Leitsatz (amtlich)
Ist die besondere Feststellung des nachzuversteuernden Betrages im Sinne von § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG im Steuerbescheid für das Jahr des nicht entnommenen Gewinns unterblieben, so kann sie durch eine Ergänzung dieses Bescheides nachgeholt werden. Der VIII. Senat führt insoweit die Rechtsprechung des VI. Senats des BFH im Urteil vom 24. Oktober 1958 VI 76-77/58 U (BFHE 68, 119, BStBl III 1959, 46) fort.
Normenkette
EStG § 10a
Tatbestand
Streitig ist, ob die nach § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG vorgesehene besondere Feststellung des als steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Teils der Gewinne nachgeholt werden kann.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatten für die Jahre 1964, 1965 und 1966 die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10a EStG in Anspruch genommen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) unterließ in den Einkommensteuerbescheiden für diese Jahre die in § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG, § 45 Abs. 3 EStDV vorgesehene besondere Feststellung der als steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Beträge.
Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1967 nahm das FA in Höhe des gesamten als steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Betrages die Nachversteuerung vor, weil die Kläger einen Verlust in Höhe von 73 859 DM erlitten und Entnahmen in Höhe von 41 542 DM getätigt hatten. Mit ihrem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1967 wandten die Kläger ein, die Nachversteuerung hätte nicht vorgenommen werden dürfen, weil die im Gesetz vorgesehene besondere Feststellung des als steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Betrages bei den Veranlagungen für 1964, 1965 und 1966 unterblieben sei. Das FA erließ daraufhin am 17. Juli 1970 einen als "Feststellungsbescheid" bezeichneten Bescheid, in dem es die bei den Veranlagungen für 1964, 1965 und 1966 nach § 10a EStG steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Beträge zum Zwecke der Nachversteuerung besonders feststellte. Den Einspruch der Kläger gegen den Steuerbescheid 1967 wies es daraufhin als unbegründet zurück. Diese Entscheidung wurde unanfechtbar.
Gegen den während des Einspruchsverfahrens wegen Einkommensteuer 1967 ergangenen "Feststellungsbescheid" legten die Kläger erfolglos Einspruch ein. Ihre Klage wies das FG als unbegründet ab. Es wertete die besondere Feststellung nach § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG als selbständig anfechtbaren Feststellungsbescheid, der als solcher jederzeit nachgeholt werden könne (Urteil des BFH vom 24. Oktober 1958 VI 76-77/58 U, BFHE 68, 119, BStBl III 1959, 46).
In ihrer Revision führen die Kläger im wesentlichen aus: Der vom FA erlassene Feststellungsbescheid sei rechtsunwirksam, weil er in den §§ 213, 220, 223 AO keine Stütze finde. Die Fälle, in denen ein Feststellungsbescheid erlassen werden könne, seien in der Reichsabgabenordnung erschöpfend aufgezählt. Wenn der BFH im Urteil VI 76-77/58 U die Ansicht vertrete, daß die besondere Feststellung im Sinne des § 10a EStG ohne weiteres nachgeholt werden könne, weil für sie nichts anderes zu gelten habe als für einen Feststellungsbescheid, so müsse dem entgegengehalten werden, daß gerade wegen der besonderen Betrachtungsweise für einen Feststellungsbescheid nach § 10a EStG die Vorschriften der Reichsabgabenordnung nicht angewendet werden könnten. Wenn diese Bestimmungen gelten sollten, bräuchte der Gesetzgeber nicht ausdrücklich anzuordnen, daß die als steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Beträge "bei der Veranlagung" (§ 10a Abs. 1 letzter Satz EStG) und "im Steuerbescheid" (§ 45 Abs. 3 EStDV) besonders festzustellen seien. Der klare Wortlaut dieser Regelungen spreche dafür, daß es dem Gesetzgeber entscheidend darauf ankam, die besondere Feststellung zeitnah (bei der Veranlagung) treffen zu lassen. Im Urteil vom 13. November 1964 VI 270/63 U (BFHE 81, 662, BStBl III 1965, 237) habe der BFH bestätigt, daß der nachzuversteuernde Betrag bei der Veranlagung besonders festzustellen und im Steuerbescheid auszuweisen sei. Die bei der Veranlagung getroffene Entscheidung habe, wie der BFH ausdrücklich festgestellt habe, eine Bindungswirkung für die Zukunft. Das FA sei deshalb an seine Entscheidung gebunden, die es hinsichtlich des nachzuversteuernden Betrages getroffen und dem Steuerpflichtigen durch den Einkommensteuerbescheid in Verbindung mit dem selbständig anfechtbaren Feststellungsbescheid (Teil des Einkommensteuerbescheides) bekanntgemacht habe. Wenn das FA bei der Veranlagung überhaupt keine Entscheidung getroffen habe, könne es diese nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht mehr nachholen, weil sich eine solche Entscheidung eben nur bei der Veranlagung und nicht zu einem späteren Zeitpunkt treffen lasse. Der Steuerbürger müsse davon ausgehen können, daß gültig zustande gekommene Steuergesetze, deren Wortlaut klar und eindeutig ist, und die mit dem Gesetzeszweck in Einklang stehen, beachtet werden. In einem solchen Fall müsse der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gegenüber dem Grundsatz der Rechtssicherheit zurücktreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, daß der Feststellungsbescheid des FA vom 17. Juli 1970 rechtswirksam ist.
1. Die in ihm getroffene, in § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG, § 45 Abs. 3 Satz 1 EStDV vorgesehene besondere Feststellung des als steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Teiles der Summe der Gewinne ist ein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt (Feststellungsbescheid). Diese besondere Feststellung kann, wie der BFH im Urteil VI 270/63 U ausgeführt hat, nicht als unselbständiger Teil des Einkommensteuerbescheides für das Jahr des nicht entnommenen Gewinns angesehen werden (§ 213 Abs. 1 AO), weil sie mit den Besteuerungsgrundlagen des Einkommensteuerbescheides dieses Jahres nichts zu tun hat. Sie tritt, selbst wenn sie im Steuerbescheid getroffen wird, als selbständige Verfügung neben die Steuerfestsetzung. Dabei kommt ihr die Aufgabe zu, für eine künftige Steuerfestsetzung die Höhe des für eine Nachversteuerung in Betracht kommenden Betrages verbindlich festzusetzen. Dies ergibt sich aus § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG. Es handelt sich bei dem nachzuversteuernden Betrag um eine besonders geartete Besteuerungsgrundlage des Mehrentnahmejahres, die zwar keine Einkunft im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG darstellt, jedoch wie eine Einkunft behandelt wird (vgl. Urteile des BFH vom 16. Februar 1956 IV 149/55 U, BFHE 62, 342, BStBl III 1956, 127; vom 30. August 1957 IV 114/56 U, BFHE 66, 51, BStBl III 1958, 22). Wegen der Funktion, diese Besteuerungsgrundlage verbindlich festzustellen, hielt der BFH im Urteil VI 270/63 U gegen die besondere Feststellung im Sinne des § 10a EStG den Einspruch für statthaft, obwohl in § 229 AO in der Fassung vor dem Inkrafttreten der FGO vom 6. Oktober 1965 dieser Rechtsbehelf für eine solche Feststellung nicht ausdrücklich vorgesehen war. Für besondere Feststellungen von nachzuversteuernden Beträgen, die nach dem 31. Dezember 1965 ergingen, wie dies im Streitfall zutrifft, gilt § 229 AO n. F. Danach ist der Einspruch gegen alle Bescheide gegeben, die für die Festsetzung von Abgaben verbindlich sind (§ 229 Nr. 2 AO). Zu diesen Bescheiden gehört auch die besondere Feststellung nach § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG (vgl. v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 229 AO Anm. 12).
Der Entscheidung, die besondere Feststellung im Sinne von § 10a EStG als selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt zu behandeln, steht § 213 Abs. 2 AO nicht entgegen. Diese Vorschrift kann im Gegensatz zur Ansicht der Kläger nicht so ausgelegt werden, als seien selbständig anfechtbare Grundlagenbescheide nur möglich, soweit sie in ihr ausdrücklich zugelassen sind. § 213 Abs. 2 AO ist lediglich einfaches Gesetz, das der Disposition durch den Gesetzgeber zugänglich ist. Er kann diese Vorschrift durch formelles Gesetz ändern, aufheben oder erweitern. Er kann deshalb auch außerhalb dieser Bestimmung Fälle schaffen, bei denen eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen getroffen werden kann, und die analog zu den in der Reichsabgabenordnung geregelten Fällen gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen zu beurteilen sind.
2. Der angefochtene Feststellungsbescheid ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die in ihm getroffene besondere Feststellung der nachzuversteuernden Beträge zeitlich nach Abschluß der Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1964, 1965 und 1966 vorgenommen und nicht in die Einkommensteuerbescheide für diese Jahre aufgenommen wurde.
Zwar ist nach § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG die besondere Feststellung des als steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Betrages "bei der Veranlagung" zu treffen. Doch kann aus dieser Bestimmung nicht geschlossen werden, wie die Kläger dies tun, daß die besondere Feststellung nur zusammen mit der Veranlagung für das Jahr des nicht entnommenen Gewinns und nicht zu einem späteren Zeitpunkt ergehen könne mit der Folge, daß, wenn die besondere Feststellung unterlassen wurde, eine Nachversteuerung in einem späteren Mehrentnahmejahr ausgeschlossen sei. Dieses Ergebnis wäre mit § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG unvereinbar. Nach dieser Vorschrift ist, wenn in einem der auf die Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung folgenden drei Jahre bei dem Steuerpflichtigen oder seinem Gesamtrechtsnachfolger die Entnahmen aus dem Betrieb die Summe der bei der Veranlagung zu berücksichtigenden Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft und aus Gewerbebetrieb übersteigen, der übersteigende Betrag (Mehrentnahme) bis zur Höhe des besonders festgestellten Betrages (Abs. 1 letzter Satz) dem Einkommen im Jahr der Mehrentnahme zum Zwecke der Nachversteuerung hinzuzurechnen. Diese Bestimmung macht deutlich, daß die Frage, ob eine Nachversteuerung dem Grunde nach vorzunehmen ist, nicht von dem Vorhandensein eines besonders festgestellten Betrages abhängig ist. Der besonders festgestellte Betrag hat, wie oben dargestellt, nur die Funktion, die Höhe der Nachversteuerung zu begrenzen. Die Bedeutung einer materiellen Voraussetzung für die Nachversteuerung kommt ihm nicht zu (Urteil des FG Suttgart vom 2. Oktober 1956 I 15/56, EFG 1957, 83; Urteil des FG Düsseldorf, Kammern in Köln, vom 27. September 1957 V 54/57 E, EFG 1958, 167, bestätigt durch BFH-Urteil vom 24. März 1959 VI 18/58, nicht veröffentlicht; Littmann in FG 1957, 32; Ruoff in FR 1957, 218). Bei dieser Zweckrichtung der besonderen Feststellung kann der Begriff "bei der Veranlagung" in § 10a Abs. 1 letzter Satz EStG nur so verstanden werden, daß die besondere Feststellung in einem sachlichen und nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Veranlagung für das Jahr des nicht entnommenen Gewinns zu treffen ist. Dieser sachliche Zusammenhang kann auch noch nachträglich hergestellt werden, so daß eine Nachholung der besonderen Feststellung möglich ist (vgl. im Ergebnis BFH-Urteil VI 76-77/58 U).
Bei einer solchen Nachholung ist es nicht erforderlich, die Steuerfestsetzung des Jahres, in dem die Steuerbegünstigung des § 10a EStG in Anspruch genommen wurde, zu wiederholen, um dem Erfordernis des § 45 Abs. 3 Satz 1 EStDV, wonach die besondere Feststellung des steuerbegünstigt in Anspruch genommenen Betrages "im Steuerbescheid" für das Jahr des nicht entnommenen Gewinns vorzunehmen ist, zu genügen. Die Nachholung der in § 10a Abs. 1 EStG vorgesehenen Feststellung kann auch, wie im Streitfall geschehen, in einem besonderen Feststellungsbescheid erfolgen. Dieser Bescheid ist dann als Ergänzungsbescheid zu der Steuerfestsetzung für das Jahr des nicht entnommenen Gewinns anzusehen. § 216 AO ist insoweit auf die Nachholung der besonderen Feststellung nach § 10a EStG entsprechend anzuwenden, auch wenn dieser Feststellungsbescheid nicht eine Feststellung ergänzt, sondern die gesamte Feststellung nachholt (so auch Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, § 216 Anm. 5 Abs. 6).
Bei dieser Rechtslage läßt sich unter den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nichts gegen ein Nachholen der besonderen Feststellung anführen. Denn mit dem bloßen Unterlassen der Feststellung bei der Veranlagung wird nicht ausgesprochen, daß eine besondere Feststellung nicht zu treffen und eine Nachversteuerung zu unterlassen war.
Fundstellen
Haufe-Index 70371 |
BStBl II 1973, 387 |
BFHE 1973, 315 |