als örtliche Behörden und die OFD als Mittelbehörden (vgl. auch Kühne-Wolff, Die Gesetzgebung über den Lastenausgleich, § 204 LAG Anm. 3). Im Rahmen der Auftragsverwaltung haben sie alle Aufgaben zu erfüllen, die mit der Festsetzung, Erhebung und Beitreibung der Lastenausgleichsabgaben zusammenhängen, soweit keine Sonderbestimmungen eingreifen. Zur Verwaltung der Lastenausgleichsabgaben gehört grundsätzlich auch die Befugnis zur Gewährung und Ablehnung von Billigkeitserlassen. Für die Gewährung von Billigkeitserlassen von HGA bestehen jedoch - wie ausgeführt - besondere Zuständigkeitsregelungen. Sie berühren aber nicht das den FÄ im Rahmen des § 204 LAG verliehene Recht, Anträge auf Erlaß von HGA in eigener Zuständigkeit abzulehnen.
Das FG meint, den FÄ die Befugnis zur Ablehnung von Billigkeitserlassen zu übertragen, ihnen aber das Recht zur Gewährung von Billigkeitserlassen vorzuenthalten, sei deshalb nicht zulässig, weil sie dann einer Beschwerde nicht nach § 304 Abs. 1 AO a. F. bzw. § 249 Abs. 1 AO n. F. abhelfen könnten. Der Senat tritt dieser Ansicht nicht bei. § 304 Abs. 1 AO a. F. und § 249 Abs. 1 AO n. F. sind Vorschriften des Rechtsbehelfsverfahrens. Sie regeln nicht die funktionelle Zuständigkeit der FÄ zum Erlaß beschwerdefähiger Verwaltungsentscheidungen, sondern setzen eine entsprechende Zuständigkeit der FÄ voraus. Sie gehen davon aus, daß die FÄ regelmäßig auf Grund eigenen Entschlusses - und nicht wie im Streitfall auf Anweisung der OFD - den mit einer Beschwerde angefochtenen Verwaltungsakt erlassen haben. Das FA kann in einem solchen Fall nämlich seine ablehnende Entscheidung aufheben und den Antrag des Steuerpflichtigen befürwortend an die OFD weiterleiten (vgl. Urteil V 86/65 vom 27. Oktober 1966, BFH 87, 206, BStBl III 1967, 98).
Das FA konnte auch im Streitfall den Erlaßantrag der Abgabeschuldnerin ablehnen. Es hatte zwar vor Ablehnung des Erlaßantrags die Vorgänge der OFD zugesandt und im Bescheid die Ablehnung ausdrücklich auf die "Anweisung der Oberfinanzdirektion" gestützt. Der Bescheid war aber trotzdem eine eigene Entscheidung des FA, und nicht eine solche der OFD. Wenn auch die OFD mit der Sache schon einmal durch die Vorlage des FA befaßt war, so blieb sie dennoch als die im Verhältnis zum FA nächsthöhere Behörde nach § 304 Abs. 2 Satz 2 AO a. F. (§ 249 Abs. 2 Satz 2 AO n. F.) zuständig für die Entscheidung über eine von der Abgabeschuldnerin etwa eingelegte Beschwerde (vgl. Urteile des BFH III 365/59 U vom 16. Februar 1962, BFH 74, 548, BStBl III 1962, 204, und III 107/65 vom 22. November 1968, BFH 94, 411, BStBl II 1969, 204).
Das FG ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, das FA und die OFD wären zur Ablehnung des Erlaßantrages bzw. zur Entscheidung über die Beschwerde nicht befugt gewesen. Der Senat hebt deshalb das Urteil auf und verweist die Sache an das FG zurück. Das FG muß nunmehr nach § 102 FGO darüber entscheiden, ob FA und OFD bei Ablehnung des Erlaßantrages die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten haben (vgl. auch Urteil des Senats III R 101/66 vom 24. Oktober 1969, BFH 97, 553, BStBl II 1970, 275).
Fundstellen
BStBl II 1970, 445 |
BFHE 1970, 383 |