Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 20. September 1963 VI 24/62 U, BFHE 77, 716, BStBl III 1963, 583) fest, daß ein unzulässigerweise, aber bestandskräftig durchgeführter Lohnsteuer-Jahresausgleich einer Einkommensteuer-Veranlagung des Steuerpflichtigen für das gleiche Jahr nicht entgegensteht.
Normenkette
EStG 1969 § 46; JAV 1970 § 4 Abs. 3
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind für 1969 erstmals zur Einkommensteuer veranlagt worden, nachdem sie für dieses Jahr einen Antrag auf gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt hatten. Auch für 1970 stellten sie einen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich. Darin gaben sie ihre Einkünfte zutreffend mit 10 336,27 DM aus nichtselbständiger Arbeit der Ehefrau und mit einem monatlichen vorgezogenen Altersruhegeld von 716,50 DM des Ehemannes an. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) führte auf Grund dieses Antrags den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970 durch und erstattete den Klägern 272 DM Lohnsteuer und die entsprechende Kirchensteuer.
Bei der Einkommensteuer-Veranlagung der Kläger für 1971 fiel dem FA auf, daß für 1970 keine Veranlagung erfolgt war. Es führte sodann die Einkommensteuer-Veranlagung 1970 entsprechend den Angaben im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970 durch. Diese Veranlagung ergab eine Nachforderung von 405 DM Einkommensteuer und von einer entsprechenden Kirchensteuer. Der Einspruch der Kläger gegen die Einkommensteuer-Veranlagung 1970 hatte keinen Erfolg.
Auf die Klage hob das FG den Einkommensteuerbescheid 1970 auf. Es führte im wesentlichen aus: Die Veranlagung sei unrechtmäßig gewesen, weil - wenn auch unzulässigerweise - bereits ein Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt worden sei. Eine Änderung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs sei nicht möglich, weil die Voraussetzungen für die Anwendung der §§ 92, 96, 94, 222 AO nicht erfüllt seien. Eine dem Lohnsteuer-Jahresausgleich folgende Einkommensteuer-Veranlagung habe deshalb unterbleiben müssen, weil sie den bereits durchgeführten und bestandskräftig gewordenen Lohnsteuer-Jahresausgleich notwendigerweise gegenstandslos machen oder zumindest ändern würde. Das sei nach den Vorschriften der AO jedoch ausgeschlossen. Die Entscheidung könne auch mit Rücksicht darauf, daß ein schriftlicher Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970 nicht ergangen sei, nicht anders ausfallen. Denn der Bescheid des FA sei hier in der Erstattung der Lohnsteuer nach Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs zu sehen. Im übrigen stünden auch die Grundsätze von Treu und Glauben einer Veranlagung entgegen, weil die Kläger im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich zutreffende Angaben gemacht hätten und deshalb in gleicher Weise wie für 1969 auf Grund dieser Angaben hätten veranlagt werden können und müssen.
Mit der Revision, die das FG zugelassen hat, macht das FA eine Verletzung des § 46 EStG geltend. Es trägt vor: Entscheidungen im Lohnsteuerabzugsverfahren seien, selbst wenn ein schriftlicher Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich erteilt werde, was hier jedoch nicht der Fall gewesen sei, für das Veranlagungsverfahren grundsätzlich nicht bindend. Der Lohnsteuer-Jahresausgleich sei im Verhältnis zum Lohnsteuerabzug ein Abschluß, nicht aber auch im Verhältnis zur veranlagten Steuer. Auch Treu und Glauben stünden einer Veranlagung nicht entgegen. Die unzulässige Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs berechtige nicht ohne weiteres zu der Annahme, daß nunmehr eine Veranlagung ausgeschlossen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Nach § 4 Abs. 3 der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich in der für das Streitjahr geltenden Fassung hat das FA den Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer für das Ausgleichsjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Im Streitfall war für das Jahr 1970 gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Veranlagung unstreitig geboten, weil die Einkünfte (Rente) der Kläger, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgeommen worden war, 800 DM überstiegen haben. Zu Unrecht geht das FG davon aus, der somit unzulässigerweise durchgeführte Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1970 schließe eine Veranlagung für das gleiche Jahr aus.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970 im Streitfall gemäß den vom FG angeführten Vorschriften der AO (§§ 92, 96, 94, 222) geändert, berichtigt, widerrufen oder auf sonstige Weise zurückgenommen werden kann. Denn die Einkommensteuer-Veranlagung für 1970 ist im Verhältnis zum Lohnsteuer-Jahresausgleich für das gleiche Jahr ein selbständiges Verfahren. Sie endet mit einem erstmaligen Veranlagungsbescheid, der den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich - sei er schriftlich oder nur mittelbar in Form der Erstattung der Lohnsteuer erteilt - nicht ändert oder sonstwie berichtigt, ihn vielmehr ohne Aufhebung gegenstandslos macht.
Es ist allgemein anerkannt, daß das Veranlagungsverfahren selbständig neben dem Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren steht. Das FA und der Steuerpflichtige sind im Veranlagungsverfahren deshalb an die im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren ergangenen Entscheidungen weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht gebunden (vgl. Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Aufl., Einführung Bl. 8, 1; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 2. Bd., § 46 Anm. 6 a; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Veranlagung, Anm. 1 c; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 17. Aufl., Bd. VI, § 46 Anm. 28). Dies erscheint schon deshalb gerechtfertigt, weil, falls ein Arbeitnehmer veranlagt werden muß, sein Steuerfall jedenfalls insoweit erst im Veranlagungsverfahren abgewikkelt werden kann, als auch Tatbestände zu beurteilen sind, für die ein Lohnsteuerabzug nicht in Betracht kommt. Die Bestandskraft des Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids kann nämlich nicht weitergehen, als Tatbestände im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren steuerlich überhaupt geregelt werden können.
Zwar ist, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, das Lohnsteuerabzugsverfahren nur eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer. Dieses Verfahren findet auch regelmäßig seinen Abschluß mit der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs. Im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren kann aber allenfalls das Verfahren des Lohnsteuerabzugs, nicht jedoch auch ein Verfahren zu Ende geführt werden, in dem - wie z. B. bei den Renteneinkünften des Klägers - ein Lohnsteuerabzug nicht in Betracht kommt. Dem Lohnsteuer-Jahresausgleich kann somit im Hinblick auf die veranlagte Steuer keine größere Bedeutung beigemessen werden als dem Lohnsteuerabzug selbst. Der Senat hat deshalb bereits im Urteil vom 20. September 1963 VI 24/62 U (BFHE 77, 716, BStBl III 1963, 583) entschieden, daß eine unzulässige Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs der Heranziehung des Steuerpflichtigen im Wege der Veranlagung nicht entgegensteht, auch wenn die Veranlagung den Lohnsteuer-Jahresausgleich gegenstandslos macht. In Übereinstimmung mit dem Schrifttum (vgl. Herrmann/Heuer, a. a. O.; Haartz/Meeßen/Wolf, a. a. O.; Woerner, Die Zurücknahme und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 4. Aufl., S 36) hält er an dieser Auffassung fest.
Auch Treu und Glauben stehen dem im Streitfall nicht entgegen. Es kann nach den vorstehenden Ausführungen nicht davon ausgegangen werden, daß Treu und Glauben eine Einkommensteuer-Veranlagung nach Abschluß eines Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahrens grundsätzlich verbieten. Nur wenn ein Steuerpflichtiger auf Grund besonderer Umstände mit einer Veranlagung nicht mehr zu rechnen braucht, kann die Durchführung der Veranlagung verwirkt sein. Die Tatsache allein, daß das FA von vornherein zu Unrecht einen Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt hat, führt aber nicht zu einer solchen Verwirkung.
Ob die vorstehende Rechtsauffassung auch noch für Veranlagungszeiträume von 1975 an zu gelten hat, war im Streitfall nicht zu entscheiden.
Somit ist auf die Revision die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71843 |
BStBl II 1976, 425 |
BFHE 1976, 219 |