Leitsatz (amtlich)
Eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 92 Abs. 2 AO liegt nicht vor, wenn das FA wegen eines Überlegungsfehlers von einem falschen Sachverhalt ausgeht.
Normenkette
AO § 92 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eigentümer eines Einfamilienhauses, das sie zunächst selbst bewohnten und ab August 1972 vermieteten. Im Streitjahr 1973 erklärten sie einen Überschuß der Mieteinnahmen über die Werbungskosten in Höhe von 7 869 DM, den sie in der Anlage V (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) aufschlüsselten. Zusätzlich setzten sie die Beträge für die bezahlten Schuldzinsen (3 948 DM) und die erhöhten Abschreibungen nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes -EStG- (7b-AfA; 3 735 DM) bei den entsprechenden Angaben zum Nutzungswert der Wohnung im eigengenutzten Einfamilienhaus ein.
Bei der Veranlagung ging der Sachbearbeiter des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) vom Vorhandensein von zwei Einfamilienhäusern - einem vermieteten und einem eigengenutzten - aus. Er ergänzte die Angaben der Kläger zum Nutzungswert, indem er den Einheitswert des Hauses und den für die Berechnung des Grundbetrages nach der Einfamilienhaus-Verordnung maßgeblichen Vomhundertsatz eintrug. Den angegebenen Betrag für die 7b-AfA änderte er in den Betrag ab, den das FA im Vorjahr anerkannt hatte (3 997 DM). Der maschinelle Einkommensteuerbescheid 1973 wies darum die Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht, wie erklärt, mit 7 869 DM, sondern nur mit 3 872 DM (7 869 DM ./. 3 997 DM) aus.
Bei der Durchführung der Veranlagung 1974 bemerkte das FA den Fehler und berichtigte den Bescheid gemäß § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO).
Das Finanzgericht (FG) hob nach erfolglosem Einspruchverfahren den berichtigten Bescheid auf, weil es in dem vom veranlagenden Sachbearbeiter begangenen Fehler keine offenbare Unrichtigkeit sah.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es macht geltend: Das FG habe den Begriff der offenbaren Unrichtigkeit verkannt. Die irrtümliche Annahme, daß die Kläger zwei Einfamilienhäuser besessen haben, beruhe nicht auf einem Rechtsfehler. Aufgrund der Angaben in der Einkommensteuererklärung habe der Sachbearbeiter, ohne rechtliche Erwägungen anzustellen, gleichsam eine Tatsache "hinzugesehen". Ein solcher Vorgang sei dem "Übersehen" einer Tatsache gleichzustellen. Da sich wegen der falschen Annahme eine weitere Sachaufklärung erübrigt habe, habe der Bearbeiter folgerichtig die für die elektronische Datenverarbeitung erforderlichen Zahlen in der Einkommensteuererklärung ergänzt.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Gemäß § 92 Abs. 2 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten auch nach der Bekanntgabe berichtigt werden; das gilt auch dann, wenn ein Steuerbescheid bestandskräftig geworden ist.
"Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" müssen begrifflich einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, wie sich aus dem Wortlaut von § 92 Abs. 2 AO ergibt; d. h. es muß sich um mechanische Fehler handeln (vgl. z. B. zum Übertragungsfehler Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. August 1975 IV R 150/71, BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764). Die unrichtige Tatsachenwürdigung und die Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsvorschrift ist kein mechanisches Versehen. Besteht die Möglichkeit eines Rechtsirrtums, so ist § 92 Abs. 2 AO nicht anwendbar (BFH-Urteile vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550, und vom 31. Juli 1975 V R 121/73, BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit scheidet z. B. aber auch dann aus, wenn der Behörde beim Erlaß eines Steuerbescheides ein sonstiger Denk- oder Überlegungsfehler unterläuft, der sich nicht auf die unmittelbare Rechtsanwendung bezieht, oder wenn der Fehler auf mangelnder Sachaufklärung beruht (BFH-Urteil vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853).
Im Streitfall liegt, wie das FG richtig festgestellt hat, ein Überlegungsfehler vor, der zur Annahme eines falschen Sachverhalts geführt hat.
Das FA hat aus den teilweise doppelten Angaben in der Steuererklärung der Kläger gefolgert, es müßten zwei Häuser vorhanden sein. Es hat Daten zu dem (nicht vorhandenen) eigengenutzten Einfamilienhaus, die die Kläger nicht erklärt hatten, ergänzt und die 7b-AfA auf den Vorjahresbetrag erhöht. Die Angaben zu dem vermieteten Haus hat es geprüft und anerkannt. Das FA hat demnach bei der Durchführung der Veranlagung eigene Überlegungen angestellt und nicht lediglich mechanisch offensichtlich falsche Angaben übernommen oder richtige Angaben falsch übertragen. Zu dem fehlerhaften Ansatz der Besteuerungsgrundlage ist das FA nicht etwa gelangt, weil es die von den Klägern eingereichte Steuererklärung der Veranlagung - unverändert - zugrunde gelegt hat (vgl. hierzu BFH-Urteil VIII R 141/71).
Anders als beim "Übersehen" einer Tatsache - z. B. beim Nichtansatz einer Besteuerungsgrundlage (vgl. BFH-Beschluß vom 6. Juli 1972 VIII B 11/68, BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954) - beruht hier das "Hinzusehen" einer Tatsache entgegen der Auffassung des FA nicht auf einem mechanischen Versehen.
Fundstellen
Haufe-Index 73130 |
BStBl II 1979, 458 |
BFHE 1979, 302 |