Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis der Bevollmächtigung
Leitsatz (NV)
- Der Nachweis der Bevollmächtigung ist ordnungsgemäß erbracht, wenn sich aus einem Begleitschreiben ergibt, dass sich die vorgelegte Vollmacht auf das konkrete Klageverfahren bezieht.
- Ein etwaiger Verstoß des Klägers gegen prozessuale Mitwirkungspflichten rechtfertigt es nicht, einen Widerruf der Bevollmächtigung zu unterstellen.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat durch seinen Prozessbevollmächtigten (P) beim Finanzgericht (FG) Klage wegen Einkommensteuer 1986 erhoben. Der Klage war eine auf P lautende, vom Kläger und seiner Ehefrau unterschriebene undatierte Prozessvollmacht beigefügt. Nach dem formularmäßig verfassten Text wird P u.a. bevollmächtigt, die Unterzeichner in ihren Steuerangelegenheiten vor allen Gerichten, Finanzämtern, Steuer- und sonstigen Behörden zu vertreten, gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe "abzuschließen", sonstige verbindliche Erklärungen abzugeben und rechtsverbindliche Unterschrift zu leisten.
Das FG hatte Zweifel an der Bevollmächtigung des P, da dieser monatelang untätig blieb und in zahlreichen ähnlich gelagerten Verfahren Kläger erklärt hatten, P habe Klage ohne ihr Wissen und z.T. gegen ihren ausdrücklichen Willen erhoben. Mit Schreiben vom 31. März 1998 forderte das FG den Kläger auf, mitzuteilen, ob P von ihm für den Rechtsstreit bevollmächtigt sei. Mit Schreiben vom 5. Mai 1998 wiederholte das FG unter Hinweis auf die prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers die Anfrage und kündigte mit weiterem Schreiben vom 17. Juli 1998 an, ein Schweigen als fehlende Zustimmung zur Prozessführung durch P auszulegen. Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert.
Das FG wies die Klage ―nachdem der Rechtsstreit durch Beschluss vom 29. Oktober 1998 auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden war― als unzulässig ab, weil mangels Bezugs auf das konkrete Klageverfahren keine wirksame Prozessvollmacht vorgelegen habe. Die Kosten des Verfahrens habe P zu tragen, da er die erfolglose Prozessführung verursacht habe. Die Revision ließ das FG zu, weil der Frage einer stillschweigenden Genehmigung zweifelbehafteter Prozessvollmachten durch den Kläger grundsätzliche Bedeutung zukomme.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§ 76 Abs. 2 und 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die von dem Kläger eigenhändig unterschriebene Prozessvollmacht habe den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. März 1991 III R 112/89 (BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726) und der ständigen Rechtsprechung des VI. Senats des BFH entsprochen und P speziell für das Klageverfahren sowie das eingelegte Rechtsmittel wirksam bevollmächtigt. P sei intern vom Kläger ermächtigt worden, den notwendigen Bezug zum konkreten Klageverfahren selbst herzustellen. Der Kläger hätte auf das Schreiben des FG die Klage nicht zurückgezogen und durch sein Schweigen die Prozessführung ausdrücklich gebilligt. Die Entscheidung des FG hätte nicht durch den Einzelrichter ergehen dürfen. Die Kosten des Revisionsverfahrens seien nach § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) der Staatskasse aufzuerlegen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an den Vollsenat des FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Revision ist zulässig.
P ist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des FG ermächtigt. Nach dem Inhalt der im Klageverfahren vorgelegten Vollmacht erstreckt sich diese auf die Vertretung des Klägers vor allen Gerichten, also auch vor dem BFH. Bei der Formulierung "gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe abzuschließen" handelt es sich offensichtlich um ein Versehen; die Vollmacht ist dahin gehend auszulegen, dass P auch zur Einlegung von Rechtsbehelfen ermächtigt ist.
2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die vorgelegte Vollmachtsurkunde genügt den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Nachweis der Bevollmächtigung.
a) Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO können sich die Beteiligten vor Gericht durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Bevollmächtigung ist durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO), aus der hervorgeht, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde (vgl. Urteil des BFH in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726).
Diesen Anforderungen entspricht die auf P lautende und vom Kläger unterzeichnete Vollmacht. Die Vollmacht bezieht sich erkennbar auf das vorliegende Klageverfahren, weil sie der Klageschrift beigefügt war. Dass sich dieser Bezug aus der Vollmacht selbst ergibt, ist nicht erforderlich. Ein Prozessbevollmächtigter ist vielmehr befugt, für eine ihm überlassene Blankovollmacht oder ein zunächst unvollständig ausgefülltes Vollmachtsformular ―entsprechend seiner internen Ermächtigung― den erforderlichen Bezug zum konkreten Rechtsstreit selbst herzustellen, indem er die notwendigen Angaben in das Formular einträgt oder dieses zwar unvollständig belässt, aber einem dem FG übersandten Schriftsatz beiheftet, der den konkreten Rechtsstreit bezeichnet (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 29. Juli 1997 IX R 20/96, BFHE 183, 369, BStBl II 1997, 823; vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445). Dass die Geltungsdauer der Vollmacht nicht zeitlich befristet ist, begründet keine Zweifel an der Legitimation des Bevollmächtigten, weil auch General- und Dauervollmachten wirksam sind. Wegen des gegebenen Bezugs zum Klageverfahren steht der Wirksamkeit der Vollmacht auch nicht entgegen, dass sie undatiert ist (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 20. September 1991 III R 118/89, BFH/NV 1992, 521).
b) Soweit das FG aufgrund anderer bei ihm anhängiger Verfahren Anlass hatte, die Wirksamkeit der Vollmachtsurkunde anzuzweifeln, war es zwar gehalten, das Vorliegen der Vollmacht zu prüfen (vgl. § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO). Aus dem Schweigen des Klägers auf die Anschreiben des FG kann jedoch weder gefolgert werden, die Vollmacht sei widerrufen worden, noch stellt es einen solchen Widerruf dar. Wäre der Kläger nicht mit der Prozessführung des P einverstanden gewesen, hätte er dies dem Gericht mitteilen können (BFH-Urteil in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445). Da dies nicht geschehen ist, haben sich die Zweifel des FG an der Bevollmächtigung des P nicht erhärtet. Auch ein etwaiger Verstoß des Klägers gegen prozessuale Mitwirkungspflichten rechtfertigt es nicht, einen Widerruf der Vollmacht zu unterstellen. Darüber hinaus ist die Erteilung einer Vollmacht Prozesshandlung, für deren Wirksamkeit und Umfang es entscheidend auf den in der Urkunde verkörperten objektiven Erklärungswert ankommt (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 521). Ein Widerruf der vom Kläger so allgemein ausgefüllten Vollmacht wäre dem Gericht ausdrücklich anzuzeigen (BFH-Beschluss vom 27. April 1971 II 59/65, BFHE 101, 469, BStBl II 1971, 403). Dies ist jedoch nicht geschehen. Nach alledem ist von der Wirksamkeit der Vollmachtsurkunde auszugehen. Entsprechendes gilt für das Vorliegen einer internen Ermächtigung des P durch den Kläger, den in der Urkunde selbst zunächst fehlenden Bezug zu einem konkreten Rechtsstreit herzustellen.
c) Der Senat ist als Revisionsgericht nicht durch § 118 Abs. 2 FGO gehindert, das Vorliegen einer Prozessvollmacht zu überprüfen. Denn der ordnungsgemäße Nachweis der Bevollmächtigung gehört zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen, von deren Vorliegen die Zulässigkeit der auf sachliche Entscheidung gerichteten Klage abhängt (BFH-Urteile vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731; in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445).
3. Dem Antrag des Klägers auf Zurückverweisung an den Vollsenat kann nicht entsprochen werden, weil die Rechtssache weder besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 FGO) noch ihr grundsätzliche Bedeutung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 FGO) zukommt.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Revisionsverfahren kann nicht abgesehen werden. Eine unrichtige Sachbehandlung i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG liegt nur vor, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat oder der Verstoß offen zutage tritt. Ein solcher Verstoß des FG ist hier nicht gegeben.
Fundstellen
BFH/NV 2002, 922 |
NWB 2002, 1862 |
AO-StB 2002, 254 |