Leitsatz (amtlich)
Wird ein Fabrikgebäude in einem solchen Ausmaß erweitert, daß die Neubauteile dem Gesamtgebäudekomplex das Gepräge geben und die Altbauteile größenund wertmäßig untergeordnet erscheinen, liegt eine selbstverbrauchsteuerpflichtige Neuinvestition vor. Es ist ein neues Wirtschaftsgut unter Einbeziehung eines bereits vorhandenen Wirtschaftsguts geschaffen worden.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Kläger und Revisionsbeklagte) ist Kommanditist einer KG, die Möbel herstellt. Ihm gehört das von der KG genutzte Fabrikgelände und -gebäude. Die KG zahlt ihm Miete. Der Steuerpflichtige hat gemäß § 9 UStG 1967 auf die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 UStG 1967 verzichtet.
Der Steuerpflichtige hatte das Fabrikgelände 1963 erworben und 1966 und 1968 durch Zukäufe vergrößert. Er errichtete auf einer Grundfläche von ca. 1875 qm eine Fabrikationshalle mit Büro- und Ausstellungsräumen. Pfeiler und Dach der Halle waren nach dem Baukastensystem konstruiert. Die Außenpfeiler konnten wiederum Träger von Dacheinheiten für Anschlußbauten werden. Der Steuerpflichtige erweiterte die Halle 1965/1966 um einen Anbau nach Süden (Fläche ca 925 qm). 1967/1968 baute der Steuerpflichtige weiter an. Der Neubau hatte eine Grundfläche von 5100 qm. Er wurde den vorhandenen Baulichkeiten so angesetzt, daß er die von diesen gebildeten Ecken ausfüllte. Die bisherigen Außenmauern der früher errichteten Baulichkeiten wurden - soweit sie an den Neubau stießen - mit Ausnahme von Brandmauern entfernt. Der Bauaufwand betrug 1968 ... DM.
Im Zuge der Baumaßnahmen 1967/1968 wurde auch die alte Heizungsanlage um- und ausgebaut. Der Kessel für die Büroheizung wurde durch Vorsetzen von Gliedern vergrößert. Der Kessel für die Fabrikheizung wurde ausgewechselt. Der neue Kessel wurde an anderer Stelle neben dem Kessel für die Büroheizung installiert. Außerdem wurde die Heizung auf den Neubau ausgeweitet. Der Aufwand betrug 1968 ... DM.
Das FA (Beklagter, Revisionskläger) sah die im Herbst 1968 erfolgte Ingebrauchnahme des Neubaus und der erweiterten Heizungsanlage als selbstverbrauchsteuerpflichtigen Vorgang an. Als Bemessungsgrundlage setzte es den in 1968 angefallenen Aufwand an. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG gab der Klage in diesen Punkten mit folgender Begründung statt: Der 1967/1968 erstellte Neubau sei kein selbständiges Wirtschaftsgut im Sinne des § 30 Abs. 2 UStG 1967. Neubau und Altbau böten dem Betrachter das Bild eines einheitlichen Ganzen. Längen und Breiten des Gesamtkomplexes seien ausgewogen. Abgesehen von der stärkeren Witterungsbeeinträchtigung bei den älteren Bauten sei nicht zu erkennen, welche Teile zum Neubau gehörten. Im Inneren gingen Alt- und Neubau ohne trennende Wände ineinander über Die Zwischenmauern, die aus brandpolizeilichen Gründen hätten stehen bleiben müssen, wirkten sich nur störend auf den Betriebsablauf aus. Alt- und Neubau seien durch die gemeinsamen Betonstützen unverrückbar miteinander verbunden. Würde man die Teile für Zwecke des Verkaufs voneinander trennen wollen, so würden erhebliche Umbaukosten entstehen. Die Räumlichkeiten ergänzten einander. Die Büroräume und Betriebsabteilungen erstreckten sich über beide Teile. Die Verladerampen für die gesamte Fabrikation befänden sich an der Südseite des Neubaus. Der Gesamtkomplex sei bewertungsrechtlich als wirtschaftliche Einheit behandelt worden. Er sei auch nicht abschnittsweise nach einem schon 1963 gefaßten Entschluß errichtet worden. Es seien jeweils neue Aufträge erteilt worden. Die Erweiterung sei durch eine nicht voraussehbare günstige Geschäftsentwicklung der KG veranlaßt worden. Die Heizungsanlage müsse als unselbständiger Teil des Gebäudes wie dieses behandelt werden.
Das FA rügt mit der Revision Verletzung des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 und macht geltend: Der 1967/1968 ausgeführte Neubau sei ein selbständiges Wirtschaftsgut. Er bilde einen für sich standfesten Komplex, der wegen des hier angewandten Baukastensystems nur lose an den Altbau angelehnt sei. Das Herausbrechen von Zwischenwänden spreche nicht zwingend gegen die Annahme selbständig bewertbarer Einheiten (Urteil des BFH IV 358/62 U vom 3. Dezember 1964, BFH 81, 463, BStBl III 1965, 168). Bewertungsrechtliche Erwägungen dürften nicht in die Prüfung einbezogen werden. Aber selbst wenn Alt- und Neubau als Einheit zu behandeln wären, könne die neue Halle nicht als Erweiterung der älteren Baulichkeiten angesehen werden. Die Erweiterung sei so umfangreich, daß, wirtschaftlich betrachtet, eine neue Halle entstanden sei. Der Neubau sei fast doppelt so groß wie der Altbau und präge den Gesamtkomplex. Der Altbau habe seine ursprüngliche eigenständige Bedeutung verloren und erscheine nur noch als Eckteil des Gesamtkomplexes. Schließlich spreche entgegen der Ansicht des FG eine starke Vermutung für eine von vornherein geplante abschnittsweise Bebauung.
Der Steuerpflichtige hält die Ausführungen der Vorinstanz für zutreffend und meint, eine Erweiterung könne auch nicht wegen der Größe des Neubaus verneint werden; ein Abstellen auf das Größenverhältnis müßte zu schwierigen Abgrenzungsfragen und in Grenzfällen zu Härten führen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 liegt unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen Selbstverbrauch vor, wenn körperliche Wirtschaftsgüter der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt werden. Der Senat hat in dem Urteil V R 18/71 vom 19. August 1971 (BFH 103, 282, BStBl II 1972, 75) entschieden, daß diese Vorschrift nicht die Erweiterung bereits vorhandener Wirtschaftsgüter erfaßt, selbst wenn dabei aktivierungspflichtiger Aufwand anfällt. Zu Unrecht hat das FG die Ingebrauchnahme der 1967/1968 hergestellten Baulichkeiten und Heizungsteile als nicht selbstverbrauchsteuerbare Erweiterungsinvestitionen angesehen.
Dem FA kann allerdings nicht schon darin gefolgt werden, daß der Neubau ein von dem Altbau getrenntes selbständiges Wirtschaftsgut ist. Das FG hat nach einer ausführlichen Beweisaufnahme, die eine Augenscheinseinnahme und die Anhörung des die Baulichkeiten ausführenden Architekten einschloß, seine Annahme, daß Altbau und Neubau eine Einheit bilden, eingehend und überzeugend begründet. Es hat dabei zutreffend auf den Gesamteindruck und die beinahe vollkommene bauliche und betriebliche Verflechtung der Bauwerke abgestellt. Der zusätzlichen bewertungsrechtlichen Erwägungen (dazu BFH-Urteil V R 48/71 vom 19. August 1971, BFH 103, 286, BStBl II 1972, 76) hätte es nicht bedurft. Der Sachverhalt des BFH-Urteils IV 358/62 U vom 3. Dezember 1964 (a. a. O.) ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Im Streitfall spricht nicht nur die Herausnahme der Zwischenwände, sondern die Gesamtheit der Umstände für die Annahme einer Gebäudeeinheit. Es kann auch entgegen der Auffassung des FA nicht davon gesprochen werden, daß der Neubauteil nach einem schon 1963 gefaßten Entschluß errichtet worden ist und daher als besteuerungsfähiger Bauabschnitt angesehen werden könnte (dazu BFH-Urteil V R 48/71, a. a. O.). Die Feststellungen des FG, die weder Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze verletzen und nicht beanstandet worden sind, stehen dem entgegen und sind für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
Dennoch ist Selbstverbrauch zu bejahen. Es ist mit dem FA zwischen der Erweiterung eines bereits vorhandenen Wirtschaftsguts und der Schaffung eines neuen Wirtschaftsguts unter Einbeziehung eines bereits vorhandenen Wirtschaftsguts zu unterscheiden. Im ersten Fall entfällt Selbstverbrauch, weil kein neues Wirtschaftsgut der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt wird. Im zweiten Fall hingegen geht das vorhandene Wirtschaftsgut in ein neues Wirtschaftsgut ein, das die Alt- und Neuteile umfaßt. Die Frage, ob eine nichtsteuerbare Erweiterungsinvestition oder eine Neuinvestition unter Einbeziehung vorhandener Wirtschaftsgüter vorliegt, ist danach zu entscheiden, ob die Alt- oder die Neuteile dem einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben. Maßgeblich sind in erster Linie die Größen- und Wertverhältnisse der Teile zueinander. Dem Steuerpflichtigen ist einzuräumen, daß hierbei Abgrenzungsschwierigkeiten und in Grenzfällen Härten auftreten können. Dies sind unabweisbare Folgen aus der Entscheidung des Gesetzgebers, Erweiterungsinvestitionen nicht der Selbstverbrauchsteuer zu unterwerfen. Sie können der Rechtsprechung keinen Anlaß geben, auch Neuinvestitionen teilweise von der Selbstverbrauchsteuer auszunehmen.
Im vorliegenden Fall gibt der Neubau dem Gesamtkomplex das Gepräge. Die 1963/1964 und 1965/1966 errichteten Bauteile sind größen- und wertmäßig eindeutig gegenüber dem 1967/1968 errichteten Neubauteil untergeordnet. Der Neubauteil hat eine Grundfläche von ca. 5100 qm. Nach den vom FG in Bezug genommenen Einheitswertakten beträgt der umbaute Raum ca. 17 600 cbm. Überdies sind ca. 940 qm Grundfläche unterkellert. Der umbaute Kellerraum beträgt ca. 2800 cbm. Demgegenüber haben die Altbauteile eine Grundfläche von lediglich ca. 2800 qm. Nach der Einheitswertakte beträgt der umbaute Raum ca. 10 000 cbm. Unterkellert sind lediglich ca. 190 qm; der umbaute Kellerraum beträgt ca. 470 cbm. Sonach machen Nutzfläche und Rauminhalt des Neubauteils einschließlich Keller etwa 2/3 der Nutzfläche und des Rauminhalts des Gesamtkomplexes einschließlich Keller aus. Der Wertvergleich ergibt ein ähnliches Bild. Der Aufwand für den 1967/1968 errichteten Neubauteil betrug ausweislich der vom FG in Bezug genommenen Bilanzakten ca. 58,5 v. H. des Aufwands für den Gesamtkomplex. Die Aufwandzahlen erscheinen trotz der verschiedenen Baujahre für einen Wertvergleich geeignet, weil dem Wertanstieg der Altbauteile infolge gestiegener Baukostenpreise ein bereits mehrjähriger Verschleiß dieser Teile gegenübersteht und der Neubauteil mit einer gewissen Kostendegression hat gebaut werden können (Baukastensystem, Vorarbeiten bei Errichtung der Altbauteile), die auf den Gesamtkomplex zu verrechnen ist. Die Altbauteile weisen keine Besonderheiten auf, aufgrund deren sie dem Gesamtkomplex trotz eindeutiger größen- und wertmäßiger Untergeordnetheit das Gepräge geben könnten. Alt- und Neubauteile fügen sich vielmehr gleichmäßig in den einheitlichen Zweckbau ein und dienen denselben betrieblichen Zwecken.
Auch der Umbau und Ausbau der Heizungsanlage unterliegt der Selbstverbrauchsteuer. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die Heizungsanlage ein selbständiges Wirtschaftsgut oder ein unselbständiger Teil des Fabrikgebäudes ist. Bei Selbständigkeit sind der Um- und Ausbau der Heizung und ihre Ingebrauchnahme entsprechend den obigen Ausführungen eine Neuinvestition. Andernfalls sind sie Teil der Gebäudeneuinvestition.
Das FA hat nur den in 1968 angefallenen Investitionsaufwand der Selbstverbrauchsteuer unterworfen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese nicht näher begründete Ausscheidung des sonstigen Aufwands als ein in die Steuerfestsetzung einbezogenen Milderungserlaß nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 gerechtfertigt werden könnte und wie zu verfahren wäre, wenn § 30 Abs. 9 UStG 1967 nicht einschlägig sein sollte (evtl. Einbeziehung des 1967 angefallenen Investitionsaufwands oder gar der Buchwerte für die Altteilinvestitionen in die Bemessungsgrundlage nach § 30 Abs. 4 UStG 1967). Eine solche Prüfung könnte allenfalls zu einer im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Verböserung der Steuerfestsetzung führen.
Fundstellen
BStBl II 1972, 654 |
BFHE 1972, 198 |